OGH 4Ob361/71

OGH4Ob361/7116.11.1971

SZ 44/175

Normen

UrhG §17 Abs2
UrhG §18 Abs3
UrhG §17 Abs2
UrhG §18 Abs3

 

Spruch:

Werden Rundfunksendungen durch die zentrale Vermittlungsanlage eines Großhotels zu Lautsprechern an verschiedenen Nebenstellen in den einzelnen Hotelzimmern weitergeleitet, dann findet der eigentliche Empfang der Sendungen erst im Hotelzimmer statt. Die Aufführung iS des § 18 Abs 3 UrhG ist in diesem Fall nicht öffentlich, weil sie in der privaten Sphäre des Hotelgastes stattfindet

OGH 16. 11. 1971, 4 Ob 361/71 (OLG Wien 2 R 118/71; LGZ Wien 24 Cg 59/71)

Text

Die klagende AKM behauptet, sie sei nach dem VerwGesG BGBl 1936/112 ausschließlich zur Verwertung der Rechte zur Sendung und öffentlichen Aufführung von Werken der Tonkunst befugt, zu deren Sendung und öffentlichen Aufführung es auf Grund der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen der Einwilligung des Berechtigten bedürfe. Die Beklagte betreibe unter anderem das Hotel "A" mit 499 Hotelzimmern und 822 Gästebetten. Sie habe in ihrer Zentrale vier Rundfunkempfangsgeräte in Betrieb, mit welchen sie vier verschiedene Rundfunkprogramme empfange. In jedem Hotelzimmer sei ein Lautsprecher aufgestellt, der durch Drahtleitungen mit den vier Rundfunkempfangsgeräten in der Zentrale verbunden sei. Jeder Gast habe die Möglichkeit, in seinem Zimmer durch Betätigung eines Wählschalters eine der vier Rundfunksendungen in seinem Zimmer im Lautsprecher zu hören. Es werde von der Beklagten in ihrem gewerblichen Hotelbetrieb daher auch Musik dargeboten, die dem ausschließlichen Werkbestand der Klägerin angehöre. Durch diese Übermittlung von Rundfunksendungen in die einzelnen Hotelzimmer werde der urheberrechtliche Tatbestand der "öffentlichen Aufführung" verwirklicht und darüber hinaus eine unzulässige "Zweitverwertung" der von der Klägerin dem ORF erteilten Sendebewilligungen vorgenommen. Die Klägerin begehrt ein angemessenes Entgelt im Sinn des § 86 Abs 1 UrhG in der Höhe von S 80.015.04 sA und eine "Vergütung für entgangenes Sendeentgelt" wegen unerlaubter Zweitverwertung in der Höhe von S 17.080.77 sA.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung dieser Begehren, weil die zentrale Rundfunkvermittlungsanlage bei dem angeführten Sachverhalt keine öffentliche Aufführung, sondern nur einen privaten Empfang der Rundfunksendungen durch die einzelnen Hotelgäste ermögliche.

