Spruch:
Das rechtliche Interesse des Bauführers an der Feststellung, daß dem Beklagten keine Privatrechte zustunden, welche der von ihm beabsichtigten Bauführung entgegenstehen, ist unabhängig davon gegeben, daß die angeführte Vorkehrung auch einer Bewilligung der politischen Behörde bedarf.
Entscheidung vom 24. September 1969, 7 Ob 153/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Millstatt; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Die Kläger sind Eigentümer der Liegenschaft EZ. 132 KG. M. mit dem Wohnhaus P. Nr. 4. Die Liegenschaft grenzt im Osten an die im Eigentum der Beklagten stehende Liegenschaft EZ. 141 KG. M. mit dem Wohnhaus P. Nr. 5. Die Kläger beabsichtigen, im Osten an ihr bestehendes Wohnhaus einen Zubau zu errichten. Sie brachten deshalb am 16. Juli 1968 bei der Gemeinde O. einen Antrag auf Baubewilligung ein. Bei der Bauverhandlung erhoben die Beklagten gegen die Bauführung verschiedene Einwendungen. Mit Bescheid vom 28. November 1968 erkannte die Gemeinde O. diese Einwendungen der Beklagten, nämlich die behauptete Notwendigkeit, bei Errichtung des Baues und allfälligen Reparaturen, das Grundstück der Beklagten zu betreten, die behauptete Beeinträchtigung ihrer Sicht, Beeinträchtigungen durch zusätzliche Einsicht in ihr Grundstück und erhöhte Lärmbelästigung sowie die behauptete Wertminderung ihres Grundstückes als Einwendungen privatrechtlicher Natur. Sie erklärte die von den Klägern beantragte Bauführung bei Einhaltung bestimmter Vorschreibungen in öffentlich-rechtlicher Hinsicht für zulässig, verwies die Beklagten zur Wahrung ihrer privatrechtlichen Interessen auf den Rechtsweg und sprach aus, daß gemäß § 10 (2) der Kärntner Bauordnung sowie der §§ 340 und 341 ABGB. das zuständige Gericht zu entscheiden habe, ob, in welchem Umfang und mit welchen Beschränkungen mit der Bauführung begonnen werden dürfe.
Mit der Behauptung, daß die angeführten privatrechtlichen Einwendungen der Beklagten nicht stichhältig seien, die Beklagten jedoch weiterhin auf ihrem unbegrundeten Standpunkt stunden, begehrten die Kläger die Feststellung, daß den Beklagten keine Privatrechte zustunden, welche der von den Klägern beantragten und laut Bescheid der Gemeinde O. vom 28. November 1968 in öffentlichrechtlicher Hinsicht zulässigen Bauführung entgegenstehen.
Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Sie brachten im wesentlichen vor, daß ihre Einwendungen auf Grund der Bestimmungen über das Nachbarrecht berechtigt seien, die Klage mangels Rechtskraft der Baubewilligung verfrüht sei und nur eine Leistungsklage zu erheben gewesen wäre.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht wies dieses Begehren und einen von den Klägern im Berufungsverfahren gestellten Unterbrechungsantrag ab. Das Berufungsgericht erachtete zwar entgegen den Berufungsausführungen der Beklagten das gegenständliche Klagebegehren als genügend bestimmt und die Feststellungsklage als an sich zulässig, verneinte jedoch das rechtliche Interesse der Kläger an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung, weil vor rechtskräftiger Entscheidung der Verwaltungsbehörde nicht bekannt sei, ob eine Baubewilligung überhaupt erteilt werde und ob die Verwaltungsbehörde alle von den Beklagten erhobenen Einwendungen als solche privatrechtlicher Natur beurteilen werde.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung, allenfalls nach ergänzender Verhandlung, an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der im Berufungsverfahren gefaßte Beschluß auf Abweisung des von den Klägern gestellten Unterbrechungsantrages ist sowohl zufolge § 192
(2) ZPO., als auch zufolge § 519 ZPO. unanfechtbar, er kann auch im Wege der Revision nicht bekämpft werden (6 Ob 223/66 u. a.). Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor.
