Spruch:
Der Gesamtrechtsnachfolger haftet für zu Lebzeiten seines Vorgängers entstandene Beitragsschuldigkeiten aus der Sozialversicherung.
Entscheidung vom 13. Februar 1969, 2 Ob 21/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Rottenmann; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Rudolf H. sen., der Vater des Beklagten, betrieb in S. eine Gastwirtschaft, eine Fleischhauerei und eine Landwirtschaft. Er bezahlte für fünf, teils in der Gastwirtschaft, teils in der Fleischhauerei beschäftigte Dienstnehmer Sozialversicherungsbeiträge unter den im Gesetz vorgesehenen Ansätzen, weil er niedrigere Entgelte, als in den Kollektivverträgen vorgesehen, meldete und die Meldung der Leistung von Sonderzahlungen unterließ.
Mit Übergabsvertrag vom 15. Juli 1963 übergab Rudolf H. sen. den Betrieb seinem Sohn Rudolf H. jun. und dessen Ehefrau. Rudolf H. sen. starb am 30. April 1964. Sein Nachlaß wurde dem Beklagten Bruno H. auf Grund eines Testamentes vom 19. Juli 1956 auf der Grundlage einer unbedingten Erbserklärung am 19. März 1965 und am 24. Juni 1965 (Nachtragsabhandlung) mit einem Aktivstand von 61.330.68 S eingeantwortet. Passiven waren zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.
Im September 1966 führte die Klägerin in dem von Rudolf H. jun. von seinem Vater übernommenen Betrieb (Gastwirtschaft und Fleischhauerei) eine Beitragsprüfung durch. Dabei wurden die erwähnten Fehlbeträge an Versicherungs- und Sonderbeiträgen festgestellt.
Die Klägerin (Gebietskrankenkasse) begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des nach ihrer Beitragsnachberechnung für die Zeit vom 1. Jänner 1960 bis 30. Juni 1963 gebührenden - eingeschränkten - Betrages von 10.929.09 S.
Der Beklagte bestritt nach Grund und Höhe. Er wendete u. a. Unzulässigkeit des Rechtsweges, Mangel der passiven Klagslegitimation und Verjährung ein.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Der Berufung der Klägerin, die das Ersturteil lediglich bezüglich der Abweisung eines Betrages von 88.65 S unbekämpft gelassen hatte, wurde teilweise Folge gegeben. Der Beklagte wurde unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 132.97 S schuldig erkannt, der Klägerin 10.796.12 S samt 6% Zinsen seit 23. Jänner 1967 als dem Tag der Zahlungsaufforderung zu bezahlen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges für Ansprüche der hier geltend gemachten Art ist bereits durch die Rechtsprechung geklärt, weshalb diesfalls bloß auf die in SZ. XXXVIII 109 und EvBl. 1968 Nr. 305 veröffentlichten Entscheidungen verwiesen werden kann.
Strittig ist vor allem die Frage, ob sich die Gesamtrechtsnachfolge des Beklagten nach seinem Vater auch auf den hier zur Entscheidung stehenden Anspruch der Klägerin bezieht.
Beide Vorinstanzen gingen diesfalls von der die Haftung für Beitragsschuldigkeiten regelnden Bestimmung des § 64 ASVG. aus.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß mit Rücksicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger eine der Haftung des Betriebsnachfolgers im Sinne des § 67 (4) ASVG. gleichkommende Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers nicht unmittelbar auf die Bestimmungen der §§ 531 und 801 ABGB. gegrundet werden könne, weil das letztgenannte Gesetz nur Privatrechte und -pflichten regle. Es gelangte aber, gestützt auf die Rechtslehre, im Wege eines Analogieschlusses zu dem Ergebnis, daß rein vermögensrechtliche öffentlich-rechtliche Pflichten auf den nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu ermittelnden Gesamtrechtsnachfolger übergehen, und zwar auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung einer derartigen Rechtsnachfolge. Die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers könne jedoch nicht strenger sein als die des Betriebsnachfolgers nach § 67
(4) ASVG., vielmehr müßten für jenen dieselben Haftungsbeschränkungen gelten wie für diesen. Da die Gesamtrechtsnachfolge des Beklagten am 19. März 1965 eingetreten sei, käme eine unbeschränkte Haftung nur für die vor diesem Zeitpunkt liegenden 12 Monate, somit nur hinsichtlich der Beitragsrückstände bis 19. März 1964 in Betracht, darüberhinaus nur, wenn der Beklagte von der übernommenen Schuld wußte oder wissen mußte und nur bis zum Wert des übernommenen Vermögens (§ 1409 ABGB.). Für ersteres hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben; davon abgesehen, habe die Klägerin nicht behauptet, daß der Wert der Erbschaft den Wert der Forderung erreiche.
