Spruch:
Zur Frage der Entschädigung für die Überspannung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke
OGH 3. September 1970, 1 Ob 161/70 (KG Ried im Innkreis R 173/69; BG Schärding 1 Nc 13/66)
Text
Im Wege dar Enteignung wurde mit den Bescheiden des Amtes der oö Landesregierung vom 24. April 1965 und vom 30. Juni 1965, En (Wa) - 74/7-1965 und En (Wa) - 74/17-1965 der Antragsgegnerin Österreichische Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft (Verbundgesellschaft) für die Errichtung und den Betrieb der 110 KV-Leitung vom Kraftwerk P zum Umspannwerk die Dienstbarkeit zur Führung, Benützung und Erhaltung der Leitung im Luftraum über eine Reihe von Grundstücken der Kläger eingeräumt und für die Mastenstandorte und die Überspannung eine Entschädigung zuerkannt. Die Entschädigung für die Überspannung wurde mit 20 S pro Laufmeter der Leitungsachse festgesetzt.
Die genannten Gründeigentümer waren mit der ihnen für die Mastenstandorte zuerkannten Entschädigung einverstanden, lehnten jedoch die Entschädigung für die Überspannung als zu niedrig ab und begehrten insoweit eine gerichtliche Festsetzung der Entschädigung. Im wesentlichen brachten sie vor, daß es sich bei dem überspannten Grund um Bauerwartungsland handle. Durch die Überspannung sei ihr Grund innerhalb eines 50 m breiten unter der Leitung liegenden Streifens vollkommen entwertet worden und deshalb eine Entschädigung nach den Baugrundpreisen zu leisten.
Das Erstgericht sprach den Antragstellern einen Teil der begehrten Entschädigungsbeträge zu und wies das Mehrbegehren ab.
Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, daß es sich bei den überspannten Grundflächen nicht um Bauflächen, auch nicht um Bauerwartungsland, sondern um landwirtschaftlichen Zwecken dienende Grundstücke handle. Die große Nachfrage nach Bau- und Industriegrunden im Raume der P-Bundesstraße habe auch den Verkehrswert landwirtschaftlich genutzter Grundstücke erhöht. Die Überspannung habe zu einer Wertminderung geführt, die - je nach der Lage der einzelnen Grundstücke - zwischen einem Zehntel und einem Dreißigstel schwanke. Diese Wertminderung beziehe sich allerdings nicht auf den gesamten 50 m breiten Schutzstreifen unter der Leitung, sondern lediglich auf die belastete Fläche, wie sie in den von der Antragsgegnerin hergestellten Trassenplänen dargestellt sei.
Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde von sieben der Antragsteller und überdies von der Antragsgegnerin bekämpft. Während das Rechtsmittel der angegebenen Antragsteller erfolglos blieb, gab das Gericht zweiter Instanz dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge und sprach in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung aus, daß den Antragstellern gegen die Antragsgegnerin - abgesehen von der Entschädigung für die Mastenstandorte - kein Anspruch auf Entschädigung zustehe. Die Feststellung des Erstgerichtes, derzufolge es sich bei den überspannten Grundstücken weder um Bauerwartungsland noch um Baugrundstücke handle, werde nur noch von Alois und Maria P (Achtantragsteller) bekämpft. Die übrigen Antragsteller seien mit der Einstufung ihrer Gründe als landwirtschaftliche Nutzflächen einverstanden und meinten lediglich, daß - entsprechend der gutachtlichen Äußerung des Sachverständigen Dipl-Ing W - durch die Überspannung der Wert der Grundstücke um ein Drittel vermindert worden sei. Das Gutachten Dipl-Ing W könne sich jedoch - so das Rekursgericht - nicht auf Erfahrungen stützen und werde überdies durch die Gutachten der Sachverständigen Dipl-Ing M und Dr S widerlegt. Eine Erhöhung der vom Erstgericht zuerkannten Entschädigungsbeträge komme daher nicht in Betracht.
