OGH 2Ob170/71

OGH2Ob170/7129.6.1972

SZ 45/75

Normen

ABGB §1168a
ABGB §1299
ABGB §1168a
ABGB §1299

 

Spruch:

Ein Unternehmer, der eine Reifenfachwerkstätte betreibt, gibt zu erkennen, daß er über jene technischen Kenntnisse verfügt, die für die betriebssichere Ausrüstung von Fahrzeugen mit Reifen notwendig sind. Von ihm kann erwartet werden, daß er überdurchschnittliche Sorgfalt darauf verwendet, Fahrzeuge mit geeigneten Reifen auszustatten und diese betriebssicher zu montieren.

"Stoff" iS des § 1168a ABGB sind auch Reifen, die vom Besteller beigestellt und über seinen Auftrag zu montieren sind

OGH 29. 6. 1972, 2 Ob 170/71 (OLG Innsbruck 1 R 19/71; LG Innsbruck 9 Cg 973/67)

Text

Am 14. 7. 1967 geriet der von Ingrid W gelenkte PKW Ford Country Squire der Klägerin auf der Autobahn München - Salzburg ins Schleudern und kam von der Fahrbahn ab. Hiedurch wurde das Fahrzeug schwer beschädigt.

Die klagende Partei anerkannte mit Rücksicht darauf, daß die Reifendimension nicht den Werksvorschriften entsprach, ein Eigenverschulden von 1/3 und begehrte auf dieser Grundlage vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung von S 52.100.- für Reparaturkosten und Wertminderung. Sie brachte hiezu vor, daß der Unfall durch die Lockerung von drei beim Reifenwechsel im Betrieb des Beklagten mangelhaft befestigten Rädern ausgelöst worden sei.

Der Beklagte bestritt nach Grund und Höhe. Der Unfall sei auf die unrichtige Bereifung und darauf zurückzuführen, daß die Lenkerin die Herrschaft über ihr Fahrzeug verloren habe. Nach den gesetzlich genehmigten Bedingungen für die Ausführung von Montage- und Instandsetzungsarbeiten an Kraftfahrzeugen sei die Gewährleistung für Mängel, die nicht innerhalb von vier Wochen, spätestens aber nach Zurücklegung einer Strecke von 1500 km nach Übergabe angezeigt würden, ausgeschlossen.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von S

48.353.33 samt 4% Zinsen seit 28. 12. 1967. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Erstgericht stellte fest:

