OGH 6Ob239/74

OGH6Ob239/7412.12.1974

SZ 47/146

Normen

JN §88 Abs1
JN §88 Abs1

 

Spruch:

Auch eine mündlich oder stillschweigend durch Unterwerfung unter gedruckte Vertragsbestimmungen zustande gekommene Vereinbarung über den Erfüllungsort muß dem Gericht im Bestreitungsfall gemäß § 88 Abs. 1 JN durch eine vom Beklagten gefertigte Urkunde nachgewiesen werden

OGH 12. Dezember 1974, 6 Ob 239/74 (OLG Wien 3 R 194/74; HG Wien 22 Cg 499/74)

Text

Die Klägerin begehrte vom Beklagten für "auftrags- und ordnungsgemäß erbrachte Speditionsleistungen" laut Kontoauszug vom 30. August 1973 den Betrag von 490.108.70 S samt Anhang. Sie nahm die Zuständigkeit des Handelsgerichtes Wien gemäß § 88 Abs. 1 JN in Anspruch und brachte dazu vor, ausschließlich auf Grund der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen zu arbeiten. Nach § 65 AÖSp. sei Erfüllungsort jener Ort, an welchem die Handelsniederlassung des Spediteurs, an welchen der Auftrag gerichtet sei, ihren Sitz habe. Sämtliche Geschäftspapiere der Klägerin enthielten einen dementsprechenden Hinweis, welcher vom Beklagten "unwidersprochen und unbeanstandet angenommen" worden sei. Zum urkundlichen Nachweis des in Anspruch genommenen Gerichtsstandes legte die Klägerin Blankoformulare ihrer Ausfolgescheine und Rechnungen sowie die Buchhaltungskopien über die Belastung des Beklagten vor.

Der Beklagte - ein Spediteur mit dem Sitz in L (BRD) - erhob bei der ersten Tagsatzung die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Er führte diese in der Klagebeantwortung dahingehend aus, nur Geschaftsbeziehungen zur Klägerin mit dem Sitz in Graz gehabt zu haben. Er handle ausschließlich auf Grund seiner Geschäftsbedingungen, welche den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen entsprächen. Nach diesen Bedingungen gelte deutsches Recht. Als Gerichtsstand sei in diesen Bedingungen der Sitz des Spediteurs vereinbart. Als Erfüllungsort sei auf sämtlichen Drucksorten O (BRD) "vereinbart". Die Geschäftsbedingungen der Klägerin seien niemals Gegenstand der Vertragsbeziehungen der Parteien geworden. Am Beginn der Geschäftsbedingungen des Beklagten heiße es sinngemäß, daß ausschließlich diese Bedingungen zu gelten hätten, und zwar auch dann wenn anderslautenden Geschäftsbedingungen von Vertragspartnern nicht widersprochen werde. Während des Verfahrens brachte der Beklagte noch vor, bei den gegenständlichen Auftragen habe es sich um reine Frachtaufträge im grenzüberschreitenden Verkehr gehandelt, welche mangels anderer Vereinbarung nach dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr (CMR) zu beurteilen seien.

