Normen
AO §48
AO §60 Abs2
4. Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art7 Nr 15 Abs4
AO §48
AO §60 Abs2
4. Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art7 Nr 15 Abs4
Spruch:
Die Haftung der schon vor Eröffnung des Ausgleichsverfahrens aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafter wird durch den Ausgleich einer offenen Handelsgesellschaft nicht beschränkt
OGH 9. Juli 1970, 1 Ob 127/70 (OLG Wien 1 R 3/70; HG Wien 11 Cg 724/69)
Text
Die Streitteile waren als Erben nach dem am 22. November 1963 verstorbenen Alleininhaber der Firma Puch, Hubert Carl Peter H, persönlich haftende Gesellschafter der unter der gleichen Firma betriebenen OHG geworden. Mit Auseinandersetzungsvertrag vom 18. November 1966 sind sie übereingekommen, daß die Klägerin mit 31. Dezember 1966 aus der Gesellschaft ausscheidet und daß ihren Anteil (1/4) die beiden Beklagten je zur Hälfte erwerben. Im übrigen verpflichteten sich letztere (P III des Auseinandersetzungsvertrages) als Übernehmer des Gesellschaftsanteiles, der Klägerin, diese "für alle das Unternehmen betreffenden Verbindlichkeiten schad- und klaglos zu halten". Im P V des genannten Vertrages heißt es, es bestehe zwischen den Vertragsteilen Einigkeit darüber, daß der Klägerin gegenüber den beiden Beklagten aus der Tatsache des Ausscheidens aus dem Unternehmen außer dem Auseinandersetzungsguthaben keine weiteren Ansprüche zustehen. Das Ausscheiden der Klägerin ist am 29. März 1967 im Handelsregister Wien eingetragen worden. Rechtsanwalt Dr B hatte als Rechtsfreund der Gesellschaft für seine Tätigkeit bis Ende Oktober 1966 der OHG eine Forderung von 315.750 S in Rechnung gestellt. Diese Forderung wurde in dem am 23. August 1968 zu Sa .../68 des HG Wien über die Firma Puch eröffneten Ausgleichsverfahren unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen als Restforderung mit 272.187 S anerkannt. Der rechtskräftig bestätigte Ausgleich lautete auf eine Quote von 90%. Dr B hat die Klägerin zu 7 Cg .../69 des LGZRS Wien auf Bezahlung des im Ausgleich der Gesellschaft erlittenen Ausfalles (10%) in Anspruch genommen. Sie wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 30. Juni 1969 zur Bezahlung dieses Ausfalles in der Höhe von 27.200 S s A verurteilt.
Die Klägerin begehrt nunmehr mit der seit 31. Juli 1969 anhängigen Klage unter Berufung auf P III des Auseinandersetzungsvertrages und Art 7 Nr 15 Abs 4 4. EVHGB die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 27.200 S.
