Spruch:
Der Schiedsspruch ist schon mit der Durchführung der - schriftlichen oder mündlichen - Abstimmung bzw Konstatierung ihres Ergebnisses "gefällt"
OGH 29. Jänner 1970, 1 Ob 252/69 (OLG Innsbruck 1 R 135/69; LG Feldkirch 1 a Cg 12/69)
Text
Die Gesellschafter der Franz M OHG in Dornbirn, deren geschäftsführungs- und vertretungsbefugte Mehrheitsgesellschafter die Kläger sind, haben für Gesellschaftsstreitigkeiten ein Schiedsgericht vereinbart. Als Meinungsverschiedenheiten mit den übrigen Gesellschaftern Konsul Manfred R, Ing Guntram R und Lothar R auftraten, die außergerichtlich nicht beigelegt werden konnten, wurde von den Klägern das Schiedsgericht angerufen, das aus dem von den Klägern bestellten Rechtsanwalt Dr Günther M, dem von den übrigen Gesellschaftern bestellten Beklagten und dem vom Präsidenten des Landesgerichtes Feldkirch bestellten Dr Walther K als Obmann bestand, den Parteien rechtliches Gehör gewährte und das Verfahren am 30. Oktober 1968 schloß.
Mit der Behauptung, daß am 30. Oktober 1968 ein von allen Schiedsrichtern gefertigtes Beschlußprotokoll über den Schiedsspruch zustandegekommen und der Obmann des Schiedsgerichtes den Parteien das Abstimmungsergebnis kurz mitgeteilt habe, der Beklagte sich aber weigere, die Urschrift und die Ausfertigungen des vom Obmann des Schiedsgerichtes verfaßten und von diesem und Dr Günther M unterfertigten Schiedsspruchs ebenfalls zu unterfertigen, begehren die Kläger das Urteil, den Beklagten schuldig zu erkennen, den im Klagebegehren im Wortlaut wiedergegebenen, am 30. Oktober 1968 gefällten Schiedsspruch samt zwei Ausfertigungen und Rechtskraftklausel als Schiedsrichter zu unterfertigen; mit dem Tage der Rechtskraft des Urteils solle die Unterschrift als abgegeben gelten.
Der Beklagte machte geltend, daß das Begehren der Kläger nicht im Prozeßwege gestellt werden könne, und beantragte im übrigen Abweisung des Klagebegehrens, da den Parteien weder ein Schiedsspruch verkundet noch ein Abstimmungsergebnis bekanntgegeben worden sei; er hielt im übrigen die Abgabe der Unterschrift mit seinem Gewissen für unvereinbar.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte nach Vernehmung der Schiedsrichter Dr Walther K und Dr Günther M als Zeugen im wesentlichen fest: Bei der Verhandlung am 3. Oktober 1968 habe das Schiedsgericht mit den Stimmen des Obmanns und des Schiedsrichters Dr M, aber gegen die Stimme des Beklagten, beschlossen und verkundet, der von den damals Beklagten erhobenen Einrede, das Schiedsgericht sei zur Entscheidung über den Streitgegenstand nicht berufen, werde nicht Folge gegeben. Die weiteren Beschlüsse in der Sache selbst seien nach der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 1968, zum Teil gegen die Stimme des Schiedsrichters Dr M, zum Teil gegen die des Beklagten so, wie es nunmehr die Kläger behaupten, zustandegekommen, was in einer von allen Schiedsrichtern gefertigten Niederschrift vom 30. Oktober 1968 und in einer über Verlangen des Beklagten neu gefaßten, aber nur mehr vom Obmann und vom Schiedsrichter Dr M unterfertigten Niederschrift vom 22. November 1968 festgehalten worden sei. Das Schiedsgericht habe daher den im Klagebegehren angeführten Schiedsspruch, allerdings teilweise gegen die Stimme des Beklagten, erlassen. Der Schiedsspruch sei weder verkundet noch sei das Abstimmungsergebnis den Parteien mitgeteilt worden. Dies könne aber an der Tatsache, daß das Schiedsgericht einen Schiedsspruch gefällt habe, nichts ändern. Gem § 592 Abs 2 ZPO sei der Schiedsspruch samt Ausfertigungen von sämtlichen Schiedsrichtern zu unterschreiben. Der Beklagte sei daher verpflichtet, seine Unterschrift unter die Urschrift und die Ausfertigungen des Schiedsspruches zu setzen und könne hiezu mit Klage verhalten werden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit Rücksicht auf den Grundsatz, daß nach Stimmenabgabe und Feststellung des aus der Abstimmung fließenden Erkenntnisses die Entscheidung gefällt und die Verweigerung der zur Durchführung des gefällten Schiedsspruches erforderlichen Pflichterfüllung dem Ernste der Einrichtung des Schiedsgerichtswesens empfindlich Abbruch täte (SZ 6/212).
