OGH 2Ob309/68

OGH2Ob309/6814.11.1968

SZ 41/155

Normen

ABGB §1327
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §14 (3)
ABGB §1327
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §14 (3)

 

Spruch:

Unterhaltsentgang einer Witwe, weil sie die Dienstwohnung ihres getöteten Ehegatten räumen mußte.

Entscheidung vom 14. November 1968, 2 Ob 309/68.

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Nach dem festgestellten Sachverhalt ist es am 1. Dezember 1964 in Innsbruck zu einem Unfall gekommen, bei dem Michael E., der Gatte der Klägerin, so schwer verletzt wurde, daß er am 7. Dezember 1964 gestorben ist. Er ist mit seinem Fahrrad am rechten Fahrbahnrand gefahren. Der Beklagte wollte ihn mit seinem PKW trotz Gegenverkehrs überholen und hat ihn dabei gestreift und zur Seite geschleudert. Der Beklagte ist vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten in der Höhe von 55.146.42 S mit der Behauptung geltend gemacht, daß der Beklagte den Unfall allein verschuldet habe, weil er trotz eisglatter Straße und trotz Sichtbehinderung durch den herrschenden Nebel mit einer zu hohen Geschwindigkeit gefahren sei und trotz Gegenverkehrs überholt habe. Einen Betrag von 48.421.30 S hat sie aus dem Gründe begehrt, daß sie mit ihrem Gatten, der Schulwart und Hausmeister in einem Schulungsheim einer Kammer war, eine Dienstwohnung bewohnt habe. Nach dem Tode ihres Gatten habe sie diese Wohnung räumen und sich eine neue Wohnung beschaffen müssen. Sie habe die von ihrem verstorbenen Schwiegervater hinterlassene Wohnung übernehmen können und diese mit einem erheblichen Aufwand in einen bewohnbaren Zustand versetzen müssen. Diese Aufwendung habe ihr der Beklagte zu ersetzen.

Der Beklagte hat ein 50%iges Mitverschulden des Michael E. geltend gemacht, Klagsabweisung begehrt und eingewendet, daß E. sein Fahrrad nicht beleuchtet hatte, weshalb er ihn zu spät gesehen habe.

Das Erstgericht hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin 41.359.80 S zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 13.786.62 S hat es abgewiesen. Es hat ein Mitverschulden des Michael E. zu 25% mit der Begründung angenommen, daß dieser sein Fahrrad nicht wirksam beleuchtet hatte und für den Beklagten erst spät erkennbar gewesen sei. Das plötzliche Auftauchen des Radfahrers habe dazu beigetragen, den Beklagten zu der verhängnisvollen Überholungshandlung zu veranlassen. Im übrigen war das Erstgericht der Ansicht, daß die Klägerin durch den Tod ihres Gatten die Wohnung verloren hatte. Es hat festgestellt, daß E. nicht die Absicht hatte, mit dem 65. Lebensjahr in Pension zu gehen. Es sei nicht feststellbar, wie lange die Klägerin diese Wohnung hätte bewohnen können, wenn ihr Gatte nicht getötet worden wäre. Die Klägerin habe sich eine andere Wohnung beschaffen müssen. Diese Wohnung habe sie in einen bewohnbaren Zustand bringen müssen. Sie habe Aufwendungen in der Höhe von 50.484.62 S gemacht. Die Todfallskosten hätten 4662 S betragen. Der Gesamtschaden der Klägerin ergebe mit Rücksicht auf das Mitverschulden des Michael E. zu 25% 41.359.97 S.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der klagenden Partei nicht Folge, der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß es den Beklagten verurteilt hat, der Klägerin lediglich die Todfallskosten von 4662 S zu bezahlen. Das Mehrbegehren (Instandsetzung der neu beschafften Wohnung) von 50.484.62 S hat es abgewiesen.

