Spruch:
Zur Mankohaftung eines Filialleiters in der Lebensmittelbranche
OGH 28. April 1970, 4 Ob 27/70 (LGZ Wien 44 Cg 135/69; ArbG Wien 8 Cr 144/68)
Text
Der Kläger und Widerbeklagte, in der Folge nur Kläger genannt, brachte in seiner Klage, AZ 8 Cr 144/68, vor, er sei vom 3. Mai 1967 bis 11. März 1968 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt gewesen. Am 11. März 1968 habe der Kläger sein Dienstverhältnis beendet, nachdem er es schon zuvor zum 14. März 1968 gekundigt gehabt habe. Die Beklagte weigere sich, dem Kläger den Gehalt für die Zeit vom 1. März 1968 bis 11. März 1968 in der eingeschränkten Höhe des Klagsbetrages von 2705.54 S zu bezahlen, da er nach einer am 11. März 1968 durchgeführten Inventur als Filialleiter des Lebensmittelgeschäftes der Beklagten in Wien 7, B-Gasse 25, in der Zeit vom 1. Jänner bis 11. März 1968 ein Manko von 20.890.35 S verursacht habe. Ein Manko liege jedoch nicht vor; einerseits habe der Kläger mangels einer geeigneten Waage die angegebenen Liefermengen nicht überprüfen können, andererseits sei auch die Inventur nicht genau vorgenommen worden, da die vorhandene Ware nur abgeschätzt worden sei.
Die Beklagte bestritt das Klagsvorbringen zu 8 Cr 144/68. Sie wendete ein, daß es wohl richtig sei, daß dem Kläger sein Gehalt für die Zeit 1. bis 11. März 1968 in der Höhe des eingeschränkten Klagsbetrages, die ziffernmäßig richtig sei, nicht ausbezahlt wurde. Gegen die Klageforderung werde jedoch eingewendet, daß der Kläger als Filialleiter des von ihm genannten Geschäftes ein Manko von 46.166.76 S verursacht habe. Neben dem Kläger habe sich in der Filiale nur eine Verkäuferin, Henriette M, befunden. Dieses Manko sei keineswegs durch die Struktur des Betriebes bedingt. Der Mankobetrag werde bis zur Höhe des Klagebetrages aufrechnungsweise eingewendet.
Überdies brachte die Beklagte gegen den Kläger eine Widerklage (AZ 8 Cr 216/69) ein, die auf Zahlung des Mankobetrages von 46.166.76 S abzüglich der Klageforderung von 2705.54 S, also von 43.461.22 S s A gerichtet ist. In der Widerklage wird ausgeführt, daß das Manko von 46.166.76 S umso auffälliger deswegen sei, als hiebei ein dreiwöchiger Urlaub des Klägers ausgeklammert worden und gerade in diesem Zeitraum kein Manko festzustellen gewesen sei. Die Fehlmengen seien ausschließlich während der Leitung der Filiale durch den Kläger aufgetreten. Sie könnten in den üblichen Schwankungen der Tagespreise bzw in dem allfälligen Verderb oder Schwund der Ware nicht ihre Erklärung finden. Zu diesem Zweck werde ohnedies eine 2%ige Schwundmenge berücksichtigt, die sich in jahrelanger Praxis als völlig ausreichend erwiesen habe. Allein der Umstand, daß die Fehlmengen nur während der persönlichen Anwesenheit des Klägers entstanden seien, lasse auf ein doloses Verhalten des Klägers schließen. Selbst wenn dies aber nicht der Fall wäre, handle es sich um gröbste und qualifizierte Fahrlässigkeit.
Vom Kläger wurde das Vorbringen in der Widerklage bestritten und ihre Abweisung beantragt.