Gegen dieses Urteil, nach dessen Ausspruch der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteigt, richtet sich die Revision des Beklagten.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision stützt sich vor allem auf den Plenissimarbeschluß des Obersten Gerichtshofes vom 26. Oktober 1915, Jud 238, und will allein daraus ableiten, daß eine Klageführung auf Unterfertigung eines gefällten Schiedsspruches durch einen säumigen Schiedsrichter nicht zulässig sei. Das zitierte Judikat befaßt sich jedoch mit dieser Frage überhaupt nicht, sondern gelangt nur zum Ergebnis, daß ein säumiger Schiedsrichter zur Erfüllung des mit ihm geschlossenen Vertrages auf Fällung des Schiedsspruchs im Klagewege nicht verhalten werden könne. Der Oberste Gerichtshof begrundete diese Ansicht, wie der Revision beizupflichten ist, auch damit, daß in der Zivilprozeßordnung die Summe jener Normen zu erblicken sei, die auf das Verhalten der Parteien zum Schiedsrichter Bezug nehme; die Bestimmung des § 584 Abs 2 ZPO gestehe den Parteien nur einen Schadenersatzanspruch zu, was im übrigen nach § 1021 ABGB auch für den Fall des Rücktritts des Beauftragten gelte. Das Jud 238 motiviert seinen Rechtssatz vor allem aber damit, daß der Schiedsrichter, der im Wege der Exekution, also gemäß § 354 EO, durch Geld- und Arreststrafen verhalten wäre, ein Urteil zu fällen, nicht jenes Maß an Unbefangenheit gegenüber der ihn zwingenden Partei haben könne wie ein Schiedsrichter, der freiwillig das Amt ausübe. Dieses letztere Argument ist so überzeugend, daß nach wie vor keine Bedenken dagegen bestehen, die Klage gegen einen Schiedsrichter auf Fällung des Schiedsspruches auszuschließen.
Im vorliegenden Falle geht es aber darum, daß die Kläger behaupten, daß ein Schiedsspruch schon gefällt worden sei und der Beklagte sich nur weigere, der Bestimmung des § 592 Abs 2 ZPO gemäß die vom Obmann verfaßte Urschrift und die schriftlichen Ausfertigungen des Schiedsspruches zu unterfertigen. Diese Frage wurde im zitierten Judikat nicht behandelt, aber auch nicht durch die in der Begründung enthaltenen allgemeinen Ausführungen gelöst. Die dem Jud 238 folgende Rechtsprechung hat dies auch erkannt und daher in den Entscheidungen SZ 6/212 = RSpr 1924/201 und ZBl 1926/283 die Rechtsauffassung vertreten, daß ein Schiedsrichter nach Fällung des Schiedsspruches auf Unterfertigung der Urschrift und der Ausfertigungen des Schiedsspruches bzw auf Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit geklagt werden könne; hier handle es sich lediglich um die ordnungsgemäße Herstellung des schriftlich niedergelegten Erkenntnisses oder sonstige Formalitäten, welche für die Parteien von Bedeutung seien. Die zweite Instanz hat dabei in dem der Entscheidung SZ 6/212 zugrundeliegenden Verfahren sehr deutlich unterschieden und gesagt, daß der Schiedsrichter nach der Fällung des Schiedsspruches keine Willenserklärung, sondern nur mehr eine Wissenserklärung abzugeben habe, zu der er mittels Klage verhalten werden könne. Der Oberste Gerichtshof sprach damals auch aus, daß es um das Rechtsinstitut des Schiedsgerichtes übel bestellt wäre, wenn es jeweils jedem einzelnen Schiedsrichter nach Fällung des Spruches freistunde, das Resultat des vorangegangenen Verfahrens nach Belieben zu vernichten; unter Anwendung der Grundsätze des § 7 ABGB müsse daher eine Klage gegen den derart säumigen Schiedsrichter zugelassen werden. In jüngerer Zeit hat der Oberste Gerichtshof, soweit dies überblickt werden kann, lediglich in der Entscheidung EvBl 1965/171 erkannt, daß das Fehlen der Unterschrift des Schiedsrichters