Außer Streit gestellt wurde, daß es sich bei den der Klage zugrunde liegenden Geschäften durchwegs um Aufträge des Beklagten an die Klägerin gehandelt hat.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf die Frage der Zuständigkeit ein und gab der Unzuständigkeitseinrede des Beklagten "keine Folge". Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Beide Streitteile sind Spediteure. § 65 ADSp. enthält ebenso wie § 65 AÖSp. die Bestimmung, daß Erfüllungsort und Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten, welche aus dem Auftragsverhältnis oder im Zusammenhang damit entstehen, für alle Beteiligten der Ort derjenigen Handelsniederlassung des Spediteurs ist, an die der Auftrag gerichtet ist. Die Klägerin hat ihren Sitz in Wien. Auf allen Geschäftspapieren scheint ihre Wiener Anschrift auf. In Graz bestand nur eine "rechtlich unselbständige" und nicht im Handelsregister als Zweigniederlassung eingetragene Betriebsstätte.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, beiden Streitteilen hätte auch im grenzüberschreitenden Verkehr bekannt sein müssen, daß der jeweilige Partner nur auf Grund der Spediteurbedingungen arbeite. Da es sich ausschließlich um vom Beklagten an die Klägerin gerichtete Aufträge gehandelt habe, sei für diese sowohl nach den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen als auch nach den Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen Wien als Erfüllungsort anzusehen. Der Beklagte habe als Spediteur in der Bundesrepublik Deutschland bei der Häufigkeit von Speditionen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich wissen müssen, daß ein österreichischer Spediteur nur nach den Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen arbeite, und daher, wenn er dies hätte ausschließen wollen, seinen diesbezüglichen Willen bei der Auftragserteilung klar zum Ausdruck bringen müssen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die der Klägerin vom Beklagten erteilten Aufträge als Speditions- oder als bloße Frachtaufträge zu beurteilen seien. Das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr sehe in Art. 31 vor, daß hinsichtlich des Gerichtsstandes in erster Linie die Vereinbarung der Parteien maßgebend zu sein habe. Mangels einer derartigen Vereinbarung sei nur die Anrufung der in Art. 31 im weiteren aufgezählten Gerichte möglich, zu welchen u. a. auch das Gericht des

Ortes der Übernahme des Gutes oder der Ablieferung des Gutes zähle. Da davon auszugehen sei, daß die Parteien hinsichtlich des § 65 AÖSp. bzw. ADSp. über den Erfüllungsort zumindest konkludent Willensübereinstimmung erzielt hätten, liege eine Vereinbarung der Streitteile dahingehend vor, daß Erfüllungsort für die an die Klägerin erteilten Aufträge der Sitz der Klägerin sei.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit des Handelsgerichtes Wien zurückwies. Es sei gleichgültig, ob sich der Beklagte den Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen oder die Klägerin den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen hinsichtlich der der Klage zugrunde liegenden Speditionsaufträge unterworfen habe; der für die erfolgreiche Inanspruchnahme des Gerichtsstandes nach § 88 Abs. 1 JN erforderliche urkundliche Nachweis einer solchen Unterwerfung sei nämlich nicht erbracht worden. Die Urkunde hätte, um dem prozeßrechtlichen Erfordernis zu genügen, wenigstens von dem sich den Geschäftsbedingungen des Partners Unterwerfenden unterzeichnet sein müssen. Die Klägerin habe jedoch nur in ihrem Geschäftsbetrieb im Verkehr mit ihren Partnern angeblich verwendete, vom Beklagten nicht unterfertigte Formulare mit dem entsprechenden Vordruck über die Anwendung der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen vorgelegt. Sie könne daher die Zuständigkeit des Erstgerichtes nicht in Anspruch nehmen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Klägerin versucht unter Zitierung verschiedener Stellen aus den Kommentaren von Neumann (4. Aufl. 1, 216) und von Fasching (I, 445) nachzuweisen, den im § 88 Abs. 1 JN geforderten urkundlichen Nachweis "durch den Nachweis der Geltung und Anwendung der AÖSp."

erbracht zu haben. Da die Vereinbarung auch durch konkludente Handlungen geschlossen werden könne, also nicht schriftlich zustande gekommen sein müsse, könne die Vorlage einer vom Beklagten unterzeichneten Urkunde nicht mehr gefordert werden.

