OGH 1Ob5/75

OGH1Ob5/7522.1.1975

SZ 48/5

Normen

ABGB §163 Abs1
ABGB §163 Abs1

 

Spruch:

Die Widerlegung der Vaterschaftsvermutung des § 163 Abs. 1 ABGB ist mit der Neufassung durch das Gesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes, BGBl. 243/1970, erleichtert worden; die sogenannte Drei-Sigma- Grenze (Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft von 99.73%) muß nicht mehr erreicht werden. Es muß allerdings weiterhin der Beweis einer hohen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft gefordert werden

Die zivilprozessualen Sonderbestimmungen des Gesetzes über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes sind nicht anzuwenden, wenn die uneheliche Abstammung des klagenden Kindes nur Vorfrage in einem Unterhaltsprozeß gegen einen im Ausland wohnenden Ausländer ist

OGH 22. Jänner 1975, 1 Ob 5/75 (LG Innsbruck 2 R 669/74; BG Matrei C 38/73 )

Text

Nach rechtskräftiger Zurückweisung der Klage hinsichtlich des Teilbegehrens auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft des Beklagten wies der Erstrichter das restliche Klagebegehren auf Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages ab. Nach seinen Feststellungen hat der Beklagte, der französischer Staatsangehöriger ist, anläßlich seiner Befragung vor der österreichischen Botschaft in Paris am 22. Dezember 1970 erklärt, daß er vom Feber 1967 bis zu seiner Abreise am 31. Mai 1967 mit der Mutter des klagenden Kindes geschlechtlich verkehrt habe. Er habe damit eingeräumt, ihr innerhalb der vom 9. April bis 9. August 1967 reichenden Vermutungsfrist des § 163 ABGB beigewohnt zu haben. Die Blutuntersuchung habe ergeben, daß im Duffy-System das klagende Kind

Fy (a)-positiv und Fy (b)-negativ = FF, der Beklagte hingegen Fy

(a)-negativ und Fy (b)-positiv = ff reagiere. Diese Konstellation

entspreche einem sogenannten Reinerbigkeitsausschluß, d. h. daß die Vaterschaft des Beklagten zum klagenden Kind in einem hohen Grade unwahrscheinlich sei und lediglich wegen der Möglichkeit des Vorliegens eines stummen Gens das Prädikat "Vaterschaft offenbar unmöglich" nicht in Frage komme. Immerhin sei aber die Vaterschaft zum klagenden Kind in einem "so hohen Maße unwahrscheinlich, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" der Vaterschaftsausschluß des Beklagten zum klagenden Kind gegeben sei. Mangels Abstammung vom Beklagten könne die Klägerin von ihm keinen Unterhalt fordern.

