Spruch:
Wenn mehrere Schädiger schadenersatzpflichtig sind, kann die nach § 1304 ABGB vorzunehmende Abwägung jedem Schädiger gegenüber anders ausfallen
Nur soweit die Schädiger für die gleichen Schadensquoten haften, findet die Schadensausgleichung im Sinne der §§ 1302, letzter Halbsatz, und 896 ABGB statt
OGH 1. Feber 1973, 2 Ob 7/73 (OLG Wien 9 R 120/72; LG Eisenstadt 2 Cg 153/72)
Text
Am 17. September 1967 kam es gegen 20.45 Uhr auf der Bundesstraße 16 südlich von Groß-Höflein zu einem Zusammenstoß zwischen einem von Norbert F gelenkten Personenkraftwagen und einem von Leopold P gelenkten Moped, auf dem der Kläger am Soziussitz mitfuhr. Dabei wurde Leopold P getötet. Der Kläger wurde schwer verletzt. In einem Vorprozeß des Klägers gegen Norbert F wurde unter anderem ausgesprochen, daß Norbert F dem Kläger für alle Schäden, die ihm aus dem Unfall vom 17. September 1967 erwachsen, zu 80% haftet.
In diesem Prozeß begehrt der Kläger gegenüber der Verlassenschaft nach Leopold P die Feststellung, daß ihm diese für 80% aller Schäden, die ihm aus dem Unfall vom 17. September 1967 künftig erwachsen, hafte. Er behauptet, Leopold P habe den Unfall dadurch mitverschuldet, daß er seine Fahrt trotz ausgefallener Beleuchtung des Mopeds fortgesetzt habe. Der Kläger habe einen Dauerschaden erlitten.
Die beklagte Verlassenschaft anerkannte das Klagebegehren hinsichtlich einer Verschuldensquote des Leopold P von 50% und wendete ein gleich hohes Mitverschulden des Klägers ein, das darin bestehe, daß er der Mitfahrt auf dem unbeleuchteten Moped zugestimmt und auch seinerseits auf die Fortsetzung dieser Fahrt gedrungen habe.
Das Erstgericht sprach aus, daß die beklagte Verlassenschaft für alle Schäden, die dem Kläger aus dem Unfall vom 17. September 1967 künftig erwachsen, zur Hälfte hafte. Das Mehrbegehren auf Feststellung der Haftung im Ausmaß von weiteren 30% wies es ab. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:
Der Kläger fuhr auf dem von Leopold P gelenkten Moped mit. Er saß auf dem Soziussitz. In Obereggendorf fiel die Beleuchtung des Mopeds zum ersten Male aus und mußte bei einer Tankstelle repariert werden. In Steinbrunn fiel die Beleuchtung neuerlich aus, was auch der Kläger bemerkte. Leopold P und der Kläger fuhren dann ohne Beleuchtung in Richtung Wulkaprodersdorf weiter. Ohne einen Fahrfehler begangen zu haben, wurde Leopold P von dem von Norbert F gelenkten Personenkraftwagen, der ihm auf der dem Moped zukommenden Fahrspur entgegenkam, angefahren. Der Kläger fuhr auf dem Moped des Leopold P in Kenntnis des Umstandes mit, daß das Moped unbeleuchtet war.
In rechtlicher Beziehung führte das Erstgericht aus: Bei der Beurteilung der Frage einer Schadensteilung wegen Mitverschuldens des Klägers sei nur das Verhalten des Leopold P und des Klägers in Betracht zu ziehen, während das des Norbert F hier keine Rolle spiele. Die im Vorprozeß des Klägers gegen Norbert F ergangene Entscheidung sei somit für das gegenständliche Begehren nicht bindend. Daran ändere auch eine Solidarhaftung des Norbert F und der beklagten Verlassenschaft nichts, weil deren Solidarhaftung nur soweit gegeben sei, als sie den Schaden gemeinsam zu verantworten haben. Im vorliegenden Fall sei dem Kläger und Leopold P in gleicher Weise anzulasten, daß sie das Risiko einer Fahrt mit einem unbeleuchteten Fahrzeug auf sich genommen haben. Auch der Umstand, daß der Kläger auf eine vorsichtige Fahrweise des Leopold P habe hoffen dürfen, sei nicht geeignet, eine andere Verschuldensteilung zu rechtfertigen, weil Leopold P ohnehin keinen Fahrfehler gemacht habe. Daß der Kläger in der Nacht hätte versuchen müssen, auf eigene Faust heimzukommen, wenn er mit Leopold P nicht hätte mitfahren wollen, treffe auch auf Leopold P selbst zu, der sein Moped auf der Straße hätte schieben müssen und der dabei möglicherweise dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Norbert F ebenso hätte zum Opfer fallen können. Somit erübrige sich eine Feststellung, ob der Kläger auf eine Fortsetzung der Fahrt trotz des Ausfalles der Beleuchtung des Mopeds gedrungen habe. Da der Kläger und Leopold P in gleicher Weise zum Zustandekommen des Unfalles beigetragen haben, sei von einem gleichteiligen Verschulden auszugehen.
