OGH 2Ob320/68

OGH2Ob320/686.11.1968

SZ 41/147

Normen

Gewerbliches Selbständigen-Pensionsversicherungsgesetz §77 (1)
Gewerbliches Selbständigen-Pensionsversicherungsgesetz §109
ZPO 228
Gewerbliches Selbständigen-Pensionsversicherungsgesetz §77 (1)
Gewerbliches Selbständigen-Pensionsversicherungsgesetz §109
ZPO 228

 

Spruch:

Das Feststellungsinteresse des Sozialversicherungsträgers ist gegeben, wenn ungewiß ist, ob die Witwe oder das Kind des Versicherten einen Rentenanspruch haben wird.

Entscheidung vom 6. November 1968, 2 Ob 320/68.

I. Instanz: Kreisgericht Krems an der Donau; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin (Sozialversicherungsträger) begehrt die Feststellungen, daß ihr die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle Pflichtaufwendungen haften, die diese möglicherweise nach dem 31. Juli 1967 an die mj. Aloisia S. (geboren am 18. Juli 1949) und in Zukunft an die Witwe Theresia S. (geboren am 3. September 1925) zu erbringen haben wird, weil deren Vater bzw. Gatte Alois S. (geboren am 9. Juli 1915) bei einem Verkehrsunfall am 15. September 1963 getötet wurde. Die allfällige Haftung der Beklagten sei durch den Deckungsfonds eingeschränkt. Sie hat behauptet, daß die Beklagten als Kraftfahrzeuglenker den Unfall verschuldet haben, bei dem Alois S. getötet worden sei. Der Erstbeklagte sei vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt, der Zweitbeklagte vom deutschen Amtsgericht D. freigesprochen worden. Das Strafverfahren im Inland sei gegen ihn gemäß § 412 StPO. abgebrochen worden. Das rechtliche Interesse an den begehrten Feststellungen hat die klagende Partei damit begrundet, daß zwar die Ansprüche der mj. Aloisia S. bis zu ihrem 18. Lebensjahr (18. Juli 1967) durch den Haftpflichtversicherer abgegolten worden seien, daß aber die Möglichkeit von späteren Pflichtleistungen über das 18. Lebensjahr hinaus sowohl wegen des Besuches einer höheren Schule als auch wegen einer auf geistiger oder körperlicher Gebrechen beruhenden Unfähigkeit, sich den Unterhalt selbst zu verschaffen, noch offen sei. An die Witwe Theresia S., die den Gastgewerbebetrieb ihres verstorbenen Gatten als Witwenbetrieb fortführe, würden derzeit keine Pensionsbezüge ausbezahlt. Es könne aber auch in diesem Falle eine Leistungspflicht in Zukunft nicht ausgeschlossen werden, weil Theresia S. immer die Möglichkeit habe, den Gasthausbetrieb aufzugeben und die Witwenpension nach ihrem verstorbenen Gatten in Anspruch zu nehmen. Wenn solche Pflichtleistungen in Zukunft zu erbringen wären, hätte sie das Regreßrecht gemäß § 109 GSPVG. gegen die Beklagten. Um eine Verjährung dieser Ansprüche zu verhindern, sei das Feststellungsbegehren gerechtfertigt. Die Ansprüche der Hinterbliebenen des Alois S. gegen die Beklagten aus dem Unfall seien bereits im Zeitpunkt des Unfalles (Todes des Alois S,) im Wege der Legalzession auf sie übergegangen.

Die Beklagten haben bestritten, Klagsabweisung begehrt und insbesondere eingewendet, daß Theresia S. und die durch ihren Vormund vertretene Aloisia S. mit dem Haftpflichtversicherer des Erstbeklagten am 24. September 1965 einen Vergleich über die gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche abgeschlossen und die vereinbarten Beträge bezahlt erhalten haben. Theresia S. habe sich dabei auch verpflichtet, den Haftpflichtversicherer bezüglich allfälliger Regreßforderungen der klagenden Partei schad- und klaglos zu halten. Infolge Erschöpfung des Deckungsfonds seien zukünftige Regreßforderungen der klagenden Partei ausgeschlossen. Pflichtleistungen an die mj. Aloisia S. über das 18. Lebensjahr hinaus seien nicht zu erwarten, weil sie bereits selbsterhaltungsfähig sei und den Schulbesuch längst beendet habe. Theresia S. habe den Gastgewerbebetrieb ihres Gatten bereits länger als drei Jahre fortgeführt und bereits eigene Pensionsansprüche erworben. Sie könne keine Witwenpension nach ihrem Gatten mehr in Anspruch nehmen.

