OGH 2Ob117/72

OGH2Ob117/728.2.1973

SZ 46/15

Normen

ABGB §26
ABGB §863
ABGB §1175
ABGB §26
ABGB §863
ABGB §1175

 

Spruch:

Eine Arbeitsgemeinschaft kommt trotz organisierten Zusammenwirkens der Unternehmer auch nicht konkludent zustande, wenn jeder der Unternehmer nur auf Grund des zwischen ihm und dem Bauherrn geschlossenen Werkvertrages tätig wird und gar nicht die Absicht hat, sich mit den anderen Unternehmern zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen

Kein Leiharbeitsverhältnis liegt vor, wenn eine Arbeit geleistet wird, die nur örtlich auch an den Bereich des fremden Unternehmens gebunden ist, aber in den Tätigkeitskreis des eigenen Betriebes fällt

OGH 8. Feber 1973, 2 Ob 117/72 (OLG Linz 1 R 18/72; KG Wels 1 Cg 256/70)

Text

Der Kläger erlitt am 2. Mai 1969 einen Arbeitsunfall. Er stürzte als er im Auftrage seines Dienstgebers, des Baumeisters Johann G, auf der vom Beklagten (Schlossermeister) angefertigten und errichteten Eisenkonstruktion eines Flugdaches Zimmererarbeiten ausführte, infolge Nachgebens zweier Kragträger 5 1/2 m ab und erlitt dabei schwere Verletzungen klagte wurde aus Anlaß dieses Unfalles der Übertretung nach § 335 StG schuldig gesprochen, weil er bei der Berechnung und Dimensionierung der provisorischen Aufhängvorrichtung für die erforderlichen Kragträger nicht die entsprechende Sorgfalt und Aufmerksamkeit aufgewendet und bei der Anfertigung der Aufhängvorrichtung zu schwaches Material verwendet habe.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 80.663 S, davon 60.000 S an Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Folgeschäden aus diesem Arbeitsunfall.

Der Beklagte wendete den Haftungsausschluß nach § 333 Abs. 4 ASVG und überwiegendes Mitverschulden des Klägers ein. Er bestritt auch die Angemessenheit des Schmerzengeldes und beantragte, die Klage abzuweisen.

Das Erstgericht erkannte über das Schmerzengeld- und das Feststellungsbegehren mit Teilurteil. Es stellte die Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden fest und sprach dem Kläger 60.000 S samt 4% Zinsen seit 2. Juni 1970 zu. Das Zinsenmehrbegehren für die Zeit vom 2. Mai 1969 bis 1. Juni 1970 wies es ab. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes, die auch der Entscheidung des Berufungsgerichtes zugrundeliegen, ließ August W in R eine Reifenhalle errichten. Er übertrug die Maurerarbeiten dem Baumeister Johann K, die Zimmerarbeiten dem Baumeister Johann G und die Errichtung der Eisenkonstruktion dem Beklagten. Baumeister Johann K erhielt keinen Generalauftrag, hatte aber die vom Bauherrn direkt bestellten Professionisten zu verständigen, wann sie mit den ihnen übertragenen Arbeiten beginnen sollten. Für den erkrankten Baumeister Johann G führte dessen Bautechniker Franz Sch. die Bauaufsicht. Der Kläger war seit 1958 oder 1959 bei Baumeister G als Zimmermann beschäftigt und wurde praktisch als Vorarbeiter eingesetzt. Der Beklagte war nicht berechtigt, den Arbeitern des Baumeisters G Weisungen zu erteilen. Nachdem der Beklagte die Kragträger für das Flugdach eingehängt hatte, fand am 30. April 1969 eine Besprechung statt, an der der Kläger, der Beklagte und Franz Sch. teilnahmen und bei der auch Baumeister K anwesend war. Der Beklagte erklärte Sch., daß dieser zunächst zwischen den ersten zwei Kragträgern eine Kreuzverstrebung anbringen lassen solle, um ein seitliches Verschieben der Kragträger zu verhindern. Dann sollten die Pfetten aufgelegt und dadurch auch die übrigen Kragträger des Flugdaches in einem Winkel von 90 Grad zur Halle fixiert werden. Der Beklagte machte darauf aufmerksam, daß die Kragträger seitlich nicht verdreht werden dürften, da sonst die Gefahr des Absturzes bestehe. Er sagte jedoch nichts davon, daß für jedes Feld vorläufig nur eine Pfette aufgelegt werden dürfe. Der Beklagte sicherte Sch., dem Kläger und dessen Arbeitskollegen S ausdrücklich zu, daß die Kragträger die senkrechte Belastung aushalten werden und zur Durchführung der Arbeiten betreten werden können. Hierauf wies Franz Sch. den Kläger und Josef S an, die Arbeit so durchzuführen, wie es der Beklagte vorgeschlagen hatte. Der Kläger und Josef S legten auf dem ersten durch die Kragträger gebildeten Feld die mit einem Seil aufgezogenen Pfetten von innen beginnend nach außen auf und brachten die Holzverstrebung an. Die Pfetten mußten zuerst aufgelegt werden, weil sonst die Kreuzverstrebung an den Kragträgern nicht hätte befestigt werden können. Als der Kläger und S nach Befestigung der Pfetten und der Kreuzverstrebung im ersten Feld die im zweiten Feld aufgelegten Pfetten festnageln wollten, rissen die Kragträger dieses Feldes aus. Dadurch stürzten die beiden Arbeiter zirka 5.5 m tief ab.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Beklagte von der Ersatzpflicht nicht befreit sei, weil er weder Dienstgeber des Klägers noch bevollmächtigter Vertreter des Baumeisters G gewesen sei noch die Funktion eines Aufsehers im Betrieb gegenüber dem Kläger ausgeübt habe.

