OGH 5Ob120/74

OGH5Ob120/7419.6.1974

SZ 47/76

Normen

ABGB §785 Abs2
ABGB §785 Abs2

 

Spruch:

Solange Kinder des Erblassers am Leben sind, gehören die von ihnen abstammenden Enkelkinder nicht zu den "Pflichtteilsberechtigten Personen" im Sinne des § 785 Abs. 2 ABGB

OGH 19. Juni 1974, 5 Ob 120/74 (OLG Graz 2 R 15/74; LGZ Graz 23 Cg 185/73)

Text

Die Klägerin ist die außereheliche Tochter der am 23. Oktober 1971 ohne Hinterlassung von Vermögen verstorbenen Aloisia R; die Beklagte ist die Tochter der Klägerin. Aloisia R und ihr Ehegatte Franz R haben mit Übergabsvertrag vom 7. September 1967 ihre Liegenschaft EZ X im Ausmaße von 3277 m2 unter Zugrundelegung eines Übernahmspreises von 200.000 S an die Beklagte übertragen. Die Klägerin behauptet, die Besitzübergabe beinhalte eine verschleierte Schenkung, und verlangt, daß diese bei Berechnung des Nachlasses nach ihrer Mutter in Anschlag gebracht werde. Danach betrage der Pflichtteil 76.000 S, wovon sie jedoch vorerst nur einen Betrag von 30.000 S begehrt.

Die Beklagte wendet ein, daß der Übergabsvertrag keine Schenkung beinhalte, sondern als "ländlicher Ausgedingsvertrag" der Versorgung der Übergeber diene, und daß der Übernahmspreis den ortsüblichen Kaufpreis der Liegenschaft unter Berücksichtigung verschiedener notwendiger Investitionen am Haus darstelle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte zur Begründung aus:

Ob der Übergabsvertrag eine Schenkung enthalte, könne dahingestellt bleiben. Selbst wenn dies der Fall sei, wäre der Klägerin damit nicht gedient, denn die Beklagte als Enkelin der Erblasserin sei nicht als pflichtteilsberechtigte Person anzusehen. Darunter könnten nach § 785 Abs. 2 ABGB nur jene Person verstanden werden, denen in concreto ein Pflichtteilsanspruch zustehe. Pflichtteilsberechtigt sei jedoch nur die Klägerin als Tochter der Erblasserin. Dagegen sei die Beklagte als Enkelin der Erblasserin wie eine fremde Person zu behandeln. Da die allfällige Schenkung mehr als zwei Jahre vor dem Todestag erfolgt sei, könne die Klägerin deren Anrechnung nicht verlangen.

Infolge Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß es bei den pflichtteilsberechtigten Personen gemäß § 785 Abs. 2 ABGB auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung ankomme und es nicht entscheidend sei, ob der Beschenkte auch in concreto einen Pflichtteilsanspruch habe. Da das Gesetz von "pflichtteilsberechtigten Personen" spreche, sei anzunehmen, daß es damit den Kreis jener Personen im Auge habe, die als Pflichtteilsberechtigte in Betracht kommen, und nicht nur jene, denen im Einzelfalle ein Pflichtteilsanspruch zustehe. Zweck der Bestimmung des § 785 ABGB sei die Gleichstellung aller Kinder des Erblassers; daher müsse sich auch jenes Kind, das mehr als zwei Jahre vor dem Todestag des Erblassers eine Schenkung erhalten habe, die Anrechnung des Geschenkten auf den Nachlaß gefallen lassen. Da unter "Kindern" nach der Vorschrift des § 42 ABGB auch Enkelkinder verstanden würden (§ 763 ABGB), müßten auch die Enkelkinder in diese Gleichstellung einbezogen werden. Es würde dem Grundsatz der Gleichstellung aller Kinder des Erblassers, aber auch der Billigkeit widersprechen, wenn Schenkungen an ein Kind des Erblassers bei Berechnung des Nachlasses berücksichtigt würden, Schenkungen an das entfernter verwandte Enkelkind dagegen nicht. Unter den pflichtteilsberechtigten Personen im Sinne des § 785 Abs. 2 ABGB seien alle jene zu verstehen, die nach dem Gesetz (in abstracto) als Pflichtteilsberechtigte in Betracht kommen. Es wäre daher auch eine allfällige Schenkung der Erblasserin an die Beklagte als ihr Enkelkind bei Berechnung des Nachlasses in Anschlag zu bringen, und zwar auch dann, wenn eine solche Schenkung schon länger als zwei Jahre vor dem Todestag der Erblasserin gemacht worden sein sollte. Da die Frage des Vorliegens einer Schenkung vom Erstgericht auf Grund seiner vom Berufungsgericht nicht gebilligten Rechtsansicht bisher nicht geprüft worden sei, erscheine das Verfahren ergänzungsbedürftig. Das Erstgericht werde sich daher nunmehr unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteienvorbringens damit zu befassen haben, ob im Übergabsvertrag vom 7. September 1967 eine Schenkung liege und bejahendenfalls, in welcher Höhe dem Anspruch der Klägerin Berechtigung zukomme.

Infolge Rekurses der Beklagten hob der Oberste Gerichtshof diesen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zwar kann der Beklagten nicht beigepflichtet werden, daß schon auf Grund der Klageangaben das Klagebegehren abzuweisen wäre; es liegen ausreichende Behauptungen mit Beweisanboten in Richtung einer anfechtbaren Schenkung vor, bei deren Erweislichkeit - abgesehen von der Frage der Verfristung - ein Prozeßerfolg möglich erschiene. Im Recht ist aber die Beklagte mit ihrer vom Erstgericht geteilten Rechtsansicht, daß die Zweijahresfrist des § 785 Abs. 2 ABGB selbst dann, wenn eine Schenkung vorläge, auch diesfalls anzuwenden und dem Klagebegehren schon aus diesem Gründe der Boden entzogen wäre.

