OGH 2Ob159/73

OGH2Ob159/7325.10.1973

SZ 46/110

Normen

Handelsvertretergesetz §10
Handelsvertretergesetz §10

 

Spruch:

Dem Geschäftsherrn kann nicht zugemutet werden, bei einer ihm nicht lohnend erscheinenden Geschäftskonjunktur den Geschäftsbetrieb mit Schaden oder doch ohne Gewinn nur darum aufrechtzuerhalten, damit der Agent Provisionen verdienen kann

OGH 25. Oktober 1973, 2 Ob 159/73 (OLG Wien 1 R 80/73; HG Wien 29 Cg 500/72)

Text

Der Kläger begehrte zuletzt 93.533 S samt Anhang. Er sei auf Grund des nur halbjährig zum 30. Juni oder 31. Dezember aufkundbaren Vertrages vom 11. Mai 1966 für die Beklagte als selbständiger Handelsvertreter beim Verkauf von Kalkhydratprodukten tätig gewesen. Mit Schreiben vom 14. Oktober 1971 habe ihm die Beklagte mitgeteilt, daß der Betrieb per 30. September 1971 veräußert worden sei und der neue Besitzer an seiner Tätigkeit nicht mehr interessiert sei. Am 19. November 1971 habe die Beklagte ihm bekanntgegeben, daß sie mit Ende 1971 die Kalkhydratproduktion einstellen werde, was auch tatsächlich geschehen sei. Der Kläger habe in den Jahren 1968 bis 1970 jährlich im Durchschnitt rund 100.000 S am Vertrieb der Erzeugnisse der Beklagten verdient. Durch die Einstellung der Erzeugung habe die Beklagte den Kläger vertragswidrig gehindert, Provisionen in dem nach der Vereinbarung zu erwartenden Umfang zu verdienen. Hiefür gebühre ihm eine Entschädigung nach § 10 HVG. Da er die letzte Provision für Geschäfte erhalten habe, welche am 30. September 1971 erledigt waren und das Vertragsverhältnis frühestens per 30. Juni 1972 gekundigt werden konnte gebühre ihm für die Zeit vom 30. September 1971 bis 30. Juni 1972 ein Betrag von 75.000 S abzüglich des im Verfahren anerkannten Betrages von 6467 S, sohin

68.533 S. Überdies stehe ihm auf Grund des Vertrages für die Zeit vom 1. Juli 1972 bis 30. September 1972 ein Viertel des durchschnittlichen Jahresverdienstes, somit weitere 25.000 S, zu.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung, weil die Kalkproduktion infolge Unrentabilität habe eingestellt werden müssen; der Kläger müsse sich überdies für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 30. Juni 1972 den ersparten Aufwand und seinen anderweitigen Verdienst anrechnen lassen. Für die Zeit vom 1. Juli 1972 bis 30. September 1972 stehe ihm nach dem Vertrag überhaupt nichts zu. Beide Untergerichte wiesen das Klagebegehren ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht statt.

Rechtliche Beurteilung

Auf den Entscheidungsgründen:

Nach den Feststellungen der Untergerichte war Unternehmensgegenstand der beklagten Firma die Erzeugung von gebranntem und ungebranntem Kalk sowie von Schotter als Nebenprodukt. Die Firma florierte in den fünfziger Jahren sehr gut. 1966/1967 wurde mit einer Investition von 7.000.000 S ein neuer Kalkofen gebaut, wovon man sich eine Sanierung der damals nicht gut florierenden Firma erhoffte. Die Geschäftsjahre 1970 und 1971 endeten mit Verlusten, so daß sich der Gesamtschuldenstand auf 5.000.000 S belief. Die Verluste hatten ihre Ursache in der starken Konkurrenz und in verschiedenen Umständen, die kostensteigernd wirkten, so daß im Sommer 1971 die Erzeugung einer Tonne Kalk 1180 S kostete, während der Verkaufspreis bei 480 S lag. Nun stellte die Hauptgläubigerin unter Kündigung der Kredite die Alternative, entweder zu verkaufen oder einen kapitalkräftigen Partner hereinzunehmen. Die Gesellschafter verkauften daraufhin per 30. September 1971 ihre Rechte an der Kommanditgesellschaft an das Ehepaar H, das in K ein Gipsplattenwerk betreibt. Die kauften den Betrieb nur, um dort Gips herzustellen, während die Kalkproduktion sofort nach Übernahme als unrentabel eingestellt wurde. Ohne den Verkauf wäre ein Insolvenzverfahren nicht zu umgehen gewesen.

In dem am 11. Mai 1966 zwischen dem Kläger und der Beklagten abgeschlossenen Handelsvertretervertrag heißt es unter anderem:

"Die Firma C betraut Herrn J A mit dem Verkauf ihrer Kalkprodukte, insbesondere des Kalkhydrates "C" ... Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und ist beiderseits halbjährig zum 30. Juni oder 31. Dezember kundbar. Im Falle der Lösung des Vertrages durch die Firma C aus welchem Grund immer hat Herr J A Anspruch auf die volle nach diesem Vertrag vereinbarte Provision für sämtliche Geschäfte der Firma C, welche diese mit von Herrn A geworbenen Kunden innerhalb eines Jahres nach effektiver Beendigung des Agenturverhältnisses abschließt ..."

