Spruch:
Auch ein Scheingeschäft (hier Scheinaufkündigung) kann den dadurch in seiner Rechtssphäre berührten Dritten zur Exszindierung berechtigen
Ein nichtiges Scheingeschäft setzt gemeinsamen dolus bei Vertragsabschluß voraus. Hingegen macht die nachträgliche Vereinbarung der Vertragspartner, von einem Vertrag keinen oder nur beschränkten Gebrauch zu machen, den Vertrag nicht zum Scheingeschäft
Dies gilt auch für zum Schein erfolgte Vertragsauflösung
OGH 22. Juli 1970, 3 Ob 86/70 (LG Salzburg 8 R 862/69; BG Salzburg 5 C 19/68)
Text
Mit Versäumungsurteil des BG Salzburg vom 26. April 1968 wurden der Zweit- und die Drittbeklagte schuldig erkannt, den im 1. Stock des Hauses Salzburg, G-Gasse 28-30, befindlichen Saal zu räumen und der Erstbeklagten geräumt zu übergeben. Gegen die auf Grund dieses Urteils geführte Exekution erhebt die Klägerin Widerspruch. Sie führt aus, daß ihr ein Teil dieses Saales von Franziska F, der Hälfteeigentümerin des Hauses G-Gasse 26 zur Benützung überlassen wurde bzw daß sie diesen Teil von dem Zweit- und der Drittbeklagten, den Pächtern des in diesem Haus betriebenen Gast, und Schankgewerbeunternehmens, gemietet habe, und schließlich daß das dem Exekutionsverfahren zugrundeliegende Versäumungsurteil auf Grund einer zwischen den Beklagten getroffenen Absprache nur deshalb ergangen ist, um die Klägerin aus dem von ihr benützten Saalteil zu entfernen. Die Klägerin beantragt das Urteil, daß die Exekution hinsichtlich des von ihr benützten Teiles des Saales für unzulässig erklärt werde.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er traf folgende Feststellungen:
Die Erstbeklagte und Franziska F sind zur Hälfte Eigentümer des Hauses S, G-Gasse 26, in dem ein Gast- und Schankgewerbeunternehmen betrieben wird. Zu diesem Unternehmen gehört auch ein Saal, der sich zum Teil über das Nachbarhaus, G-Gasse 30, erstreckt. Mit dem am 5. Jänner 1956 zur Gebührenbemessung angezeigten Pachtvertrag pachteten der Zweit- und die Drittbeklagte von Franziska F und der Erstbeklagten dieses Unternehmen. Nach P V dieses Vertrages ist ihnen eine Weiterverpachtung oder sonstige Überlassung des gepachteten Unternehmens an dritte Personen untersagt. Nach P XIII des Pachtvertrages steht es den Pächtern frei, auf ihre Kosten den Saal im ersten Stock nach ihrem Ermessen auszubauen und ihn im Rahmen des Pachtvertrages nach ihrem Gutdünken geschäftlich zu verwerten.
Im Jahre 1964 vermieteten der Zweit- und die Drittbeklagte einen Teil dieses Saales der Klägerin, da sie ihn zu Gastgewerbezwecken nicht benötigten. Bei Abschluß dieses Mietvertrages spielte Franziska F, die Hälfteeigentümerin des gegenständlichen Hauses und Gattin eines persönlich haftenden Gesellschafters der Klägerin, eine zumindest vermittelnde Rolle; sie erklärte sich auch mit einer Vermietung des Saalteiles an die Klägerin einverstanden. Von dieser Untervermietung wurden jedoch weder die Erstbeklagte in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin der zweiten Liegenschaftshälfte noch der Hausverwalter verständigt. Die beiden Hausmiteigentümer, die Schwestern sind, sind seit etwa 1960 zerstritten.
Die Klägerin richtete in dem von ihr untergemieteten Saalteil ein Schuhlager ein. Hievon erfuhr die Erstbeklagte erst gegen Ende 1967. Als ihre Bemühungen, auf gütlichem Wege eine Räumung dieses Schuhlagers durch die Klägerin zu erreichen, scheiterten, brachte sie eine Räumungsklage gegen die Zweit- und den Drittbeklagten ein. Auch der Zweitbeklagte war bemüht, als er von dem fehlenden Einverständnis der Erstbeklagten zur Untervermietung erfuhr, die Untervermietung des Saalteiles an die Klägerin aus der Welt zu schaffen. Das Mißlingen dieses Versuches war die Ursache dafür, daß er nichts gegen die Räumungsklage unternahm, sodaß es zum Versäumungsurteil vom 26. April 1968 kommen konnte.