Klage und Widerklage wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
In der Tagsatzung am 11. Februar 1969 hat die Beklagte und Widerklägerin (in der Folge als Beklagte bezeichnet) vorgebracht, es seien die Lieferungen an das Geschäft zum Teil von Lieferanten direkt durchgeführt worden, wobei der Kläger verpflichtet gewesen sei, die angelieferte Ware sofort zu kontrollieren, zum Teil seien Lieferungen auch durch die Beklagte erfolgt, wobei bei Obst und Gemüse ein Schwund von 2%, berücksichtigt worden sei. Der Kläger habe das Recht besessen, verdorbene und unanbringliche gewordene Ware zurückzustellen. Er habe von diesem Recht jedoch nie Gebrauch gemacht. - Die Inventur sei stets in Gegenwart des Klägers vorgenommen worden. Eine Schätzung sei nur bei Obst und Gemüse erfolgt, wobei der ziffernmäßige Wert jeweils etwa 900 S betragen habe. Der Kläger habe gegen diesen Vorgang nie Einspruch erhoben. Die Inventaraufstellungen seien dem Kläger zur Kenntnis gebracht und von ihm unterfertigt worden.
Das Erstgericht hat die Klagsforderung sowie die compensando eingewendete Gegenforderung bis zum Betrag von 2705.54 S für zu Recht bestehend erkannt, die Klage 8 Cr 144/68 abgewiesen und dem Kläger die Prozeßkosten zu 8 Cr 144/68 auferlegt (Punkte 1 bis 4 des Ersturteils).
Weiters hat das Erstgericht von dem in der Widerklage 8 Cr 216/69 geltend gemachten Betrag einen Teilbetrag von 7294.46 S s A der Beklagten zugesprochen und das Mehrbegehren von 36.166.65 S abgewiesen (Punkte 5 bis 6).
Schließlich wurde die Beklagte für schuldig erkannt, zwei Drittel der mit 832.12 S bestimmten Kosten des Verfahrens 8 Cr 216/69, d s
554.74 S, dem Kläger zu ersetzen (Punkt 7).
Das Erstgericht ging von folgenden Feststellungen aus:
Der Kläger war vom 3. Mai 1967 bis 11. März 1968 als Filialleiter des Lebensmittelgeschäftes der Beklagten in Wien 7, B-Gasse 25, beschäftigt. In diesem Geschäft arbeitete als Verkäuferin außer ihm nur Henriette M, die ihre Tätigkeit in der Filiale einen Tag vor dem Kläger begonnen hat und noch heute dort beschäftigt ist. Es handelt sich bei dem Geschäft nicht um ein Selbstbedienungsgeschäft, doch sind auch vor dem Verkaufspult verschiedene Waren, u zw hauptsächlich Obst und Gemüse, angeordnet gewesen. Verkauft werden Lebensmittel aller Art, auch z B Milch, Wurst und Kaffee.
Zum Teil bekamen der Kläger und Henriette M die Lebensmittel durch die Beklagte geliefert. Ausnahmen bildeten Kaffee, Milch, Brot und Gebäck sowie die verschiedenen alkoholischen und alkoholfreien Getränke, die durch Firmen direkt geliefert wurden. Während bei Lieferungen durch die Beklagte vom Kläger (oder Henriette M) ein Lieferschein bzw Gegenschein unterschrieben wurde, wurde die Ware bei Lieferung durch Lieferanten durch den Kläger oder Henriette M bar bezahlt. Dies war auch im Falle der Milch so, obwohl die Milchlieferung nachts erfolgte; der Kläger oder Henriette M legten das Geld zur Bezahlung der jeweils am Vortag gelieferten Milch unter die Milchkiste; die Milchverrechnung hat auch immer gestimmt. Die bar bezahlten Lebensmittel wurden vom Kläger (oder Henriette M) jeweils abends mit der beklagten Partei verrechnet.
