OGH 1Ob67/72

OGH1Ob67/7219.4.1972

SZ 45/49

Normen

ABGB §833
ABGB §837
ABGB §1090
ABGB §833
ABGB §837
ABGB §1090

 

Spruch:

Der vom Minderheits- oder Hälfteeigentümer einer Liegenschaft ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer abgeschlossene Bestandvertrag bindet diese nicht; sie können gegen den Bestandnehmer mit Räumungsklage vorgehen

OGH 19. 4. 1972, 1 Ob 67/72 (LG Klagenfurt 1 R 78/72; BG Klagenfurt 7 C 540/71)

Text

Die Klägerin und Ferdinand S sind je zur Hälfte Eigentümer des Hauses K, S-Straße 43. Mit dem Vertrag vom 15. 7. 1970 vermietete der Letztgenannte an die beklagte Partei ua das Parterregeschoß dieses Hauses und einen dazugehörigen Kellerraum.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin, die beklagte Partei zur Räumung dieses Bestandgegenstandes zu verurteilen und brachte dazu vor, daß die beklagte Partei die gegenständlichen Räumlichkeiten ohne rechtswirksamen Titel benütze.

Die beklagte Partei wendete ein, daß die Klägerin zur Einbringung der Räumungsklage - einer Maßnahme der ordentlichen Verwaltung - als Hälfteeigentümerin nicht legitimiert sei. Im übrigen stelle der zwischen der beklagten Partei und Ferdinand S abgeschlossene Mietvertrag einen gültigen Titel dar. Deshalb und im Hinblick darauf, daß die Klägerin der Vermietung zugestimmt habe, sei das Räumungsbegehren nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht gelangte zu einer Klagsabweisung, wobei es von folgenden Feststellungen ausging: Die Klägerin habe ihren Hälfteanteil an dem Haus K, Sstraße 43, im Jahre 1946 erworben, während Ferdinand S erst seit dem Jahre 1964 Eigentümer der zweiten Haushälfte sei. Die Klägerin habe durch 20 Jahre die im 1. Stockwerk des Hauses gelegenen Räumlichkeiten sowie einige Kellerräume allein benützt, während ihrem Miteigentümer jeweils die Räume im Parterre und der restliche Kellerraum zur Verfügung gestanden seien. Diese Art der Benützungsregelung habe Ferdinand S anläßlich des Erwerbes seines Hälfteanteiles anerkannt und übernommen, die Parterreräume mit den dazugehörigen Kellerräumen bis zum Jahre 1970 vermietet, ohne daß die Klägerin dagegen jemals Einwände erhoben oder eine Änderung der Benützungsregelung angestrebt hätte. Im Frühjahr 1970 sei Ferdinand S mit der beklagten Partei in Verhandlungen wegen Verkaufes seines Hälfteanteiles getreten. Die Klägerin, die er davon unterrichtet habe, sei damit einverstanden gewesen, habe jedoch einen anderen Kaufinteressenten abgelehnt. Zwischen Ferdinand S und der beklagten Partei sei es zu keinem Kaufabschluß, vielmehr - ohne vorherige Verständigung der Klägerin - am 15. 7. 1970 zu einer Mietvereinbarung über die klagsgegenständlichen Räume gekommen. Ferdinand S habe der beklagten Partei darüber hinaus auch das in seinem Eigentum stehende Nachbarhaus vermietet. Da eine sinnvolle Benützung der von der beklagten Partei gemieteten Räume nur bei einem Durchbruch der die beiden Objekte trennenden Feuermauer gewährleistet gewesen sei, habe der Prokurist der beklagten Partei mit der Klägerin verhandelt, um deren Zustimmung zu dieser baulichen Veränderung zu erhalten. Die Klägerin, in der Meinung, daß die beklagte Partei die Haushälfte S's erworben habe, erteilte die von ihr erbetene Zustimmung unter der Bedingung, daß ihr hiefür eine Zentralheizung in ihrer Wohnung installiert werde. Am 24. 9. 1970 sei es zwischen der Klägerin und Ferdinand S zu einer schriftlichen Vereinbarung gekommen, derzufolge die Klägerin die Genehmigung zum Durchbruch der Feuermauer nur unter der Bedingung erteilte, daß die beklagte Partei "die Räume des Hauses S-Straße 43" kaufe. Der Durchbruch sei dann im Herbst 1970 vorgenommen worden. Am 12. 7. 1971 sei der am 15. 7. 1970 abgeschlossene Mietvertrag zwischen Ferdinand S und der beklagten Partei neu gefaßt und modifiziert worden. Die Klägerin habe im Frühjahr 1971 erfahren, daß Ferdinand S Hälfteeigentümer des Hauses S-Straße 43 geblieben sei; sie habe die Räumungsklage erhoben, weil sie sich hintergangen gefühlt habe.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß die Klägerin an die zwischen Ferdinand S und der beklagten Partei getroffene Mietvereinbarung gebunden sei, da zwischen der Klägerin und Ferdinand S eine durch zwanzigjährige Übung zustandegekommene Benützungsregelung bestehe, derzufolge Letzterem die ausschließliche Benützung der Parterreräumlichkeiten zustehe. Unter diesen Umständen sei Ferdinand S auch berechtigt gewesen, über die klagsgegenständlichen Räumlichkeiten durch Vermietung zu verfügen.