Das Erstgericht hat dem Feststellungsbegehren, soweit es sich auf die mj. Aloisia S. bezieht, stattgegeben. Das auf Theresia S. bezügliche Feststellungsbegehren hat es abgewiesen. Es war der Meinung, daß bezüglich der mj. Aloisia S., die im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz (10. Mai 1967) das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, Pflichtleistungen der klagenden Partei gemäß § 70 (2) Z. 2 GSPVG. im Bereiche der Möglichkeit gelegen seien. In diesem Falle könnten der klagenden Partei gemäß § 109 GSPVG. Regreßansprüche gegenüber den Beklagten entstehen, die durch ein Feststellungserkenntnis gegen Verjährung zu sichern seien.

Theresia S. führe den Gastgewerbebetrieb ihres Mannes schon länger als drei Jahre fort. Sie habe gemäß § 85 GSPVG. bereits eigene Pensionsansprüche unter Hinzurechnung der Versicherungszeiten ihres verstorbenen Gatten erworben. Gemäß § 77 (1) GSPVG. habe sie keinen Anspruch auf Witwenpension nach ihrem verstorbenen Gatten. Es könnten daher keine Regreßansprüche der klagenden Partei mehr entstehen. Ein rechtliches Interesse für die begehrte Feststellung sei in dieser Richtung nicht gegeben. Da die Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen des Alois S. bereits mit dessen Tod auf die klagende Partei übergegangen seien und die vergleichschließenden Parteien außerdem schlechtgläubig gewesen seien, sei die vergleichsweise Regelung gegenüber der klagenden Partei nicht wirksam geworden.

Das Berufungsgericht hat den Berufungen der Beklagten nicht Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil bezüglich des Feststellungserkenntnisses, betreffend die mj. Aloisia S., bestätigt. Es hat jedoch der Berufung der klagenden Partei Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß es auch dem Theresia S. betreffenden Feststellungsbegehren stattgegeben hat.

Das Berufungsgericht war der Meinung, daß es auf die derzeitigen Verhältnisse und Absichten der mj. Aloisia S. nicht entscheidend ankomme, weshalb sich nähere Feststellungen darüber erübrigen. Es könnten in Zukunft die Voraussetzungen für die Gewährung einer Waisenrente über das 18. Lebensjahr der mj. Aloisia S. hinaus erfüllt werden und dadurch Regreßansprüche der klagenden Partei entstehen. Auch bezüglich der Witwe Theresia S. könnten in Zukunft Pflichtleistungen von der klagenden Partei zu erbringen sein, die sich auf den verstorbenen Gatten beziehen, wenn sie die Erwerbstätigkeit, die die Pflichtversicherung ihres Gatten begrundet hat, zwar länger als drei Jahre ausgeübt hat und weder einen Anspruch auf eine eigene Alterspension noch auf eine eigene Erwerbsunfähigkeitspension erworben hat. In diesem Falle könnte sie gemäß § 77 (1) GSPVG, eine Witwenpension nach ihrem Gatten beanspruchen. Der von Theresia S. und durch den Vormund für die mj. Aloisia S. abgeschlossene Vergleich um die abgegebene Verzichtserklärung könne sich nicht auf die durch Legalzession bereits mit dem Tode des Alois S. auf die klagende Partei übergegangenen Schadenersatzforderungen der Hinterbliebenen beziehen. Die vergleichschließenden Parteien seien nicht gutgläubig gewesen. Der Vergleich habe daher gegenüber der klagenden Partei keine Wirkung. Das rechtliche Interesse der klagenden Partei an den begehrten Feststellungen sei schon dann gegeben, wenn die Möglichkeit weiterer Pflichtleistungen an die Hinterbliebenen des Alois S. und das Vorhandensein eines kongruenten Deckungsfonds nicht ausgeschlossen werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der nur vom Erstbeklagten erhobenen Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Erstbeklagte wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die klagende Partei ein rechtliches Interesse an den begehrten Feststellungen habe und führt hiezu bezüglich der mj. Aloisia S. aus, daß eine Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus gemäß § 79 GSPVG. nur auf besonderen Antrag gewährt wurde. Das erstgerichtliche Urteil sei erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Minderjährigen ergangen. Es seien keine Prozeßbehauptungen oder Beweise in der Richtung vorgelegen, daß die Voraussetzungen der §§ 70, 79 GSPVG. gegeben seien. Es sei nicht einmal eine konkrete Wahrscheinlichkeit für den Eintritt solcher Voraussetzungen behauptet worden. Es sei unbestritten, daß die Ansprüche der Minderjährigen bis zu ihrem 18. Lebensjahr beglichen worden seien.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Die mj. Aloisia S. ist am 18. Juli 1949 geboren und hat am 18. Juli 1967 das 18. Lebensjahr vollendet. Die Verhandlung in erster Instanz ist am 10. Mai 1967, also bevor die mj. Aloisia S. das 18. Lebensjahr vollendet hatte, geschlossen worden. Auf diesen Zeitpunkt und nicht auf die Erlassung des Urteiles ist die Beurteilung abzustellen. Die Minderjährige hätte über das 18. Lebensjahr hinaus nicht nur dann einen Rentenanspruch, wenn sie höhere Schulen besucht, sondern auch dann, wenn sie wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen nicht in der Lage wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Allerdings müßte das Gebrechen vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingetreten sein. Da aber, wie schon oben gesagt, zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz die Minderjährige das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, konnte die Möglichkeit des Eintrittes der letztgenannten Voraussetzung und damit die Möglichkeit einer Pflichtleistung der klagenden Partei an die Minderjährige nicht ausgeschlossen werden. Die Untergerichte haben daher bezüglich der mj. Aloisia S. das Feststellungsinteresse der klagenden Partei zu Recht bejaht.