Der Kläger und Henriette M haben die von der Beklagten gelieferte Ware niemals nachgewogen, sie haben auf die Richtigkeit der Angaben auf dem Lieferschein vertraut. Im Geschäft waren zwei Waagen vorhanden, eine Dreikilowaage und eine Zwanzigkilowaage; eine Kiste Obst auf diese Waage zu stellen, war jedoch nicht möglich, da die Waagschale zu klein ist. Eine Kiste Äpfel z B wiegt 20 kg. Wurde Obst nach Stücken geliefert, ist es mitunter vorgekommen, z B bei den Grapefrüchten, daß die Stückzahl nicht gestimmt hat. Dies wurde zwischen dem Kläger und der Beklagten telefonisch erledigt.
Wenn Ware billiger verkauft werden mußte, weil sich die Preise verändert hatten, wurde der Beklagten hierüber nie in einer Preisveränderungsanzeige berichtet. Der Kläger und Henriette M haben jeweils zu den ihnen von der Beklagten angegebenen Preisen verkauft. Wenn daher Obst und Gemüse an einem Tag zu einem bestimmten Kilopreis geliefert wurde, die angelieferte Menge aber nicht zur Gänze verkauft werden konnte und am nächsten Tag dieselbe Kategorie Obst oder Gemüse billiger geschickt wurde, haben der Kläger und Henriette M alles billiger verkauft, ohne der Beklagten über die noch vorhandene teuere Ware etwas zu melden. Es wurde allerdings auch keine Meldung erstattet, wenn eine Ware von einem Tag zum anderen teurer wurde, doch kam dieser Fall gerade bei Gemüsen im Sommer weniger oft vor.
Preisveränderungen werden auch von anderen Filialen der Beklagten kaum jemals bekanntgegeben, vor allem nicht im Sommer, da sie sich nicht weiter auswirken und Preissenkungen im Frühjahr sich mit Preissteigerungen im Herbst wieder ausgleichen. Franziska D, die seit vier Jahren eine Filiale der Beklagten leitet, nimmt ebenfalls nur sehr selten Kontrollen hinsichtlich der Richtigkeit des Gewichts und der Stückzahl der angelieferten Ware vor, und auch dann nur stichprobenweise. Eine regelmäßige Kontrolle wäre ihr arbeitsmäßig nicht möglich. Trotzdem hatte sie deswegen noch nie einen Anstand. Einen gewichtmäßigen Fehler hat Franziska D bei ihren stichprobeweise durchgeführten Kontrollen noch nie entdeckt.
Obst und Gemüse wird täglich nur in kleinen Mengen angeliefert, sodaß der Verkauf vielfach noch am selben Tag durchgeführt werden kann. Der Schwund durch Verderb ist deshalb bei Franziska D so gering, daß er noch unter die ihr zugestandenen 2% fällt; es kam bei ihr deshalb nur selten vor, daß sie Waren in einem größeren Ausmaß als verdorben melden mußte, z B wenn bereits bei der Anlieferung etwa einer Kiste Zitronen eine beträchtliche Anzahl verdorben war.
Der Kläger und Henriette M haben Waren, die in der vom Kläger geleiteten Filiale verdorben waren, jeweils sofort weggeworfen, ohne der Beklagten eine Meldung hierüber zu machen. Die Beklagte hat dem Kläger und Henriette M weder gesagt, daß sie ihr verdorbene Waren zurückgeben müssen oder doch können, noch auch hat sie ihnen gesagt, daß sie nichts zurückgeben dürfen, sondern alles verkaufen müssen. Der Kläger und Henriette M haben nicht nur Obst und Gemüse, also Waren, die von der Beklagten geliefert worden waren, als verdorben weggeworfen, sie mußten auch Wurstzipfel und Käsereste manchmal als unverkäuflich wegwerfen.
Auf den Lieferscheinen, mit denen die Beklagte Obst und Gemüse an den Kläger geliefert hat, wurde die Menge der gelieferten Ware genau verzeichnet. Abschließend jedoch wurde generell als "Schwund" 2% vom Gesamtbetrag abgezogen, auch bei Waren, bei denen ein Schwund an sich nicht entstehen kann, weil es sich um verpackte Waren handelt, wie etwa bei Kartoffeln, die in Säcken zu 2 kg abgewogen waren, oder weil es sich um stückweise gelieferte Ware, wie z B Salat, handelt, bei der "Schwund" gleichfalls eigentlich nicht entstehen kann.
