OGH 2Ob287/69

OGH2Ob287/6920.11.1969

SZ 42/175

Normen

Kraftfahrgesetz 1967 §63 (3)
ZPO §14
Kraftfahrgesetz 1967 §63 (3)
ZPO §14

 

Spruch:

Versicherer und Versicherungsnehmer sind bei Klage des Geschädigten gegen sie eine einheitliche Streitpartei.

Entscheidung vom 20. November 1969, 2 Ob 287/69.

I. Instanz: Bezirksgericht Stainz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Der Kläger begehrt von den beiden Beklagten den Ersatz des Sachschadens, den er am 7. November 1968 bei einem Verkehrsunfall in St. erlitten habe. Er behauptet, daß der Erstbeklagte diesen Unfall als Lenker eines PKWs. allein verschuldet habe; dieser sei bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert gewesen. Zur Tagsatzung vom 13. Februar 1969, die ohne vorangegangene erste Tagsatzung erstmals zur Vornahme der mündlichen Streitverhandlung beim Bezirksgericht St. bestimmt war, erschien der Rechtsanwalt Dr. Walter G. nur mit einer Vollmacht des Erstbeklagten; er wurde als Vertreter der Zweitbeklagten gegen Nachbringung einer Vollmacht binnen drei Wochen gemäß § 38 ZPO. zugelassen. Der Kläger beantragte für den Fall der Versäumung dieser Frist ein Versäumungsurteil gegen die Zweitbeklagte. Die Vollmacht der Zweitbeklagten wurde erst am 6. Mai 1969, somit nach Ablauf der gesetzten Frist, vorgelegt.

Daraufhin gab das Erstgericht dem Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte mit Versäumungsurteil statt.

Auf Berufung der Zweitbeklagten hob das Berufungsgericht nach mündlicher Berufungsverhandlung das Versäumungsurteil unter Rechtskraftvorbehalt auf, trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf und wies den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteiles ab.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Entscheidend ist die Frage, ob bei Erhebung der Klage des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten gegen den Schädiger und seinen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer die Beklagten als einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO. trotz des Umstandes anzusehen sind, daß ein Urteil bei getrennter Inanspruchnahme nur bei Abweisung des Klagebegehrens auch gegen den anderen wirkt (§ 63 (3) KFG. 1967, BGBl. Nr. 267). Nach § 14 ZPO. erstreckt sich nämlich die Wirkung der Prozeßhandlung des tätigen Streitgenossen nur dann auch auf den Säumigen, wenn die Streitgenossen eine einheitliche Streitpartei bilden. Als Folge dieser Bestimmung darf in diesem Falle ein Versäumungsurteil gegen einen nicht erschienenen Streitgenossen nicht gefällt werden, wenn auch nur einer der Streitgenossen nicht säumig war (§ 402 (2) ZPO.).

Die angeführte Vorschrift, wonach bei Erhebung des Schadenersatzanspruches gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer oder den Versicherten das abweisliche Urteil jeweils auch zugunsten des anderen wirkt, rechtfertigt die Annahme einer einheitlichen Streitpartei, wenn die beiden gemeinsam geklagt werden. Eine solche liegt gemäß § 14 ZPO. vor, wenn sich die Wirkung des zu fällenden Urteiles wegen der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auf sämtliche Streitgenossen erstreckt. Es soll entweder wegen der Beschaffenheit des Rechtsverhältnisses oder - ohne Rücksicht darauf - bei ausdrücklicher Anordnung des Gesetzes ein inhaltlich gleiches Urteil gegen alle erreicht werden. Daher soll das vielleicht abweichende Verhalten der einzelnen Streitgenossen auf dieses gemeinsame Ziel ausgerichtet werden. Dieses Ziel wird dadurch erreicht, daß die Wirkung des Urteiles in einem Rechtsstreit eines dieser Beteiligten eine gegenteilige Entscheidung in einem Rechtsstreit eines anderen dieser Beteiligten ausschließt. Die Rechtskrafterstreckung bei einem Nacheinander der Prozesse führt zur einheitlichen Streitpartei bei einem Nebeneinander der Prozesse (Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei, S. 30, 73, 98, 100 sowie Bemerkungen zur einheitlichen Streitpartei, ÖJZ. 1959 S. 619 ff, insbesondere 622, 626, Kralik, Streitgenossen als einheitliche Streitpartei ÖJZ. 1963 S. 115, Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechtes[9] S. 468, Blomeyer Zivilprozeßrecht S. 615 u. a.).

Dieses Ziel soll aber auch dann erreicht werden, wenn die Wirkung des Urteiles nicht in jedem Fall, sondern nur bei Stattgebung oder nur bei Abweisung des Klagebegehrens auch einen Dritten erfaßt. Auch in diesem Fall soll insoweit eine neuerliche Entscheidung ausgeschlossen werden. Mit diesem Zweck wird in den erläuternden Bemerkungen die Bestimmung des § 63 (3) KFG. 1967 begrundet (186 der Beil. zu den stenogr. Prot. des NR. X GP. S. 105, s. a. Prölss, VVG[17] S. 644 zu § 3 Nr. 8 Pfl. Vers. Ges. u. F.).

Diese Auffassung wird auch bei Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (§§ 200, 201 Aktienges. 1937 und §§ 198, 201, Aktienges. 1965) vertreten. Das Urteil über ein solches Begehren wirkt nämlich nur dann auf alle in den bezogenen Gesetzesstellen genannten Beteiligten, wenn der Klage stattgegeben wird; wird das Klagebegehren abgewiesen, bleibt die Wirkung auf die Parteien des konkreten Rechtsstreites beschränkt. Ob die Erweiterung der Wirkung des stattgebenden Urteiles eine Erweiterung der prozessualen Rechtskraftwirkung oder der Gestaltungswirkung des Urteiles bedeutet, wird nicht einheitlich beantwortet. Einigkeit besteht aber darüber, daß mehrere dieser Beteiligten bei einem gemeinsamen Rechtsstreit eine einheitliche Streitpartei bilden (Holzhammer, a. a. O., S. 112 ff, Rosenberg, a. a. O., Blomeyer, a. a. O., S. 616, Stein - Jonas, Komm. zur deutschen ZPO.[19] I S. 366, Godin - Wilhelmi, Aktienges.[2] S. 848, Fasching, Komm. zur ZPO. II S. 198 u. a.).

Es ist daher auch begrundet, den Haftpflichtversicherer und den Versicherten wegen der Erweiterung der Urteilswirkung durch die Vorschrift des § 63 (3) KFG. 1967 bei gemeinsamer Inanspruchnahme als einheitliche Streitpartei zu behandeln.

Daraus folgt, daß das Berufungsgericht richtig angenommen hat, daß die Prozeßhandlungen des nicht säumigen Erstbeklagten auch für die Zweitbeklagte wirkten. Gegen diese durfte daher ein Versäumungsurteil nicht gefällt werden. Es wurde mit Recht aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.

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