OGH 8Ob19/70

OGH8Ob19/7010.2.1970

SZ 43/35

Normen

ZPO §235
ZPO §235

 

Spruch:

Der Zulassung einer Klagsänderung, die am Anfang des Rechtsstreites beantragt wurde, steht nicht entgegen, daß das ursprüngliche Klagebegehren ohne jede weitere Beweisaufnahme abgewiesen werden könnte

OGH 10. Februar 1970, 8 Ob 19/70 (LGZ Wien 45 R 622/69; BG Fünfhaus 7 C 606/69)

Text

Mit ihrer am 23. Juli 1969 erhobenen Klage begehrten die Kläger unter Hinweis auf titellose Benützung sowie auf einen bestehenden Abbruchsauftrag die Räumung des im Hoftrakt des Bestandobjektes Wien, E-Straße 68. rechts gelegenen, aus Ziegeln gemauerten, eingeschossigen Schuppens durch den Beklagten. Eingangs der sodann für den 12. September 1969 ausgeschriebenen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung "präzisierten" die Kläger das Klagebegehren dahin, daß der Beklagte schuldig sei, den im Hoftrakt des Hauses Wien, E-Straße 68, rechts vor dem Ziegelschuppen gelegenen Holzbau zu räumen. Der Beklagte sprach sich gegen diese Änderung der Klage aus, bestritt die titellose Benützung sowie das Vorliegen eines Abbruchsauftrages und gab noch an, daß er auch nicht Mieter eines rechts vor dem Ziegelschuppen gelegenen Holzbaues sei.

Das Erstgericht ließ die Klagsänderung nicht zu, da der Beklagte den gemauerten Schuppen nicht benütze und das Verfahren daher i S der Abweisung des Klagebegehrens spruchreif sei. Eine Klagsänderung sei nicht zuzulassen, wenn sie eine Erschwerung oder Verzögerung des sonst spruchreifen Verfahrens zur Folge hätte.

Das Rekursgericht änderte über Rekurs der Kläger den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß die Klagsänderung zugelassen werde. Da die Klagsänderung schon zu Beginn der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist, könne von einer unbilligen Verzögerung oder Erschwerung des Prozesses nicht gesprochen werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 235 Abs 3 ZPO kann das Gericht eine Klagsänderung auch nach Eintritt der Streitanhängigkeit und ohne Einwilligung des Gegners zulassen, wenn aus der Änderung eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung nicht zu besorgen ist. Lehre und Rechtsprechung liegen diese Bestimmung dahin aus, daß es i S der Zivilprozeßordnung liege, eine Klagsänderung, soweit tunlich, zuzulassen, wenn sie den Parteien und den Gerichten einen zweiten Prozeß erspart (MietSlg 17.774, JBl 1955, 502, SZ 27/167 u v a). Die Aussichtslosigkeit des ersten Begehrens und selbst die Notwendigkeit einer Erstreckung der Tagsatzung sind keineswegs schon ausreichende Gründe, die Klagsänderung nicht zuzulassen. Das Gesetz ist in diesem Sinne nicht eng auszulegen. Die Frage, ob eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung des Verfahrens zu befürchten ist, ist nach dem Zeitpunkt der Klagsänderung zu beurteilen. Der Oberste Gerichtshof hat, wie dem Erstgericht und auch dem Revisionsrekurse beizupflichten ist, in ständiger Rechtsprechung Klagsänderungen nicht zugelassen, wenn eine Entscheidung über das ursprüngliche Begehren bereits gefällt werden oder ohne umfangreiches Beweisverfahren ergehen kann und über die geänderte Klage noch weitere umfangreiche Beweise aufgenommen werden müßten (MietSlg 17.774, JBl 1955, 502, JBl 1951, 381 u a). Diese Rechtsprechung ist aber nur dahin zu verstehen, daß dann, wenn nach Durchführung eines Beweisverfahrens bereits abschließend geklärt ist, daß der ursprünglich geltend gemachte Anspruch des Klägers nicht zu Recht besteht, dem Kläger nicht mehr die Möglichkeit geboten werden kann, durch Änderung seines Klagebegehrens den Prozeß auf neuer Grundlage und mit völlig neuen Beweismitteln fortzusetzen. Hingegen wäre es dem Sinn der Bestimmung des § 235 Abs 3 ZPO zuwider, eine eine Klagsänderung ausschließende Spruchreife des Rechtsstreites bereits anzunehmen, wenn sich aus der Klagsänderung das Zugeständnis ergibt, daß der Anspruch nach der bisherigen - etwa irrtümlichen - Formulierung des Begehrens nicht durchsetzbar sei. Wenn die Klagsänderung also, wie im vorliegenden Fall, bereits am Beginn der Streitverhandlung noch vor Erörterung des Sachverhaltes mit dem Beklagten und vor Fassung eines Beweisbeschlusses vorgenommen wurde, der Beklagte also überhaupt noch keinen überflüssigen Prozeßaufwand zum ursprünglich gestellten Klagebegehren entfaltet hat, er insbesondere auch das geänderte Klagebegehren bestreitet, bestand kein Anlaß, die Klagsänderung nicht zuzulassen, die überflüssige Entscheidung über das erste Klagebegehren zu fällen und die Kläger zu zwingen, einen neuen Prozeß zu beginnen (vgl EvBl 1947/463). Der Oberste Gerichtshof tritt vielmehr der Auffassung Faschings III 122 Anm 10 bei, daß es unrichtig wäre, Klagsänderungen, die am Anfang des Rechtsstreites beantragt wurden, schon deshalb nicht zuzulassen, weil das ursprüngliche Klagebegehren ohne jede weitere Beweisaufnahme abgewiesen werden könnte; daß auch das geänderte Klagebegehren mit größter Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt wäre, kann derzeit noch nicht gesagt werden.

Mit Recht hat daher das Rekursgericht die Klagsänderung, die nur die Berichtigung eines Informationsfehlers zu sein scheint, zugelassen.

Dem Revisionsrekurs ist somit ein Erfolg zu versagen.

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