Die Lieferscheine hinsichtlich Obst und Gemüse wurden von Viktoria R, einer Tochter der Beklagten, geschrieben, u zw nach Ansage eines Angestellten, der die Ware gewogen bzw die Stückzahlen angesagt hat. Die Auslieferung von Obst und Gemüse erfolgte mittels eines eigenen Chauffeurs. Die Kontrolle der auf dem Lieferschein verzeichneten Ware gehörte zum Aufgabenbereich des Klägers als Filialleiter.
Die Geschäfte der Beklagten bekommen etwa 50% ihrer Waren von der Beklagten geliefert, weitere 50% kaufen sie selbst ein. Die Beklagte nimmt eine Abschreibung wegen verdorbener oder unanbringlicher Ware nur dann vor, wenn ihr eine entsprechende Meldung erstattet wird. Der Kläger hat eine solche Meldung nie gemacht. Der Kläger hat lediglich wiederholt in Telefongesprächen, die er allabendlich mit Viktoria R über den Geschäftsgang und das Ausmaß der erforderlichen Bestellungen zu führen hatte, darauf hingewiesen, daß eine bestimmte Warengattung, vor allem Obst, nicht mehr ganz in Ordnung sei; Viktoria R erwiderte ihm regelmäßig, er werde die Ware schon noch verkaufen können.
Daß eine Ware überhaupt weggeworfen werden muß, kommt nur selten vor, da auch eine Ware, die nicht mehr ganz frisch ist, durch eine entsprechende Preisreduktion gewöhnlich noch rechtzeitig verkauft werden kann. Um den Verderb bei Obst und Gemüse möglichst gering zu halten, erfolgt die Anlieferung täglich und in kleinen Mengen; die täglichen Anlieferungen an die vom Kläger geleitete Filiale schwankten hinsichtlich Obst und Gemüse bei Werten zwischen 300 S bis höchstens 800 S, von Ausnahmen, wie etwa zu Weihnachten, abgesehen. Der Stand an Obst und Gemüse betrug in der Filiale des Klägers wertmäßig etwa 1000 S bis 1500 S.
Auch in dem vom Kläger geleiteten Geschäft ist es zu Diebstählen durch Kunden gekommen. So können sich der Kläger und Henriette M genau erinnern, daß sie an einer bestimmten Stelle vier Dosen mit Sardinen stehen hatten, später aber nur mehr drei Dosen vorfanden, obwohl keiner von ihnen eine Dose verkauft hatte.
Während der Tätigkeit des Klägers wurden mehrmals Inventuren vorgenommen, u zw eine bei seinem Dienstantritt als Filialleiter, eine, als er seinen Urlaub antrat, eine weitere, als er von seinem Urlaub zurückkehrte, eine zum 31. Dezember 1967 und eine letzte am 11. März 1968. Die Inventuren wurden jeweils durch die Buchhalterin der Beklagten, Elfriede B und ihre Hilfskraft, Maria R, aufgenommen, u zw jeweils auf Grund von Angaben, die der Kläger und Henriette M machten. Der Kläger und Henriette M haben die Waren nach Stückzahl oder Gewicht bekanntgegeben, ebenso auch den Verkaufspreis. Nur Obst und Gemüse wurde nicht gewogen, sondern vom Kläger gemeinsam mit Frau M geschätzt. Da Elfriede B mit Arbeit überlastet war, ließ sie die Ausrechnung der während des Jahres 1967 angefertigten Inventuren bis zum Jahresabschluß zusammenkommen, wobei die Ausrechnung dann die Zeit bis März 1968 beanspruchte. Die beklagte Partei entdeckte daher erst anläßlich der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers, daß namhafte Fehlbeträge vorhanden sind.