Der Kläger konnte das Kalkhydrat "C" gegen schärfste Konkurrenz auf dem Markt unterbringen und erzielte nach wenig lukrativen Anfangsjahren von 1968 bis 1970 Jahresprovisionssätze von je zirka 100.000 S. Er wußte von der schlechten finanziellen Lage der Beklagten und führte auch selbst Exekutionen gegen diese. In die Verkaufsverhandlungen wurde er nicht eingeweiht, weil es nicht sicher war, daß der Verkauf zustande komme und man eine Indiskretion befürchtete. Nach dem Verkauf erhielt der Kläger von der Beklagten das Schreiben vom 14. Oktober 1971 mit folgendem wesentlichem Wortlaut: "Betrifft: Lösung des Vertretervertrages.

Wir bringen Ihnen zur Kenntnis, daß wir den Betrieb mit Wirkung vom 30. 9. 1971 veräußert haben. Der neue Besitzer hat seine eigene Vertreterorganisation und ist daher nicht interessiert, Sie zu übernehmen. Wir sehen uns daher gezwungen, Ihren Vertrag mit sofortiger Wirkung zu lösen."

Die Provisionsabrechnung bis einschließlich 30. September 1971 erfolgte im gegenseitigen Einverständnis. Für die Zeit bis 31. Dezember 1971 ergab sich auf Grund effektiv durchgeführter Geschäfte ein Provisionsbetrag von 6467 S, über den ein Anerkenntnisurteil erflossen ist. Weitere effektive provisionspflichtige Geschäfte sind nicht nachgewiesen.

Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, daß dem Kläger eine Entschädigung nach § 10 HVG nicht zustehe, da in der Einstellung des Geschäftsbetriebes ohne die Absicht, den Handelsvertreter zu schädigen, keine vertragswidrige Verhinderung am Verdienst erblickt werden könne. Die Schreiben der Beklagten seien als Kündigung für den 1. Juli 1972 aufzufassen. Nach diesem Zeitpunkt bestehe kein weiterer Anspruch, weil tatsächlich keine provisionspflichtigen Geschäfte mehr abgeschlossen worden seien.

Das Berufungsgericht schloß sich dieser Rechtsansicht an. Die Einstellung einer verlustbringenden Produktion sei gerechtfertigt. Eine Veräußerung des Unternehmens habe nicht stattgefunden, sondern lediglich ein Wechsel in der Person der Gesellschafter der Kommanditgesellschaft. Für die Zeit nach dem 1. Juli 1972 könnte nur ein Anspruch nach § 25 HVG in Betracht kommen. Ein solcher setze jedoch voraus, daß dem Geschäftsherrn oder seinem R folgerichtig aus der vom Handelsvertreter angebahnten Geschäftsverbindung Vorteile erwachsen seien, welche nach Lösung des Vertragsverhältnisses fortbestunden. Davon könne aber mit Rücksicht auf die Einstellung der Produktion des vom Kläger vertriebenen Artikels nicht gesprochen werden. Aber auch nach dem Inhalt des Vertrages bestehe ein solcher Anspruch nicht, da auch der Vertrag eine Provision nur für die effektiv nach Auflösung des Vertretervertrages abgeschlossenen Geschäfte vorsehe. Daß solche Geschäfte abgeschlossen wurden, habe aber das Erstgericht - von der Berufung unbekämpft - nicht als erwiesen angenommen.

Der Revisionswerber führt aus, er stütze seinen Anspruch weder auf § 6 Abs. 3 noch auf § 23 Z. 4 HVG, sondern allein auf § 10 Abs. 1 HVG. Wen n die Beklagte von dem ihr zustehenden Rechte, ihre Produktion zu ändern, Gebrauch mache, so habe sie den Vertrag verletzt und hafte daher für den Schaden des Klägers. Für die Zeit nach Auflösung des Vertrages habe der Kläger den Anspruch aus dem Vertrag, so daß insoweit auch § 25 HVG nicht zur Anwendung komme.

Auszugehen ist davon, daß § 10 Abs. 1 HVG nur allgemeine Grundsätze des Schadenersatzrechtes wiederholt, denenzufolge schuldhafte Erfüllungsvereitelung nach § 920 ABGB zu Schadenersatzansprüchen führt (vgl. H. Hoyer in ZAS 1966, 133; Linner, Das Recht der Handelsvertreter, Provisionsvertreter und freien Vertreter, 176). Ein Verschulden der Beklagten liegt aber nicht vor, denn, wie schon in SZ 10/66 dargelegt wurde, kann es dem Geschäftsherrn nicht zugemutet werden, bei einer ihm nicht lohnend erscheinenden Geschäftskonjunktur den Geschäftsbetrieb mit Schaden oder doch ohne Gewinn nur darum aufrechtzuerhalten, damit der Agent Provisionen verdienen kann (ähnlich Grünberg - Mayer - Mallenau, Handelsagentengesetz, 59 Anm. 8; BGH, 29. Juni 1959, Lindenmaier - Möhring, zu § 89b HGB, Nr. 8/9; die vom Kläger herangezogene Entscheidung EvBl. 1961/120 vermag seinen Standpunkt nicht zu stützen, weil auch sie Ersatzansprüche nur als gegeben ansieht, wenn der Geschäftsherr die vom Vertreter vermittelten Geschäfte mangelhaft erfüllt, um den Verdienst des Agenten zu beeinträchtigen).

Ansprüche für die Zeit nach Vertragsauflösung stehen dem Kläger, wie die Untergerichte bereits richtig ausgeführt haben, aus dem Vertrag nicht zu, weil dort nur eine Provision für in der Folgezeit abgeschlossene Geschäfte vorgesehen ist. Solche Geschäfte wurden aber nicht abgeschlossen und konnten infolge der Produktionseinstellung auch gar nicht mehr abgeschlossen werden. Daß aber die Produktionseinstellung keine Ersatzpflicht auslöst, wurde bereits erörtert.

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