Hingegen erweise sich der Rekurs der Antragsgegnerin als berechtigt, weil die vom Erstgericht in den Vordergrund gestellte Tatsache, daß die große Nachfrage nach Bau- und Industriegrunden im Raume der P-Bundesstraße auch zu einer Werterhöhung der dort gelegenen landwirtschaftlich genutzten Flächen geführt habe, für die Sachentscheidung solange ohne Einfluß bleiben müsse, als die Überspannung den Verkehrswert solcher Grundflächen unberührt lasse. Nun habe aber schon das Erstgericht eingeräumt, daß in dem maßgeblichen Gebiet überspannte Grundstücke zu einem ähnlichen - in einem Einzelfall sogar zu einem höheren - Preis wie nicht überspannte Grundstücke gleicher Kulturgattung gehandelt werden. Mit der im EvBl 1965/423 abgedruckten oberstgerichtlichen Entscheidung, wonach für die Überspannung von Bauland ein Abschlag von 10% angemessen sei, lasse sich für den Rechtsstandpunkt des Erstgerichtes deshalb nichts gewinnen, weil diesmal nicht Bauland, sondern landwirtschaftlich genutzte Grundstücke von der Überspannung betroffen seien. Da diese auch nach ihrer Überspannung ohne Preisverlust verkauft werden könnten, sei die von den Antragstellern behauptete Schädigung nicht gegeben und daher in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung das Begehren auf Enteignungsentschädigung abzulehnen. Was die den Achtantragstellern (Alois und Maria P) gehörenden Grundstücke angehe, so seien (auch) diese vom Erstgericht zutreffend als landwirtschaftlich genutzte Flächen und nicht als Bauerwartungsland eingestuft worden, weil sie in dem als Vorentwurf vorliegenden Flächenwidmungsplan des Architekten Dipl-Ing A nicht als Bauflächen ausgewiesen seien, nach wie vor landwirtschaftlich genutzt würden, weit ab von einer geschlossenen Siedlung lägen und auch dann, wenn dort keine Starkstromleitung verlaufen würde, eine Parzellierung dieser Flächen zugunsten fremder Personen seitens der Landesplanungsstelle nicht gestattet würde. Der bloßen Möglichkeit einer Verbauung komme im übrigen keine rechtliche Bedeutung zu, weil für die Ermittlung der Entschädigung die Art der Verwendung der enteigneten Sache im Zeitpunkt der Enteignung maßgebend sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der schon am Rekursverfahren beteiligten Antragsteller Folge und hob den Beschluß der zweiten Instanz auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach der anzuwendenden Vorschrift des § 4 Abs 1 EisbEG ist der Enteigner verpflichtet, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gem § 365 ABGB schadlos zu halten (Klang in Klang[2] II 195).
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen handelt es sich bei den durch die Leitungsführung betroffenen Grundstücken nicht um Baugrund, auch nicht um Bauerwartungsland, sondern um landwirtschaftlich genutztes Grünland. Davon ist bei der Lösung der von den Vorinstanzen divergierend beantworteten Frage auszugehen, ob durch die zwangsweise Begründung der Leitungsdienstbarkeit die davon betroffenen, landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Grundstücke an ihrem Ertragswert einbüßen oder aber eine Minderung ihres Verkehrswertes erfahren. Es handelt sich hiebei nicht um eine Tatfrage, vielmehr um eine solche der rechtlichen Beurteilung.
Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß der jeweilige Verkehrswert der einzelnen Grundstücke für die Sachentscheidung insolange keine Bedeutung gewinnen kann, als dieser durch die Überspannung keine Änderung erfährt. Die in diesem Verfahren bestellten Sachverständigen haben nun grundsätzlich zum Ausdruck gebracht, daß den Antragstellern aus der Überspannung ihrer Grundstücke Nachteile erwachsen, wenngleich sie in ihren Ansichten über das Ausmaß der zu leistenden Entschädigung erheblich voneinander abweichen. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß auch das Amt der oö Landesregierung als Enteignungsbehörde den Antragstellern für die Überspannung der Grundstücke eine Entschädigung zuerkannt hat. Das Rekursgericht hob die Feststellung des Erstgerichtes hervor, wonach im maßgeblichen Raum überspannte Grundstücke zu einem "ähnlichen" Preis wie nicht überspannte verkauft werden konnten. Dabei wurde als bemerkenswerter Sonderfall erwähnt, daß in einem Einzelfall ein überspanntes Grundstück zu einem höheren Preis veräußert werden konnte. Ohne auf die Umstände dieses Ausnahmegeschäftes einzugehen, machen diese Ausführungen jedenfalls deutlich, daß im Regelfall bei der Veräußerung überspannter Grundstücke nur annähernd gleiche, nicht aber dieselben Preise wie beim Verkauf nicht überspannter Grundstücke zu erzielen sind. Daß die Überspannung zu keinem Ertragsausfall der betroffenen landwirtschaftlich genutzten Flächen führt, wird auch von den Rechtsmittelwerbern nicht mehr in Zweifel gezogen. Allein aus der in der Rekursentscheidung vermerkten Notwendigkeit, besondere Vorsicht zu üben, um bei durchhängenden Leiterseilen die üblichen Gülle- und Beregnungsanlagen zweckentsprechend einsetzen zu können, geht aber hervor, daß die Bewirtschaftung eines überspannten Grundstückes zumindest in diesem Belange - abgesehen von einigen nicht völlig außer Betracht zu lassenden Gefahrenmomenten für die auf solchen Grundstücken arbeitenden Menschen (Blitzschlag, Seilriß) - mit gewissen Erschwernissen verbunden ist, die i S des § 4 Abs 1 EisbEG zu entschädigen sind. Es bedarf weder besonderer Erfahrung noch irgendwelcher Spezialkenntnisse, um zu erkennen, daß das Interesse eines potentiellen Käufers an dem Erwerb eines durch keine Leitungsrechte belasteten landwirtschaftlichen Grundstückes größer ist, als an der Erstehung eines - sonst gleichwertigen - Objektes, das einer solchen Belastung unterworfen ist. Dieses differenzierte Kaufinteresse wird aber nach den Regeln der freien Marktwirtschaft einen - wenn auch geringen - Niederschlag in der Höhe des Preisanbotes des Kaufinteressenten finden. Der Verkehrswert überspannter Grundstücke kann daher nicht mit jenem gleichgesetzt werden, wie er für nicht überspannte Grundstücke gegeben ist. Ob der anzunehmende unterschiedliche Verkehrswert allein in den bereits wiedergegebenen wertmindernden Faktoren oder auch in anderen Überlegungen seine wirtschaftliche Rechtfertigung findet, braucht in diesem Verfahrensabschnitt, in dem nicht über die Höhe, sondern über den Grund des Anspruches auf Schadloshaltung (§ 365 ABGB) abgesprochen werden soll, nicht erörtert werden. Immerhin wäre es naheliegend, daß ein präsumptiver Käufer die Tatsache der bücherlichen Belastung einkalkuliert und erwägt, daß bei einer sich irgendwann ergebenden Verbauungschance eine überspannte Grundfläche technische und administrative Probleme aufwerfen könnte, die sich bei einer anderen Grundfläche nicht stellen. Vor allem sei aber erwähnt, daß ein zukunftsorientierter Kaufinteressent auch an die Möglichkeit denken könnte, moderne Methoden der Schädlingsbekämpfung aus der Luft (Hubschrauber oder Flächenflugzeuge) anzuwenden und auch diesen Gesichtspunkt bei der Preisbildung nicht übersehen möchte.
Die von der Antragsgegnerin wiederholt, zuletzt in der Gegenäußerung aufgestellte Behauptung, der Oberste Gerichtshof habe zu 4 Ob 502/67 "völlig eindeutig und klar zum Ausdruck gebracht, daß eine Verminderung des Verkehrswertes landwirtschaftlicher Grundstücke durch die bloße Überspannung mit Leiterseilen nicht eintritt", beruht offenbar auf einer mißverständlichen Auslegung dieser im Zusammenhang mit der Erledigung eines außerordentlichen Revisionsrekurses (§ 16 Abs 1 AußStrG) ergangenen Entscheidung. Damals konnte es nur darum gehen, ob die Ablehnung einer Entschädigung für allfällige, mit einer Überspannung verbundenen vermögensrechtlichen Nachteile eine "offenbare Gesetzwidrigkeit" darstelle. Nur diese Frage wurde in der zitierten Entscheidung verneint, während die Frage der richtigen rechtlichen Beurteilung dieses Problems im Hinblick auf die Art des seinerzeit erhobenen Rechtsmittels unbeantwortet bleiben mußte.
Das Rekursgericht hat - ausgehend von seiner abweichenden Rechtsansicht über das Vorliegen eines entschädigungsfähigen vermögensrechtlichen Nachteiles durch die Überspannung - über die von der Antragsgegnerin in Beschwerde gezogene Abweisung des Antrages auf Enthebung des Sachverständigen Dipl-Ing W wegen Befangenheit nicht entschieden.
Da bei einem allfälligen Rechtsmittelerfolg der Antragsgegnerin in dieser Beziehung mit Rücksicht auf die erheblichen divergierenden Aussagen der vernommenen Sachverständigen über die Höhe der angemessenen Entschädigungsbeträge die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen kaum zu umgehen sein wird, um eine tragfähige Entscheidungsbasis zu gewinnen, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückzuverweisen.
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