Die zum Versäumungsurteil führende Räumungsklage war von der Erstbeklagten allein eingebracht worden mit der Behauptung, der Zweit- und die Drittbeklagte hätten von ihr den Hotelbetrieb gepachtet, es sei vereinbart gewesen, daß die Betriebsräumlichkeiten nur zum Zwecke des Gast- und Schankgewerbebetriebes verwendet werden dürften, der Zweit- und die Drittbeklagte hätten gegen diese Vertragsbestimmung dadurch verstoßen, daß sie in dem Saal ein Schuhlager eingerichtet haben bzw einrichten ließen und diesen vertragswidrigen Zustand trotz Aufforderung nicht beseitigt hätten. Von dieser Räumungsklage und dem Versäumungsurteil erhielt Franziska F erst anläßlich des Versuches des Exekutionsvollzuges Kenntnis.
Rechtlich führte der Erstrichter aus, daß der zwischen dem Zweit- und der Drittbeklagten einerseits und der Klägerin anderseits geschlossene Untermietvertrag dem P XIII des Pachtvertrages widerspreche. Daraus folge, daß die Räumungsklage der Erstbeklagten gegen den Zweit- und die Drittbeklagte berechtigt gewesen sei. Der durch den Exekutionstitel dem Zweit- und der Drittbeklagten erteilte Räumungsauftrag wirke auch gegen die Klägerin, da diese ihre Rechte an dem Saalteil vom Zweit- und von der Drittbeklagten ableite.
Infolge der von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht dem Klagebegehren statt. Es billigte die Rechtsansicht des Erstrichters, daß der zwischen der Klägerin einerseits und dem Zweit- und der Drittbeklagten anderseits geschlossene Bestandvertrag als Untermietvertrag zu werten ist, leitete aber aus den Erklärungen der Beklagtenvertreter in der Berufungsverhandlung, daß sowohl die Erstbeklagte als auch die Drittbeklagte - der Zweitbeklagte ist in der Zwischenzeit gestorben - bereit seien, das Bestandverhältnis auch hinsichtlich des Saales aufrechtzuerhalten ab, daß die Erwirkung des Versäumungsurteils und der zwangsweisen Räumung nicht dem wahren Willen der Parteien entsprach, sondern nur dem Ziel diente, die Räumung des umstrittenen Saalteiles durch die Klägerin zu erreichen. Die Beklagte sei daher im Recht, wenn sie dieses nicht dem wahren Willen der Parteien entsprechende und daher nur zum Schein ergangene Urteil bekämpfe.
Der Oberste Gerichtshof hob das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Revisionen der Beklagten sind begrundet.
Ein nichtiges Scheingeschäft im Sinne des § 916 ABGB liegt dann vor, wenn eine Willenserklärung mit Einverständnis des Vertragspartners zum Schein abgegeben wird. Das Scheingeschäft setzt sohin gemeinsamen dolus voraus. Das Einverständnis, ein Geschäft nur zum Schein abzuschließen, muß daher im Zeitpunkt des Zustandekommens des Scheinvertrages gegeben sein. Eine nachträgliche Vereinbarung der Vertragsteile, von dem Vertrag keinen oder einen beschränkten Gebrauch zu machen, macht den Vertrag nicht zum Scheingeschäft, da im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien nicht auf Scheinerklärungen gestützt war. Dieser Grundsatz muß auch für zum Schein erfolgte Vertragsauflösungen gelten, demnach auch für Scheinkündigungen oder zum Schein eingebrachte Räumungsklagen.
Das Berufungsgericht verweist zwar zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß eine zum Schein erfolgte Vertragsauflösung dann anzunehmen ist, wenn die Vertragsauflösung dem wahren Willen der Parteien nicht entsprach, wenn die Fortsetzung des Bestandverhältnisses trotz Vorliegens des Auflösungsgrundes in Aussicht genommen ist, die Kündigung oder die ihr folgende Räumungsklage daher nur den Zweck hat, einen unerwünschten Untermieter aus dem Bestandobjekt zu entfernen. Diese Absicht der Parteien muß jedoch bereits im Zeitpunkt der Vertragsauflösung ausdrücklich oder zumindest konkludent erklärt worden sein. Es genügen daher im vorliegenden Fall für die Annahme einer Scheinauflösungserklärung nicht, daß die Beklagten in der Berufungsverhandlung erklärten, für den Fall einer Räumung des umstrittenen Saaldrittels durch die Klägerin den Pachtvertrag im ursprünglich vereinbarten Umfang fortzusetzen, da diesen Erklärungen nicht zu entnehmen ist, daß die Erstbeklagte einerseits und der Zweit- und die Drittbeklagte anderseits eine derartige Vereinbarung bereits vor dem Versäumungsurteil vom 26. April 1968 getroffen hatten.