auf der Urschrift und den Ausfertigungen des Schiedsspruches nicht durch eine Klage auf Feststellung der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches ersetzt werden könne; die weitere Frage, ob man den Schiedsrichter auf Unterfertigung des Schiedsspruches belangen könne, wurde hingegen als im konkreten Falle nicht erörterungsbedürftig damals offengelassen. Die österreichische Lehre (Neumann, Komm[4] 1485, 1491, Sperl, Lehrbuch, 799 und in "Die Anfechtung von Schiedssprüchen" in der Festschrift zur 50-Jahr-Feier der österreichischen Zivilprozeßordnung 294 f; 303 sowie Pollak II 777) bejaht grundsätzlich die Zulässigkeit der Klageführung auf Unterfertigung eines gefällten Schiedsspruches. Auch die deutsche Judikatur, die zu einer im wesentlichen gleichen Gesetzeslage wie in Österreich Stellung zu nehmen hatte, läßt eine solche Klageführung zu (vgl z B RGZ 59, 247 f; 101, 392 f; 126, 379 f), die deutsche Literatur ist zum Teil uzw überwiegend dafür (Baumbach - Lauterbach[29], 1668 Anm 2 B, Anhang zu § 1028d ZPO, 1688 Anm 2 A zu § 1039 dZPO, Wieczorek IV/2 1336 Anm C I b 1 zu § 1039 dZPO, Rosenberg[9] 859, 867), zum Teil aber dagegen (Stein - Jonas[17] II Vorbemerkungen zum schiedsrichterlichen Verfahren III 7, Schönke - Schröder - Niese, Lehrbuch des Zivilprozeßrechtes[8], 483). Die schweizerischen Zivilprozeßgesetze können nicht herangezogen werden, da diese im allgemeinen besagen, daß die Weigerung der Minderheit der Schiedsrichter, das Urteil zu Unterzeichnen, dessen Wirksamkeit nicht beeinträchtigt (Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht[2], 589).
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die österreichische und deutsche Judikatur, aber auch die Mehrzahl der Fachautoren, die Zulässigkeit einer Klageführung gegen den Schiedsrichter auf Unterfertigung der Urschrift und der Ausfertigungen eines bereits gefällten Schiedsspruches bejahen. Da es nach Fällung eines Schiedsspruches tatsächlich nur mehr darum geht, mit der gem § 592 Abs 2 ZPO vorgeschriebenen Unterfertigung des Schiedsspruches durch alle, also auch die überstimmten Schiedsrichter die inhaltliche Übereinstimmung der Urschrift und der Ausfertigungen mit dem gefällten Schiedsspruch zu beurkunden, also keine Entscheidung mehr zu treffen ist, hat das Revisionsgericht keine Bedenken, auch weiterhin die Zulässigkeit einer Klageführung gegen den säumigen Schiedsrichter auf Unterfertigung eines bereits gefällten Schiedsspruches zu bejahen. Die dagegen vorgetragenen Argumente der Revision können nicht überzeugen, zumal sie in erster Linie auf gesetzliche Bestimmungen hinweisen, die sich darauf beziehen, wie vorzugehen ist, wenn ein Schiedsrichter vor Fällung des Schiedsspruches säumig wird.
Es ist allerdings noch dazu Stellung zu nehmen, ob der Schiedsspruch bereits als "erlassen" (§ 587 Abs 1 ZPO) bzw "gefällt" (§ 590 ZPO) anzusehen ist. Im vorliegenden Falle war nämlich nach den Feststellungen der Untergerichte der Schiedsspruch nicht verkundet und damit der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten worden. Mit dieser Frage mußten sich die Entscheidungen SZ 6/212 und ZBl 1926/283 nicht befassen, da es im erstgenannten Fall um die Bestätigung der Vollstreckbarkeit eines bereits unterschriebenen und zugestellten Schiedsspruches, im letzteren Falle aber um die Unterfertigung der Urschrift und der Ausfertigung eines Schiedsspruches gegangen war, der bereits verkundet gewesen war; auch in dem der im gleichen Sinne lautenden Entscheidung GlUNF 2751 zu Gründe liegenden Falle war den Parteien der Schiedsspruch bereits mitgeteilt worden.
