OGH 1Ob252/72

OGH1Ob252/7221.2.1973

SZ 46/21

Normen

ABGB §854
ABGB §854

 

Spruch:

Nach der einverständlichen ersatzlosen Entfernung einer Grenzanlage kann gemeinschaftliches Eigentum im Sinne des § 854 ABGB nicht mehr angenommen werden

OGH 21. Feber 1973, 1 Ob 252/72 (LG Feldkirch R 226/72; BG Bezau C 214/71 )

Text

Die klagende Gemeinde L begehrte gegenüber den beiden Beklagten die Feststellung, daß die Gemeindestraße D-F in L entlang dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück 1499/2 der KG L ausschließlich auf dem Grundstuck 2408/1 der KG L (öffentliches Gut) liege.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte fest:

Die Gemeindestraße einschließlich eines zirka 20 bis 40 cm breiten, nicht befahrbaren Banketts wurde bis zum Jahre 1962 vom Grundstück 1499/2 durch einen zirka 50 cm breiten Graben abgegrenzt. Dieser wurde regelmäßig von den Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit über 40 Jahren gemäht und von der Gemeinde bis zum Jahre 1962 über 30 Jahre alle ein oder zwei Jahre gesäubert. Inder Folge wurde der Graben von den Beklagten mit Zustimmung der Gemeinde zugeschüttet und die dadurch gewonnene ebene Fläche von ihnen gleichfalls gemäht. Im Jahre 1969 wurde die bisher geschotterte und in wechselnder Breite von 2.60 bis 3 m verlaufende Straße um durchschnittlich 50 cm auf eine gleichbleibende Breite von 3.10 m verbreitert und asphaltiert. Zur Verbreiterung wurde zumindest teilweise der durch Aufschüttung des Grabens gewonnene ebene Grundstreifen benutzt. Laut Katastermappe aus dem Jahre 1858 würde die Grenze zwischen den beiden Grundstücken heute genau in Straßenmitte verlaufen, hätte sich also die Gemeindestraße bereits vor ihrer Verbreiterung zum Teil auf dem Grundstück 1499/2 befunden.

In rechtlicher Beziehung führte das Erstgericht aus, daß Graben, die zwischen benachbarten Grundstücken die Grenze darstellen, nach der Vermutung des § 854 ABGB für gemeinschaftliches Eigentum angesehen werden. Wer Alleineigentum behaupte, müsse es beweisen. Dies sei aber keiner der beiden Parteien gelungen. Sie hätten gegenseitig das Säubern und Mähen des Grabens durch 30 bzw. 40 Jahre bis 1962 geduldet, haben also bis dorthin den Graben gemeinsam besessen. Alleineigentum habe daher kein Teil ersitzen können. Daß die Gemeinde das Eigentum der Beklagten anerkannt hätte, habe das Beweisverfahren nicht ergeben. Nach § 854 ABGB habe also am ehemaligen Graben und auch nach seiner Aufschuttung an dem dadurch gewonnenen ebenen Grundstreifen Miteigentum bestanden, das heute noch bestehe. Die teilweise Verwendung dieses Grundstreifens zur Straßenverbreiterung habe daran nichts geändert.

