OGH 1Ob320/71

OGH1Ob320/7116.2.1972

SZ 45/17

Normen

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §69
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §68
Wasserrechtsgesetz §105
ZPO §190
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §69
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §68
Wasserrechtsgesetz §105
ZPO §190

 

Spruch:

Ein absolut nichtiger, die Gerichte nicht bindender Verwaltungsakt liegt nur vor, wenn er jeglicher Gesetzesgrundlage entbehrt; an nur unvollständige, mangelhafte oder sonst fehlerhafte Verwaltungsakte sind die Gerichte hingegen gebunden

Die Aufzählung der „öffentlichen Interessen" im § 105 WRG ist nur eine beispielsweise

OGH 16. 2. 1972, 1 Ob 320/71 (OLG Wien 4 R 103/71; LG Eisenstadt 2 Cg 97/71)

Text

Die klagende Partei, der Wasserleitungsverband X, hat die beklagte Partei, die Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung), unter Inanspruchnahme "jedes denkbaren möglichen Rechtstitels", insbesondere des Titels der Geschäftsführung des Schadenersatzes und der Bereicherung auf Zahlung eines im Zuge des Verfahrens auf S

61.259.40 sA eingeschränkten Betrages in Anspruch genommen und hiezu vorgebracht, der klagenden Partei sei mit Bescheid des Amtes der Burgenländischen Landesregierung vom 20. 4. 1960, Zl VI-916/3-1960 die Errichtung des Ortsnetzausbaues für die Wasserversorgung im Abschnitt J-N-W wasserrechtlich bewilligt worden. In der Folge sei diese Wasserversorgungsanlage gebaut und auch im Wasserbuch eingetragen worden. Ende des Jahres 1965 sei die Bundesstraße im Bereiche N neu ausgebaut und im Bereiche des Bauloses N auch auf jenen Teil des angrenzenden Gründes der Urbarialgemeinde N erweitert worden, unter dem sich die Ortsnetzleitung der klagenden Partei befunden habe, während sich die Bundesstraße bis zu dieser Erweiterung nur auf öffentliches Gut erstreckt habe. Als die beklagte Partei mit den Abtragungsarbeiten begonnen hatte, habe sie die klagende Partei aufgefordert, ihre Ortsnetzleitung zu verlegen. Da durch die Abtragungsarbeiten die Leitung freigelegt worden sei und damit die Unterbrechung der Wasserversorgung gedroht habe, sei die klagende Partei dieser Aufforderung nachgekommen. Sie habe die Arbeiten durchführen lassen, wodurch ihr die klagsgegenständlichen Kosten entstanden seien, zu deren Tragung aber die beklagte Partei verpflichtet sei.

Die beklagte Partei hat die Abweisung des der Höhe nach als richtig zugestandenen eingeschränkten Klagebegehrens beantragt und eingewendet, daß die klagende Partei nach Pkt 28 des wasserrechtlichen Bewilligungsbescheides verpflichtet sei, bei einer baulichen Umgestaltung der Straßenanlage der Bundesstraße die dadurch in ihrer Anlage notwendig werdenden Abänderungen welcher Art immer auf ihre Kosten durchzuführen.

