OGH 1Ob129/69

OGH1Ob129/6926.6.1969

SZ 42/98

Normen

JN §86
JN §86

 

Spruch:

Anwendung des § 86 JN. bei längerem Aufenthalt außerhalb des ordentlichen Wohnsitzes.

Entscheidung vom 26. Juni 1969, 1 Ob 129/69.

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Partei hat die am 12. Dezember 1968 beim Kreisgericht Wiener Neustadt eingebrachte Klage auf Zahlung von 242.810 S s. A. aus dem Rechtsgrund des an sie zedierten Entgeltsanspruches für die Errichtung einer Zentralheizungsanlage gegen den Beklagten unter der Anschrift "S. Nr. 46" gerichtet. Dieser wendete örtliche Unzuständigkeit mit der Begründung ein, er habe seinen ordentlichen Wohnsitz in Wien III., von dort seien auch die Bestellungen erfolgt; in S. halte er sich nur aus geschäftlich bedingten Gründen auf.

Die klagende Partei, die für den Fall der Stattgebung der Unzuständigkeitseinrede Überweisung an das Handelsgericht Wien beantragte, hielt dem entgegen, der Beklagte habe in seinem Schreiben vom 1. Dezember 1968, Beilage B, und in der Klagebeantwortung seinen Wohnsitz mit "S. Nr. 46" angegeben; überdies sei der Gerichtsstand des Erfüllungsortes vereinbart worden, der gleichfalls die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes begrunde.

