OGH 4Ob593/70

OGH4Ob593/7010.11.1970

SZ 43/196

Normen

EheG §74
Fürsorgepflichtverordnung §21a
EheG §74
Fürsorgepflichtverordnung §21a

 

Spruch:

Der Unterhaltspflichtige trägt die Beweislast für das Verschulden des unterhaltsberechtigten Ehegatten an dem diesem als Verwirkungstatbestand nach § 74 EheG angelasteten Verhalten. Wenn er sich von seiner Verpflichtung befreien will, hat er die Voraussetzungen für die Verwirkung - die nicht von selbst eintritt, sondern klags- oder einredeweise geltend zu machen ist - zu beweisen

OGH 10. November 1970, 4 Ob 593/70 (LGZ Wien 43 R 307/70; BG Floridsdorf 4 C 502/69)

Text

Isabella E befindet sich seit 14. August 1960 in Pflege des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 25. Oktober 1961 wurde sie wegen Geisteskrankheit voll entmundigt.

Die Klägerin nimmt den Beklagten, den geschiedenen Mann der Isabella E, nach § 21a der Fürsorgepflichtverordnung in Anspruch und begehrt, ihn für die Zeit vom 1. Jänner 1965 bis 30. November 1966 zur Leistung eines monatlichen Pflegebeitrags von 190 S zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt, das Begehren abzuweisen und bestreitet den Anspruch dem Gründe und der Höhe nach. Ein Unterhaltsanspruch seiner geschiedenen Gattin bestehe nicht, weil diese einerseits nach der Scheidung auf jede Unterhaltsleistung verzichtet habe, anderseits aber seit dem Jahre 1952 einen unsittlichen Lebenswandel geführt habe, sodaß der allenfalls bis dahin bestandene Unterhaltsanspruch gemäß § 74 EheG verwirkt sei.

Unbestritten ist, daß die Ehe zwischen Isabella E und dem Beklagten mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 3. März 1947 aus dem Alleinverschulden des Ehemannes geschieden und dieser zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 40 S verurteilt wurde.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin neben dem im genannten Urteil auferlegten monatlichen Betrag von 40 S für die Pflege seiner geschiedenen Ehefrau einen Pflegebetrag von monatlich 190 S zu bezahlen, u zw für die Monate Jänner bis März 1965, Juni bis September 1965, November 1965 bis April 1966, Juni bis September 1966 und für November 1966. Das Mehrbegehren wies es ab. Es stellte fest, Isabella E habe in den Jahren 1951 bis 1952 zu trinken begonnen. Sie habe sich insbesondere nach dem Jahr 1955 im Gasthaus betrunken und sich in diesem Zustand anderen Männern geschlechtlich hingegeben, wobei sie diese dazu durch Aufheben ihrer Kleider animiert und so in aller Öffentlichkeit den Geschlechtsverkehr ausgeübt habe.

Am 19. September 1959 sei Isabella E mit der klinischen Diagnose "chronischer Alkoholismus" in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien eingeliefert worden. Ob zur Zeit des festgestellten Lebenswandels eine Geisteskrankheit bestanden habe, die sich der Beobachtung durch ihre Umgebung entzogen habe, habe vom Sachverständigen ebensowenig beantwortet werden können, wie die Frage, ob die allmählich einsetzende Trunksucht ein Teilsymptom einer schleichenden, von der Umgebung nicht erkannten Geisteskrankheit gewesen sei oder ob es sich nur um die Begleiterscheinung einer Charakterabartigkeit gehandelt habe. Isabella E sei am 26. Jänner 1960 infolge wesentlicher Besserung ihres Zustandes aus der Anstalt beurlaubt worden. Am 4. August 1960 sei sie jedoch neuerlich in die Anstalt eingeliefert worden.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht dahin, daß von einer Verwirkung des Unterhaltsanspruches im Sinn des § 74 EheG nicht ausgegangen werden könne. Obwohl die objektive Seite des Verwirkungstatbestandes nach dieser Gesetzesstelle nachgewiesen sei, habe der Beweis nicht erbracht werden können, daß Isabella E hiefür subjektiv verantwortlich sei. Dies könne mit Rücksicht auf die Verfahrensergebnisse weder bejaht noch verneint werden. Dieser Umstand wirke sich zum Nachteil des Beklagten aus, der für das Vorliegen des Verwirkungstatbestandes im vollen Umfang beweispflichtig sei. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Pflegebeiträgen sei daher insoweit zu bejahen, als in den einzelnen Monaten die Pflegegebühren die eigenen Einkünfte der Isabella E (Pensionsbeträge) und die von ihrem Sohn entrichteten Beträge übersteigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Begehren ab. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes hinsichtlich des unsittlichen Lebenswandels als unbedenklich, schloß sich aber nicht der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an, wonach der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Beweis auch für die Zurechnungsfähigkeit der Isabella E zu erbringen. Da Isabella E als geschiedene Ehefrau bestimmte gesetzliche Pflichten zu einem bestimmten Verhalten in bezug auf ihren geschiedenen Ehemann gehabt habe, wäre es ihre bzw der Legalzessionarin Sache gewesen, zu beweisen, daß objektive Verstöße gegen diese Pflichten nur unverschuldet erfolgten. Zur Stützung dieser Rechtsauffassung zog das Berufungsgericht analogerweise die im Schadenersatzrecht ausgebildeten Rechtsgrundsätze der §§ 1296 bis 1298 ABGB heran. Da somit der Beweis für die Zurechnungsfähigkeit der Isabella E zur Zeit des festgestellten unsittlichen Lebenswandels als erbracht anzusehen sei, sei ihr Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten gemäß § 74 EheG verwirkt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In ihrer Rechtsrüge wendet sich die Klägerin gegen die Überwälzung der Beweislast und vertritt den Standpunkt, der Beklagte habe als Unterhaltspflichtiger nicht nur den objektiven Sachverhalt, sondern auch das Verschulden seiner geschiedenen Ehegattin nachzuweisen. Die für das Schadenersatzrecht geltenden Grundsätze könnten im vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