Das Erstgericht gab dem eingeschränkten Klagebegehren statt. Die Begründung seiner Entscheidung läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Der klagenden Partei ist mit Bescheid des Amtes der Burgenländischen Landesregierung vom 20. 4. 1960 die Bewilligung zur Errichtung einer Wasserversorgungsanlage in N erteilt worden. Unter den insgesamt 41 Auflagen befindet sich der P 28, dessen Aufnahme der damalige Vertreter der Landesregierung als Bundesstraßenverwaltung anregte, ohne dies näher zu begrunden. Diese Auflage lautet: "Bei baulicher Umgestaltung der Straßenanlage der Bundes- und Eisenbahnzufahrtsstraße hat der Bauwerber dadurch an seiner Anlage notwendig werdende Abänderungen, welcher Art immer, auf seine Kosten durchzuführen." Entsprechend den Vorschreibungen wurden die Rohrstränge neben der Bundesstraße, uzw noch weiter weg von der Straßenachse als die Transportleitung J-W, verlegt. Wenn man von Querungen der Bundesstraße absieht, wurde durch die Verlegung der Wasserrohre die Bundesstraße nicht berührt. Im Jahre 1950 stand jedoch schon fest, daß die Bundesstraße im Ortsbereiche N einmal verbreitert würde. Als die Urbarialgrunde neben der Bundesstraße parzelliert wurden, nahm man bereits auf diesen Umstand insofern Bedacht, als neue Fluchtlinien festgelegt wurden. Im Zeitpunkte der Wasserrechtsverhandlung im November 1959 stand die Straßenverbreiterung bereits in Projektierung, doch war diese noch nicht so weit gediehen, daß der klagenden Partei gesagt werden konnte, mit welchen Straßenänderungen sie im Hinblick auf die Lage ihrer Wasserleitungsrohre zu rechnen habe werde. Erst im Jahre 1964/65 wurde die Bundesstraße tiefergelegt und verbreitert, so daß auch die im Jahre 1960 verlegte Wasserversorgungsanlage neu errichtet werden mußte. Die für die Sanierung der Bundesstraße notwendigen Gründeinlösungen wurden im September 1964 vorgenommen und die Entschädigungsbeträge im Oktober 1964 ausbezahlt.

In rechtlicher Würdigung dieses festgestellten Sachverhaltes führte der Erstrichter aus, P 28 des erwähnten Bescheides wiederhole nur eine im § 21 des Bundesstraßengesetzes normierte Verpflichtung. Der Hinweis auf die bauliche Umgestaltung schließe eine örtliche Verlegung der Bundesstraße nicht ein. Es habe für die Wasserrechtsbehörde auch keine Veranlassung bestanden, Verschiebungen in der gesetzlichen Verteilung von Lasten zu Gunsten der Bundesstraßenverwaltung vorzunehmen, die dazu noch so unbestimmt seien, daß sie für alle in Zukunft in diesem Bereiche zu schaffenden Bundesstraßenteile gelten müßten. Der Ansicht der beklagten Partei, die Wasserrechtsbehörde könne durch Auflagen dafür Sorge tragen, daß die gesetzliche Regelung im öffentlichen Interesse zugunsten der Bundesstraßenverwaltung verbessert werde, sei entgegenzuhalten, daß die klagende Partei ebenso wichtige öffentliche Aufgaben - die Wasserversorgung - zu erfüllen habe. Es sei daher nicht einzusehen, warum der unklare P 28 als Ausnahme von gesetzlichen Regelungen ausgelegt werden sollte.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil iS einer Klagsabweisung ab. Es ließ sich von der rechtlichen Erwägung leiten, daß gemäß § 105 WRG 1959 ein Unternehmen im öffentlichen Interesse nur unter entsprechenden Bedingungen bewilligt werden könne, uzw mit dem Ziel, auch andere als die im Gesetz ausdrücklich angeführten Gefahren abzuwenden, sofern die Befolgung dieses Zweckes im öffentlichen Interesse gelegen sei. Gemäß § 21 Abs 1 Bundesstraßengesetz, BGBl 1948/59, stehe die Benutzung von Bundesstraßen, jedermann im Rahmen der verkehrspolizeilichen Vorschriften offen. Jede Benutzung der Bundesstraßen und der dazugehörigen Anlagen für einen anderen als ihren bestimmungsgemäßen Zweck bedürfe, unbeschadet der Bestimmungen des Straßenpolizeigesetzes, einer Bewilligung der Bundesstraßenverwaltung. Insoweit solche Benutzungsrechte ordnungsgemäß an einer vom Bund zu übernehmenden Straße begrundet seien, blieben sie auch nach deren Umwandlung in eine Bundesstraße aufrecht. Die Bundesstraßenverwaltung könne jedoch jederzeit, ohne Entschädigung zu leisten, eine entsprechende Abänderung der hergestellten Einrichtungen verlangen, falls dies wegen einer baulichen Umgestaltung der Straße oder aus Verkehrsrücksichten notwendig werde, es sei denn, daß dies den Bedingungen der Benützungsbewilligung widersprechen würde. Die zahlreichen im oben genannten Bescheid enthaltenen Auflagen könnten nur insoweit auf § 21 Abs 1 BStG gegrundet werden, als zur Zeit der Errichtung der Wasserleitung bereits Straßengrund unmittelbar in Anspruch genommen worden sei. Darüber hinaus habe eine Prüfung des Inhaltes des Bescheides wegen seiner Rechtskraft zu unterbleiben. P 28 stelle seinem Wortlaut nach offenbar bewußt auf zukünftige Verhältnisse und Bedürfnisse ab, nämlich auf die schon zur Zeit der Bescheiderteilung grundsätzlich geplante "bauliche Umgestaltung" der Bundesstraße. Eine einschränkende Auslegung des Begriffes "Umgestaltung" auf bauliche Maßnahmen im Bereiche der alten Trassenführung erscheine nicht angebracht. Der Umstand, daß auch die klagende Partei als eine Körperschaft öffentlichen Rechtes wichtige öffentliche Aufgaben zu erfüllen habe, vermöge an der Wirksamkeit der erteilten Auflage nichts zu ändern.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Vordergrund steht die Frage der Bindungswirkung des unbestritten in Rechtskraft erwachsenen Bescheides des Amtes der Burgenländischen Landesregierung als Wasserrechtsbehörde vom 20. 4. 1960. Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, daß die Bindung des Gerichtes an einen rechtskräftigen Verwaltungsbescheid auch dann besteht, wenn es der Meinung sein sollte, daß er durch das Gesetz nicht gedeckt sei, denn die Bindung bestehe eben darin, daß eine Überprüfung nicht stattfinden könne (EvBl 1959/291). Auch die Entscheidung JBl 1959, 285 vertritt die Auffassung, daß die Gerichte an die von einer Verwaltungsbehörde erlassenen rechtskräftigen Bescheide gebunden sind und die darin getroffenen Regelungen nicht selbständig an Hand der gesetzlichen Bestimmungen prüfen können. Insbesondere ist es ihnen verwehrt, den Bescheidinhalt auf Grund der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu korrigieren.