Die Berufung des Klägers hatte Erfolg. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es hielt für entscheidend, daß sich die Anteile des Norbert F und des Leopold P an der Beschädigung des Klägers nicht bestimmen lassen, so daß sie ihm nach § 1302 ABGB für den ganzen Schaden solidarisch haften. Demzufolge hafte die Verlassenschaft nach Leopold P dem Kläger für künftige Unfallschäden im gleichen Ausmaß wie Norbert F. Die allfällige Verschiedenheit der Verschuldensanteile des Norbert F und Leopold P werde gegebenenfalls erst in einem zwischen Norbert F und der Verlassenschaft nach Leopold P zu führenden Regreßprozeß zu prüfen sein. Der Schädiger, der vollen Ersatz geleistet habe und sich nicht mit einem Ersatz nach Kopfteilen begnüge, werde ein anderes, besonderes Verhältnis nachzuweisen haben, wobei dann der Verursachungs-, Schuld- und Rechtswidrigkeitsanteil entscheidend sein werde.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Verlassenschaft teilweise Folge. Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde dahin abgeändert, daß es unter Einbeziehung des unangefochten gebliebenen Teiles zu lauten hätte:
Es wird festgestellt, daß die beklage Partei der klagenden Partei für alle Schäden, die der klagenden Partei aus dem Unfall vom 17. September 1967 künftig erwachsen, zu 3/5-Anteilen haftet.
Das Mehrbegehren auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für weitere 2/10-Anteile dieser Schäden wird abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die beklagte Verlassenschaft wendet sich in der Revision mit Recht gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, sie habe dem Kläger in demselben Maße für die Folgen des Unfalles vom 17. September 1967 zu haften wie Norbert F, weil sich die Anteile der Schädiger an der Beschädigung des Klägers nicht bestimmen lassen und somit gemäß § 1302 ABGB Solidarhaftung anzunehmen sei. In der Revision wird zutreffend ausgeführt, daß die vom Berufungsgericht offenbar angenommene bindende Wirkung der im Vorprozeß des Klägers gegen Norbert F vorgenommenen Verschuldensteilung im Verhältnis 4:1 zu Gunsten des Klägers nicht besteht. Die Wirkung rechtskräftiger Urteile ist im Zivilprozeß grundsätzlich auf die Parteien und deren Rechtsnachfolger beschränkt, sofern nicht der Gesetzgeber selbst eine Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf weitere Personen anordnet. Das gegen einen Gesamtschuldner erwirkte Urteil wirkt daher nicht gegen die anderen Gesamtschuldner. Die später belangten Gesamtschuldner werden daher mit keiner Einwendung gegen den Bestand der Forderung präkludiert (Fasching, III 728, Anm. 46 zu § 411 ZPO und die dort angeführte Judikatur). Wenn dem Geschädigten mehrere Personen als Gesamtschuldner schadenersatzpflichtig sind, so kann je nach der Sachlage die nach § 1304 ABGB vorzunehmende Abwägung gegenüber den mehreren Schädigern verschieden ausfallen (vgl. JBl. 1969, 609). Nur so weit die Schädiger für die gleichen Schadensquoten haften, findet die Schadensausgleichung im Sinne der §§ 1302, letzter Halbsatz, und 896 ABGB statt (vgl. dazu Staudinger,[10]/[11] Anm. 21 zu § 254 DBGB und die dort angeführte Entscheidung BGHZ 12, 213).
Die nach § 1304 ABGB vorzunehmende Abwägung des Verschuldens des Leopold P und des Mitverschuldens des Klägers muß nun tatsächlich zu einem anderen Ergebnis führen als die seinerzeitige Abwägung im Verhältnis zwischen Norbert F und dem Kläger, weil die jeweils zu berücksichtigenden Umstände ganz verschieden sind. Wie das Erstgericht richtig ausgeführt hat, ist das Mitverschulden des Klägers ausschließlich darin zu erblicken, daß er auf einem Moped mitgefahren ist, dessen Beleuchtung ausgefallen war, wobei er trotz seines Alters von rund 15 Jahren zur Zeit des Unfalles hätte erkennen müssen, daß das Fahren ohne Beleuchtung zur Nachtzeit eine ganz beträchtliche Gefahrenerhöhung mit sich bringe. Dem stand im Vorprozeß gegen Norbert F gegenüber, daß dieser weitaus zu schnell und außerdem auf der - in seiner Fahrtrichtung gesehen - linken Fahrbahnhälfte gefahren war. Dem Leopold P als Lenker des Motorrades ist aber, ebenso wie dem Kläger selbst, zum Verschulden nur zu rechnen, daß er sich zur Weiterfahrt trotz ausgefallener Beleuchtung entschlossen hat. Dies führt allerdings noch nicht zu einer Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1, weil den Fahrzeuglenker, an den sich die Vorschrift des § 60 Abs. 3 StVO 1960 über das Beleuchten von Fahrzeugen auf der Fahrbahn bei Dunkelheit richtet und der sich die Kenntnis der für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften zu verschaffen hat, ein höheres Maß an Verantwortung trifft als den mitgenommenen Fahrgast. Wenn auch der Kläger ebenso wie Leopold P damit einverstanden war, die gefährliche Fahrt mit dem unbeleuchteten Moped fortzusetzen, so trifft dennoch Leopold P ein überwiegendes Verschulden. Dem Revisionsgericht erscheint daher eine Verschuldensteilung im Verhältnis 3:2 zu Gunsten des Klägers angemessen. Demzufolge war der Revision des Beklagten in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang Folge zu geben.
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