Das Erstgericht gab dem Begehren nach Zahlung einer angemessenen Vergütung gemäß § 86 Abs 1 UrhG statt, weil die Weiterleitung der Rundfunksendungen durch die zentrale Vermittlungsanlage der Beklagten in die einzelnen Hotelzimmer eine öffentliche Aufführung dieser Sendungen sei, da die räumliche Abgeschlossenheit der einzelnen Hotelgäste durch das technische Mittel der Rundfunkvermittlungsanlage überbrückt werde. Es wies aber das Begehren nach einem "Sendeentgelt" ab, weil die Übermittlung von Rundfunksendungen durch eine Vermittlungsanlage gemäß § 17 Abs 2 letzter Satz UrhG nicht als neue Rundfunksendung gelte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies auch das Begehren der Klägerin nach Zahlung einer Vergütung gemäß § 86 Abs 1 UrhG ab. Es vertrat die Auffassung, daß die Vermittlung der Rundfunksendungen von den zentralen Empfangsgeräten zu den einzelnen Lautsprechern in den Hotelzimmern keine "öffentliche Aufführung" im Sinne des § 18 Abs 3 UrhG sei. Das Hotelzimmer gehöre nämlich während der Miete durch den Gast zu dessen privater Sphäre. Der Gast bestimme darüber, ob er die Sendung anhören wolle, weil er den Lautsprecher durch Drucktasten ein- und ausschalten könne. Der Hotelgast sei somit in seinem Zimmer in keiner anderen Lage wie jeder andere Rundfunkhörer, der in seiner Privatwohnung ein Empfangsgerät habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision vertritt die Auffassung, daß die beklagte Partei durch den Betrieb der zentralen Rundfunkvermittlungsanlage die Rundfunksendungen in den Hotelzimmern öffentlich aufführe. An den von der Beklagten veranstalteten Musikdarbietungen nehme eine erhebliche Zahl von Personen teil, die weder untereinander noch jeweils zur Beklagten in so engen Beziehungen stunden, daß sie durch ein reelles intimes Band verbunden seien. Die Darbietungen in den Zimmern seien von der Beklagten durch die zentrale Vermittlungsanlage organisiert und technisch ermöglicht, sodaß die Beklagte auch die Auswahl der gesendeten Programme treffe. Auch bei anderen Musikdarbietungen im Rahmen von gewerblichen Betrieben stehe es dem einzelnen Gast vielfach frei, zu bestimmen, ob er Musikstücke wünsche oder nicht (zB bei den üblichen Heurigensängergruppen oder bei einem vom Gastwirt bereitgestellten Musikautomaten). Es komme nicht darauf an, ob die Musikdarbietung in der Öffentlichkeit stattfinde, sondern ob sie von der Beklagten einem fluktuierenden Kreis der Gäste ihres gewerblichen Unternehmens hörbar gemacht werde.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

Nach § 18 (Abs 1 und 3) UrhG hat der Urheber ua das ausschließliche Recht, ein Werk der Tonkunst öffentlich aufzuführen; zu den öffentlichen Aufführungen gehört auch die Benützung einer Rundfunksendung zu einer öffentlichen Wiedergabe des Werkes durch Lautsprecher sowie die auf eine solche Art bewirkte Wiedergabe einer Aufführung außerhalb des Ortes, wo sie stattfindet. Der private Empfang einer Sendung ist demnach kein urheberrechtlicher Verwertungstatbestand; wohl aber ist es die öffentliche Wiedergabe der empfangenen Sendung. Sie wird nicht als Teil der Sendung, sondern als öffentlicher Vortrag gewertet (Peter, Urheberrechtsgesetz 71; Mitteis, Grundriß des österr Urheberrechtes 69). Ein Sprachwerk oder ein Werk der Tonkunst vortragen (es aufführen) heißt, es für das Ohr wahrnehmbar machen (Peter, Urheberrecht 513; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht[2], 198 f, 207; Rintelen, Urhebervertragsrecht 122; ÖBl 1969, 71). Danach führt bei einer Rundfunksendung deren Empfang zum Vortrag oder einer Aufführung des gesendeten Sprachwerkes oder Werks der Tonkunst. Für die urheberrechtliche Beurteilung ist daher wesentlich, ob der Empfang im privaten Bereich oder öffentlich erfolgt.

