OGH 7Ob254/72

OGH7Ob254/7222.11.1972

SZ 45/125

Normen

Kraftfahrgesetz 1967 §63 Abs1
VersVG §67 Abs2
Kraftfahrgesetz 1967 §63 Abs1
VersVG §67 Abs2

 

Spruch:

Der Haftpflichtversicherer eines Kfz-Halters, der den Schaden eines Dritten deckte, den dieser durch einen Unfall erlitt, den der zum Unfallszeitpunkt mit dem Halter im gemeinsamen Haushalt lebende Bruder des Halters verschuldete, kann gegen den Bruder des Halters auch nicht nach § 63 Abs 1 KFG 1967, ferner auch dann nicht Regreß nehmen, wenn die häusliche Gemeinschaft im Zeitpunkt der Ersatzleistung durch den Versicherer nicht mehr bestand

OGH 22. 11. 1972, 7 Ob 254/72 (OLG Graz 1 R 80/72; LGZ Graz 10 Cg 403/71)

Text

Am 27. 3. 1969 nahm der Beklagte das seinem Bruder Anton S gehörige Motorrad ohne Lenkerberechtigung und unbefugt in Betrieb. Um etwa

22.15 Uhr streifte er als Lenker dieses Motorrades auf der Landesstraße Nr 41 zwischen S und N den in gleicher Richtung sein Motorrad schiebenden Johann P, der dadurch verschiedene Verletzungen erlitt. Der Beklagte wurde sowohl von der Verwaltungsbehörde als auch vom Gericht bestraft.

Der unbefugte Gebrauch des Motorrades durch den Beklagten wurde dadurch ermöglicht, daß Anton S das Kraftrad mit angestecktem Zundschlüssel in einem unversperrten Schuppen eingestellt hatte. Da das Motorrad im Unfallszeitpunkt bei der Klägerin gegen Haftpflicht versichert war, leistete diese dem verletzten Johann P S 46.300.- und hatte darüberhinaus weitere Aufwendungen, sodaß sie insgesamt S 51.095.- auslegte. Diesen Betrag verlangt sie vom Beklagten ersetzt.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er stellte ergänzend fest, daß der Beklagte und sein Bruder Anton S schon seit ihrer Kindheit in Hausgemeinschaft auf der Anton S und der Mutter der beiden je zur Hälfte gehörigen Liegenschaft mit dem Haus N Nr 50 lebten. Der Beklagte, der an sich als Zimmermann beschäftigt war, half auch in der Landwirtschaft seiner Mutter und seines Bruders Anton mit. Im Juli 1969 rückte der Beklagte zum Militär ein und zog am 31. 1. 1970, nach seiner Eheschließung, von der Liegenschaft weg.

Rechtlich führte der Erstrichter aus, der Klägerin stehe mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 67 Abs 2 VersVG kein Regreßrecht gegen den Beklagten zu, sie könne ihren Anspruch auch nicht mit Erfolg auf § 1042 ABGB stützen.

Die von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobene Berufung hatte keinen Erfolg. Einem Regreßanspruch nach § 67 VersVG stehe dessen Abs 2 entgegen. Die häusliche Gemeinschaft der beiden Brüder (Lenker einerseits, Halter anderseits) habe in dem maßgebenden Zeitpunkt des Schadensfalls bestanden. Auf die Bestimmung des § 63 Abs 1 KFG in Verbindung mit § 1358 ABGB könne sich die Klägerin nicht berufen, da sie nicht eine fremde Schuld bezahlt habe. Überdies setze § 63 Abs 1 KFG die Haftung des Versicherers und des ersatzpflichtigen Versicherten fest, der Beklagte als Schwarzfahrer ohne Lenkerberechtigung sei jedoch weder versichert noch mitversichert gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsansicht der Klägerin, die Anwendung des § 67 VersVG für den Fall einer Haftpflichtversicherung sei abzulehnen, weil dies zu unhaltbaren, vom Gesetzgeber gewiß nicht gewollten Ergebnissen führe, steht im Widerspruch zu Lehre und Rechtsprechung. Die Zitate des Berufungsgerichts seien ergänzt durch den Hinweis auf Geigel, Haftpflichtprozeß[14], 301, der dort die Ersatzforderungen aufzählt, die gemäß § 67 VersVG "auf den Haftpflichtversicherer" übergehen, auf Bruck - Möller[8] zu § 67 Anm 26, 716, die ausführen, daß es entsprechend der Zielsetzung des § 67 VersVG gleichgültig ist, auf welcher Grundlage der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers beruht und auf die in ZVR 1960/337 = VersR 1961, 335 = VersSlg 164 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes. Daß eine Ausschaltung der Haftpflichtversicherung vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war, ergibt sich überdies daraus, daß die Bestimmung des § 67 VersVG in den zweiten Abschnitt "Schadensversicherung" erstes Kapitel aufgenommen wurde, in dem die "Vorschriften für die gesamte Schadensversicherung" zusammengefaßt sind.