Infolge Berufung der klagenden Partei hob das Gericht zweiter Instanz die Entscheidung des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Die Vermietung einzelner Räume eines mehreren Teilhabern gehörigen Hauses auf unbestimmte Zeit und zu einem ortsüblichen Zins gehöre zur ordentlichen Verwaltung; gemäß § 833 ABGB sei dazu nur die Mehrheit der Stimmen befugt. Ein (nur) zwischen dem Hälfteeigentümer und einem Dritten abgeschlossener Bestandvertrag sei zwar im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien wirksam, gegenüber dem Miteigentümer, der weder ausdrücklich noch stillschweigend der Vereinbarung zugestimmt habe, jedoch nicht verpflichtend. Der Klägerin sei der Abschluß eines Bestandvertrages zwischen Ferdinand S und der beklagten Partei erst im Jahre 1971 bekannt geworden, sie habe dem Vertrag weder ausdrücklich noch stillschweigend zugestimmt und wäre daher grundsätzlich berechtigt, von der beklagten Partei die Räumung des Bestandobjektes zu verlangen, es sei denn, daß die streitgegenständlichen Räumlichkeiten gemäß § 828 ABGB dem Hälfteeigentümer S zum ausschließlichen Gebrauch überlassen worden seien. Die bisherigen Verfahrensergebnisse erlaubten nicht den vom Erstgericht gezogenen Schluß über das Vorliegen einer Benützungsregelung i S des § 828

ABGB.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Den Rechtsmittelausführungen ist darin beizupflichten, daß die Frage, ob der Hälfteeigentümer eines Hauses von demjenigen, der das Haus ohne seine Zustimmung, aber auf Grund eines mit dem anderen Hälfteeigentümer abgeschlossenen Mietvertrages benützt, mit Erfolg Räumung begehren könne, in der Rechtsprechung nicht immer einheitlich beantwortet wurde, doch kann keine Rede davon sein, daß dazu zwei einander ungefähr gleichgewichtige Judikaturreihen bestehen.