Das Berufungsgericht ging auf die Frage einer analogen Anwendung privatrechtlicher Bestimmungen im öffentlichen Recht nicht ein. § 67
(4) ASVG. löse die Frage, wenn die Zahlungspflicht hinsichtlich des nach öffentlich-rechtlichen Normen ermittelten Anspruches der Gebietskrankenkasse treffe. Soweit diese Bestimmung Rechtsbegriffe aus zivilrechtlichen Normen verwende, sei der Begriffsinhalt durch zivilrechtliche Normen zu bestimmen. Gleiches gelte hinsichtlich der Ergänzung der öffentlich-rechtlichen durch die zivilrechtliche Norm. Durch die Worte "unbeschadet der Haftung des Vorgängers" solle nicht die Haftung jedes anderen ausgeschlossen sein. Die Formulierung lasse die Ergänzung dieser unvollständigen Norm durch § 801 ABGB. zu, die an die Stelle des "Vorgängers" den Gesamtrechtsnachfolger setze. Eine umfassende neuerliche Wiedergabe jedes Tatbestandsmerkmales sei nicht möglich und im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung, die ein gegenseitiges Ineinandergreifen der Normen darstelle, auch nicht notwendig. Die Erwägung, daß einer Gesamtrechtsnachfolge in vermögensrechtliche Pflichten des öffentlichen Rechtes keine Bestimmung entgegenstehe und daß auch die Lehre diese Möglichkeit einhellig bejahe, führe zu dem Ergebnis, daß die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers nach bürgerlich-rechtlichen Normen zu prüfen sei. Es sei verfehlt, aus der Beschränkung der Haftung des Betriebsnachfolgers auf eine Einschränkung der Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers zu schließen, da § 67 (4) ASVG. eine Sonderregelung darstelle. Diese Bestimmung habe einen zusätzlichen Anknüpfungstatbestand zwecks Erweiterung der Haftung in persönlicher Hinsicht geschaffen. Die Annahme eines Verzichtes auf die Haftung nach bürgerlichem Recht würde der Absicht des Gesetzgebers widersprechen. Dazu komme, daß sich Rudolf H. sen. im Übergabsvertrag vom 15. Juli 1963 zur lastenfreien Übergabe des Vermögens an Rudolf H. jun. verpflichtet habe. Diese Verpflichtung sei im Rahmen des bürgerlichen Rechtes auf den Beklagten übergegangen.
Die Revisionsausführungen stellen eine verkürzte Wiedergabe der vom Erstgericht zur Begründung der Klagsabweisung angestellten Erwägungen dar, ohne einen neuen Gesichtspunkt aufzuzeigen.
Die klagsgegenständliche Beitragsschuldigkeit ist, wie die Vorinstanzen zutreffend annahmen, öffentlich-rechtlicher Natur. Öffentliche Rechte und Pflichten sind zwar grundsätzlich unvererblich (Gschnitzer, Erbrecht, S. 4). Zutreffend war aber schon das Erstgericht der Ansicht, daß bei Fehlen ausdrücklicher Vorschriften über die Vererblichkeit die Anwendung der Rechtsgedanken der §§ 531 und 801 ABGB. auf öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. hiezu auch Palandt, BGB.[28] S. 1470). Von dem die Grundlage des Erbrechtes als Inbegriff der geldwerten Rechte und Verbindlichkeiten einer Person bildenden Begriff des Vermögens ausgehend, hat daher auch der Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt vertreten, daß der materielle Inhalt der Vermögensbegriffe grundsätzlich nicht auf Rechte privatrechtlichen Ursprunges beschränkt ist, weshalb die öffentlich-rechtliche Natur eines Anspruches aus der Sozialversicherung der Einbeziehung desselben in das Vermögen des Versicherten nicht entgegenstehe, und daß es sich in diesem Fall um kein höchstpersönliches und damit unvererbliches Recht handle (VwGH., NF. 1951, Nr. 2369 (A.)). Dies entspricht auch der Auffassung des Oberlandesgerichtes Wien als letzter Instanz im Leistungsstreitverfahren (30. 10. 1956, 10 R 126/56, AN. 1957 Nr. 3), wonach die nicht liquidierten Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung als Vermögensbestandteile in den Nachlaß des Berechtigten fallen und der Umstand, daß sie dem Bereich des öffentlichen Rechtes entspringen, dem nicht entgegensteht. Nun stellt § 531 ABGB. die Verbindlichkeiten den Rechten gleich. Es bestehen daher keine Bedenken, die vorstehenden Erwägungen, denen der erkennende Senat folgt, auch auf den Fall einer öffentlichrechtlichen Verbindlichkeit anzuwenden. Dem entspricht es auch, daß Steuerschulden zu den Nachlaßverbindlichkeiten gehören, soweit sie vor dem Tod des Erblassers entstanden sind (Gschnitzer, a.a.O., S. 5), zumal sich aus dem Wesen der Gesamtrechtsnachfolge ergibt, daß der Erbe für Verbindlichkeiten, die der Erblasser aus seinem Vermögen zu bestreiten gehabt hätte, als Schuldner einzustehen hat (§ 548 ABGB.; vgl. auch Reeger - Stoll, Bundesabgabenordnung, S.81).
Der Entscheidung des Berufungsgerichtes haftet somit ein Rechtsirrtum nicht an.
Die Verjährungseinrede, mit der sich die zweite Instanz nicht befaßt hat, hatte das Erstgericht auf der Grundlage der Bestimmung des § 68 ASVG. als nicht gerechtfertigt befunden. Seinen diesfälligen Erwägungen ist beizupflichten.
Auf die Eventualbegründung der zweiten Instanz brauchte bei diesen Umständen nicht mehr eingegangen zu werden.
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