Das Berufungsgericht hat dieses Urteil im Sinne des Klagebegehrens abgeändert und festgestellt, daß die Gemeindestraße ausschließlich auf dem Grundstück 2408/1 liege. Es hat die vor Erstrichter getroffenen Feststellungen, soweit ihnen nach Ansicht des Berufungsgerichtes entscheidungswichtige Bedeutung zukommt, für unbedenklich gehalten, jedoch ausgeführt, daß vom Begriff des Straßengrabens auszugehen sei. Es handle sich vorliegend um einen im Zuge und entlang einer Straße befindlichen Graben, der deshalb als Straßengraben zu qualifizieren sei. Grundsätzlich sei ein solcher Graben als Bestandteil und Zugehör der Straße als öffentliches Gut anzusehen, sofern nicht nachgewiesen werde, daß der Straßengraben im Eigentum einer anderen Person stehe. Daran habe sich durch die im Jahre 1962 erfolgte Aufschüttung des Grabens nichts geändert. Daß der Graben vorwiegend anderen Zwecken als solchen der Straße gedient hätte, sei von den Beklagten in erster Instanz nicht behauptet worden und sei nach Lage des Falles auch nicht anzunehmen. Eigentum hätten die Beklagten am Graben dadurch, daß sie den Graben machten, die Klägerin ihn säubern ließ, nicht erworben. Der Besitz müsse seinem Inhalte nach dem zu erwerbenden Rechte entsprechen, was hier nicht zutreffe. Der Umstand, daß die Beklagten beim Mähen ihrer Wiese den angrenzenden Straßengraben mitmähten, könne nicht als Besitzhandlung zum Erwerb des Eigentumsrechtes angesehen werden. Wer sich auf Ersitzung berufe, habe die entsprechende Beschaffenheit seines Besitzers zu beweisen, was den Beklagten nicht gelungen sei. Zusammenfassend ergebe sich also, daß die zum Straßenausbau benützte Grabenfläche als Bestandteil der Straße zum öffentlichen Gut gehöre und die Beklagten ihr Eigentumsrecht an diesem Grundstreifen nicht nachzuweisen vermochten, so daß das Feststellungsbegehren, die Gemeindestraße liege ausschließlich auf der zum öffentlichen Gut gehörigen Wegparzelle, begrundet sei.

Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und trug diesem auf, über die Berufung neuerlich zuentscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Auffassung des Berufungsgerichtes, eine Feststellung des genauen Verlaufes der Grenze zwischen den beiden Grundstücken 1499/2 und 2408/1 im Hinblick auf die Bestandteils- oder Zubehörseigenschaft eines "Straßengrabens" zur Straße und damit zum öffentlichen Gut entbehrlich, vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Zwar fehlt - zum Unterschied etwa von § 3 Abs. 6 des Niederösterreichischen Straßengesetzes oder § 2 Abs. 1 und 2 des Salzburger Straßengesetzes oder auch § 10 des Steiermärkischen Straßengesetzes (s. bei Krzizek, Das öffentliche Wegerecht 326, 360, 376) - im § 1 Abs. 4 des Vorarlberger Straßengesetzes, LBGI. 1969/8, ein ausdrücklicher Vorbehalt hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse, doch kann schon nach dem Gesetzeszweck (arg. "Gesetz über den Bau und die Erhaltung öffentlicher Straßen sowie über die Wegefreiheit") kein Zweifel daran bestehen, daß das Gesetz selbst bestehende Eigentumsrechte weder ändern wollte noch geändert hat. Soweit Bau und Erhaltung öffentlicher Straßen die Inanspruchnahme privaten Eigentums nötig macht, sieht das Gesetz in seinen §§ 43 ff. ein ordnungsgemäßes Enteignungsverfahren vor.

Ob die vom Erstrichter herangezogene Bestimmung des § 854 ABGB über das vermutete "gemeinschaftliche Eigentum" an Scheidewänden und ähnlichen Anlagen Quoteneigentum oder physisch geteiltes, allerdings durch das Nachbarschaftsverhältnis beschränktes Alleineigentum der beiden Nachbarn bedeutet, ist - wie Klang in Klang[2] III, 1154 hervorhebt - in der Lehre umstritten. Die Quoteneigentumsauffassung vertreten insbesondere Randa. Das Eigentumsrecht[2] I, 241, und Klang III, 1155, die Auffassung, es handle sich um eine communio pro diviso, vertreten insbesondere Unger (1, 414) und Ehrenzweig System[2] 1/2, 148. Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 15. Juli 1969, 4 Ob 540, 541/69 (zitiert in der Zeitschrift "Der land- und forstwirtschaftliche Betrieb" 1972, 28) der Quoteneigentumstheorie angeschlossen und u. a. unter Heranziehung der Lehre Randas ausgeführt, die im Gesetz vorgesehene Vermutung, daß jener Teil, auf dem sich die Grenzanlage befindet, im Miteigentum der beiden Grenznachbarn steht, werde nicht dadurch beseitigt, daß das Alleineigentum an jedem der aneinandergrenzenden Grundstücke bis zur gemeinsamen Grenze reicht; in diesen Fällen trete das Alleineigentum mit dem Miteigentum in eine besondere ( "eigentümliche") Verbindung; letzteres erscheine als Akzessorium des Alleineigentums an den benachbarten Grundstücken; auch Klang (III, 1156) vertrete die Meinung, daß das Miteigentum an der Scheidewand in gewissem Sinn als ein Zubehör des Alleineigentums an den angrenzenden Grundstücken anzusehen sei. Auch in seiner Entscheidung vom 19. September 1972, 5 Ob 14/72, hat sich der Oberste Gerichtshof der Miteigentumstheorie angeschlossen.