In diesem Belang ist der Revision zuzustimmen. Hier handelt es sich nicht um einen Fall eines Schadenersatzes oder des geschäftlichen Verkehrs, sondern um einen solchen des Eherechtes, auf den die im Obligationenrecht geltenden Grundsätze schon mit Rücksicht auf den familienrechtlichen Ursprung des Unterhaltsanspruches nicht ohne weiters angewendet werden können.

Im Scheidungsverfahren hat der Kläger, der sein Begehren auf das Verschulden seines Ehepartners stützt, grundsätzlich alle klagebegrundenden Tatsachen, also die Verfehlungen des Beklagten, sein Verschulden, die tiefgreifende Zerrüttung der Ehe sowie die Ursachen der Verfehlung für die Ehezerrüttung, nachzuweisen. Diese Beweislast erstreckt sich auch auf das Nichtvorliegen von Umständen, die die Schuld des Beklagten ausschließen, also auch auf die Zurechnungsfähigkeit des Beklagten (Hoffmann - Stephan, Ehegesetz[2] 476, Gerold, Ehegesetz 140). Der Kläger trägt daher im Scheidungsverfahren die Beweislast für sämtliche positiven und negativen Umstände, von denen es abhängt, ob der Tatbestand der klagsbegrundenden Norm erfüllt ist. Gleiches muß aber auch für die vom Ehegatten nach der Scheidung einzuhaltenden Verpflichtungen gelten. Voraussetzung des Verwirkungstatbestands nach § 74 EheG ist, wie bereits im Beschluß des Obersten Gerichtshofes ONr 75 dargetan wurde, das Verschulden des unterhaltsberechtigten Ehegatten an dem ihm angelasteten Verhalten. Auch für dieses Tatbestandsmerkmal trifft den Unterhaltsverpflichteten die Beweislast; wenn er sich von seiner Verpflichtung befreien will, hat er die Voraussetzungen für die Verwirkung, die nicht von selbst eintritt, sondern klage- oder einredeweise geltend zu machen ist, zu beweisen (Hoffmann - Stephan, Ehegesetz[2] 734, Gerold, Ehegesetz 279).

Nun kann nach den Verfahrensergebnissen nicht mit Sicherheit angenommen werden, ob Isabella E zur Zeit des ihr vom Beklagten angelastetes Verhaltens in ihrer Willensfreiheit unbeschränkt war. Daraus ergibt sich, daß von einem Verschulden an ihrem nach außenhin zutage getretenen unsittlichen Verhalten nicht ausgegangen werden kann und daß somit nicht alle Voraussetzungen des Verwirkungstatbestandes des § 74 EheG nachgewiesen wurden.

Die Abweisung des Klagebegehrens aus dem Grund des § 74 EheG allein war daher schon mangels Nachweises der gesetzlichen Voraussetzungen hiefür nicht gerechtfertigt, sodaß auf die übrigen geltend gemachten Revisionsgrunde, die sich ausschließlich mit diesem Abweisungsgrund befassen, nicht näher einzugehen war.

Gleichwohl kam der Revision Berechtigung nicht zuerkannt werden.

Das Berufungsgericht hat sich, von der unrichtigen Rechtsauffassung ausgehend, ein Unterhaltsanspruch bestehe überhaupt nicht, mit der Rechtsrüge der Berufung gegen die Errechnung der Zahlungsrückstände des Beklagten durch das Erstgericht nicht befaßt. Der Berufung wäre aber in dieser Richtung Berechtigung zuzuerkennen gewesen. Da die dem Ersturteil zugrunde liegenden Beträge ihrer Höhe nach von keiner der Parteien bekämpft worden sind, steht der rechtlichen Überprüfung der Errechnung der Zahlungsrückstände durch die Revisionsinstanz kein Hindernis entgegen.

Die richtige Errechnung, die auf den gesamten strittigen Zeitabschnitt vom 1. Jänner 1965 bis 30. November 1966 abzustellen ist, führt zu dem Ergebnis, daß die Klägerin einen teilweisen Ersatz der in dieser Zeit aufgelaufenen Verpflegskosten zu begehren nicht berechtigt ist.

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