Das Berufungsgericht gab der vom klagenden Kind erhobenen Berufung Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Nach dem anzuwendenden österreichischen Recht sei die Frage der Vaterschaft des Beklagten als Vorfrage der Unterhaltspflicht selbständig zu prüfen, weil sie noch nicht von einer zuständigen Behörde rechtskräftig gelöst wurde. Die Vermutung des § 163 ABGB i. d. F. des UeKindG folge aus dem in der Tagsatzung vom 6. August 1974 abgegebenen Zugeständnis, daß die Niederschrift vor der österreichischen Botschaft echt und richtig sei, weil danach ein Verkehr in der gesetzlichen Vermutungsfrist zugegeben wurde. Der Beklagte müsse nun den Beweis der absoluten Unwahrscheinlichkeit seiner Vaterschaft erbringen. Im System Duffy sei aber der Reinerbigkeitsausschluß nicht verwertbar. Das Verfahren sei jedoch in Richtung anderer möglicher medizinischer Ausschlüsse mangelhaft geblieben. Als Maßstab für die absolute Unwahrscheinlichkeit der Abstammung sei auch nach Inkrafttreten des Unehelichenkindgesetzes die Drei-Sigma-Grenze von 99.73% maßgebend.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Unbekämpft und zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß nach rechtskräftiger Zurückweisung des Klagebegehrens auf Feststellung der Vaterschaft die Abstammung des klagenden Kindes vom Beklagten als Vorfrage der Entscheidung über den Unterhalt zu behandeln und daß dabei sowohl der Unterhaltsanspruch als auch die Vorfrage der Vaterschaft gemäß Art. 1 des Haager Unterhaltsstatutabkommens BGBl. 293/1961 nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes, hier nach österreichischem Recht, zu entscheiden ist (SZ 38/21; ZfRV 1969, 299 mit insoweit zustimmender Besprechung von Hoyer; Schwimann, ÖAmtsV 1974, 10). Ebenso trifft es zu, daß die Lösung der Vorfrage unabhängig vom Zeitpunkt der Überreichung der Unterhaltsklage nach dem im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz geltenden materiellen Recht zu prüfen ist, weil dieser Zeitpunkt grundsätzlich für die Entscheidung maßgeblich ist und das Gesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes, BGBl. 342/1970, im § 2 der Schluß- und Übergangsbestimmungen des Art. X eine gegenteilige Vorschrift nur für Streitigkeiten über die Feststellung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind, die Anerkennung der Vaterschaft und die Anfechtung des Anerkenntnisses, nicht aber für Unterhaltsprozesse enthält. Die zivilprozessualen Sonderbestimmungen (vgl. hiezu Schwimann; Fasching IV, 940 und Gamerith, ÖJZ 1972, 60 sowie NZ 1972, 157) sind hingegen nicht anzuwenden, weil die Abstammung als Vorfrage zu klären ist. Demnach kommt im vorliegenden Verfahren auch der Untersuchungsgrundsatz nicht zum Tragen.

In der Hauptfrage, ob die Beiwohnung des Rekurswerbers durch das Geständnis der Richtigkeit der mit ihm vor der österreichischen Botschaft in Paris aufgenommenen Niederschrift bereits erwiesen ist, so daß dem klagenden Kind die Vermutung des § 163 Abs. 1 ABGB zugute kommt, kann dem Rekurswerber nicht dahin gefolgt werden, daß die angeführte Prozeßerklärung bloß das Tatsachengeständnis einer solchen Erklärung vor der österreichischen Botschaft, nicht aber auch ihrer Richtigkeit beinhaltet habe. Die genannte Niederschrift ist eine öffentliche Urkunde im Sinn des § 292 Abs. 1 zweiter Satz ZPO (vgl. Fasching III, 366), zumal sie offensichtlich innerhalb der Grenzen der Amtsbefugnisse des österreichischen öffentlichen Organs errichtet wurde. Nach § 292 Abs. 2 ZPO wäre der Beweis der Unrichtigkeit des in der Niederschrift bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der umrichtigen Beurkundung zulässig gewesen. Der Rekurswerber hätte daher den Beweis sowohl darüber führen können, daß die Beurkundung nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprach, als auch jenen, daß die beurkundeten Tatsachen nicht mit den wirklichen übereinstimmen (Fasching III, 366). Umgekehrt enthielt dann aber das Zugeständnis der Richtigkeit der Niederschrift auch die Wiederholung des in der Niederschrift enthaltenen Tatsachengeständnisses. Selbst ein Widerspruch dieses Geständnisses zu früheren Prozeßerklärungen, mit denen eine Beiwohnung bestritten wurde, würde daran nichts ändern, weil nach § 266 Abs. 1 ZPO die von einer Partei behaupteten Tatsachen insoweit keines Beweises bedürfen, als sie vom Gegner (unter anderem) im Lauf e des Rechtsstreites bei einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestanden wurden.