Das Berufungsgericht war der Meinung, daß das alleinige Verschulden des Beklagten anzunehmen sei. Es hat aber den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Aufwandes für die von ihr beschaffte Wohnung für nicht gerechtfertigt angesehen und dies damit begrundet, daß die Klägerin diesen Schadenersatz nach § 1327 ABGB. weder als Ersatz der "Kosten" noch als Unterhaltsentgang begehren könne. Diese Ansprüche der Klägerin stunden mit dem Tod ihres Gatten in keinem adäquaten Kausalzusammenhang. Das Berufungsgericht hielt zwar die Frage, ob die Klägerin im Februar 1965 die Dienstwohnung ihres Gatten tatsächlich räumen mußte, noch nicht für geklärt. Es war jedoch der Meinung, daß die Räumung der Dienstwohnung an sich keine Folge des Todes ihres Gatten gewesen sei. Eine gesetzliche Bestimmung, wonach eine Dienstwohnung nach dem Tod des Wohnungsinhabers von seinen Angehörigen geräumt werden müsse, gebe es nicht. Eine Verpflichtung zur Räumung setze zumindest ein entsprechendes Verlangen des Hauseigentümers bzw. Dienstgebers voraus. Wenn unterstellt werde, daß sie die Dienstwohnung habe räumen müssen, dann habe ein Dritter (Hauseigentümer, Dienstgeber) in die Kausalkette eingegriffen, sodaß dadurch der adäquate Kausalzusammenhang beseitigt worden sei. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch aus dem Titel des entgangenen Unterhaltes zu. Die Klägerin habe nicht behauptet, daß ihr Gatte an Stelle der Dienstwohnung eine andere Wohnung beschafft und über die Mittel zur Instandsetzung einer solchen Wohnung verfügt hätte. Es stehe vielmehr fest, daß der Gatte der Klägerin auch über das 65. Lebensjahr hinaus solange als möglich gearbeitet hätte. Für die Einrichtungsgegenstände, die Eigentum der Klägerin geworden seien, wie Beleuchtungskörper, Öfen u. dgl., gebühre ihr überhaupt kein Ersatz. Die Ersatzansprüche nach § 1327 ABGB. dürften nicht über das gesetzliche Maß hinaus ausgedehnt werden. Die Klägerin habe nach dem Gesetz lediglich Anspruch auf die Todfallskosten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil, soweit damit das Klagemehrbegehren abgewiesen wurde auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfange zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Mit Recht wendet sich die Klägerin gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß ihr durch den Verlust der Dienstwohnung, die sie mit ihrem Gatten bis zu dessen Ableben als Ehewohnung bewohnt hat, kein Teil ihres Unterhaltes nach § 1327 ABGB. entgangen sei und ihr der Beklagte hiefür keinen Ersatz zu leisten habe.

Geht man davon aus, worüber noch im weiteren Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden sein wird, daß die Klägerin die Dienstwohnung räumen mußte, wie es das Erstgericht festgestellt hat, dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß ihr dadurch ein Teil des ihr von ihrem Gatten zu begehrenden Unterhaltes entgangen ist. Dieser war gemäß § 91 ABGB. verpflichtet, der Klägerin, seiner Gattin, den anständigen Unterhalt zu verschaffen, zu diesem gehört auch eine standesgemäße Wohnung. Eine solche Wohnung hätte der beim Unfall getötete Michael E. der Klägerin auch weiterhin zur Verfügung stellen müssen, ohne Rücksicht darauf, ob er über das 65. Lebensjahr hinaus gearbeitet hätte. Dieser Umstand ist für die hier zu entscheidende Frage nicht wesentlich. Auch dann, wenn der Gatte der Klägerin seine Dienstwohnung durch seine Pensionierung verloren hätte, hätte er der Klägerin eine standesgemäße Wohnung zur Verfügung stellen müssen. Hätte daher die Klägerin die Dienstwohnung nach dem Tode ihres Gatten räumen müssen, dann wäre ihr dadurch ein Teil des Unterhaltes entgangen, der einer Bewertung unterzogen werden müßte. Daß die Klägerin für die Beschaffung einer neuen Wohnung Geld aufwenden mußte, bedarf keiner weiteren Erörterung. Dieser Aufwand kann einen Schadenersatzanspruch der Klägerin nach § 1327 ABGB. darstellen. Es kann daher nur die Höhe eines solchen Anspruches strittig sein. Wenn nun die Klägerin die günstige Möglichkeit hatte, die Wohnung ihres verstorbenen Schwiegervaters zu übernehmen und als Gegenleistung hiefür nur die Instandsetzung der Wohnung auf eigene Kosten vorzunehmen, so bestehen keine Bedenken, den von der Klägerin hiefür gemachten Aufwand in einem angemessenen Ausmaß als Unterhaltsentgang nach § 1327 ABGB. zu beurteilen. Allerdings haben dabei Kosten für die Anschaffung von Einrichtungsgegenständen außer Betracht zu bleiben, weil diese in das Eigentum der Klägerin übergehen. Außerdem ist anzunehmen, daß ihr auch die in der Dienstwohnung gemeinsam mit ihrem Gatten benützten Einrichtungsgegenstände zur Verfügung stehen, sodaß ihr auf diese Weise ein anständiges Wohnen nach dem Stande ihres Mannes möglich ist.

