OGH 2Ob188/70

OGH2Ob188/704.6.1970

SZ 43/97

Normen

ABGB §1301
ABGB §1302
ABGB §1310
ABGB §1301
ABGB §1302
ABGB §1310

 

Spruch:

Wenn einer von mehreren Beteiligten aus persönlichen Gründen nicht haftet, haften die übrigen Beteiligten für den ganzen Schaden

OGH 4. Juni 1970, 2 Ob 188/70 (OLG Wien 9 R 6/70; KG Wr Neustadt 1 Cg 189/69)

Text

Der Kläger behauptet, daß die (nunmehr allein) geklagte Partei am 5. September 1967 auf der Bundesstraße 55 im Ortsgebiet von K dadurch einen Verkehrsunfall verschuldet habe, daß sie den damals vier Jahre alten Johann H einlud, mit ihr auf dem Traktor mitzufahren, und ihn damit veranlaßte, über die Straße zu laufen, obgleich sie sehen konnte, daß der PKW des Klägers aus der Gegenrichtung herankomme. Der Kläger habe deswegen sein Fahrzeug abbremsen und verreißen müssen, sodaß es von der Fahrbahn abkam. Dadurch sei der Kläger verletzt und sein Fahrzeug beschädigt worden. Der Kläger verlangt Schmerzensgeld und Ersatz des Fahrzeugschadens einschließlich der Kosten eines Leihfahrzeuges.

Die Beklagte behauptet, daß sie das Fahrzeug des Klägers noch nicht sehen konnte, als sie das Kind zum Mitfahren auf dem Traktor einlud, und der Unfall auf die überhöhte Geschwindigkeit des Klägers zurückzuführen sei; sie treffe daran kein Verschulden.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil aus gesprochen, daß "die Ersatzansprüche des Klägers" zu zwei Dritteln zu Recht bestunden. Es ging davon aus, daß die Beklagte das Kind durch den Zuruf "Hansi willst du mitfahren" zum Mitfahren auf dem Traktor einlud, als sie den herannahenden PKW des Klägers schon sehen konnte, und daß sie damit rechnen mußte, das Kind werde wegen der Einladung zum Mitfahren ohne Rücksicht auf das Herankommen dieses Fahrzeuges über die Straße laufen. Ein Eigenverschulden des Klägers im Ausmaß von einem Drittel sah das Erstgericht darin, daß er sich der Personengruppe, zu der das Kind gehörte, ohne entsprechende Kontaktaufnahme und ohne Herabsetzung der Geschwindigkeit näherte. Dies wäre vor allem auch deswegen notwendig gewesen, weil die Personengruppe und die anhaltende Traktorfahrerin (die Beklagte) auf verschiedenen Straßenseiten waren.

Die (nur von der Beklagten) erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Zuruf der Beklagten mußte für das angesprochene Kind bei unbefangener Betrachtung als Einladung aufgefaßt werden, zur Beklagten auf die gegenüberliegende Straßenseite zu kommen und mit dem Traktor mitzufahren. Die trotz des festgestellten Wortlautes des Zurufes in der Revision versuchte Unterscheidung zwischen einer grundsätzlichen Frage, ob das Kind mitfahren wolle, gegenüber einer Einladung, es gleich zu tun, ist nicht berechtigt und konnte von dem angesprochenen vier Jahre alten Kind nicht erwartet werden. Nach diesem Zuruf konnte nur angenommen werden, daß das Kind ohne Rücksicht darauf, ob es sonst "verkehrsgewohnt" sei, daraufhin über die Straße zum Traktor laufen werde, mit dem es mitfahren wollte. Der Zuruf hatte jeden Zweck, dem Kind eine Freude zu machen, sodaß mit einer spontanen Reaktion gerechnet werden mußte. Die Behauptung der Revision, der Zuruf sei nicht an das Kind, sondern an dessen Großmutter gerichtet gewesen, entspricht nicht dem festgestellten Sachverhalt. Als die Beklagte das Kind zum Mitfahren und damit zum vorherigen Überqueren der Fahrbahn einlud, war das Fahrzeug des Klägers schon so nahe, daß diese Überquerung nicht mehr gefahrlos erfolgen konnte. Das Betreten der Fahrbahn bedeutete daher objektiv eine Verletzung der Vorschrift des § 76 Abs 5 StVO 1960. Dadurch kam es in der Folge auch zum Unfall und zum eingetretenen Schaden. Die Beklagte hat somit durch ihr Verhalten zum Eintritt des Schadens beigetragen. Sie haftet für den Schaden, ohne Rücksicht darauf, ob ihr Verhalten als Verleitung zur Begehung eines Fahrlässigkeitsdeliktes gewertet oder ob sie selbst als unmittelbare Täterin eine solchen Deliktes oder als sogenannte mittelbare Täterin angesehen wird (Wolff in Klang[2] VI 53 f; Rittler, Lehrbuch des österreichischen Strafrechtes I 295 ff; Malaniuk, Lehrbuch es Strafrechtes I 229 ff insb 231; RZ 1961, 39). Für eine widerrechtliche Beschädigung haftet nämlich der Mitschuldige ebenso wie der unmittelbare Täter; dies gilt für vorsätzliches und für fahrlässiges Verhalten. Wenn sich die Anteile am Schaden nicht bestimmen lassen, tritt gem § 1302 ABGB gemeinschaftliche Haftung ein. Wenn einer der mehreren Beteiligten aus persönlichen Gründen nicht haftbar ist, so befreit dies die übrigen Beteiligten nicht von ihrer Haftung (Wolff in Klang[2] VI 53 f; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 165; Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse[2], 73 f; ZVR 1956/125, ZVR 1959/71, ZVR 1961/194 u,a). Die Beklagte haftet daher grundsätzlich für den ganzen Schaden. Eine Änderung kann nur wegen Eigenverschuldens des Klägers eintreten (§ 1304 ABGB). Da die Beklagte durch ihr Verhalten die primäre Unfallsursache setzte, ist die Schadensteilung im Verhältnis von 2:1 zu ihren Lasten begrundet. Eine andere Schadensteilung könnte auch nicht vorgenommen werden, weil die Revision die von ihr angestrebte Quote nicht angibt.

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