Eine neuerliche Prüfung dieses heiklen Problems kann diesmal entfallen, weil der vorliegende Fall insofern anders gelagert ist, als die Grenzanlage, die "gemeinschaftliches Eigentum" gewesen sein könnte, nämlich der Graben zwischen der Gemeindestraße und der Wiese der Beklagten, nicht mehr besteht. Wenn eine Mauer, die zwischen zwei Grundstücken stand, abgetragen wurde und einverständlich auch nicht wieder errichtet wird (vgl. dazu GlU 1626), ist - wenn man der Lehre Ehrenzweigs folgt - die nachbarrechtliche Beschränkung des Alleineigentums ebenso weggefallen wie das als Akzessorium zum Alleineigentum aufgefaßte Miteigentumsverhältnis im Sinn der Lehre Randas und Klang s bzw. der vom Obersten Gerichtshof in 4 Ob 540, 541/69 vertretenen Auffassung; das Alleineigentum der beiden Nachbarn reicht dann jedenfalls frei bis zur gemeinsamen Grenze. Auch der Fall der einverständlichen Zuschüttung eines Grabens - sofern er überhaupt der "Abscheidung" der Parzellen gedient hatte (vgl. dazu Klang III, 1515) - kann an und für sich nicht anders beurteilt werden. Wohl kann auch ein "Grenzrain" als gemeinschaftliches Gut der beiden Nachbarn im Sinne des § 854 ABGB in Betracht kommen (Randa Eigentumsrecht), doch fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die im Jahr 1962 durch Zuschüttung des Grabens gewonnene ebene Fläche den Streitteilen als "Grenzrain" gedient hätte (wie etwa ein schmaler Rasenstreifen zwischen Äckern zum Zufahren, zum Wenden der Fahrzeuge o. dgl. verwendet wird). Die durch die Aufschüttung gewonnene ebene Fläche wurde von den Beklagten nach der Aktenlage mit ihrer Wiese mitbewirtschaftet; es wurde also nicht etwa ein "Grenzgraben" in einen "Grenzrain" verwandelt, der allfällige "Grenzgraben" wurde vielmehr ersatzlos beseitigt. Aus diesen Erwägungen ist im vorliegenden Fall aus § 854 ABGB für die Sachentscheidung nichts zu gewinnen.

Diese hängt vielmehr von der Feststellung des Grenzverlaufes zwischen den beiden Parzellen ab, wobei die Klägerin die Beweislast trifft, daß die Straße, wie sie bei Schluß der Verhandlung ausgebaut war, nicht über die Grundstücksgrenze hinausgreift, eine Behauptung, die sie unter Beweis gestellt hat, die das Berufungsgericht aber aus rechtlichen Gründen, die der Oberste Gerichtshof nicht zu billigen vermochte, offengelassen hat.

Soweit die Einwendungen der Beklagten für den Fall der Erbringung dieses Beweises durch die Klägerin dahin verstanden werden könnten, sie hätten an einem Teil des Grundstückes 2408/1 (Graben) durch das Mähen des Grases Eigentum oder Miteigentum ersessen, können sie damit nicht durchdringen. Außer auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes sei hier noch auf die Lehre Klangs (in Klang [2] VI, 572) und die auch dort zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes GlUNF 4585 verwiesen.

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