Die Beklagten wendeten ein, mit der Erfüllung des Ausgleiches sei gem § 53 AO das Unternehmen von jeder Haftung befreit, während sie, die Beklagten, nach P III des Auseinandersetzungsvertrages die Klägerin nur für alle das Unternehmen betreffenden Verbindlichkeiten schad- und klaglos zu halten hätten. Überdies habe es die Klägerin unterlassen, ihre Ausfallshaftung im Ausgleichsverfahren anzumelden, wozu sie verpflichtet gewesen wäre.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren Folge. Er vertrat die Auffassung, daß dem zur Zeit des Ausgleiches bereits ausgeschiedenen Gesellschafter, welcher gem § 128 HGB in Anspruch genommen werde, die Wirkung des § 60 Abs 2 AO nicht zugute komme. Er hafte den Gesellschaftsgläubigern für ihren Ausfall im Ausgleich gem § 48 AO als Mitschuldner. Das Urteil, welches Dr B gegen die Klägerin erwirkt habe, sei daher zu Recht ergangen. Die Klägerin habe den Beklagten gegenüber jedoch einen Befreiungsanspruch. Sie nehme nicht eine Unternehmenshaftung in Anspruch und sie habe deshalb auch keine Veranlassung gehabt, ihre Ausfallshaftung im Ausgleich anzumelden. Sie berufe sich vielmehr in erster Linie auf den Auseinandersetzungsvertrag. Die Haftungserklärung der Beklagten (P III des Auseinandersetzungsvertrages) sei zweifellos in Erfüllung einer persönlichen Schuld abgegeben worden, denn es sei ihnen und nicht etwa der Gesellschaft der Anteil der Klägerin je zur Hälfte zugewachsen. In zweiter Linie berufe sich die Klägerin zutreffend auf Art 7 Nr 15 Abs 4 EVHGB, wonach dem ausscheidenden Gesellschafter bezüglich der Gesellschaftsverbindlichkeiten gegen die verbleibenden Mitgesellschafter ein Befreiungsanspruch zusteht. Da die Klägerin von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch genommen worden sei, stehe ihr dieser Anspruch selbst dann zu, wenn ihr vertraglicher Anspruch nicht gegeben wäre. Dieser Befreiungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters könne nicht durch einen von der Gesellschaft nach seinem Ausscheiden beantragten und von den Gesellschaftsgläubigern angenommenen gerichtlichen Ausgleich unter Berufung auf § 53 Abs 2 AO verneint werden, weil Schuldner im Ausgleich die Gesellschaft sei, während der auf Grund seiner Haftung als Mitschuldner gem §§ 48 AO, 128 HGB von den Ausfallsgläubigern in Anspruch genommene und Befreiung verlangende Gesellschafter nicht die Gesellschaft sondern die Gesellschafter für ihre persönliche Schuld - und keinesfalls für eine Gesellschaftsschuld, hinsichtlich deren sie sich auf § 60 Abs 2 AO berufen könnten - belange. Auf die persönlichen Verbindlichkeiten der Gesellschafter, auch einem ehemaligen Gesellschafter gegenüber, erstrecke sich der Ausgleich der Gesellschaft keinesfalls, es sei denn, daß sie auch persönlich im Ausgleich gewesen wären. Nur dann könnten sie sich auf § 53 Abs 2 AO berufen. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen.
Die Berufung der beiden Beklagten bleib erfolglos. Das Gericht zweiter Instanz legte seiner Entscheidung die Feststellungen des Erstrichters als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens zugrunde. Es billigte auch die Rechtsansicht des Erstrichters und führte aus, daß die Klägerin schon nach Art 7 Nr 15 Abs 4 E-VHGB durch die Gesellschaft von den sie betreffenden Gesellschaftsschulden zu befreien sei, wofür auch die persönlich haftenden Gesellschafter einzustehen haben (§ 128 HGB). Dies schließe aber nicht aus, daß die verbleibenden Gesellschafter eine über diese in ihrer Gesellschaftereigenschaft liegende Haftung hinausgehende zusätzliche Verpflichtung eingehen, die in ihrer privaten Vermögenssphäre liegt. Eine solche private Verpflichtung haben die Beklagten im P III des Auseinandersetzungsvertrages begrundet, wodurch die Anwendung des § 60 Abs 2 AO und damit des § 53 Abs 2 AO ausgeschlossen worden sei. Darüber hinaus sei die Bestimmung des P III des mehrfach erwähnten Vertrages nach der Auffassung des redlichen Geschäftsverkehrs als ein Ausschluß der Bestimmung des § 60 Abs 2 AO anzusehen, zumal diese Bestimmung keine zwingende Vorschrift darstelle. Diese von den verbliebenen Gesellschaftern übernommene Verpflichtung würde sonst nur eine überflüssige, den Erklärungsempfänger irreführende, Wiederholung der gesetzlichen Regelung bedeuten.