Die Frage, ob und wann ein absolut nichtiger Verwaltungsakt vorliegt, ist in Lehre und Rechtsprechung umstritten. Die Verwaltungslehre bejaht überwiegend die Möglichkeit, absolut nichtiger Verwaltungsakte in abstracto (vgl Winkler, Die absolute Nichtigkeit von Verwaltungsakten (1959) 15; Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht 212), lehnt aber anderseits zufolge der allgemeinen Rechtslage im österreichischen Verwaltungsverfahren für den österreichischen Rechtsbereich solche absolut nichtige Verwaltungsakte ab. Desgleichen verneint die Rechtsprechung der beiden Höchstgerichte des öffentlichen Rechtes für den österreichischen Rechtsbereich im Hinblick auf die Regelung der §§ 68, 69 AVG die Annahme absolut nichtiger Verwaltungsakte (VfGH Slg 1733; 16.042 A; NF 1239 A ua, ebenso Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren[7], 285 f; Adamovich, Handbuch des österr Verwaltungsrechtes[5] I, 123 f; Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I, 437). Fasching II, 910 f bejaht die absolute Nichtigkeit von Verwaltungsakten im Falle einer Verletzung der Grenzen des Verwaltungsweges, also dann, wenn die Verwaltungsbehörde in die ihr durch die Kompetenzordnung verwehrten Bereiche eingegriffen habe (vgl Moser, gibt es absolut nichtige Verwaltungsakte? ÖJZ 1951, 295 ff). Verwaltungsakte, für deren Setzung die Verwaltungsbehörde wohl abstrakt kompetent gewesen sei, die sie aber mangels materiellrechtlicher Grundlage nicht hätte setzen dürfen, könnten jedoch nicht als absolut nichtig angesprochen werden. Auch der Oberste Gerichtshof hat in wiederholten Entscheidungen die Existenz absolut nichtiger Verwaltungsakte innerhalb der österreichischen Rechtsordnung angenommen und eine Bindung an solche Verwaltungsakte abgelehnt (MietSlg 5423; JBl 1947, 111). Von vollkommen wirkungslosen, die Gerichte nicht bindenden Verwaltungsakten könne jedoch nur dann gesprochen werden, wenn der betreffende Verwaltungsakt jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehre, ein Tatbestand einem hiefür "nie und nimmer" anwendbarem Gesetz unterstellt worden sei, also nur eine Scheinberufung auf eine gesetzliche Grundlage vorliege (2 Ob 475/55). Eine unrichtige Gesetzesanwendung ließe noch keineswegs auf das Vorliegen eines absolut nichtigen Verwaltungsaktes schließen, auch an unvollständige, mangelhafte oder fehlerhafte Verwaltungsakte seien die Gerichte gebunden (1 Ob 766/47; 5 Ob 144/65; SZ 23/176 und andere, zuletzt etwa 1 Ob 17/71).