Am 29. 6. 1967 wurden über Auftrag der klagenden Partei an deren PKW im Betriebe des Beklagten die Reifen gewechselt. Den Arbeitsauftrag führte der beim Beklagten beschäftigte Jugoslawe Mirko M aus, der sonst nur Lagerarbeiten verrichtete. Dieser nahm alle vier Felgen ab und montierte sie nach Aufziehen der Reifen wieder an. Hiezu verwendete er nur einen elektrischen Schlagschrauber. Die auf Wunsch der Klägerin aufgezogenen Reifen entsprachen in ihren Abmessungen nicht den Werksvorschriften. Die Lauffläche war kleiner als vorgeschrieben. Außerdem wurden an den Vorderrädern Gürtelreifen, hinten aber Reifen herkömmlicher Bauart montiert. Eine derartige Bereifung führt zur Störung des normal ausgeglichenen Fahrverhaltens des Fahrzeuges und kann bei schneller Geradeausfahrt ein unstabiles Fahrverhalten hervorrufen. Nach Beendigung der Montage stellte sich heraus, daß das rechte Vorderrad bei vollständig angezogenen Radmuttern blockierte. Der Geschäftsführer des Beklagten, Alois H, lockerte die Muttern soweit, daß sich das Rad wieder drehen ließ, und wollte Ingrid W so wegfahren lassen. Der inzwischen dazugekommene Inhaber der klagenden Partei veranlaßte, daß eine im Kofferraum befindliche Felge anstelle der blockierenden montiert wurde. Die Schraubenmuttern dieser Felge wurden mit einem Kreuzschlüssel angezogen. Nunmehr blockierte das rechte Vorderrad nicht mehr. In der Folge verwendete Ingrid W den PKW nur im Stadtverkehr. Bei einer Fahrt nach Salzburg am 14. 7. 1967 geriet der PKW auf der Autobahn bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h unmittelbar, nachdem er von einem anderen Fahrzeug überholt worden war, plötzlich ins Schwimmen, brach seitlich aus und stürzte über eine rechts abfallende Böschung auf eine Wiese. Bei der Bergung des Fahrzeuges war festzustellen, daß sämtliche Radmuttern des linken Hinterrades locker waren und etwa 3 mm Luft hatten. Auch die Radmuttern des rechten Hinterrades hatten sich, wenn auch nicht im selben Ausmaß, gelockert. Die Radmuttern der Hinterräder wurden zunächst mit einer Zange, später mit einem Schraubenschlüssel nachgezogen. Das Fahrzeug wurde auf einer nicht asphaltierten Straße einige Kilometer weit abgeschleppt. Bei der Reifenmontage im Betrieb des Beklagten am 29. 6. 1967 waren die beiden hinteren und die linke vordere Felge nicht vorschriftsmäßig befestigt worden. Der Arbeiter des Beklagten hat es verabsäumt, die Radmuttern mit einem Kreuzschlüssel nachzuziehen. Er hat dadurch den Unfall verursacht. Die Lockerung der Felgen hat die Seitenführungskräfte stark negativ beeinflußt. Dieser Umstand führte im Zusammenwirken mit der falschen Bereifung zum Schwimmen und Ausbrechen des Fahrzeuges. Der Lenkerin war es fast unmöglich, auf den Montagefehler, etwa infolge störender Fahrgeräusche, aufmerksam zu werden. Der Sachschaden am PKW beträgt S 63.080.-, die Wertminderung S 9450.-.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß der Beklagte für das Verschulden seines Arbeitnehmers hafte und daher der Klägerin den unfallbedingten Schaden zu ersetzen habe. Die Geltendmachung dieses Schadenersatzanspruches sei nicht an Gewährleistungsfristen gebunden. Eine andere Verschuldensteilung könne nicht vorgenommen werden, da der Beklagte ein Mitverschulden nicht eingewendet habe.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme jener, daß der Arbeiter des Beklagten die Radmuttern an den Hinterrädern und am linken Vorderrad nicht mit einem Kreuzschlüssel nachgezogen habe, und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Dem Einwand der Berufung, daß möglicherweise die Bereifung die einzige Unfallsursache gewesen sei, hielt das Berufungsgericht entgegen, daß der Beklagte als Inhaber einer Fachwerkstätte für Reifenmontage gemäß §§ 1299, 1313a ABGB für alle Schäden aus der Montage unterwertiger und ihrer Bauart nach verschiedener Reifen hafte.

Soweit die Revision in der Rechtsrüge darzutun versucht, daß ein Montagefehler und dessen Ursächlichkeit oder Mitursächlichkeit für den eingetretenen Schaden nicht erwiesen sei, unternimmt sie einen unzulässigen Angriff auf die im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbare Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen. Inwieweit mit dem Revisionsvorbringen, daß der Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen der mangelhaften Befestigung der Räder und dem Schadenseintritt nicht zu erbringen sei, wenn auch andere Ursachen den Unfall herbeigeführt haben konnten, auch ein Problem der Beweislastverteilung und damit der rechtlichen Beurteilung aufgerollt wird, kann aus nachstehenden rechtlichen Erwägungen auf sich beruhen.