Für die Lösung der im vorliegenden Fall maßgeblichen Frage, welche Bedeutung einer zentralen Rundfunkvermittlungsanlage mit Verbindungen zu Lautsprechern an ihren Nebenstellen dafür zukommt, wo und von wem der "Empfang" der Rundfunksendung vorgenommen wird, ob ihn nämlich schon derjenige vornimmt, der die Vermittlungsanlage betreibt, oder erst derjenige, der über den Betrieb des Lautsprechers entscheidet, gibt für den österreichischen Rechtsbereich § 17 Abs 2 letzter Satz UrhG und die Begründung dieser Bestimmung einen entscheidenden Aufschluß. Danach gilt nämlich die Übermittlung von Rundfunksendungen durch eine Rundfunkvermittlungsanlage nicht als neue Sendung. Diese Bestimmung wird in den EB (abgedruckt bei Peter, Urheberrecht 513) wie folgt begrundet: "Der Schlußsatz des § 17 trifft eine besondere Vorschrift für Rundfunkvermittlungsanlagen oder, wie sie auch genannt werden, Radiovermittlungszentralen. Das sind Rundfunkempfangsanlagen, die durch Leitungen mit Nebenstellen zu dem Zweck verbunden sind, an diesen Nebenstellen die von der Empfangsanlage aufgenommenen Rundfunksendungen wahrnehmbar zu machen. Diese Einrichtung soll die Benützer der angeschlossenen Nebenstellen der mit der Bedienung einer drahtlosen Empfangsanlage verbundenen Mühe entheben und ihnen einen gleichmäßig guten Empfang der Rundfunksendungen sichern. Dieser Zweck - die Erleichterung des Empfanges von Rundfunksendungen - rechtfertigt es, die Rundfunkvermittlungsanlage nur als Mittel zum Empfang von Rundfunksendungen auf den angeschlossenen Nebenstellen zu behandeln und in der Übermittlung der funkmäßig gesendeten Werke von der Vermittlungsanlage an die Nebenstellen keine neue Sendung und auch sonst keinen neuen urheberrechtlich in Betracht kommenden Verwertungsakt zu erblicken." Damit ist nicht nur klargestellt, daß die Rundfunkvermittlungsanlage urheberrechtlich nicht als Sende-, sondern als Empfangsgerät gilt (Peter, Urheberrecht 68 Anm 11; Mitteis aaO; Rintelen aaO 126), sondern auch, daß diese Anlage nur als technische Erleichterung des Empfanges an den angeschlossenen Nebenstellen (vgl Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht[2], 208) zu werten ist. Nach der in den EB vertretenen Auffassung wird die Rundfunksendung somit nicht schon durch den Betrieb der Vermittlungsanlage, sondern erst durch den Betrieb der Nebenstelle "empfangen". Der Empfang bei der Nebenstelle soll urheberrechtlich dem Empfang durch Benützung eines der handelsüblichen Rundfunkgeräte ohne Dazwischenschaltung einer zentralen Vermittlungsanlage gleichgestellt sein. Die Benützung der Vermittlungsanlage soll nämlich keinerlei neuen urheberrechtlich in Betracht kommenden Verwertungsakt darstellen.

Diese Auffassung wurde auch vom dBGH in seiner Entscheidung vom 28. 11. 1971 vertreten, worin ua betont wurde, die Aufführung der Rundfunksendung sei das Hörbarmachen durch einen der zahlreichen Lautsprecher in den einzelnen Hotelzimmern, während die Rundfunkvermittlungsanlage nicht der bestimmungsgemäßen Auswertung der Rundfunksendung durch unmittelbaren lautlichen Genuß, sondern nur deren Weiterleitung an die Abhörstellen diene (BGHZ 36, 171 ff, insbesondere 175 - 179, 186). Die dagegen von Hirsch Ballin in der Besprechung dieser Entscheidung (bei Schulze BGHZ 91 Anm 7 - 9, 11, 12) vorgebrachten Bedenken, daß die Hotelleitung, die dem Gast durch die Verbindung der Lautsprecher in den einzelnen Zimmern mit der Vermittlungsanlage das an ihn herangeführte Sendegut - so wie etwa die durch eine Zentralheizungsanlage zu den einzelnen Heizkörpern geleitete Wärme - zugänglich mache, den Empfang der Sendung veranstalte und es nicht darauf ankomme, ob der Gast von der Möglichkeit, die Sendung zu hören, tatsächlich Gebrauch mache, können jedenfalls für den österreichischen Rechtsbereich wegen des angeführten Inhaltes und der aus der amtlichen Begründung zu erschließenden Tragweite der Bestimmung des § 17 Abs 2 letzter Satz UrhG ebensowenig geteilt werden wie die Auffassung von Gamms (Urheberrechtsgesetz § 15 RZ 17), wonach die Rundfunkvermittlungsanlage eine urheberrechtlich bedeutsame "Zweitwiedergabe" der Sendung an eine unbegrenzte Mehrheit von Personen bewirke. Für den österreichischen Rechtsbereich ist vielmehr davon auszugehen, daß die Vermittlungsanlage ein Teil der Anlage ist, die - technisch - den Empfang ermöglicht, dieser im eigentlichen Sinne aber erst an den Nebenstellen erfolgt. Diese "besondere Vorschrift für Rundfunkvermittlungsanlagen" stellt somit nach Inhalt der EB zu § 17 Abs 2 letzter Satz UrhG klar, daß der Empfang der Rundfunksendung in diesem Falle im Hotelzimmer stattfindet und der Mieter dieses Zimmers demnach der "Veranstalter" des Empfanges ist.