Der Kläger hat täglich Kassaberichte erstattet. Diesen waren zu entnehmen: die Anlieferungen an die Filiale, u zw nach Warengattung und Rechnungsbetrag, die Beträge, die der Kläger für Lieferungen bar ausgelegt hat, die Beträge, die an die Beklagte abgeführt wurden, der Kassastand.
Der Kassastand mußte 500 S betragen; die darüber hinausgehenden Beträge wurden an die beklagte Partei abgeliefert. Welche Waren der Kläger verkauft hatte, war dem Kassabericht nicht zu entnehmen, dies ist auch praktisch unmöglich.
Der Kläger und Henriette M wogen zeitweise den gelieferten Kaffee nach; Brot und Gebäck wurden stichprobenartig auf die Stückzahl kontrolliert. Bei den gelieferten Getränken, wie Milch usw., war eine Zählung einfach und wurde deshalb auch durchgeführt. Eine weitere Kontrolle der angelieferten Waren führten der Kläger und Henriette M nicht durch.
Die Beklagte hatte zur Zeit der Tätigkeit des Klägers insgesamt sieben Filialen. Sie tolerierte ein Manko von monatlich 300 S außerhalb des 2%igen Schwundes. Ein Manko über diesen Betrag hinaus ist außer in der Filiale des Klägers nirgends aufgetreten. Der Gesamtumsatz in der Filiale des Klägers betrug im Monat durchschnittlich 80.000 S.
Buchhaltungsmäßig beträgt das Manko in der Filiale B-Gasse 25 unter der Leitung des Klägers 46.166.76 S, wobei auf die Zeit bis 31. Dezember 1967 ein Betrag von 25.276.41 S und auf die Zeit seit 1. Jänner 1968 ein Betrag von 20.890.35 S entfällt. In der dreiwöchigen Urlaubszeit des Klägers war praktisch kein Abgang buchhalterisch zu eruieren.
Der Kläger war drei Jahre bei der Firma M und anschließend - er ist derzeit 23 Jahre alt - Verkäufer, im wesentlichen in Lebensmittelgeschäften. Etwa ein Jahr lang war er auch Filialleiter in einem Lebensmittelgeschäft; allerdings waren in dieser Filiale stets auch entweder sein Dienstgeber oder dessen Mutter neben dem Kläger anwesend.
Als der Kläger als Filialleiter durch die beklagte Partei aufgenommen wurde, wurde er über seine Pflichten als Filialleiter nicht näher unterrichtet, da der beklagten Partei bekannt war, daß der Kläger hierüber von seiner früheren Tätigkeit her bereits Bescheid weiß.
Nach Geschäftsschluß wurde der Kläger wiederholt von einem seiner Freunde oder auch von mehreren besucht. Bei diesen Gelegenheiten wurde Bier oder Wein getrunken, es wurde auch etwas gegessen. Die Konsumation wurde den Beständen des Geschäftes entnommen.
Anläßlich der Einführung in das Geschäft B-Gasse 25 wurde der Kläger von Elfriede B, die ihm die Ware laut Inventur übergab, darauf hingewiesen, daß er als Filialleiter für alles verantwortlich sei, daß er für die Ware verantwortlich sei und für ein allfälliges Manko hafte. Die Haftung für ein allfälliges Manko wird von Elfriede B bei der Aufnahme eines jeden Angestellten erwähnt.
Rechtlich wertete das Erstgericht die Sache dahin, daß es die Klagsforderung von 2705.54 S im Hinblick auf die Außerstreitstellung durch die Beklagte für zu Recht bestehend ansah.
Die compensando eingewendete bzw durch Widerklage geltend gemachte Mankoforderung wurde vom Erstgericht als für bestehend angenommen, weil der Kläger als Filialleiter für das Manko verantwortlich sei. Nach § 2 Abs 1 DHG wurde aber die Rückzahlungspflicht hinsichtlich des Schadensbetrages von 46.166.76 S vom Erstgericht aus Billigkeitsgrunden auf 10.000 S gemäßigt, was etwa dem dreifachen monatlichen Entgelt des Klägers entspricht. Hievon die Klagsforderung abgezogen, ergibt den der Beklagten vom Erstgericht zugesprochenen Betrag von 7294.46 S.