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Frage, ob durch den Ausgleich einer Offenen Handelsgesellschaft die Haftung des schon vor Eröffnung des Ausgleichsverfahrens ausgeschiedenen Gesellschafters beschränkt wird oder nicht, wurde in der Judikatur nicht immer einheitlich beantwortet. In der Entscheidung ZBl 1916/17 kam der Oberste Gerichtshof zu einer Bejahung dieser Frage, ohne allerdings auf die Problematik, die sich aus einer Gegenüberstellung der Bestimmungen der §§ 48 und 60 Abs 2 AO ergibt, einzugehen. In seiner Entscheidung SZ 8/242, kam der Oberste Gerichtshof hingegen unter Bedachtnahme auf diese Vorschriften zu einer Verneinung dieser Frage, welchen Standpunkt er dann auch in seiner Entscheidung SZ 9/151, unter Heranziehung der Lehre von Bartsch - Pollak, Pisko und Lehmann aufrecht erhielt. Auch die neuere Lehre ist dagegen nicht aufgetreten (vgl hiezu Reimer "Die Ausgleichsordnung und ihre Anwendung auf die Offene Handelsgesellschaft und ihre persönlich haftenden Gesellschafter", 119 f). Wenn die Klägerin in dem von Dr B gegen sie unter 7 Cg .../69 des LGZ Wien angestrengten Prozeß verurteilt wurde, entsprach dies also durchaus der herrschenden Auffassung. Keinesfalls kann der Klägerin ein Vorwurf gemacht werden, wenn sie das gegen sie ergangene Urteil bereits in erster Instanz aus prozeßökonomischen Gründen in Rechtskraft erwachsen ließ, dies umso mehr, als die heutigen Beklagten dem von Dr. B gegen die Klägerin geführten Prozeß nicht als Nebenintervenienten beigetreten sind.
Was nun die Haftung der Beklagten betrifft, ist davon auszugehen, daß die auf dem Gesetz selbst beruhende Befreiungspflicht, wie sich aus dem zweiten Satz des Art 7 Nr 15 Abs 4 EVHGB ergibt, an und für sich die Gesellschaft als solche trifft, wofür die in der Gesellschaft verbliebenen Gesellschafter naturgemäß zu haften haben. In diesem Sinn ist die vom Erstrichter herangezogene Entscheidung vom 28. März 1956; 7 Ob 131/56 HS ErgBd Nr 90/II zu verdeutlichen. Ob auf diese Bestimmung mit Rücksicht auf die Auswirkungen, die ein Ausgleich der Gesellschaft auf die Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden hat (§ 60 Abs 2 AO), noch zurückgegriffen werden kann, nachdem die Gesellschaft in Ausgleich geraten ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, weil der Klägerin jedenfalls die im P III des Vertrages vom 18. November 1966 getroffene Vereinbarung zustatten kommt. Wenn sich die Beklagten damals persönlich verpflichtet haben, sie für alle das Unternehmen betreffenden Verbindlichkeiten schad- und klaglos zu halten, haben sie damit eine Verbindlichkeit übernommen, die zusätzlich und unabhängig von ihrer Haftung für die die Gesellschaft treffende gesetzliche Befreiungspflicht besteht, also eine Privatschuld der Beklagten darstellt. Privatschulden der Gesellschafter werden aber durch den Ausgleich der Gesellschaft allein nicht berührt (vgl hiezu Reimer, Ausgleichsordnung, 121 und EvBl 1969/314).
Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob Abweichungen von der im § 60 Abs 2 AO normierten Regelung nur im Ausgleich oder auch außerhalb des Ausgleiches vereinbart werden können, braucht diesmal gleichfalls nicht erörtert zu werden, weil die Grundvoraussetzungen für eine Anwendung der Bestimmung des § 60 Abs 2 AO, daß es sich nämlich um eine Gesellschaftsschuld bzw um die Haftung der Gesellschafter für eine Gesellschaftsschuld handelt, aus den aufgezeigten Gründen fehlt.
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