Damit liegt aber eine öffentliche Wiedergabe der empfangenen Sendung nicht vor.

Für den Tatbestand der Öffentlichkeit ist nämlich wesentlich, daß die Aufführung nicht von vornherein auf einen in sich geschlossenen und nach außen abgegrenzten Teilnehmerkreis abgestellt, also allgemein zugänglich ist, oder der bestimmte oder doch bestimmbare Personenkreis nicht durch solche Beziehungen verbunden ist, die seine Zusammenkunft als solche der Privatsphäre erscheinen lassen. Allerdings ist nicht erforderlich, daß die Öffentlichkeit tatsächlich von der Aufführung Kenntnis nimmt; es genügt vielmehr, wenn sie dazu die Möglichkeit hat (Haindl in ÖBl 1964, 22 und das dort angeführte Schrifttum; ferner Dittrich in ÖJZ 1971, 228 f, 230; SZ 26/61; ÖBl 1967, 44; ÖBl 1969, 71; ÖBl 1971, 54). Diese Voraussetzung fehlt aber beim Hören einer Rundfunksendung durch den Hotelgast, der den Lautsprecher einer Nebenstelle der zentralen Rundfunkvermittlungsanlage einschaltet. Er ist dabei ebenso in seiner privaten Sphäre wie beim Hören der Sendung in seiner Wohnung. Er entscheidet nämlich allein darüber, ob die Sendung hörbar gemacht wird und wer sie hören soll. Andere Personen als jene, die nach dem Willen des Mieters des Hotelzimmers die Sendung wahrnehmen sollen, haben bei einem normalen Verhalten keine Möglichkeit dazu. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall auch wesentlich vom Bestellen der Wiedergabe eines Musikstückes durch eine Musikergruppe etwa beim Heurigen, vom Einschalten eines Musikautomaten in einem Gastlokal oder auch von der Übertragung von Musik durch eine Lautsprecheranlage in Gastlokale, Gastgärten uä. In allen diesen Fällen hat nicht nur derjenige, der die Wiedergabe des Musikstückes veranlaßt, die Möglichkeit, es zu hören, sondern jeder, der in den frei zugänglichen Raum, in dem es hörbar wird, kommt oder schon dort ist. Der Besteller des Musikstückes hat im Gegensatz zum Mieter des Hotelzimmers, in dem sich ein Lautsprecher, der mit der zentralen Vermittlungsanlage verbunden ist, befindet, auf die Abgrenzung des Personenkreises, der das Musikstück hören kann, keinen Einfluß. Hingegen ist der Gast im Hotelzimmer, der den Lautsprecher der Nebenstelle der zentralen Vermittlungsanlage einschalten kann, in der gleichen Lage, in der er sich bei Benützung eines handelsüblichen Rundfunkempfangsgerätes befindet. Die Vermittlungsanlage in Verbindung mit den Lautsprechern bei den Nebenstellen bedeutet, wie bereits betont, nur eine technische Erleichterung des Empfanges, nicht aber eine urheberrechtlich erhebliche Verschiedenheit gegenüber dem Empfang durch ein handelsübliches Rundfunkempfangsgerät. Es sind daher als Teilnehmer am Empfang der Rundfunksendung an der Nebenstelle der zentralen Vermittlungsanlage die dort anwesenden Personen und nicht alle möglichen Benützer der Vermittlungsanlage anzusehen.

Daraus folgt, daß die Benützung der einzelnen Nebenstellen der Vermittlungsanlage noch nicht einen öffentlichen Vortrag der empfangenen Sendung bewirkt und es daher an einer Grundlage für die begehrte Entschädigung nach § 86 Abs 1 UrhG fehlt. Das Klagebegehren wurde daher mit Recht abgewiesen.

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