OGH 2Ob320/70 (2Ob427/70, 2Ob319/70)

OGH2Ob320/70 (2Ob427/70, 2Ob319/70)26.11.1970

SZ 43/218

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
ZPO §391
ZPO §393 Abs1
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
ZPO §391
ZPO §393 Abs1

 

Spruch:

Regreß des Sozialversicherungsträgers gegen einen zweiten Schädiger (neben dem Sozialversicherten) wegen des Schadens eines Mitversicherten nur unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Sozialversicherten

OGH 26. November 1970, 2 Ob 319, 320, 427/70 (OLG Linz 3 R 77/70; LGZ Linz 28 Cg 101/68)

Text

Am 28. Mai 1966 kam es auf der Bundesstraße Nr 1 zwischen den Ortschaften N und M dadurch zu einem Verkehrsunfall, daß der Kläger mit seinem PKW den vom Beklagten gelenkten und gehaltenen PKW, sowie einen vor diesem fahrenden Wagen überholen wollte, dabei von der Fahrbahn abgedrängt wurde und in der Folge an einen Alleebaum anfuhr. Dadurch trat am PKW des Klägers Totalschaden ein und es wurden der Erstkläger sowie seine mitfahrende Tochter Heike (geb 1953) schwer verletzt. Wegen dieses Unfalls wurde der Beklagte vom Strafgericht nach § 335 StG schuldig gesprochen, weil er durch unvorsichtiges Überholen den PKW des Erstklägers von der Fahrbahn abgedrängt habe. Der Erstkläger wurde freigesprochen.

Mit den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen begehrt der Erstkläger vom Beklagten den Ersatz des ihm zugefügten Schadens im Betrage von 321.457.02 S sowie die Feststellung der Schadenersatzpflicht des Beklagten.

Die Zweitklägerin begehrte nach § 108 GSKVG vom Beklagten den Ersatz der Kosten der Heilbehandlung für den Kläger im Betrage von 24.798.64 S und für seine Tochter Heike im Betrage von 33.375.84 S zusammen also 58.174.48 S. Auf diese Forderung seien 29.903.34 S bezahlt worden, sodaß noch ein Restbetrag von 28.271.14 S aushafte. Außerdem begehrte auch die Zweitklägerin die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftigen Aufwandersatz.

Der Beklagte wendete ein Mitverschulden des Erstklägers von 50% ein und beantragte die Abweisung des Begehrens des Erstklägers. Hinsichtlich der Zweitklägerin wendete der Beklagte ein, daß es sich um abgeleitete Ansprüche handle, denen sämtliche Einwendungen entgegengehalten werden könnten, die vom Beklagten gegen den Anspruchsberechtigten selbst erhoben werden könnten. Die Zweitklägerin müsse sich daher sowohl hinsichtlich der für den Erstkläger als auch hinsichtlich der für seine Tochter erbrachten Leistungen das gleichteilige Mitverschulden des Erstklägers entgegenhalten lassen. Der Sozialversicherungsträger könne nur nach Maßgabe der Ansprüche seines Hauptversicherten Regreß nehmen, also in der Höhe der Hälfte des eingeklagten Betrages. Das darüber hinausgehende Begehren sei abzuweisen. Ebenso bestehe das Feststellungsbegehren (falls überhaupt ein Feststellungsinteresse gegeben sein sollte) nur mit 50% zu Recht.

Das Erstgericht erkannte mit Teil- und Zwischenurteil den Beklagten schuldig, dem Erstkläger 48.608 S s A und der Zweitklägerin 16.274.82 S s A zu bezahlen. Das Mehrbegehren des Erstklägers nach weiteren 20.832 S s A wies es ab. Das Erstgericht stellte außerdem fest, daß die Forderung des Erstklägers auf Bezahlung eines Schmerzengeldes mit 70% zu Recht bestehe und daß die Rückersatzforderung der Zweitklägerin für die zu Gunsten des Erstklägers erbrachten Leistungen nach Maßgabe eines Deckungsfonds auf der Basis eines 30%igen Mitverschuldens und unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Teilzahlung zu Recht bestehe.