Die Untergerichte haben festgestellt, daß die Lockerung der Felgen im Zusammenwirken mit der falschen Bereifung zum Ausbrechen des Fahrzeuges geführt hat. Der Beklagte ist, wie die Berufungsinstanz richtig erkannte, nicht nur für die mangelhafte Befestigung der Räder, sondern auch für die Montage ungeeigneter Reifen verantwortlich. Ein Unternehmer, der eine Reifenfachwerkstätte betreibt, gibt zu erkennen, daß er über jene technischen Kenntnisse verfügt, die für die betriebssichere Ausrüstung von Fahrzeugen mit Reifen notwendig sind. Von ihm kann erwartet werden, daß er überdurchschnittliche Sorgfalt darauf verwendet, Fahrzeuge mit geeigneten Reifen auszustatten und diese betriebssicher zu montieren. Der Gesetzgeber sieht im Unternehmer einen Sachverständigen, der den Besteller zu beraten und zu warnen hat, wenn dieser einen offenbar untauglichen Stoff beistellt oder offenbar unrichtige Anweisungen erteilt (§ 1168a ABGB). Unter "Stoff" ist alles zu verstehen, aus dem oder mit dessen Hilfe das Werk herzustellen ist (Adler - Höller in Klang[2] V 408). Darunter fallen auch Reifen, die vom Besteller beigestellt und über seinen Auftrag an einem Fahrzeug zu montieren sind. Die Warnpflicht des Unternehmers besteht im allgemeinen auch gegenüber einem sachkundigen Besteller (SZ 35/73 ua). Sie entfällt dann, wenn der Besteller selbst sich von der Untauglichkeit des Stoffes oder seiner Anweisungen überzeugen kann (4 Ob 89/71). Unterläßt der Unternehmer die Warnung des Bestellers, verliert er nicht nur den Anspruch auf das Entgelt, sondern hat auch den weitergehenden Schaden voll zu ersetzen. Als Sachverständiger hat der Unternehmer dafür einzustehen, daß er oder seine Arbeiter, deren er sich zur Erfüllung des Auftrages bediente, die mangelnde Eignung der vom Besteller beigestellten Reifen nicht erkannten und den Besteller nicht darauf aufmerksam machten. Um sich von der Verantwortung für den eingetretenen Schaden zu befreien, genügt es nicht, daß der Beklagte die Untauglichkeit der beigestellten Reifen beweist. Er müßte auch beweisen, daß er den Kläger gewarnt habe oder daß eine Warnung des Bestellers im konkreten Fall nicht notwendig gewesen sei. In dieser Richtung wurden vom Beklagten Behauptungen in erster Instanz nicht aufgestellt. Daß der Kläger Autohändler ist und selbst über die notwendige Sachkunde verfügt, steht nicht fest. Die diesbezügliche Behauptung der Revision ist als Neuerung unbeachtlich.

Ein Mitverschulden des Bestellers ist im Falle der Haftung nach § 1168a ABGB wegen Unterlassung der Warnpflicht nicht ausgeschlossen, müßte aber vom Unternehmer, also vom Beklagten bewiesen werden. Die Beistellung ungeeigneter Reifen zur Montage muß an sich noch kein Mitverschulden begrunden. Im übrigen sind die Vorinstanzen mit Recht davon ausgegangen, daß der Beklagte diesbezüglich im Verfahren erster Instanz einen Mitverschuldenseinwand nicht erhoben hat. Das Vorbringen im Schriftsatz ON 26 kann nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes nur dahin verstanden werden, daß der Beklagte die Kausalität des behaupteten Montagefehlers für den Schadenseintritt bestreitet. Im Rechtsmittelverfahren kann der in erster Instanz unterlassene Mitverschuldenseinwand nicht nachgeholt werden.

Den Vorinstanzen ist auch darin beizupflichten, daß für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch die Gewährleistungsfristen nicht gelten. Die Entscheidung SZ 28/233 betrifft einen Handelskauf und ist daher auf den aus einem Werkvertrag abgeleiteten Schadenersatzanspruch des Klägers nicht anwendbar (vgl Schlegelberger - Hefermehl, HGB[4] 2078, Anm 8 zu § 377).

Der Revision mußte daher der Erfolg versagt werden.

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