Spruch:
Zur Frage der Verpflichtung eines Angestellten zur Rückzahlung von "Ausbildungskosten"
OGH 21. 11. 1972, 4 Ob 57/72 (LG Salzburg 9 Cg 9/72; ArbG Salzburg Cr 33/72)
Text
Die Klägerin begehrt Bezahlung eines Betrages von S 5000.-. Sie behauptet, der Beklagte sei bei ihr als Kundendiensttechniker eingestellt worden und habe am 1. 4. 1970 seinen Dienst angetreten. Wie alle bei der Klägerin beschäftigten Kundendiensttechniker habe der Beklagte eine Zusatzvereinbarung abgeschlossen, wonach er sich zur Rückerstattung eines Betrages von S 5000.- an Ausbildungskosten verpflichte, wenn er innerhalb von 3 Jahren ohne wichtigen Grund sein Dienstverhältnis löse oder kundige. Der Beklagte sei ohne wichtigen Grund aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden.
Die beklagte Partei hat Klagsabweisung beantragt und eingewendet:
Der Beklagte habe zum 30. 11. 1971 gekundigt, weil der Leistungsdruck und das beeinträchtigte Betriebsklima ihn dazu veranlaßt hätten, demnach aus wichtigen Gründen. Der behauptete Ausbildungsaufwand sei nicht gegeben, weil der Beklagte nur mit den Produkten der Klägerin vertraut gemacht worden sei, wie dies bei jeder Firma für den Servicedienst erforderlich sei. Außerdem habe der Beklagte nur durch 14 Tage, nicht aber, wie vorgesehen, durch 8 Wochen diese Ausbildung erhalten. Bei anderen Firmen werde dieser Ausbildungsaufwand von der Firma getragen. Vorteile für eine andere berufliche Tätigkeit habe der Beklagte dadurch nicht erworben. Es handle sich um eine versteckte Konventionalstrafe, die die Freizügigkeit des Beklagten beschränken und ihn an die Klägerin binden solle, sie sei sittenwidrig und daher nichtig. Im übrigen sei der Ausbildungsaufwand in den Preisen berücksichtigt und auf die Kunden überwälzt. Falls die Zusatzvereinbarung gültig sei, werde sie wegen List und Irrtums angefochten.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es geht dabei von folgendem festgestellten Sachverhalt aus:
Zwischen den Parteien wurde ein Dienstvertrag abgeschlossen, der am 25. 2. 1970 von der klagenden Partei schriftlich bestätigt wurde. Darnach sollte der Beklagte am 1. 7. 1970 bei der Klägerin als Kundendiensttechniker im Angestelltenverhältnis Verwendung finden.
Der Beklagte wurde aufgefordert, zum Zeichen des Einverständnisses die Kopie des Anstellungsdienstvertrages zu unterfertigen. Gleichzeitig wurde an den Beklagten Beilage 3 übersandt, bezeichnet als "Zusätzliche Vereinbarungen zum Angestelltendienstvertrag vom 25. 2. 1970"". Darin wurde festgehalten: "Ich bestätige hiermit, daß ich über die folgenden Punkte aufgeklärt wurde und daß ich mich verpflichte, die Forderungen der Firma M dem Wort und Sinn nach einzuhalten und zu beachten ...
4. Rückerstattung für Ausbildungskosten (gilt nur für das technische Personal):
Das technische Personal wird bei der Firma M, bevor es zum Einsatz kommt, entsprechend geschult und ausgebildet. Als Grundausbildung sind 8 Wochen vorgesehen; in der Folgezeit finden noch verschiedene Lehrgänge statt. Dadurch ergibt sich für die Firma M ein finanzieller Aufwand von zirka S 30.000.-. Ich bin damit einverstanden, daß ich S 5000.- rückerstatte, wenn ich das Dienstverhältnis bei der Firma M innerhalb von 3 Jahren ohne wichtigen Grund löse oder aufkundige. Als wichtigen Grund erkennt die Firma M einen Todes- oder Krankheitsfall an, wodurch ich an der Ausübung der bei der Firma M übernommenen Aufgabe behindert bin. Die Erstattung der S 5000.- ist auch dann gegeben, wenn ich während der drei Jahre einen Grund zur fristlosen Entlassung biete."