Das Berufungsgericht billigte die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Nach Lehre und Rechtsprechung sei die Haftung des Unternehmers bei Verletzung eines fremden Dienstnehmers nur dann ausgeschlossen, wenn dieser in der Art eines eigenen Arbeitnehmers in den Betrieb des Leihunternehmers eingegliedert und dessen Weisungsrecht unterstellt gewesen sei. Dies gelte auch dann, wenn mehrere Unternehmer gleichzeitig zum gemeinsamen Arbeitserfolg beitragen, also am gleichen Objekt arbeiten. Der Haftungsausschluß hänge auch in diesem Fall davon ab, daß der verletzte Arbeitnehmer in den Betrieb des weiteren Unternehmers eingegliedert gewesen sei. Bei den festgestellten Umständen könne von einer Unterstellung des Klägers unter das Direktionsrecht des Beklagten nicht gesprochen werden, denn der Kläger habe die vom Beklagten gewünschten Arbeiten auf Weisung des Vertreters seines eigenen Dienstgebers ausgeführt.

Die Revision hält daran fest, daß zwischen den an der Herstellung der Halle beteiligten Unternehmern wegen der Notwendigkeit des gemeinsamen Zusammenwirkens im Verhältnis zu den bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern auch ohne Vertrag eine - faktische - Arbeitsgemeinschaft bestanden habe und daher jedem dieser Unternehmer gegenüber sämtlichen Arbeitern die Stellung eines Dienstgebers im Sinne des § 333 Abs. 1 ASVG zugekommen sei. Dieser Standpunkt werde auch in der deutschen Rechtsprechung vertreten. Die Arbeit, bei der sich der Unfall ereignet habe, und die Art ihrer Ausführung sei am 30. April 1969 besprochen und nach den Anweisungen des Beklagten vorgenommen worden. Wenn aber keine Arbeitsgemeinschaft bestanden haben sollte, müsse doch wenigstens ein vorübergehendes Leiharbeitsverhältnis angenommen werden.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig.

Arbeitsgemeinschaften sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts (1 Ob 151/72) und können daher nur durch Vertrag begrundet werden. Zwischen den an der Herstellung des Bauwerks beteiligten Unternehmern bestanden keinerlei vertragliche Beziehungen. Eine Arbeitsgemeinschaft kam trotz organisierten Zusammenwirkens der Unternehmer auch nicht konkludent zustande, da jeder der Unternehmer nur auf Grund des zwischen ihm und dem Bauherrn geschlossenen Werkvertrages tätig wurde und gar nicht die Absicht hatte, sich mit den anderen Unternehmern zu einer Gesellschaft in Form einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen.

Von einem Leiharbeitsverhältnis kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil der Kläger von seinem Arbeitnehmer nicht einem anderen Unternehmer, dem Beklagten, vorübergehend zur Hilfeleistung zur Verfügung gestellt wurde, sondern eine Arbeit leistete, die nur örtlich auch an den Bereich des fremden Unternehmens gebunden war, aber in den Tätigkeitskreis seines eigenen Betriebes fiel. Der Kläger führte im Auftrag seines Dienstgebers eine von diesem vertraglich übernommene Arbeit aus. Ein Leiharbeitsverhältnis läge auch dann nicht vor, wenn die Anbringung einer Kreuzverstrebung zwischen den Kragträgern nicht Inhalt des zwischen dem Bauherrn und Baumeister G geschlossenen Werkvertrages gewesen wäre, sondern zwischen dem Dienstgeber des Klägers und dem Beklagten vereinbart worden sein sollte, um diesem die Aufstellung eines Gerüstes zum Verschweißen der Kragträger zu ersparen. Diesfalls wären einander, soweit es sich um die Anbringung der Kreuzverstrebung handelte, Baumeister G und der Beklagte als Vertragspartner gegenübergestanden, und es wäre eine für das

Leiharbeitsverhältnis typische Eingliederung des Klägers in den Betrieb des Beklagten nicht anzunehmen.

Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß die Notwendigkeit des Zusammenwirkens beider Unternehmer zur Herstellung des Flugdaches die Haftung des Beklagten nicht ausschließt. Die von der Revision zur Unterstützung ihres Rechtsstandpunktes herangezogenen Entscheidungen deutscher Gerichte, wonach bei gemeinsamer Arbeit zweier Unternehmer zur Erzielung eines gemeinsamen Arbeitsergebnisses zugunsten des gleichen Bestellers die Haftung beider Unternehmer gegenüber sämtlichen Arbeitern ausgeschlossen ist, sind überholt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes genügt es nicht, daß die Arbeiter zweier Unternehmer ein gemeinschaftliches Arbeitsergebnis für einen Dritten erbringen, sondern kommt die Haftungsbefreiung dem anderen Unternehmer nur unter der weiteren Voraussetzung zustatten, daß eine arbeitnehmerähnliche Eingliederung in den Betrieb des fremden Unternehmers vorliegt (VersR 1958, 362; VersR 1959, 602; VersR 1966, 387 u. a.; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[11], TZ 1540; Geigel, Der Haftpflichtprozeß[15], 31, 80). Ähnliche Erwägungen liegen auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zugrunde. Auch bei einem organisierten Ineinandergreifen von sonst selbständigen Betrieben zur Erbringung eines einheitlichen Erzeugnisses oder einer einheitlichen Leistung ist die Haftung des Unternehmers für den verletzten Arbeitnehmer eines anderen Unternehmens nur unter der Voraussetzung ausgeschlossen, daß dem Fremdunternehmer gegenüber dem verletzten Arbeitnehmer ein Weisungs- und Aufsichtsrecht zustand. Dies wurde vom Berufungsgericht zutreffend verneint. Der Kläger wurde nach den Feststellungen der Unterinstanzen im Auftrage seines Dienstgebers tätig und führte die Arbeit nach den Weisungen seines Bauleiters aus. Der Beklagte hatte weder Ort noch Zeit der Arbeit zu bestimmen. Der Ort der betrieblichen Tätigkeit ergab sich zwangsläufig aus dem Werkvertrag. Die zeitliche Koordination der Arbeiten der am Bau beteiligten Unternehmer oblag nicht dem Beklagten, sondern es hatte Baumeister K übernommen, die einzelnen Professionisten davon zu verständigen, wann sie mit ihren Arbeiten beginnen sollten. Der Beklagte erteilte dem Kläger keine Anweisungen, sondern besprach die Durchführung der Arbeit mit dem Bauleiter des Baumeisters G. Was zwischen den genannten Personen besprochen wurde, kann nicht als Anweisung an den Kläger qualifiziert werden, sondern war nur eine dem Bauleiter des Baumeisters G gegebene Anleitung für die sachliche Durchführung der vom Baumeister G durch Vertrag mit dem Bauherrn übernommenen Leistung.

Die Untergerichte haben somit die Haftung des Beklagten für den geltend gemachten Schaden des Klägers ohne Rechtsirrtum bejaht.

Die Revision meint, ein gleichteiliges Mitverschulden des Klägers annehmen zu können, weil dieser und dessen Arbeitskollege S wußten, daß die Kragträger nur provisorisch aufgehängt sind. Die beiden Arbeiter hätten sich daher auch von sich aus Gedanken machen müssen, ob die Kragträger die immer größere Belastung aushalten werden.

Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Der Kläger konnte sich, wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, auf die Zusicherung des Beklagten verlassen, daß die Kragträger die Belastung aushalten werden und betreten werden dürfen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, daß der Kläger trotz dieser Zusicherung auf Grund allfälliger eigener besserer Kenntnis Bedenken gegen die Belastungsfähigkeit der Eisenkonstruktion haben mußte.

Eine Kürzung der Ersatzansprüche wegen Eigenverschuldens des Klägers wurde daher mit Recht abgelehnt.

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