Die auch bei Kapfer MGA ABGB[28] und ABGB[29] zu § 1093 ABGB unter Nr 4 angeführte Entscheidung MietSlg 17.022, die gleich den Entscheidungen MietSlg 21.055 und MietSlg 21.155 davon ausgeht, daß der vom hiezu nicht berechtigten Hälfteeigentümer mit einem Dritten abgeschlossene Bestandvertrag inter partes wirksam ist, begrundet die in ihr zum Ausdruck kommende weitere Rechtsansicht, daß die übrigen Miteigentümer die ihnen gegenüber bestehende Unwirksamkeit eines solchen Bestandvertrages nur dem vertragsschließenden Miteigentümer gegenüber, nicht aber dem Dritten gegenüber geltend machen können, mit dem Hinweis auf die Entscheidung MietSlg 4966/29; sie spricht weiter aus, daß ein Hälfteeigentümer nur gegen den titellosen Benützer zur Räumungsklage legitimiert ist (MietSlg 16.009). Die Entscheidung MietSlg 4966 spricht zunächst unter zutreffender Berufung auf EvBl 1955/145 (hier wird unter anderem JBl 1936, 83 zitiert) und 1 Ob 502/55 aus, daß der vom Nichtberechtigten abgeschlossene Bestandvertrag zwischen den Vertragspartnern wirksam ist, daß der nichtberechtigte Vertragschließende diesen Vertrag daher gegen sich gelten lassen muß. Sie fährt dann fort, daß nur die am Vertrag nicht beteiligten übrigen Miteigentümer zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Verfügung ihres Eigentumsgenossen befugt sind. Dabei wird die Frage offen gelassen, ob die übrigen Miteigentümer die Unwirksamkeit des Bestandvertrages nur gegenüber ihrem Eigentumsgenossen oder auch gegenüber dem Dritten geltend machen können; auch die beiden als Beleg genannten Vorentscheidungen geben auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Der Umstand, daß in diesem Zusammenhang das Vorliegen einer einheitlichen Streitpartei der Miteigentümer verneint wurde, erlaubt den Schluß, daß nach dieser Entscheidung die Unwirksamkeit des Vertrages nicht nur gegenüber dem bzw den Eigentumsgenossen sondern auch gegenüber dem Dritten geltend gemacht werden kann.

Daß der vom nichtberechtigten Miteigentümer mit einem Dritten abgeschlossene Bestandvertrag inter partes gültig ist, spricht auch die in der Entscheidung MietSlg 17.022 als Belegstelle hiefür zitierte Entscheidung MietSlg 15.071 aus und fügt - gleichfalls ohne zur Frage der Zulässigkeit einer Räumungsklage der übrigen Miteigentümer gegen den Dritten ausdrücklich Stellung zu nehmen - hinzu, daß dieser Vertrag auch nur von den Vertragspartnern, und nicht von einem Dritten, gelöst werden kann. Sie beruft sich dabei auf die bereits dargestellte Entscheidung MietSlg 4966/29 und auf die Entscheidung MietSlg 5596 (hier wird JBl 1937, 58 zitiert), welch letztere Entscheidung dasselbe besagt wie die Entscheidung MietSlg 15.071 und im übrigen auch die Entscheidung MietSlg 7801.

Daß der Bestandvertrag nur von den Partnern dieses Vertrages aufgelöst werden kann, ergibt sich aus dem Vertragsrecht, bedeutet aber noch nicht, daß daher auch die an diesem Vertrag unbeteiligten übrigen Miteigentümer, weil sie ihn nicht auflösen können, an ihn gebunden sind und ihrerseits den Dritten (Bestandnehmer) nicht auf Räumung klagen können. Dagegen spricht schon die von den angeführten Entscheidungen selbst - uzw zutreffend - hervorgehobene Wirkung dieses Bestandvertrages (nur) inter partes. Den nicht zu billigenden Schluß aus der Entscheidung MietSlg 4966/29, daß die übrigen Miteigentümer den Dritten nicht auf Räumung klagen können, zieht sohin (ausdrücklich) nur die Entscheidung MietSlg 17.022. Soweit diese zur Begründung ihrer Auffassung, daß die nicht am Bestandvertrag beteiligten Miteigentümer den Bestandnehmer nicht auf Räumung klagen können, die Rechtsprechung heranzieht, wonach der Hälfteeigentümer oder auch ein Minderheitseigentümer (nur) gegen den titellosen Benützer mit Räumungsklage vorgehen kann (zitiert wird MietSlg 16.009; seither sind in letzterem Belang zahlreiche weitere Entscheidungen ergangen), erhebt sich die Frage, was in diesem Zusammenhang unter Titellosigkeit zu verstehen ist, Titellosigkeit gegenüber den am Bestandvertrag nicht beteiligten Miteigentümern oder gegenüber allen Miteigentümern? Eine Stütze für die in der Entscheidung MietSlg 17.022 vertretene Auffassung wäre diese Rechtsprechung nur dann, wenn die Frage in letzterem Sinne beantwortet werden müßte. Eine zutreffende Antwort auf diese Frage gab die Entscheidung MietSlg 8511, uzw in ersterem Sinn.