Auch für einen Fall, in dem die Schiedsrichter ihren Schiedsspruch nicht verkundeten, sondern sich - wie diesmal - die Fällung des Schiedsspruches vorbehielten, will Sperl, Festschrift, 293, die Bestimmung des § 416 Abs 2 ZPO analog anwendbar wissen, die regelt, wann das Gericht an seine Entscheidung gebunden ist. Dazu ist freilich zu bedenken, daß dem Schiedsgericht in aller Regel eine dem staatlichen Gericht vergleichbare Organisation fehlt, sodaß von vornherein kein rechter Raum für eine Analogie zur "Abgabe der Entscheidung in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung" bleibt. Immerhin meinen auch Baumbach - Lauterbach[29], 1690 Anm 5 A und Wieczorek IV/2, 1334, Anm B IIa zu § 1039 dZPO, daß dann, wenn eine Unterschrift fehlt, auch ein "wirksamer" Schiedsspruch fehle; erst mit der Zustellung an die Parteien sei das Schiedsgericht an seinen Spruch gebunden. In diesem Sinne könnten allenfalls auch die "Erläuternden Bemerkungen" zur Regierungsvorlage zur Zivilprozeßordnung (Materialien zu den österr Zivilprozeßgesetzen I 384) verstanden werden, wo es heißt, daß die Zustellung der Entscheidung einen wesentlichen Bestandteil des Erkenntnisverfahrens bildet. Die Entscheidung SZ 6/212, die primär allerdings eine andere Rechtsfrage zu beurteilen hatte, spricht hingegen aus, es gelte der Grundsatz, daß nach Stimmenabgabe und Feststellung des aus der Stimmenabgabe fließenden Ergebnisses die Entscheidung gefällt ist. Das Revisionsgericht hält diese letztere Ansicht aufrecht, da die Bestimmung des § 590 ZPO nur dahin lautet, daß der Schiedsspruch, sofern nicht im Schiedsvertrag etwas anderes bestimmt ist, nach der absoluten Mehrheit der Stimmen zu "fällen" ist. Damit ist kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung der Schiedsspruch schon mit der Durchführung der - schriftlichen oder mündlichen (Sperl, Lehrbuch, 798 f) - Abstimmung bzw Konstatierung ihres Ergebnisses als gefällt anzusehen. Nach den Feststellungen der Untergerichte wurde im vorliegenden Falle vom Schiedsgericht bereits am 30. Oktober 1968 über den Schiedsspruch Beschluß gefaßt und das Ergebnis dieser Beschlußfassung in einem Beschlußprotokoll festgestellt. Nach der Bestimmung des § 590 ZPO war also damit der Schiedsspruch gefällt. Der Beklagte behauptet selbst nicht, daß die Beschlußfassung anders zustandegekommen wäre, als sie von den Klägern wiedergegeben wurde; er behauptet aber auch nicht, eine Revotation, also eine Beschlußfassung, vom gefällten Schiedsspruch wieder abzugehen und die Sache nochmals zu beraten, auch nur beantragt zu haben, so daß die Beantwortung der Frage, ob im Rahmen analoger Anwendbarkeit des § 416 Abs 2 ZPO eine Revotation im Schiedsverfahren überhaupt noch möglich ist, auf sich beruhen kann. Ebenso kann unerörtert bleiben, welche Bedeutung es hat, daß der Obmann des Schiedsgerichtes im Einvernehmen mit dem Schiedsrichter Dr M dem Anwalt der Kläger nachträglich wenigstens den Tenor des Schiedsspruches i S der Abstimmung vom 30. Oktober 1968 bekanntgegeben hat, eine Mitteilung, die dem von den Klägern nun gestellten Klagebegehren zu Gründe lag. War der Schiedsspruch aber bereits am 30. Oktober 1968 gefällt, durfte der Beklagte die Unterschrift auf die vereinbarungsgemäß vom Obmann hergestellte Urschrift und die Ausfertigungen des Schiedsspruches nicht verweigern und konnte, wenn er dies trotzdem tat, auf Unterschriftleistung geklagt werden.
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