In rechtlicher Hinsicht ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der Eigentümer einer Liegenschaft bei Rechtsanmaßung seines Nachbarn grundsätzlich zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage berechtigt (EvBl. 1962 Nr. 226, 1966, Nr. 419, 1969, Nr. 56, RiZ. 1966 S. 53) und das gegenständliche Begehren genügend bestimmt ist (ebenso RiZ. 1966 S. 53). Der von den Klägern begehrte Hinweis auf die Entscheidung der Baubehörde erster Instanz im Spruch dient lediglich der Individualisierung jener Vorkehrung, die zu verhindern den Beklagten nach der Behauptung der Kläger keine Privatrechte zustehen. Dem Umstand, daß der eine oder andere Gesichtspunkt in den Einwendungen der Beklagten allenfalls auch aus öffentlichrechtlichen Gründen Berücksichtigung finden kann, ist durch die Formulierung des Feststellungsbegehrens Rechnung getragen (ebenso sinngemäß RiZ. 1966 S. 53, wobei es sich z. B. bei der hier behaupteten Lärmbeeinträchtigung und Wertverminderung jedenfalls um eine Einwendung privatrechtlicher Natur im Sinn des § 364 ABGB. handelt).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist aber auch das rechtliche Interesse der Kläger an der alsbaldigen Feststellung im Sinn ihres Begehrens aus nachstehenden Gründen zu bejahen:
Zunächst muß diese durch § 228 ZPO. normierte Voraussetzung einer Feststellungsklage zumindest zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz gegeben sein (Fasching III S. 19, JBl. 1960 S. 562, 1965 S. 316 u. a.). Auf die inzwischen erfolgte Entscheidung der Baubehörde zweiter Instanz war daher bei Prüfung dieser Frage nicht Bedacht zu nehmen.
Sowohl die von den Klägern beabsichtigte konkrete Vorkehrung als auch die von den Beklagten dagegen behaupteten Privatrechte stehen eindeutig fest. Es handelt sich also keineswegs um eine hypothetische Streitfrage, vielmehr stunde das rechtliche Interesse der Kläger an alsbaldiger Feststellung außer Zweifel, falls für die von ihnen beabsichtigte Vorkehrung nicht außerdem die Bewilligung der politischen Behörde nötig wäre. Der Umstand, daß die angeführte Vorkehrung auch einer Bewilligung der politischen Behörde bedarf, kann das Interesse an der Feststellung des Fehlens von Privatrechten, welche die beabsichtigte Vorkehrung zu hindern geeignet wären, nicht schmälern, namentlich bei Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 10 der Kärntner Bauordnung, wonach die Kläger angesichts der von den Beklagten erhobenen privatrechtlichen Einwendungen zur Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung genötigt sind.
Daß die voneinander unabhängigen Verfahren bzw. Entscheidungen der Baubehörde einerseits (nach öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten) und des Gerichtes andererseits (nach privatrechtlichen Gesichtspunkten) nur nacheinander erfolgen dürften, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Demzufolge wurde das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung in den Entscheidungen EvBl. 1962 Nr. 226 und 5 Ob 81/68 auch ohne Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung bejaht. Der Oberste Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Auffassung abzugehen, zumal die einzige scheinbar von dieser Ansicht abweichende Entscheidung GlUNF. 3377 einen Sachverhalt betraf, in welchem die Beklagten keine privatrechtlichen Einwendungen erhoben hatten, und daher in privatrechtlicher Hinsicht von keiner Rechtsgefährdung der Kläger gesprochen werden konnte.
Da sich das Berufungsgericht, welches von einer durch den Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht ausging, mit den übrigen von der Berufung der Beklagten geltend gemachten Berufungsgrunden nicht auseinandersetzte, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei war dem Berufungsgericht vorzubehalten, ob es eine ergänzende Berufungsverhandlung für erforderlich hält oder nicht.
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