Das Erstgericht sprach seine Unzuständigkeit aus und überwies die Klage an das Handelsgericht Wien. Es stellte auf Grund der Aussage des Beklagten und des Schreibens vom 1. 12. 1968, Beilage B, fest, daß der Beklagte seit 1956 Mieter einer Wohnung in Wien III., sei, dort dauernd mit seiner Gattin lebe und dort auch polizeilich gemeldet sei; vor etwa 2 Jahren habe er die ruinenhaften Häuser S. Nr. 46 und Nr. 49 gekauft und sei darangegangen, sie wieder aufzubauen; das Haus Nr. 49 sollte zu 12 Eigentumswohnungen umgestaltet, das Haus Nr. 46 als Sommer-, Alters- und Ruhesitz des Beklagten ausgebaut werden; zur Zeit der Klagserhebung seien die Bauarbeiten noch nicht beendet und eine Benützungsbewilligung noch nicht erteilt gewesen; der Beklagte halte sich zum Zweck der Beaufsichtigung der Bauarbeiten seit 1 1/2 Jahren öfter in S. auf; bis vor etwa 3 Monaten habe er in einem Gasthof in S. dauernd ein Fremdenzimmer gemietet gehabt, obwohl er in manchem Monat nur 2 - 3 Tage dort geschlafen habe; seither nächtige er wegen der Sperre dieses Gasthauses gelegentlich in seinem Haus Nr. 46; den wirtschaftlichen Schwerpunkt habe der Beklagte in seiner Wiener Wohnung; in S. habe er sich aufgehalten, um den Wiederaufbau der Häuser zu betreiben und die dabei eingesetzten Arbeiter zu beaufsichtigen; er habe aber gelegentlich auch seinen Briefverkehr über die Anschrift "S. Nr. 46" abgewickelt, um den Umweg der Post über seine Wiener Wohnung zu verhindern; nach Fertigstellung wolle er das Haus Nr. 46 hauptsächlich in den Sommermonaten sowie als Alters- und Ruhesitz verwenden. Unter diesen Umständen - so führte das Erstgericht aus - müsse davon ausgegangen werden, daß der Beklagte seinen ordentlichen Wohnsitz und damit den allgemeinen Gerichtsstand in Wien habe; den Gerichtsstand der Niederlassung (§ 87 JN.) könne die klagende Partei mangels einer geschäftlichen Tätigkeit des Beklagten im Sprengel des Kreisgerichtes Wiener Neustadt nicht in Anspruch nehmen; mangels entsprechender Behauptungen und mangels urkundlichen Nachweises lägen auch der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 88 (1) JN.) und der Fakturengerichtsstand (§ 88 (2) JN.) nicht vor, es komme auch kein sonstiger Zuständigkeitstatbestand in Betracht.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß im Sinn einer Zurückweisung der Unzuständigkeitseinrede ab. Es erachtete den Gerichtsstand nach § 86 JN. für gegeben und führte dazu im wesentlichen aus, es komme dabei auf einen Aufenthalt von längerer Dauer an, bei dem kürzere Unterbrechungen desselben nicht entscheidend seien; da die Aufenthaltsgrunde im Gesetz nur demonstrativ aufgezählt seien, könne dieser Wahlgerichtsstand nach Lehre (Neumann, Fasching) und Rechtsprechung auch zutreffen, wenn es sich etwa um einen Sommeraufenthalt oder einen längeren Besuch handle; auf eine Beschäftigung am Aufenthaltsort komme es nicht an; bei einem Streit über das Vorliegen dieses Wahlgerichtsstandes sei im Interesse der beabsichtigten Erleichterung der Rechtsverfolgung eher eine erweiternde Auslegung am Platz; eine strengere Beurteilung wäre nur erforderlich, wenn - im Gegensatz zu einer Prozeßführung beim allgemeinen Gerichtsstand - wichtige persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Beklagten beeinträchtigt würden; Behauptungen in dieser Richtung seien im vorliegenden Fall nicht aufgestellt worden; wenn es der Beklagte für gerechtfertigt erachtet habe, für seinen Aufenthalt in der Nähe der Baustelle in S. trotz offenbar immer wieder erfolgender Heimkehr in die Wiener Wohnung dauernd ein Fremdenzimmer zu mieten, spreche dies für seine häufige Anwesenheit während des langen Zeitraumes von mehr als 1 1/2 Jahren; da die Aufgabe des Zimmers nur auf die Sperre des Gasthauses zurückzuführen sei, könne angenommen werden, daß der anschließende Aufenthalt im Haus S. Nr. 46 etwa in gleichem Umfang erfolgte; wenn auf Grund der Aussage des Beklagten feststehe, er wickle gelegentlich seinen Briefverkehr über die Anschrift "S." ab, um Umwege der Post zu vermeiden, sei daraus abzuleiten, daß er dann eben vor allem unter dieser Anschrift zu erreichen ist; daß er sein Schreiben vom 1. 12. 1968, Beilage B, mit der Absenderanschrift "S. 46" versehen habe, spreche dafür, daß dieser Aufenthaltsort auch für den Zeitpunkt der Klagseinbringung gegeben war; der Beklagte habe dies ja damit erklärt, daß die Post beschleunigt erledigt werden könne und nicht über Wien laufen müsse; damit habe der Beklagte mittelbar den Aufenthalt in S. zugegeben, ohne daß eine baldige Beendigung abzusehen gewesen sei; bezeichnend sei diesbezüglich auch, daß die Klage unter der Anschrift "S. Nr. 46", ohne daß eine Hinterlegung nötig gewesen wäre, habe zugestellt werden können; daß der Beklagte dauernd in Wien lebe, wie das Erstgericht festgestellt habe, sei im Sinn des dort anzunehmenden ordentlichen Wohnsitzes zu verstehen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsmittelausführungen des Beklagten sind nicht geeignet, eine Fehlbeurteilung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltes durch das Rekursgericht aufzuzeigen. Die Behauptung, der Beklagte habe das Zimmer im Gasthaus P. noch im November 1968 aufgegeben und sich kein Ersatzquartier beschafft, verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist unbeachtlich. Im übrigen ist es nach den Ergebnissen des Zwischenstreites klar, daß dem Beklagten in der letzten Zeit bereits das Haus S. Nr. 46 als Ersatzquartier gedient hat. Die Umstände des Falles sprechen für einen längeren Aufenthalt des Beklagten in S., wobei der vom Beklagten zwecks Vermeidung von Verzögerungen gewählten Abwicklung der Post über die Adresse "S. Nr. 46" zutreffend wesentliche Bedeutung zugebilligt werden konnte.

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