Die Klägerin wendet sich auch mit Recht gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Verlust der Dienstwohnung keine unmittelbare Folge des Todes des Gatten der Klägerin gewesen sei. Eine gesetzliche Regelung für Dienstwohnungen, wie sie vom Berufungsgericht vermißt wird, wird auch kaum möglich sein. Hier entscheidet doch die Privatinitiative und daher die Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern. Als Regelfall wird anzunehmen sein, daß die Dienstwohnung dem Dienstnehmer nur so lange zur Verfügung gestellt wird, als er Dienste aus dem Dienstvertrag leistet. Aus einer solchen Vereinbarung oder sonstigen Regelung könnte sich somit die Verpflichtung der Ehegattin eines Dienstnehmers ergeben, die Dienstwohnung nach dem Tode ihres Gatten zu räumen. Auf Grund einer solchen Vereinbarung oder sonstigen Regelung wäre aber der Kausalzusammenhang zwischen dem unfallsbedingten Tod des Wohnungsinhabers und dem Verlust der Dienstwohnung nicht unterbrochen, wie das Berufungsgericht annehmen zu können glaubt.

Es wird daher auch hier darauf ankommen, welche Vereinbarung zwischen Michael E. und seinem Dienstgeber bezüglich der Dienstwohnung oder welche sonstige Regelung für den Fall seines Ablebens getroffen worden ist und ob die Klägerin nach dem unfallsbedingten Tod ihres Gatten die Wohnung räumen mußte. Eine diesbezügliche allfällige Vereinbarung zwischen Michael E. und seinem Dienstgeber oder eine sonstige Regelung könnte nur als eine weiter hinzutretende Ursache angesehen werden, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwarten war, sodaß der Kausalzusammenhang zwischen dem Tod des Michael E. und dem Verlust der Dienstwohnung nicht unterbrochen wäre.

Durch eine solche Ausdehnung des Begriffes des Unterhaltsentganges im Sinne des § 1327 ABGB. wird auch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes keine unzulässige und untragbare Ausdehnung der der Klägerin nach dieser Gesetzesstelle zustehenden Ansprüche vorgenommen. Eine bestimmte Bemessung dieser Ansprüche ist und konnte auch gar nicht vom Gesetzgeber vorgenommen werden, denn bei der Entscheidung darüber, was dem Unterhaltsberechtigten durch den Tod des Unterhaltsverpflichteten entgangen ist, kommt es immer auf die Umstände des einzelnen Falles an, sodaß eine bestimmte gesetzliche Regelung nicht möglich ist.

Es bestehen aber auch keine Bedenken dagegen, der Klägerin den Unterhaltsentgang in Form eines Kapitalbetrages und nicht in Form einer Rente zuzuerkennen. In diesem Zusammenhang ist auf die spätere Regelung im § 14 (3) EKHG. zu verweisen, wonach auch eine Abfindung mit einem Kapitalbetrag zulässig ist, wenn wichtige Gründe hiefür vorliegen und eine solche Zahlung dem Ersatzpflichtigen wirtschaftlich zumutbar ist. Diese gesetzliche Regelung ist auch zur Auslegung des § 1327 ABGB. heranzuziehen.

Das berufungsgerichtliche Verfahren ist daher in der oben aufgezeigten Weise mangelhaft geblieben, worauf auch die Klägerin bei den Ausführungen des Revisionsgrundes der Mangelhaftigkeit des Verfahrens hingewiesen hat. Wenn das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichtes für bedenklich gehalten hat, daß die Klägerin die Dienstwohnung räumen müsse, dann wird es diese Frage mit den Parteien zu erörtern, die Beweise zu wiederholen oder zu ergänzen und sodann eigene Feststellungen in dieser Richtung zu treffen haben. Bei der neuerlichen Entscheidung hat das Berufungsgericht die oben angeführte Rechtsauffassung zugrunde zu legen.

Stichworte