Dieses Schriftstück hat der Beklagte am 1. 3. 1970 unterfertigt. Der Beklagte trat seinen Dienst am 1. 4. 1970 an.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Vereinbarung über den Ersatz von S 5000.- Ausbildungskosten bei Lösung des Dienstverhältnisses eine unzulässige Bindung des Dienstnehmers darstelle, welche den §§ 20, 40 AngG widerspreche.
Das Berufungsgericht verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem, gelangte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und sprach aus, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Eintritt der Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen ist.
Das Berufungsgericht vertritt die Rechtsansicht, daß die getroffene Vereinbarung keine unzulässige Beschränkung des Kündigungsrechts des Beklagten darstelle und daher auch nicht gegen die zwingenden Bestimmungen des § 20 Abs 2 bis 5 AngG verstoße. Der mit S 5000.- pauschalierte Schadenersatz habe den Charakter einer Konventionalstrafe. Das Erstgericht werde festzustellen haben, welche Ausbildung der Beklagte erhalten habe und wie hoch die tatsächlichen Ausbildungskosten gewesen seien; die richterliche Mäßigung der Konventionalstrafe dürfe jedenfalls nicht unter den Betrag des wirklichen Schadens gehen. Auch werde zu prüfen sein, ob der Beklagte einen wichtigen Grund zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses gehabt habe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der zwischen den Parteien getroffenen zusätzlichen Vereinbarung zum Angestelltenvertrag, deren Inhalt schon wiedergegeben wurde, steht die nach § 40 AngG zwingende Bestimmung des § 20 Abs 4 AngG bei wörtlicher Auslegung nicht entgegen. Allerdings ist auch unerlaubt, was gegen den Gesetzeszweck verstößt, selbst wenn es den Buchstaben des Gesetzes für sich hat (Gschnitzer, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechtes, 195). Die Ausübung des dem Angestellten im § 20 Abs 4 AngG zustehenden Kündigungsrechtes zum Letzten eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist darf nicht solche Nachteile zur Folge haben, die für den Angestellten unzumutbar sind. Die wirtschaftliche Freiheit des Angestellten darf nicht übermäßig beschränkt werden (Hueck - Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechtes[7] I, 196f). Es darf nicht zu einer starken und einseitigen Benachteiligung des Angestellten für den Fall kommen, daß er vor Ablauf einer bestimmten Zeit kundigt (Nikisch, Arbeitsrecht[3] I, 191). Dabei kommt es immer auf die Umstände des einzelnen Falles an (Hueck - Nipperdey aaO).
Der Beklagte behauptet im Rekurs, die klagende Partei habe sich ihm gegenüber nicht zu einer Ausbildung verpflichtet. Es sei also ein Ausbildungsvertrag nicht geschlossen worden. Er sei von allem Anfang an als Kundendiensttechniker angestellt worden, seine sogenannte Ausbildung habe auch nur darin bestanden, daß er mit den Eigenheiten einzelner M-Geräte vertraut gemacht worden sei. Selbst beste Elektromonteure müßten auf die bei jeder Firma verschiedenen Eigenheiten von Produkten eingeschult werden. Er habe jedenfalls keine Spezialausbildung erhalten wie in den Fällen, auf die sich das Berufungsgericht stütze.
Dazu ist folgendes zu sagen:
Ob sich die Klägerin zu einer bestimmten Ausbildung des Beklagten verpflichtet hat oder ob sich der Beklagte derselben in Erfüllung seiner Arbeitspflicht unterzogen hat, ist nicht entscheidend. Von Bedeutung kann nur sein, ob der Beklagte tatsächlich ausgebildet wurde und in welcher Weise dies geschah. Die Verpflichtung des Beklagten, Ausbildungskosten zurückzuzahlen, wird ja darauf gestützt, daß eine Ausbildung tatsächlich vorgenommen wurde. Hiefür ist die Frage, ob der Beklagte auch einen klagbaren Anspruch auf Ausbildung gehabt hätte, nicht von Bedeutung.
Wesentlich für die Frage der Zumutbarkeit der vom Beklagten übernommenen Verpflichtung ist es allerdings, ob der Beklagte, wie er behauptet, nur mit den Eigenheiten einiger M-Produkte vertraut gemacht wurde, also bloß eingeschult wurde, oder ob es richtig ist, daß dem Beklagten, wie die Klägerin behauptet, Spezialkenntnisse theoretischer und praktischer Art über vielfältige Schalt- und Steuergeräte vermittelt wurden, welche allgemein in der Automatisierungstechnik angewendet, also auch in anderen Unternehmen verwertet werden können. Sollte der Beklagte eine Ausbildung erlangt haben, die über die bloße Einschulung eines Neulings hinausgeht und ihm bessere Verdienstmöglichkeiten auch in anderen Unternehmungen verschaffen kann, falls er den Arbeitsplatz wechselt, dann wird ihm die Rückzahlung der für seine Ausbildung tatsächlich aufgewendeten Kosten bis zum Höchstbetrag von S 5000.- zugemutet werden könne. Daß dieser Betrag eine unverhältnismäßig hohe Belastung des Beklagten darstellen würde, uzw im Hinblick auf das bei der klagenden Partei bezogene Gehalt, wurde nicht behauptet und kann auch nach dem im Dienstvertrag vereinbarten monatlichen Bruttogehalt von S 4300.- (plus 13. und 14. Gehalt) nicht ohne weiteres angenommen werden.
Darauf, ob der Beklagte kraft seines Arbeitsvertrages zur Teilnahme am Ausbildungslehrgang verpflichtet war oder ob der Dienstgeber einen derartigen arbeitsrechtlichen Anspruch nicht hatte, kann es, wie schon angeführt wurde, nicht ankommen. Ob der Beklagte zur Teilnahme an einem Lehrgang kraft Arbeitsvertrages verpflichtet war oder ob er damit einem Wunsche des Dienstgebers entsprochen hat oder nur sein eigener Wunsch erfüllt wurde, ist jedenfalls für den vorliegenden Fall bedeutungslos, in dem als Vorbedingung des Abschlusses des Dienstvertrages die Teilnahme an einem allgemeinen Lehrgang vereinbart wurde. Denn so wie das Dienstverhältnis freiwillig abgeschlossen wurde, beruht auch eine damit gleichzeitig übernommene Verpflichtung, sich ausbilden zu lassen, auf dem freien Entschluß des Angestellten. Anders läge der Fall, wenn während des Bestandes des Dienstverhältnisses vom Angestellten die Teilnahme an einem Lehrgang als Dienstpflicht gefordert oder auf Wunsch des Dienstgebers vom Angestellten absolviert würde und im Zusammenhang damit eine Rückzahlungsvereinbarung getroffen wird. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor.
Die Zusatzvereinbarung ist allerdings nicht als Vereinbarung einer Vertragsstrafe nach § 1336 ABGB zu qualifizieren. Diese setzt voraus, daß eine Partei ihrer Verbindlichkeit nicht gehörig nachkommt Wolff in Klang[2] VI, 183). Davon kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Denn der Beklagte hat keine Verbindlichkeit aus dem Vertrag verletzt, wenn er ohne wichtigen Grund kundigte. Es werden von ihm auch nur Aufwendungen für seine Ausbildung ersetzt verlangt.
Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß es für die von dem Beklagten übernommene Verpflichtung von Bedeutung sein kann, ob er tatsächlich die in der Zusatzvereinbarung versprochene achtwöchige Grundausbildung erhalten hat. Sollte dies nicht zutreffen und der Beklagte nur, wie er behauptet, etwa 14 Tage lang eingeschult worden sein, dann müßte analog dem § 1052 ABGB dem Beklagten ein teilweises Leistungsverweigerungsrecht eingeräumt werden, vorausgesetzt, daß ihm überhaupt eine Rückzahlung zugemutet werden kann (vgl Wahle in Klang[2] IV/2, 90, 91). Schließlich könnte eine Rückzahlungspflicht auch dann nicht bestehen, wenn der Beklagte einen wichtigen Grund zum vorzeitigen Austritt gehabt hat. Auch hiezu fehlen Feststellungen.
Das Berufungsgericht ist also im Ergebnis mit Recht davon ausgegangen, daß die Sache noch nicht spruchreif ist (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO), und konnte demnach mit der Aufhebung des Urteils des Erstgerichtes vorgehen (SZ 22/101).
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