Eine ausdrückliche Vereinbarung des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes wird von der Klägerin nicht behauptet. Einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Sinne der Entscheidungen EvBl. 1963/488, RZ 1964, 40 und EvBl. 1968/306 nur eine ausdrückliche (wenn auch nur mündlich zustande gekommene) Vereinbarung des Erfüllungsortes die Zuständigkeit des § 88 Abs. 1 JN begrunden kann, oder ob im Sinne der Entscheidung SZ 39/17 = EvBl. 1966/240 eine stillschweigende Vereinbarung genügt, bedarf es nicht. Sowohl die zuletzt genannte Entscheidung als auch die von der Revisionsrekurswerberin zitierten Belegstellen aus der Literatur lassen keinen Zweifel daran, daß selbst eine mündlich oder stillschweigend durch Unterwerfung unter gedruckte Vertragsbestimmungen zustande gekommene Vereinbarung über den Erfüllungsort dem Gericht urkundlich nachgewiesen werden muß, wenn der Beklagte die diesbezüglichen Klagsbehauptungen bestreitet (Fasching, 445; Neumann, 216). Inwiefern sich aus den Ausführungen Neumanns ergeben soll, daß "die Unterschriftlichkeit nicht gefordert wird", weil "der Nebensatz "sei es auch durch einseitig vom Beklagten gefertigte Urkunde", ausdrücklich im Potentialis gefaßt ist", ist nicht verständlich. Es kann auch keine Rede davon sein, daß die vom Rekursgericht herangezogene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1968/306 "durch die nunmehr herrschende Rechtsprechung", wie sie in der Entscheidung EvBl. 1970/229 zitiert wurde, überholt wäre. Denn wenn auch die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen als stillschweigend vereinbart gelten sollten, kann dies zufolge der ausdrücklichen Regelung des § 88 Abs. 1 JN keinen Einfluß auf die Verpflichtung der klagenden Partei haben, hierüber im Bestreitungsfall den urkundlichen Nachweis der in der genannten Gesetzesstelle angeführten Vereinbarung dem Gericht vorzulegen (so schon SZ 39/17 vgl. ferner SZ 15/23; EvBl. 1963/488; RZ 1964, 40 u. a.). Ein solcher urkundlicher Nachweis kann aber nicht durch Blankoformulare oder Buchhaltungskopien, sondern wie in der Entscheidung EvBl. 1968/306 eingehend begrundet wurde, nur durch eine zumindest vom Beklagten gefertigte Urkunde erbracht werden.

Verfehlt ist die im Revisionsrekurs aufgestellte Behauptung, diese Entscheidung gehe von "falschen Voraussetzungen" aus, denn sie berufe sich auf eine Entscheidung, welche noch zur Zeit der alten Fassung des § 88 Abs. 1 JN ergangen sei. Die im Revisionsrekurs angeführte Entscheidung GlU 7411 vom 9. April 1870 hatte die Beweisführung zum ewigen Gedächtnis zum Gegenstand und behandelte den Gerichtsstand des Erfüllungsortes überhaupt nicht. Die in der Entscheidung EvBl. 1968/306 zitierte Entscheidung GlUNF 7411 erging hingegen am 20. April 1915, also bereits zu § 88 Abs. 1 JN i. d. F. der ersten Gerichtsentlastungsnovelle vom 1. Juni 1914. Sie befaßte sich mit der Frage, ob der urkundliche Nachweis der Vereinbarung des Erfüllungsortes durch von den Parteien gewechselte Telegramme erbracht werden kann; diese Frage wurde mit der Begründung verneint, daß ein Telegramm schon seiner Natur nach der Unterschrift des Ausstellers entbehre.

Für den Standpunkt der Klägerin läßt sich aber auch aus der von ihr im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung EvBl. 1972/273 nichts gewinnen, denn auch in dieser Entscheidung wurde die Vorlage einer Urkunde, aus welcher klar erkennbar sein muß, daß die Bestimmung des Erfüllungsortes von der Unterschrift des Antragstellers mitumfaßt gewesen sei, gefordert.

Die Ausführungen des Revisionsrekurses bieten somit keinen Anlaß, von der herrschenden Rechtsprechung abzugehen, daß für den urkundlichen Nachweis nach § 88 Abs. 1 JN eine Urkunde mit der Unterschrift des Ausstellers vorgelegt werden muß. Es ergibt sich dies schon aus den Bestimmungen der §§ 292 - 294 ZPO.

Da die Klägerin eine solche Urkunde nicht vorgelegt hat, wurde vom Rekursgericht mit Recht die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach § 88 Abs. 1 JN als nicht gegeben angesehen und zufolge der vom Beklagten rechtzeitig erhobenen Unzuständigkeitseinrede die Klage zurückgewiesen.

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