Dieses Urteil bekämpften beide Parteien mit Berufung.
Das Berufungsgericht verhandelte die Sache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem. Es gab der Berufung des Klägers nicht Folge, die der Beklagten hatte nur im Kostenpunkt (P 7 des erstgerichtlichen Urteils), nicht jedoch in der Hauptsache Erfolg. Zur Begründung führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus:
Es gehöre zweifellos zu den Pflichten eines Filialleiters, angelieferte Ware der Menge nach zu überprüfen, den Verderb bekanntzugeben oder Preisänderungsmeldungen zu erstatten. Tue er all das nicht, so müsse er sich darüber klar sein, daß er für einen Abgang hafte. Wenn die ordnungsgemäße Übernahme der Ware deshalb unmöglich gewesen wäre, weil es an geeigneten Waagen oder Zeit mangelte, so hätte er diesen Mißstand der Beklagten rechtzeitig melden müssen. Abgesehen von diesen Überlegungen habe der Kläger das zweifelsfrei bestehende Manko nicht aufklären können. Bei größerer Umsicht, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt wäre eine genauere Kontrolle der angelieferten und der verdorbenen Waren und der Preisänderungen usw möglich gewesen. Für alle anderen Abgänge, die der Kläger nicht einmal erklären könne, hafte er im Hinblick darauf, daß er die Waren übernommen habe. § 2 Abs 1 des DHG normiere, daß dann, wenn ein Dienstnehmer dem Dienstgeber durch einen minderen Grad des Versehens einen Schaden zufügt, das Gericht aus Gründen der Billigkeit den Ersatz mäßigen oder mit Rücksicht auf die besonderen Umstände ganz erlassen kann. Abs 2 bestimme, daß der Dienstnehmer für eine entschuldbare Fehlleistung nicht haftet. Abs 2 könne nicht herangezogen werden, weil die Handlungsweise des Klägers ein größeres Verschulden als nur eine entschuldbare Fehlleistung beinhalte. Die gesamte Verhaltensweise des Klägers stelle jedoch einen minderen Grad des Versehens, also eine leichte Fahrlässigkeit, dar. Zu dieser Annahme gelange das Berufungsgericht, weil dem Kläger beim Entstehen des Mankos weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit habe nachgewiesen werden können. Es sei aber auch dem Kläger nicht gelungen nachzuweisen, daß der festgestellte Schaden etwa ohne sein Verschulden entstanden wäre. Hafte aber der Kläger wegen leichter Fahrlässigkeit (minderer Grad des Versehens) im Sinne des § 2 Abs 1 DHG, so müsse noch darauf eingegangen werden, ob aus Gründen der Billigkeit das Gericht den Ersatz mäßigen oder erlassen könne. Die kaufmännische Ausbildung und die mehrjährige Praxis, auch als Filialleiter, sprächen zwar gegen eine Mäßigung, andererseits sei dem Kläger eine Verantwortung als Filialleiter auferlegt gewesen, die er mit den zur Verfügung gestellten Mitteln (mangelhafte Waagen) nicht ordnungsgemäß habe erfüllen können. Darüber hinaus habe auch die Beklagte nicht darauf gedrungen, daß er sich über die Menge und den Verbleib der verdorbenen Ware hinreichend ausweise. Die Zubilligung eines 2%igen Schwundabschlages sei zu gering, um den Verderb in dieser Branche (Obst, Gemüse, Lebensmittel usw) abzudecken. Es sei dem Kläger kein sogenanntes "Mankogeld" wie es in dieser Branche üblich ist, zur Verfügung gestellt worden. Die Beklagte habe nicht auf Erstattung von Preisänderungsanzeigen bestanden. Aus dem ganzen Verfahren leuchte eher eine auffallende Sorglosigkeit des Klägers als eine entschuldbare Fehlleistung hervor. Er habe die Warenanlieferungen praktisch nicht kontrolliert, keine Preisänderungsanzeigen erstattet, er habe verdorbene Ware vernichtet, ohne sie einer Kontrolle zu unterziehen und nach Geschäftsschluß im Geschäft "Gelage" veranstaltet. Damit habe er zumindest die Gefahr für eine unkontrollierte Verminderung