Nach § 785 Abs. 1 ABGB sind auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes bei Berechnung des Nachlasses die Schenkungen in Anschlag zu bringen, die der Erblasser unter Lebenden gemacht hat. Unberücksichtigt haben nach § 785 Abs. 2 ABGB unter anderem aber jene Schenkung zu bleiben, die an nicht pflichtteilsberechtigte Personen mehr als zwei Jahre vor dem Tode des Erblassers gemacht wurden. Daraus ergibt sich, wie das Berufungsgericht richtig erkennt, daß Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte auch dann zu berücksichtigen sind wenn sie mehr als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers zurückliegen; Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen sind dagegen bei Berechnung des Nachlasses nur dann in Anschlag zu bringen, wenn sie innerhalb von zwei Jahren vor dem Tode des Erblassers erfolgt sind. Entscheidend ist daher, ob die Beklagte als pflichtteilsberechtigte Person im Sinne des § 785 Abs. 2 ABGB anzusehen ist, was dann bejaht werden könnte, wenn das Gesetz in § 785 Abs. 2 ABGB, wie das Berufungsgericht meint, den Kreis der Personen im Auge hätten, die generell ("abstrakt") als Pflichtteilsberechtigte überhaupt in Betracht kommen können.

Dies muß indes mangels näherer, sich aus dem Gesetz selbst ergebender Anhaltspunkte verneint werden. Weiß - dessen vom Berufungsgericht zitierte Ausführungen, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, sich in der Tat bloß auf die Eltern des Erblassers beziehen - betont an anderer Stelle (in Klang[2] III, 827), daß "... Voraussetzung des Pflichtteilsrechtes das gesetzliche Erbrecht ist. Kinder schließen die Eltern jedenfalls aus (§ 762) und innerhalb der Kinderdie dem Grade nach näheren die dem Grade nach entfernteren." Nach Ehrenzweig (II/2, 574) sind Pflichtteilsberechtigte, "also bei uns nur Kinder und Eltern oder vielmehr (§ 42) Nachkommen und Vorfahren (§ 762) und zwar - da der Pflichtteil ein Teil des Wertes ihres gesetzlichen Erbteiles ist - immer nur, wenn für diese Personen das Recht und die Ordnung der gesetzlichen Erbfolge eintreten würde (§ 763); daher sind nicht pflichtteilsberechtigt Enkel von noch lebenden erbberechtigten Kindern". Gschnitzer (Erbrecht, 87) sagt, daß es zur Feststellung, ob jemand pflichtteilsberechtigt ist, vorweg der Feststellung bedürfe, ob er im gegebenen Falle als gesetzlicher Erbe berufen wäre, was sich aus den Worten "sobald für diese Personen ..." in § 763 ABGB am Schluß ergebe. Daraus folge, daß Kinder eines Kindes nicht pflichtteilsberechtigt sind, solange der vermittelnde Vorfahre lebt. Koziol - Welser (Grundriß II[2], 183) bemerken zu den Bestimmungen des § 785 ABGB, "damit soll ausgedrückt werden, daß im Einzelfall nur jene Personen als Noterben anzusehen sind, die tatsächlich auf Grund des Gesetzes berufen worden wären, wenn der Erblasser nicht testiert hätte." Den Ausführungen dieser Autoren läßt sich somit nichts entnehmen, was die von Weiß vorgenommene Unterscheidung in abstrakt und konkret Pflichtteilsberechtigte zu stützen geeignet wäre; im Gegenteil: aus der jeweiligen Betonung der Voraussetzung eines gesetzlichen Erbrechts im Einzelfall läßt sich sinnvollerweise nur schließen, daß die genannten Rechtslehrer unter den hier erwähnten pflichtteilsberechtigten Personen "konkret Pflichtteilsberechtigte verstehen. Dies wird noch dadurch unterstrichen, daß sie an anderer Stelle (Koziol - Welser II[2], 186; Gschnitzer, Erbrecht, 93; Ehrenzweig, II[2], 595) davon sprechen, daß Schenkungen an "Noterben" immer anrechenbar sind; die Verwendung des Begriffes "Noterbe" im gegebenen Zusammenhang kann sich indes denknotwendigerweise nur auf im Einzelfall pflichtteilberechtigte Personen beziehen.

Danach kann aber im gegenständlichen Falle nicht zweifelhaft sein, daß die Beklagte, weil ihre Mutter, die Klägerin, am Leben und als einziges Kind der Erblasserin pflichtteilsberechtigt ist, durch die Klägerin als möglich pflichtteilsberechtigte Person ausgeschlossen ist. Sie darf daher nicht anders behandelt werden als sonstige nicht pflichtteilsberechtigte, verwandte oder familienfremde Personen, denen die Erblasserin ihr Eigentum vor Beginn der in § 785 Abs. 2 ABGB gesetzten Zweijahresfrist "geschenkt" haben könnte. Selbst für den Fall der Richtigkeit der Klagsbehauptungen, daß der klagsgegenständliche Übergabsvertrag eine Schenkung beinhalte, könnte somit dem Klagebegehren kein Erfolg beschieden sein, weshalb das Erstgericht zu Recht das Begehren schon aus diesem Gründe abgewiesen hat. Es bedarf somit der vom Berufungsgericht geforderten ergänzenden Feststellungen nicht, was zur Aufhebung seines Beschlusses führt.

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