Dem Rekurswerber ist aber zuzugeben, daß Zweifel über den rechtserheblichen Umfang der niederschriftlichen Erklärung zu Lasten der Klägerin gehen, weil diese sich des Urkundenbeweises bedient, und daß solche Zweifel hier auch mit Rücksicht auf die vorangegangene Einwendung nicht verneint werden können. Der Beklagte hat in seiner Erklärung vor der österreichischen Botschaft in Paris den im Prozeß bestrittenen Umstand, daß sich die für Feber und März 1967 zugestandenen geschlechtlichen Beziehungen mit der Mutter des klagenden Kindes auch noch innerhalb der am 8. April 1967 begonnenen gesetzlichen Vermutungsfrist fortgesetzt haben, nicht ausdrücklich zugegeben. Seine Erklärung lautete zwar, daß er die Beziehungen mit der Mutter der Klägerin, die er im Feber 1967 kennengelernt habe, "bis zu seiner Abreise am 31. Mai 1967" gehabt habe, doch wird diese Zeitbestimmung durch die Beifügung, daß die sexuellen Beziehungen bloß zeitweise gewesen seien, wesentlich entwertet. Die Prozeßerklärung des Rekurswerbers zu dieser Urkunde kann deshalb nicht als ein der vorangegangenen Bestreitung einer derartigen Beiwohnung entgegengesetztes Tatsachengeständnis verstanden werden. Der Oberste Gerichtshof gelangt im Gegensatz zu den Untergerichten zu der Rechtsansicht, daß die Anerkennung der Richtigkeit der Niederschrift kein Zugeständnis einer Beiwohnung innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist beinhaltete.

Damit blieb diese Klagsbehauptung beweisbedürftig. Es wird eine Frage der Würdigung der noch ausstehenden Parteiaussage des Beklagten sein, welche Bedeutung seiner, für sich allein nicht ausreichenden vorprozessualen Erklärung vor der österreichischen Botschaft zukommt. Die Meinung des Erstgerichtes, daß nach französischer Rechtsordnung der ordre public einer Vernehmung der Mutter des klagenden Kindes im Wege stehe, weil in diesem Fall die österreichische Entscheidung in Frankreich nicht vollstreckbar wäre, bedarf derzeit keiner Prüfung. Da nicht einmal feststeht, ob das klagende Kind das begehrte Urteil nur im Ausland vollstrecken will, wird es seine Sache bzw. seiner Vertretung sein, ob ein allfälliges Risiko der Nichtvollstreckbarkeit im Ausland durch das Beharren auf der angebotenen Beweisführung übernommen wird. Nur gegen den Willen des Kindes bzw. seiner Vertretung dürfte die Mutter in diesem Falle nicht vernommen werden.

Eine weitere Frage ist es, ob der von den Untergerichten festgestellte Grad der nachgewiesenen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten für die Entkräftung der gesetzlichen Vermutung des § 163 Abs. 1 ABGB ausreicht. Dabei ist materiellrechtlich, wie oben dargestellt wurde, von der neuen Rechtslage des § 163 Abs. 2 erster Halbsatz ABGB i. d. F. des UeKindG auszugehen; der zweite Halbsatz kommt nicht in Betracht, weil der Rekurswerber bisher keinen anderen Mann nennen konnte, für den die Vermutung gleichfalls gilt.