des Warenlagers vergrößert. Schließlich habe die Beklagte während der Dienstzeit des Klägers zumindest fünf Inventuren gemacht, diese jedoch nicht ausgewertet. Erst am Ende der Dienstzeit sei das Manko hervorgekommen. Hätte die Beklagte die Inventur anläßlich des Urlaubs des Klägers in der Mitte der Dienstzeit ausgewertet, so wäre damals schon ein Manko aufgeschienen. So aber habe der Kläger glauben können, es sei alles in Ordnung. Er sei z B daher nicht etwa darauf aufmerksam gemacht worden, daß er bei der Warenübernahme genauer kontrollieren müsse. Das alles exkulpiere den Kläger zwar nicht, jedoch vermeine das Berufungsgericht, daß aus all diesen Gründen das Mäßigungsrecht aus Billigkeit gemäß § 2 Abs 1 DHG angewendet werden könne. Was die Höhe des Ersatzbetrages anlange, so seien drei Monatsgehälter ein Betrag, der zwar nur ein schwaches Viertel des errechneten Schadens ersetze, aber doch andererseits ein Viertel eines Jahresgehaltes des Klägers darstelle. Dieser Betrag sei angemessen.
Der Oberste Gerichtshof wies die Revision des Klägers teils als unzulässig zurück, teils gab er ihr nicht Folge. Die Revision der Beklagten hatte zum Teil Erfolg. Ihr wurde ein Betrag von 40.461.22 S s A zuerkannt, das Mehrbegehren von 300 S s A jedoch abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision des Klägers ist insoweit unzulässig, als sie sich gegen die Entscheidung über seine Klage (8 Cr 144/68) wendet, weil diesbezüglich ein bestätigendes Urteil des Berufungsgerichts vorliegt und der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschied, den Betrag von 15.000 S nicht übersteigt (§ 502 Abs 3 ZPO). Die Verbindung von Klage und Widerklage hat nicht eine Zusammenrechnung des Streitwertes zur Beurteilung der Anfechtbarkeit der Entscheidung zur Folge (SZ 31/155, Arb 8598). In diesem Umfange (P 2, 3 und 4 des Urteils des Erstgerichts) war sohin die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Im übrigen ist jedoch die Revision des Klägers unbegrundet, die der Beklagten aber teilweise begrundet.
Dem Kläger war als Filialleiter eine Geschäftsbesorgung übertragen (Einkauf und Verkauf). Er war daher gemäß den §§ 1151 Abs 2, 1009 ABGB, § 42 Abs 1 AngG verpflichtet, das ihm übertragene Geschäft "emsig und redlich" zu besorgen. Da er eine ordnungsgemäße kaufmännische Lehre absolviert und anschließend als Verkäufer in der Lebensmittelbranche, dann etwa ein Jahr lang als Filialleiter in einem Lebensmittelgeschäft tätig war, hat er nach § 1299 ABGB die für die Ausübung des Berufs eines Filialleiters eines Lebensmittelgeschäftes erforderlichen nicht gewöhnlichen Kenntnisse zu prästieren. Nun hat sich während seiner ungefähr zehn Monate andauernden Tätigkeit als Filialleiter eines der Beklagten gehörigen Geschäfts ein Manko von 46.166.76 S ergeben, dies bei einem Gesamtumsatz im Monat von durchschnittlich 80.000 S und unter Berücksichtigung eines 2%igen Schwundes bei den von der Beklagten angelieferten Waren, die zirka 50% des Bedarfes der Filiale ausmachten. Der Kläger hat als Ursache des Mankos auf unrichtiges Gewicht, unrichtige Stückzahl der von der Beklagten gelieferten Waren, die er nicht nachwog, weil er für Obstkisten keine geeignete Waage hatte, hingewiesen; dann auf Preisveränderungen, Ladendiebstähle und Verderben von Waren. Das Erstgericht war der Meinung, daß auf diese Schadensquellen nur ein geringer Teil des eingetretenen Schadens zurückgeführt werden könne, unterließ jedoch diesbezüglich eine Bewertung. Es war der Meinung, daß ein minderer Grad des Verschuldens des Klägers vorliege, sodaß aus Billigkeitsgrunden der Ersatz nach § 2 Abs 1 DHG zu mäßigen sei. Diese Auffassung teilte auch das Berufungsgericht.