Auch bezüglich der Witwe Theresia S. liegen die Verhältnisse so, daß derzeit die Möglichkeit von Pflichtleistungen der klagenden Partei an diese aus der Sozialversicherung ihres verstorbenen Ehegatten für die Zukunft nicht ausgeschlossen sind. Nach § 77 (1) GSPVG. (BGBl. 1957 Nr. 292 i. d. F. BGBl. 1962 Nr. 14) hat die Witwe Anspruch auf eine Witwenrente, wenn sie die Erwerbstätigkeit, die die Pflichtversicherung ihres verstorbenen Gatten begrundet hat, nicht fortführt, oder, wenn sie dessen Erwerbstätigkeit fortgeführt hat, die ihr zustehende Gewerbeberechtigung aber erloschen ist, oder wenn sie die Erwerbstätigkeit länger als drei Jahre fortgeführt hat und im Zeitpunkt der Aufgabe der Erwerbstätigkeit ein Anspruch auf Altersrente nicht besteht. Theresia S. hat daher jederzeit die Möglichkeit, den Gastgewerbebetrieb ihres Mannes aufzugeben und die Gewerbeberechtigung zurückzulegen. Wenn nun Theresia S. die Erwerbstätigkeit ihres Gatten länger als drei Jahre fortgesetzt hat, wie es hier der Fall ist, dann gebührt ihr eine Witwenrente nach ihrem Gatten nur dann, wenn sie im Zeitpunkte der Aufgabe der Erwerbstätigkeit einen eigenen Anspruch auf Altersrente noch nicht erworben hat. Ob diese Voraussetzung später eintreten wird, kann derzeit noch nicht gesagt werden, weshalb auch das rechtliche Interesse der klagenden Partei an der bezüglich der Witwe Theresia S. begehrten Feststellung zu bejahen ist.

Wenn der Erstbeklagte noch darauf verweist, daß der klagenden Partei das Rechtsschutzinteresse auch "mangels bisher eingetretenen Laufes der dreijährigen Verjährungsfrist für einen hypothetischen Schadenersatzanspruch" fehle, so kann ihm darin ebenfalls nicht beigepflichtet werden. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Verjährung nach § 1489 ABGB. für eine Schadenersatzklage schon dann beginnt, wenn der Schaden an sich und die Person des Schädigers bekannt sind und es darauf nicht ankommt, daß der Schaden in seinem ganzen Umfang bereits auch ziffernmäßig feststeht, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (ZVR. 1960 Nr. 305, ZVR. 1964 Nr. 284 u. a.), von der abzugehen hier kein Anlaß besteht. Es ist daher das Feststellungsinteresse der klagenden Partei auch aus diesem Gründe gegeben.

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