Die Prozeßbehauptungen der Klägerin gingen auch nicht in dieser Richtung; die Klägerin brachte vielmehr in ihrem Schriftsatz ON 2 in Ergänzung ihres Klagsvorbringens vor, die Klage auf Räumung der Erstbeklagten gegen den Zweit- und die Drittbeklagte erfolgte auf Grund einer zwischen diesen getroffenen Absprache zum bloßen Schein. Die Klägerin behauptete demnach, die Beklagten hätten untereinander bereits vor Einbringung der Räumungsklage vereinbart, von dem zu erwartenden Versäumungsurteil lediglich in bezug auf die Klägerin Gebrauch zu machen und nach Räumung des Saalteiles durch die Klägerin den Pachtvertrag wieder im ursprünglichen Umfange fortzusetzen (was die Zustimmung der zweiten Hälfteeigentümerin Franziska F zur Voraussetzung hätte). Mit dieser für die Entscheidung über die Frage einer Scheinräumungsklage wesentlichen Voraussetzung haben sich die beiden Vorinstanzen nicht auseinandergesetzt, sie haben hierüber auch keine Feststellungen getroffen. Die Ausführungen des Erstrichters, der Zweitbeklagte habe sich, als er von dem mangelnden Einverständnis der Erstbeklagten zur Untervermietung eines Saalteiles an die Klägerin erfuhr, bemüht, die Angelegenheit einvernehmlich zu regeln und habe, als diese Versuche scheiterten, gegen die Räumungsklage nichts unternommen, rechtfertigen nicht die Annahme einer zum Schein erfolgten teilweisen Vertragsauflösung, da nicht feststeht, daß bereits vorher eine spätere Fortsetzung des Pachtvertrages auch hinsichtlich des Saals vereinbart war.
Zutreffend sind die mit der Rechtsansicht des Erstrichters übereinstimmenden Ausführungen der Beklagten, daß die Untervermietung eines Saalteiles an die Klägerin dem zwischen den Hauseigentümern einerseits und dem Zweit- und der Drittbeklagten andererseits geschlossenen Pachtvertrag widersprach. Wie die Vorinstanzen festgestellt haben, steht es den Pächtern nach P XIII des Pachtvertrages frei, den Saal "im Rahmen des Pachtvertrages nach ihrem Gutdünken geschäftlich zu verwerten ...". Die Einschränkung "im Rahmen des Pachtvertrages" kann, nach dem Wortlaut der Urkunde, nur so verstanden werden, daß eine Verwertung dieses Saales nur im Rahmen des gepachteten Unternehmens erfolgen darf. Bei der gegenteiligen Auslegung durch die Klägerin wären die Worte "im Rahmen des Pachtvertrages" völlig bedeutungslos, was nicht angenommen werden kann.
Dem Einwand der Beklagten, der Klägerin stunde als Untermieterin kein Exszindierungsrecht zu, ist entgegenzuhalten, daß sich jeder Dritte, das ist jeder, dessen Rechtssphäre durch das Scheingeschäft berührt wird, auf die Ungültigkeit des Scheingeschäftes berufen kann. Wenn im allgemeinen ein Untermieter nicht berechtigt ist, Widerspruch gegen eine vom Vermieter gegen den Hauptmieter beantragte Räumung zu erheben, so war die Rechtssphäre der Klägerin durch die von ihr behauptete Scheinauflösung jedenfalls berührt, sodaß sie die Ungültigkeit des Scheingeschäftes behaupten kann (EvBl 1966/130, MietSlg 16.695 u a).
Dadurch, daß die Vorinstanzen auf die für die Beurteilung der Vertragsauflösung als Scheinerklärung wesentlichen Behauptungen der Klägerin nicht eingegangen ist, ist das Verfahren mangelhaft geblieben, sodaß die Entscheidungen der Vorinstanzen zwecks Verfahrensergänzung aufzuheben waren.
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