Das Erstgericht hielt nämlich eine Schadensteilung 7:3 zu Gunsten des Klägers für angemessen und meinte, daher gebühre dem Erstkläger der Ersatz von 70% seines Schadens, der derzeit in Höhe von 69.440 S feststehe, das seien 48.608 S. Gewiß sei ferner, daß dem Erstkläger ein Schmerzengeld zustehe. Bezüglich der übrigen Ansprüche des Erstklägers sei ein Zwischenurteil noch nicht möglich. Ob der Kläger ein Feststellungsinteresse habe, könne erst nach Vernehmung eines ärztlichen Sachverständigen gesagt werden. Für die Heilungskosten der Heike V hafte der Beklagte zur ungeteilten Hand mit dem Erstkläger; diesem Anspruch könne nicht die primäre Unterhaltspflicht des Vaters entgegengehalten werden. Daß die Rechtsstellung der Heike V als Mitversicherte im Innenverhältnis zur Zweitklägerin von dem Versicherungsverhältnis ihres Vaters abgeleitet sei, habe mit der Ersatzpflicht des Beklagten ebenso wenig zu tun, wie dessen allfälliger Regreßanspruch gegen den Erstkläger. Über das Feststellungsbegehren der Zweitklägerin könne noch nicht entschieden werden.

Das Berufungsgericht entschied, daß der Beklagte dem Erstkläger 34.720 S s A und der Zweitklägerin 16.274.82 S s A zu bezahlen habe. Es sprach weiter aus, daß dem Gründe nach der Anspruch des Erstklägers auf Bezahlung eines Schmerzengeldes mit 50% und die Rückersatzforderung der Zweitklägerin für die zu Gunsten des Erstklägers erbrachten Leistungen nach Maßgabe des auf der Grundlage eines 50%igen Mitverschuldens zu errechnenden Deckungsfonds und unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlung zu Recht bestehe. Im übrigen hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf, d h hinsichtlich des Erstklägers im Zuspruch von weiteren 13.888 S s A, in der Abweisung von 20.832 S s A und im Ausspruch, daß der Anspruch auf Schmerzengeld dem Gründe nach mit weiteren 20% zu Recht bestehe, ebenso hinsichtlich der Zweitklägerin im Ausspruch, daß deren Rückersatzforderung nach Maßgabe eines Deckungsfonds, der auf der Basis eines 30%igen Eigenverschuldens zu bilden sei und unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Teilzahlung zu Recht bestehe. Im Umfang dieser Aufhebung wurde die Rechtssache ohne Rechtskraftvorbehalt zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß der Erstrichter ein Zeit-Weg-Diagramm nicht selbst hätte erstellen dürfen, sondern einen Sachverständigen hätte heranziehen müssen. Dieser wesentliche Verfahrensmangel müsse zur Aufhebung jener Teile des Ersturteiles führen, auf die sich das eingewendete 50%ige Mitverschulden des Erstklägers auswirken könne. Im Zuspruch von 34.720 S s A an den Kläger sei das Ersturteil unangefochten geblieben und habe daher aufrecht bleiben müssen.

Der Zuspruch an die Zweitklägerin sei zu bestätigen, weil Heike V von jedem Schädiger vollen Schadenersatz verlangen könne; dasselbe gelte infolge des Rechtsüberganges auch für die Zweitklägerin. Auf ein Mitverschulden des Erstklägers komme es dabei nicht an.

Die Aussprüche über den Grund der Ansprüche hätten nur im Umfang der Anfechtung aufgehoben werden können. Im fortgesetzten Verfahren werde über die offenen 50% abzusprechen sein, weil das Erstgericht es unterlassen habe, auszusprechen, daß die Ansprüche im Ausmaß von 30% (Differenz von 70 auf 100%) nicht zu Recht bestunden.

Der Oberste Gerichtshof verwarf die Revisionen des Erstklägers und der Beklagten, soweit sie Nichtigkeit geltend machten.

Im übrigen wurde beiden Revisionen Folge gegeben; das Berufungsurteil und im gleichen Umfange das Ersturteil wurden hinsichtlich des Zuspruches von 16.274.82 S s A an die Zweitklägerin, sowie hinsichtlich der Entscheidung über die Ansprüche beider Kläger dem Gründe nach aufgehoben.