Der Oberste Gerichtshof sieht daher bei der neuerlichen Prüfung des aufgezeigten Problems keinen Anlaß, von der zuletzt in den Entscheidungen MietSlg 21.055 und 22.048 vertretenen Rechtsansicht abzugeben, derzufolge der Hälfteeigentümer eines Hauses gegen denjenigen einen Räumungsanspruch besitzt, der das Haus oder Teile desselben ohne seine Zustimmung nur auf Grund eines mit dem anderen Hälfteeigentümer abgeschlossenen Mietvertrages benützt. Mit Recht wurde in diesen Entscheidungen auf die Bestimmungen des ABGB über die Gemeinschaft des Eigentums (insb § 833 ABGB) verwiesen und hervorgehoben, daß sich der Räumungsbeklagte nicht auf einen Mietvertrag berufen könne, der nur zwischen ihm und seinem Bestandgeber wirksam sei, an den über die übrigen Miteigentümer des Hauses, die dem Vertrag weder ausdrücklich noch durch schlüssige Handlungen zustimmten, nicht gebunden seien.

In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, daß das Gesetz, uzw § 367 ABGB, ausdrücklich Regeln über den redlichen Erwerb vom Nichtberechtigten aufstellt. Diese Bestimmungen beziehen sich nur auf bewegliche Sachen, weil zum Schutz der Sicherheit des Verkehrs mit Liegenschaften das Grundbuch bestimmt ist, aus dem jedermann die daran bestehenden Rechtsverhältnisse ersehen kann (Klang in Klang[2] II, 222). Das Gesetz will aus verständlichen Gründen nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen den Erwerb vom Nichtberechtigten schützen. Daraus ist gleichfalls abzuleiten, daß ein von der - in Wahrheit nicht bestehenden - Verfügungsberechtigung des Bestandgebers überzeugter Bestandnehmer dem Räumungsbegehren des am Bestandvertrag nicht beteiligten Miteigentümers nur dann mit Erfolg entgegentreten könnte, wenn er auf eine der Bestimmung des § 367 ABGB nachgebildete ausdrückliche gesetzliche Regelung verweisen könnte.

Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß nach der Regelung des § 833 ABGB bei gleichteiligem Miteigentum oder bei gleichteiligem Fruchtgenuß die ordentliche Verwaltung der Mehrheit der Teilhaber zukommt. Ein Teilhaber der nicht über die Mehrheit der Anteile verfügt, ist nicht berechtigt, Verwaltungshandlungen - und dazu gehört jedenfalls auch der Abschluß eines Mietvertrages über das gemeinschaftliche Gut oder Teile desselben - mit Wirkung nach außen zu setzen (MietSlg 17.559). Der vom Minderheits- oder Hälfteeigentümer abgeschlossene Bestandvertrag bindet den oder die übrigen Miteigentümer nicht; sie können vielmehr gegen den Bestandnehmer mit Räumungsklage vorgehen (EvBl 1970/37 = MietSlg 21.055).

Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, daß es im vorliegenden Fall entscheidend darauf ankommt, ob der Hälfteeigentümer Ferdinand S auf Grund einer mit der Klägerin ausdrücklich oder stillschweigend getroffenen Benützungsregelung berechtigt war, mit Wirkung für die Letztgenannte eine Mietvereinbarung zu treffen, wie er dies mit der beklagten Partei getan hat. Unter Benützungsregelung ist die Zuweisung der gemeinschaftlichen Sache oder körperlich begrenzter Teile dieser Sache zur ausschließlichen oder gemeinsamen, auf Dauer oder zumindest auf längere Zeit gedachten Benützung an die Teilhaber zu verstehen (Jensik, Miteigentum - Wohnungseigentum, 18); im Zweifel ist anzunehmen, daß die Miteigentümer keine so weitgehende Bindung beabsichtigten (MietSlg 15.022, 21.076, 21.078 ua).

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