Der Vorwurf, die angefochtene Entscheidung habe den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt "kritiklos übernommen", ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters in der Berufung unbekämpft blieben. Das Berufungsgericht hatte daher von dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt auszugehen, ohne diesen einer Überprüfung, oder wie die Revision meint, einer "Kritik" unterziehen zu können. Diesen Sachverhalt hat das Berufungsgericht auch rechtlich zutreffend dahin beurteilt, daß im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zwischen dem Beklagten und seinem Bruder eine häusliche Gemeinschaft bestanden hat. Die Ansicht, daß diese nicht auf Dauer berechnet war, weil der Beklagte drei Monate nach dem Schadensfall zum Bundesheer eingezogen wurde und Ende Jänner 1970, nach seiner standesamtlichen Eheschließung, von der seinem Bruder und seiner Mutter gehörigen Liegenschaft wegzog, ist abzulehnen. Durch eine vorübergehende Lösung wird die häusliche Gemeinschaft ebensowenig aufgehoben wie durch eine aus beruflichen Gründen bedingte auch längere Abwesenheit von der Wohnung (Bruck - Möller, 757). Daß der Beklagte sohin ab Juli 1969 seinen Wehrdienst leistete, hat die häusliche Gemeinschaft iS des § 67 Abs 2 VersVG nicht unterbrochen. Der Umstand, daß der Beklagte nach seiner standesamtlichen Eheschließung Ende Jänner 1970 die Hausgemeinschaft aufgab, läßt nicht den Schluß zu, daß die Hausgemeinschaft im Unfallszeitpunkt (27. 3. 1969) nicht auf Dauer gedacht gewesen wäre.

Rechtlich unerheblich ist, daß der Beklagte vor seiner Einberufung zum Bundesheer auch als Zimmermann arbeitete, daher, wie die Revision vorbringt - ohne daß diesbezügliche Feststellungen vorlägen - "wirtschaftlich völlig selbständig" war. Nach § 67 Abs 2 VersVG geht ein allfälliger Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers unter den dort genannten Voraussetzungen nicht auf den Versicherer über. Diese Voraussetzungen sind die häusliche Gemeinschaft eines Familienangehörigen. Nicht maßgebend ist, ob im Einzelfall der Versicherungsnehmer durch den Regreß gegen einen Angehörigen tatsächlich mittelbar beeinträchtigt wird (Bruck - Möller, 756).

Mit seiner Ansicht, die häusliche Gemeinschaft müsse im Zeitpunkt der Ersatzleistung durch den Versicherer gegeben sein, steht die Revision in Widerspruch zu der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (EvBl 1964/145 = ZVR 1964/160 = VersR 1964, 692, in der die gegenteilige Entscheidung ZVR 1962/64 = SZ 34/75 = VersR 1963, 75 ausdrücklich abgelehnt wird) und der überwiegenden Rechtslehre (Bruck - Möller, 757, Ehrenzweig, 290, Wahle in VersR 1963, 76). Der Oberste Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von seiner nunmehrigen Rechtsprechung abzugehen.

Schließlich vertritt die Revision die Ansicht, der Klägerin stehe ein Regreßrecht gegen den Beklagten auch auf Grund des § 63 Abs 1 KFG zu. Der versicherte Halter habe dadurch, daß er das Motorrad in einem unversperrten Schuppen mit dem Zundschlüssel abgestellt habe, dessen Benützung schuldhaft ermöglicht, woraus seine Mithaftung für die Unfallsfolgen abzuleiten sei. Es bestehe daher ein nach § 896 ABGB zu beurteilendes Gesamtschuldverhältnis. Die Tatsache, daß nach § 63 Abs 1 KFG nur ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Versicherer und ersatzpflichtigem "Versicherer" (gemeint "Versichertem") normiert, ändere nichts daran, daß auf die "oben beschriebene Weise im vorliegenden Fall ein Gesamtschuldverhältnis zwischen dem klagenden Haftpflichtversicherer und dem am Unfall schuldigen Beklagten durch die Neueinführung der direkten Klagbarkeit des Haftpflichtversicherers gemäß § 63 Abs 1 KFG entstand".

Diese Ausführungen der Revision lassen ungeklärt, wieso aus einem allfälligen, auf § 63 Abs 1 KFG beruhenden Gesamtschuldverhältnis zwischen Versicherer und ersatzpflichtigem Versicherten ein Gesamtschuldverhältnis zwischen der Klägerin als Versicherer und dem am Unfall schuldigen Beklagten, der keinen Versicherungsschutz genießt, abgeleitet werden kann. Aber selbst wenn dem so wäre, wäre dadurch für die Klägerin nichts gewonnen, weil durch eine derartige Konstruktion der Zweck der Sondernorm des § 67 Abs 2 VersVG vereitelt würde, nämlich zu verhindern, daß die Leistung des Versicherers für den Versicherungsnehmer wertlos ist, weil ihn der Umstand, daß gegen einen mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen Rückgriff genommen wird, wirtschaftlich so trifft, als ob er selbst den Schadenersatz leisten müßte.

Das Berufungsgericht hat daher den festgestellten Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt.

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