Die Rechtssache wurde in diesem Umfang zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Beide Revisionen sind nicht im Recht, wenn sie die Entscheidung des Berufungsgerichtes für nichtig ansehen. Sie ist weder unverständlich noch mit sich selbst im Widerspruch. Den Revisionswerbern ist aber zuzugeben, daß das Berufungsgericht in einer Weise über den Grund des Anspruches entschieden hat, die in der Zivilprozeßordnung nicht vorgesehen ist. Ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches kann nämlich nur dann gefällt werden, wenn die Sache in Ansehung des Gründes zur Entscheidung reif ist (§ 393 Abs 1 ZPO), d h daß die Frage des Anspruchsgrundes endgültig lösbar sein muß. Wurde ein Mitverschulden eingewendet, so kann mit Zwischenurteil nur dann vorgegangen werden, wenn zugleich über das Verschulden des Klägers und über die Aufteilung des Schadens entschieden wird (SZ 21/70). Es verbietet sich daher eine Teilentscheidung über den Grund des Anspruches. Wenn ein Zwischenurteil der ersten Instanz nicht im vollen Umfang angefochten wird, dann erwächst allerdings der unangefochtene Teil in Rechtskraft, doch hat dies nur die Bedeutung, daß im fortgesetzten Verfahren über die solcherart festgelegte Haftungsquote nicht hinausgegangen werden darf, wie immer später die Sachverhaltsfeststellung ausfallen mag (2 Ob 176/55, Fasching III 598). Es ist aber eine Entscheidung, daß der Anspruch vorläufig jedenfalls dem Gründe nach zu einem Teil zu Recht bestehe, mit der durch ein Zwischenurteil herbeizuführenden endgültigen Klärung der Rechtsgrundlage (hier: der Haftungsfrage), nicht zu vereinbaren. Es war deshalb der den Grund der Ansprüche betreffende Teil des Berufungsurteils und im gleichen Umfang auch das Ersturteil aufzuheben und dem Erstgericht neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Eine unrichtige rechtliche Beurteilung sieht der Beklagte darin, daß die Untergerichte es abgelehnt haben, ein Mitverschulden des Erstbeklagten beim Anspruch der Zweitklägerin zu berücksichtigen, soweit es sich um Aufwandersatz für die mj Heike V handelt. Die Zweitklägerin müsse sich das 50%ige Mitverschulden des Erstklägers anrechnen lassen.

Dieser Einwand ist berechtigt. Die mj Heike V hat als Mitversicherte ihres Vaters, des Erstklägers, Sozialversicherungsleistungen erhalten. Wäre sie nicht sozialversichert gewesen, so hätten ihr nach § 1302 ABGB bzw § 8 EKHG der Erstkläger und der Beklagte solidarisch gehaftet und es wäre den beiden Schädigern nach § 1302, letzter Halbsatz, ABGB bzw § 11 Abs 1 Satz 1 EKHG überlassen gewesen, sich untereinander auszugleichen. Dadurch, daß die Schadenersatzansprüche der mj Heike V insoweit, als sie Sozialversicherungsleistungen erhielt, auf die Zweitklägerin übergegangen sind, konnte sich die Rechtsstellung des Beklagten nicht verschlechtern; dies würde dem Grundgedanken jeder Zession als eines bloßen Gläubigerwechsels zuwiderlaufen. Ein Ausgleichsanspruch des Beklagten gegen den Erstkläger kann aber nicht zum Tragen kommen, weil auf diese Weise der Zweck der Sozialversicherung zunichte gemacht würde, der darin besteht, daß der Sozialversicherte und seine Familie finanziell abgesichert werden soll. Das Ergebnis wäre ansonsten, daß der Erstkläger den Schutz der Sozialversicherung teilweise verlöre, obwohl er ihn durch seine Beitragsleistungen erworben hat. Ebensowenig wie der Sozialversicherungsträger daher gegen den Erstkläger vorgehen könnte (2 Ob 144/70), kann er also unter Außerachtlassung des Ausgleichsanspruches des Beklagten gegen diesen vorgehen, weil so der Erstkläger erst recht wieder dem Ausgleichsanspruch des Beklagten ausgesetzt würde, also der Effekt der Sozialversicherung verloren ginge (im gleichen Sinne Geigel, Haftpflichtprozeß[14] 30, 60; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[10] Anm 1467).

Da sonach vor der endgültigen Klärung der Verschuldensfrage auch über das Begehren der Zweitklägerin nicht entschieden werden kann, waren die Urteile der Untergerichte auch in diesem Punkte aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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