Werden diese Rechtsgrundsätze beachtet, dann gewinnt im vorliegenden Falle der Umstand besondere Bedeutung, daß die Wasserrechtsbehörde nach der Bestimmung des § 12 Abs 1 WRG 1959 das Maß und die Art der zu bewilligenden Wasserbenützung derart zu bestimmen hat, daß die öffentlichen Interessen (§ 105 WRG 1959) nicht beeinträchtigt und bestehende Rechte nicht verletzt werden. Die Eingangsworte des § 105 WRG 1959 lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Aufzählung der "öffentlichen Interessen" keine erschöpfende, sondern nur eine beispielsweise ist (hiezu Krzizek, Komm z WRG 428f; Hartig - Grabmayer, Das österr Wasserrecht 330, Anm 3). Die Beeinträchtigung öffentlicher Interessen führt jedoch dann nicht zu einer Versagung der angestrebten Bewilligung, wenn diese Beeinträchtigung durch eine Änderung des Projektes oder die Vorschreibung entsprechender Auflagen beseitigt werden kann (s auch hiezu Krzizek aaO 428).

Daraus folgt, daß die Wasserrechtsbehörde grundsätzlich bei der Bewilligung einer Wasserversorgungsanlage bestimmte, im öffentlichen Interesse gelegene Auflagen erteilen kann. Auch im konkreten Fall ist dies geschehen, wobei die Verwaltungsbehörde der klagenden Partei die Bewilligung zur Errichtung der Wasserversorgungsanlage ua nur unter der Auflage erteilte, daß bei baulicher Umgestaltung der Straßenanlage - die im Zeitpunkte der Bescheiderteilung bereits vorgesehen war - der Bauwerber, also die klagende Partei, die dadurch an seiner Anlage notwendig werdenden Änderungen, welcher Art immer, auf seine Kosten durchzuführen hat. Die klagende Partei trat dieser Auflage nicht entgegen und unterließ es, den sie allenfalls zu einer Sachleistung verpflichtenden Bescheid der Verwaltungsbehörde zu bekämpfen. Nach obigen Ausführungen kann es dahingestellt bleiben, ob die Verwaltungsbehörde durch diese Auflage für die Bundesstraßenverwaltung eine günstigere zivilrechtliche Situation geschaffen hat, als sie das Bundesstraßengesetz in seinem § 21 vorsieht. Die Verfahrensvorschriften eröffnen den Gerichten - wie aufgezeigt - keine Möglichkeit, eine hiedurch allenfalls eingetretene Rechtsverletzung wahrzunehmen. Das Berufungsgericht hat vielmehr zutreffend die Frage der Bindungswirkung des Bescheides vom 20. 4. 1960 bejaht.

Es kann schließlich auch der Meinung nicht gefolgt werden, daß durch die gegenständliche Auflage nur solche Kosten erfaßt seien, die sich durch eine Umgestaltung der Bundesstraße innerhalb der bestehenden Straßenanlage ergeben. Unter einer "baulichen Umgestaltung" einer Straßenanlage ist nicht nur eine solche innerhalb der bisherigen Trassenführung zu verstehen, sondern fällt darunter auch deren Verbreiterung, Begradigung, die Herstellung von Umfahrungs- und Zubringerstraßen usw (s auch hiezu Krzizek, das Wegerecht 126 f).

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