Nun trifft es zu, daß nach § 1298 ABGB bei Nichterfüllung einer vertragsmäßigen Verbindlichkeit schuldhaftes Handeln vermutet wird, wenn der Nichterfüllende nicht seine Schuldlosigkeit beweist, wobei jedoch ein höherer Grad des Verschuldens, also auch grobe Fahrlässigkeit, nicht vermutet wird. Während Vorsatz vom Geschädigten immer zu beweisen ist, gilt dies nicht für grobe Fahrlässigkeit. Ob sie gegeben ist, ist nach der Lage des Falls vom Richter zu beurteilen (vgl Klang[2] VI 46). Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Schade für den Kläger als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommen kann und nach Umständen auch wohl die Vermutung des bösen Vorsatzes nahelegt (vgl Ehrenzweig, Schuldrecht, 58 und die dort bei FN 12 wiedergegebene Entscheidung, ferner Gamillscheg - Hanau, die Haftung des Arbeitnehmers, 54). Das Verhalten des Klägers, der innerhalb von zehn Monaten einen immerhin bedeutenden Schaden verursachte, während gerade in der Zeit seines Urlaubs rein buchmäßig kein erhebliches Manko festgestellt werden konnte, ist als auffallend nachlässig und leichtsinnig zu beurteilen. Bei diesem Hang zur besonderen Nachlässigkeit hätte der Kläger daher mit dem Eintritt von bedeutendem Schaden rechnen müssen. Es kann ihn auch nicht etwa entschuldigen, daß ihm die Ergebnisse der Inventur mangels Auswertung nicht bekanntgegeben werden konnten, weil ja bei gehöriger Aufmerksamkeit den Eintritt des Schadens in verhältnismäßig kurzer Zeit hätte erkennen können, und für ihn ein Anspruch auf Überprüfung seiner Tätigkeit durch die Geschäftsinhaberin nicht bestand. Dazu kommt noch, daß er durch häufige Konsumation von Waren mit Freunden im Geschäftslokal nach Geschäftsschluß auch noch die Möglichkeit dazu schaffte, daß Waren ohne Bezahlung verbraucht werden konnten.
Es ist demnach davon auszugehen, daß der Kläger der Beklagten jedenfalls grob fahrlässig einen Schaden zugefügt hat, für den er voll verantwortlich ist. Allerdings sind auch die vom Kläger nicht zu verantwortenden Abgänge durch größeren Schwund, geringeres Gewicht u dgl, in Betracht zu ziehen, die gemäß § 273 ZPO unter Bedachtnahme auf die von der Beklagten selbst gehandhabte Übung, monatlich außer dem 2%igen Schwund ein Manko von 300 S hinzunehmen, mit 3000 S angenommen werden können. Vom Schaden in der - restlichen - Höhe von 43.461.22 S (= 46.166.76 S minus 2705.54 S) ist somit dieser Betrag abzuziehen, woraus sich der der Beklagten zuzuerkennende Betrag von 40.461.22 S ergibt, während das Mehrbegehren von 3000 S abzuweisen war.
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