OGH 2Ob278/68

OGH2Ob278/6826.9.1968

SZ 41/120

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (1)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (1)

 

Spruch:

Grobe Fahrlässigkeit bei Beförderung einer Person in einem Materialaufzug.

Entscheidung vom 26. September 1968, 2 Ob 278/68.

I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der bei der Klägerin pflichtversicherte Alois N. hat am 5. August 1965 einen Unfall erlitten. Die Klägerin hat diesen Unfall als Arbeitsunfall anerkannt und gewährt dem genannten Versicherten die Leistungen aus der Sozial-Unfallversicherung. Der Beklagte hat zur Unfallszeit die Aufsicht über die Arbeit im Betriebe des Baumeisters Ing. Richard S., woselbst sich der Unfall des Alois N. ereignete, geführt. Im Zusammenhange mit diesem Unfall ist der Beklagte - rechtskräftig - wegen Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. verurteilt worden. Im vorliegenden Prozeß verlangt die Klägerin den Ersatz ihrer Pflichtleistungen vom Beklagten als Aufseher im Betrieb (und sohin dem Dienstgeber des Alois N. gemäß § 333 (4) ASVG. Gleichgestellten) mit der Behauptung, der Beklagte habe den bezeichneten Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht. Die beklagte Partei hat als richtig zugegeben, daß der Beklagte zum Personenkreise des § 333 (4) ASVG. gehört habe; sie hat aber den Anspruch mangels grober Fahrlässigkeit bestritten. Die Höhe der von der Klägerin behaupteten Leistungen ist außer Streit gestellt worden.

Das Erstgericht hat den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 30.822.30 S s. A. an die Klägerin verurteilt und zugleich festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin für alle Pflichtaufwendungen hafte, welche diese ihrem Versicherten Alois N. aus Anlaß seines Arbeitsunfalles vom 5. August 1965 nach den jeweils in Geltung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zu erbringen habe.

Der Berufung der beklagten Partei, worin diese das Ersturteil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Ziele angefochten hatte, die Klagsabweisung zu erreichen, hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei dem festgestellten Sachverhalte haben die Vorinstanzen zutreffend angenommen, daß dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 (1) ASVG. zur Last liege (nur diese Frage steht nach dem Revisionsvorbringen zur Erörterung). Der Revisionswerber versucht darzulegen, daß der Schuldgehalt der Handlungsweise des Beklagten weniger schwer wiege als jener der in anderen Prozessen nach § 334 ASVG. belangten Personen, deren Haftung die Rechtsprechung mangels Annahme grober Fahrlässigkeit abgelehnt habe. Der Revisionswerber übersieht dabei, daß die einzelnen Fälle sehr verschieden gelagert sind, sodaß immer die konkreten Umstände des zur Entscheidung stehenden Anspruchs maßgeblich sind. Diesfalls ist nun festgestellt, daß an der vom Beklagten nach den ihm übergebenen Plänen zu leitenden Baustelle etwa einen Monat vor dem Unfall des Alois N. ein Materialaufzug eingesetzt wurde. Alois N., der schon durch acht Jahre im Unternehmen des Baumeisters Ing. Richard S. als Hilfsarbeiter beschäftigt war, verstand die Bedienung dieses Materialaufzuges. Der Beklagte selbst hatte bis zum Unfall vom 5. August 1965 niemals den Aufzug zur Personenbeförderung betätigt. Nach der Mittagspause des genannten Tages ersuchte Alois N. den Beklagten, ihn aufzuziehen. Der Beklagte selbst hatte einige Tage vorher am Aufzug eine Tafel mit der handgeschriebenen Aufschrift:

"Mitfahren verbotenÜ" angebracht; er hatte auch einmal den Alois N. zur Rede gestellt, weil dieser mit dem Materialaufzug eine Person hinaufbefördert hatte. Auf das erwähnte Ersuchen des Alois N., der in den Korb zu einer dort befindlichen Mörteltruhe eingestiegen war, betätigte der Beklagte den Aufzugshebel. Alois N. wurde hierauf mit der Mörteltruhe hochgezogen. Als noch ein kleines Stück bis zum Ausstieg fehlte, ließ der Beklagte den Bedienungshebel aus, damit der Aufzug zum Stehen komme, doch sackte dieser sofort ab. In der Höhe von rund 1 1/2 m fing ihn der Beklagte auf. Dann wollte er den Hebel neuerlich auslassen, um den Aufzug ganz zum Stillstand zu bringen, doch gelang ihm dies nicht und der Aufzug glitt in schnellem Tempo zu Boden. Dadurch erlitt Alois N. einen Bruch des rechten Oberschenkels. Die technische Ursache des Unfalls blieb ungeklärt.

Bei diesen Umständen muß mit den Vorinstanzen ein grobes Verschulden des Beklagten angenommen werden. Denn der Fall ist strenger zu beurteilen als der nicht selten zur Erörterung stehende Unfallshergang, bei dem der zur Rechenschaft gezogene Betriebsaufseher aus besonderen Gründen die Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift durch einen erprobten Betriebsangehörigen in der Erwartung zugelassen hat, dieser werde durch seine Betriebserfahrung einen Unfall trotz mangelhafter Absicherung einer Maschine vermeiden. Diesfalls liegt ja dem Beklagten als Betriebsaufseher zur Last, durch Betätigung des Materialaufzughebels die Beförderung einer Person entgegen den Unfallverhütungsvorschriften selbst vorgenommen zu haben, obwohl er kurze Zeit vorher das Verbot der Personenbeförderung den Betriebsangehörigen eingeschärft hatte. Darin ist eine grobe Pflichtenvernachlässigung zu erblicken, die auch durch das Verlangen des später Verletzten, gegen das Verbot zu handeln, nicht beseitigt worden ist. Der Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. liegt somit nicht vor.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte