Spruch:
Eine Stundungsvereinbarung während des Laufes der dem VersN gemäß § 39 Abs 1 VersVG gesetzten Frist ist als gleichzeitige Verlängerung der Zahlungsfrist gemäß § 39 Abs 1 VersVG anzusehen
Die Leistungspflicht des Versicherers besteht auch bei Verzug des Versicherungsnehmers selbst dann fort, wenn die bei Eintritt des Versicherungsfalles noch nicht abgelaufene Frist iS des § 39 Abs 1 VersVG anschließend fruchtlos verstreicht
OGH 25. 10. 1972, 7 Ob 210/72 (OLG Wien 6 b R 111/72; LGZ Wien 14 Cg 7/72)
Text
Unbestritten ist folgender Sachverhalt:
Der Beklagte verursachte mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW am 24. 12. 1970 einen Verkehrsunfall mit Sachschaden. Der Beklagte hatte die am 2. 10. 1970 fällige Folgeprämie (§ 39 VersVG) nicht rechtzeitig bezahlt, nach einer am 13. 11. 1970 aufgegebenen Teilzahlung war ihm mit Schreiben der Klägerin vom 24. 11. 1970 hinsichtlich des Restes von S 711.50 zuzüglich S 20.- für Gebühren und Zinsen eine Stundung bis zum 31. 12. 1970 - als bis nach Eintritt des Versicherungsfalles - gewährt worden, wobei in der Urkunde über die Stundungsvereinbarung - nach der als echt und richtig zugestandenen Beilage 3 ein Vordruck für Raten- oder Stundungsvereinbarungen - der Satz enthalten ist, daß die Klägerin bei nicht termingerechter Zahlung des gestundeten Betrages bzw einer Rate "auf den Einwand der Rechtsfolgen gemäß § 38 VersVG nicht verzichtet". Tatsächlich bezahlte der Beklagte den Restbetrag von S 731.50 erst am 8. 1. 1971. Das Schreiben der Kläger vom 27. 7. 1971 iS des § 12 VersVG beantwortete der Beklagte fristgerecht mit einer am 26. 1. 1972 beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage.
Mit der gegenständlichen Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten den Rückersatz der nach ihrer Behauptung aus dem Versicherungsfall vom 24. 12. 1970 erbrachten Leistungen mit der Begründung, daß sie am 15. 11. 1970 unter Bestimmung einer zweiwöchigen Frist sowie unter Hinweis auf die im § 39 VersVG genannten Rechtsfolgen den Beklagten gemahnt und durch die unbestrittene Stundungsvereinbarung auf den Einwand ihrer Leistungsfreiheit - für den eingetretenen Fall der nicht termingerechten Zahlung des gestundeten Betrages - nicht verzichtet habe.
Der Beklagte bestritt, eine Mahnung iS des § 39 VersVG erhalten zu haben und bezeichnete das Klagebegehren schon wegen der mit der Stundungsvereinbarung gewährten Frist als nicht gerechtfertigt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß die Klägerin selbst bei Unterstellung des von ihr behaupteten Zuganges einer der Bestimmung des § 39 VersVG entsprechenden Mahnung an den Beklagten wegen der am 24. 11. 1970 getroffenen Vereinbarung für den Versicherungsfall vom 24. 12. 1970 keine Leistungsfreiheit in Anspruch nehmen könne.
Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es wies darauf hin, daß sich die Klägerin nach dem Inhalt der erwähnten Urkunde Beilage 3 für den Fall nicht termingerechter Zahlung "die Folgen des § 39 VersVG ausdrücklich vorbehalten" habe und vertrat die Auffassung, daß infolge dieses Vorbehaltes nur eine unvollkommene, durch die nachträgliche Nichteinhaltung der gewährten Frist auflösende bedingte Stundung vorliege, die festgestellte Nichteinhaltung diese unvollkommene Stundung wirkungslos gemacht habe und demzufolge die Wirkungen einer bereits erfolgten Mahnung unberührt geblieben seien. Es müsse somit in erster Linie festgestellt werden, ob dem Beklagten die von der Klägerin behauptete, die Rechtsfolgen des § 39 Abs 2 VersVG auslösende Mahnung zugekommen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Leistungsfreiheit des Versicherers bei nicht rechtzeitiger Zahlung einer Folgeprämie ist an drei Voraussetzungen geknüpft:
Erstens muß dem Versicherungsunternehmer eine der Bestimmung des § 39 Abs 1 VersVG entsprechende Mahnung zugegangen sein, zweitens muß bei Eintritt des Versicherungsfalles die ihm vom Versicherer bestimmte Zahlungsfrist bereits abgelaufen sein, drittens muß der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalles mit der Zahlung in Verzug sein (§ 39 Abs 1 und 2 VersVG). Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung wohl mit der erst- und drittgenannten Voraussetzung, hingegen nicht entsprechend mit der zweitgenannten Voraussetzung auseinandergesetzt, wonach die Leistungspflicht des Versicherers auch bei Verzug des Versicherungsnehmers selbst dann fortbesteht, wenn die bei Eintritt des Versicherungsfalles noch nicht abgelaufene Frist iS des § 39 Abs 1 VersVG anschließend fruchtlos verstreicht.
Selbst wenn man hier entsprechend dem Klagsvorbringen unterstellt, daß der Beklagte am 15. 11. 1970 gemäß § 39 Abs 1 VersVG mit Bestimmung einer zweiwöchigen Zahlungsfrist gemahnt wurde, so kam die feststehende Stundungsvereinbarung vom 24. 11. 1970 innerhalb des Laufes der von der Klägerin in dem - als abgesandt und zugegangen unterstellten - Mahnschreiben bestimmten Zahlungsfrist zustande. Eine derartige Stundungsvereinbarung während des Laufes der genannten Frist muß bei Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 914 ABGB) und des weiteren Grundsatzes, daß ein einmal bestehender Versicherungsschutz grundsätzlich aufrecht zu erhalten ist (vgl hiezu Bruck - Möller, VersV G[8] Anm 32 a bei § 39, EvBl 1969/341 ua), auch als gleichzeitige Verlängerung der noch im Lauf befindlichen und vom Versicherer je nach Belieben verlängerbaren Zahlungsfrist gemäß § 39 Abs 1 VersVG angesehen werden (ebenso Ehrenzweig, Deutsch-Österreichisches Versicherungsvertragsrecht, 143 f unter 2 d, wonach eine Stundungsabrede während des Laufes der gesetzten Frist diese zugunsten des Versicherungsnehmers erstreckt). Anders als allenfalls bei einer nach Ablauf dieser Frist, also im Zeitpunkt der bereits eingetretenen Leistungsfreiheit des Versicherers - auf diesen wesentlichen Unterschied weisen neben Ehrenzweig aaO auch Prölss - Martin, VersVG[18] Anm 11a gegenüber Anm 11 B zu § 39 hin - getroffenen Stundungsvereinbarung, bei der für den Fall fruchtlosen Ablaufes die Klarstellung des Versicherers hinreicht, an den Verzugsfolgen einschließlich der Leistungsfreiheit festhalten zu wollen (vgl Ehrenzweig aaO), vermag bei der gegenständlichen, noch vor Ablauf der - nach der Behauptung der Klägerin - dem Beklagten gemäß § 39 Abs 1 VersVG gesetzten Frist getroffenen Stundungsvereinbarung der bereits zitierte Passus in der betreffenden Urkunde, auf den Einwand der Rechtsfolgen gemäß § 39 VersVG nicht zu verzichten, die Leistungsfreiheit der Klägerin in Ansehung des innerhalb der bis 31. 12. 1970 verlängerten Zahlungsfrist eingetretenen Versicherungsfalles nicht herbeizuführen.
Die vom Berufungsgericht für seine abweichende Rechtsansicht herangezogenen Belegstellen bei Bruck - Möller (aaO 462 und 465) befassen sich nicht mit dem gegenständlichen Problem, sondern mit der Möglichkeit der Vereinbarung unvollkommener Stundung der Prämienzahlungen im Rahmen des § 35 VersVG, im Fall der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichtes München (VersR 1959, 798) war die vom Versicherer gemäß § 39 Abs 1 VersVG bestimmte Frist bereits abgelaufen (und überdies lediglich eine Teilzahlung mit der Ankündigung baldiger Restzahlung vorbehaltlos angenommen worden, was nach der Rechtsprechung für sich allein keine wirksame Stundungsvereinbarung darstellt). Diese Belegstellen und der von Prölss - Martin aaO hervorgehobene Unterschied der Rechtslage während des Laufes der gemäß § 39 Abs 1 VersVG bestimmten Frist einerseits und nach deren Ablauf andererseits sind daher eher geeignet, die vom Obersten Gerichtshof vertretende Auffassung zu stützen als sie zu entkräften.
Entsprechend der vorstehend dargelegten Rechtsansicht ist somit die gegenständliche Rechtssache iS einer Bestätigung des erstgerichtlichen Urteiles spruchreif.
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