Nach der bezogenen Vorschrift kann der Mann, auf den die Vermutung des Abs. 1 zutrifft, diese durch den Beweis einer solchen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft entkräften, die unter Würdigung aller Umstände gegen die Annahme spricht, daß er das Kind gezeugt hat. Das Berufungsgericht ist im Sinne der nicht näher begrundeten Entscheidung 7 Ob 43/74 davon ausgegangen, daß auch in einem nach der Neufassung des § 163 ABGB anhängig gemachten Verfahren eine Zeugungsunwahrscheinlichkeit von wenigstens 99.73% nachgewiesen werden muß, das ist die sogenannte Drei-Sigma-Grenze, bei der von 370 Männern gleicher serologischer Beschaffenheit nur einer der Vater sein könnte (JBl. 1968, 624 u. a.). Demgegenüber hat der erkennende Senat bereits in der Entscheidung EvBl. 1973/130 ausgesprochen, daß die neue Bestimmung des § 163 Abs. 2 erster Halbsatz ABGB nach den mit dessen Wortsinn (§ 6 ABGB) in Einklang zu bringenden Erläuterungen zur Regierungsvorlage (6 BlgNR, XII. GP, 13) eine gewisse Erleichterung des Gegenbeweises gegen die Vaterschaftsvermutung darstellen sollte, daß anderseits aber die Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte verlangen, die die Erzeugerschaft des beklagten Mannes völlig unglaubhaft machen, so daß der verbleibende ganz geringe Grad von Wahrscheinlichkeit bei Würdigung aller Umstände vernachlässigt werden muß. Darin liege ein gewisser Widerspruch, den zu überbrücken Sache der Rechtsprechung sein werde, die auch schon bisher bloß eine Entkräftung der Vaterschaftsvermutung gefordert habe. Auch in der Entscheidung 5 Ob 30/73 wurde ausgesprochen, daß die neue Rechtslage in bezug auf die dem Beklagten zur Widerlegung oder Entkräftung der gegen ihn sprechenden Vermutung seiner Vaterschaft offenstehende Beweisführung eine Erleichterung beinhalte, die im Einklang mit dem heutigen Stand der Naturwissenschaften und in Erwartung deren weiterer Entwicklung in naher Zukunft den Zweck habe, die Feststellung eines unrichtigen Mannes als Vater in den meisten Fällen zu verhindern; diese vom Gesetzgeber vorgesehene Erleichterung des Gegenbeweises gegen die Vaterschaftsvermutung, wie sie auch der Rechtsentwicklung in den europäischen Staaten entspreche, sei auch im Bericht des Justizausschusses zum Ausdruck gekommen (155 BlgNR, XII. GP, 2). Schließlich hat auch die Lehre die Neuregelung so verstanden, daß durch den neuen ersten Halbsatz des § 163 Abs. 2 ABGB die bisher unberechtigt harten Anforderungen an den Gegenbeweis auf das richtige Maß zurückgeführt werden (Kralik, JBl. 1971, 278; ähnlich Ent, ÖJZ 1972, 510).

Der erkennende Senat gelangt unter diesen Umständen zu dem Ergebnis, daß der Beweis der "absoluten" Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft durch den neuen § 163 Abs. 2 erster Halbsatz ABGB nicht nur gegenüber dem Wortlaut, sondern auch gegenüber der praktischen Anwendung des früheren Rechtes erleichtert wird. Allerdings wird weiterhin eine hohe Unwahrscheinlichkeit gefordert werden müssen, um dem zweiten Begriffsmerkmal des Gesetzes zu entsprechen, daß die Würdigung aller Umstände gegen die Annahme sprechen muß, daß der Beklagte das Kind gezeugt habe. Aber das Erreichen der Drei-Sigma-Grenze ist nicht mehr erforderlich.

Infolge dieser rechtlichen Beurteilung kann der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht gefolgt werden, daß die im vorliegenden Fall allerdings noch ohne Überprüfung durch ein Zweitgutachten festgestellte Verteilung der Blutmerkmale im Duffy-System zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutung (sofern sie nach dem eingangs Gesagten aufrecht zu bleiben hätten) keinesfalls hinreichen kann. Es reicht allerdings auch die auf dem Sachverständigen-Gutachten beruhende Feststellung nicht aus, daß die Vaterschaft des Rekurswerbers in hohem Maße unwahrscheinlich sei. Diese eine Prozentangabe des Grades der Unwahrscheinlichkeit vermissen lassende Feststellung ist nicht präzise genug. Um die Vorfrage der Vaterschaft des Rekurswerbers abschließend beurteilen zu können, bedarf es sohin einer weiteren Feststellung, welchen Prozentsatz der Unwahrscheinlichkeit der Ausschluß im Duffy-System ergibt.

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