OGH 6Ob236/68

OGH6Ob236/6818.9.1968

SZ 41/110

Normen

Geschäftsordnung für die Gerichte §130 Z2
ZPO §93
ZPO §104 (1)
ZPO §111
ZPO §160
Geschäftsordnung für die Gerichte §130 Z2
ZPO §93
ZPO §104 (1)
ZPO §111
ZPO §160

 

Spruch:

Die Sanktion des § 111 (2) ZPO. ist im Anwaltsprozeß, sofern es sich nicht um den Wohnungswechsel des Bevollmächtigten handelt, unanwendbar.

Entscheidung vom 18. September 1968, 6 Ob 236/68.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Bei der Zustellung des Urteils des Erstgerichtes vom 14. Juli 1967, ON. 208, ergaben sich hinsichtlich der viertbeklagten Partei Schwierigkeiten. Das Berufungsgericht trug dem Erstgericht auf, das Urteil der viertbeklagten Partei zuzustellen. Das Erstgericht forderte mit Beschluß vom 29. Jänner 1968, ON. 220, den Rechtsanwalt Dr. Peter K. auf, eine Vollmacht der Viertbeklagten vorzulegen, da er dem Gerichte erklärt habe, alle Beklagten mit Ausnahme der Erstbeklagten zu vertreten. Da diesem Auftrag nicht entsprochen werden konnte, weil Dr. K. nicht Bevollmächtigter der Viertbeklagten war, verfügte das Erstgericht mit Beschluß vom 29. März 1968, das Urteil ON. 208 der Viertbeklagten unter der dem Gerichte zuletzt bekannten Anschrift Wien 3., H.-Gasse Nr. 30 zuzustellen und es ordnete an, daß im Falle eines Fehlberichtes die Zustellung durch postamtliche Hinterlegung D (§ 130 Z. 2 Geo.) unter der zuletzt genannten Anschrift zu erfolgen habe. Demgemäß wurde die Zustellung unter der Anschrift H.-Gasse 30 erfolglos versucht und das Urteil am 4. April 1968 postamtlich hinterlegt. Am 23. April 1968 gab die Viertbeklagte eine von Rechtsanwalt Dr. Peter K. in ihrem Namen verfaßte Berufung zur Post.

Das Berufungsgericht wies die Berufung der Viertbeklagten als verspätet zurück und es erledigte unter einem die Berufung der übrigen Beklagten. Die Zurückweisung der Berufung der Viertbeklagten begrundete das Berufungsgericht im wesentlichen wie folgt:

Die Viertbeklagte war so wie andere Beklagte vormals durch Rechtsanwalt Dr. Ferdinand R. vertreten, dem später die Ausübung der Rechtsanwaltschaft untersagt wurde. Auf Antrag des Klägers wurde den vormals durch Dr. Ferdinand R. vertretenen Parteien, also auch der Viertbeklagten, mit Beschluß vom 5. Jänner 1963, ON. 81, gemäß § 160

(2) ZPO. die Bestellung eines neuen Rechtsanwaltes aufgetragen und die im Gesetz vorgesehenen Rechtsbelehrungen erteilt. Dieser Beschluß konnte der Viertbeklagten unter ihrer bisherigen Anschrift nicht zugestellt werden, weil sie ins Ausland verzogen war. Schon damals verfügte das Erstgericht die Zustellung durch postamtliche Hinterlegung D gemäß § 111 ZPO. In gleicher Weise wurde der Viertbeklagten auch das Urteil ON. 208 zugestellt. Die Erhebungen des Erstgerichtes hätten ergeben, daß die Viertbeklagte seit etwa fünf Jahren in Belgien wohne und nur gelegentlich zu Besuch nach Österreich komme. In solchen Fällen halte sie sich bei Verwandten im Lungau oder bei ihrer Schwester Theresia H. in der Hinterbrühl auf. Als sie im April 1968 aus Belgien wieder nach Österreich gekommen sei, habe sie von ihrem Vater von dem hinterlegten Geschäftsstück erfahren und habe es am 10. April 1968 behoben. Das Berufungsgericht führte aus, daß sich aus dem erhobenen Sachverhalt eine Wohnsitzverlegung in das Ausland während des Prozesses ergebe. Ihre am 23. April 1968 durch den nunmehr bestellten Rechtsanwalt zur Post gegebene Berufung sei verspätet, weil der Viertbeklagten das Urteil gemäß § 111 (2) ZPO. am 4. April 1968 wirksam zugestellt worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Viertbeklagten Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem auf, über die Berufung der Viertbeklagten zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach § 111 (1) ZPO. ist die Partei, die während des Prozesses ihre Wohnung ändert, verpflichtet, dies dem Gerichte mitzuteilen. Wie in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu dem dem § 111 ZPO. inhaltlich entsprechenden § 119 des Entwurfes (Mat. I. Band S. 238) gesagt wurde, dürfe der Vollzug von Zustellungen dadurch nicht aufgehalten oder erschwert werden, daß die Partei, an welche eine Zustellung vorzunehmen ist, im Laufe des Verfahrens ihre Wohnung ändert, ohne dies dem Gegner anzuzeigen. Die Bestimmung dient also der ungehinderten Durchführung des Verfahrens. Deshalb enthält der Abs. 2 des § 111 ZPO. für die Unterlassung der Mitteilung die Sanktion, daß alle weiteren Zustellungen in dieser Streitsache am bisherigen Zustellungsort nach § 104 (1) ZPO. vorzunehmen sind. Nun sind aber dann, wenn eine Partei für einen Rechtsstreit Prozeßvollmacht erteilt hat, insbesondere also auch im Anwaltsprozeß gemäß § 93 ZPO. alle den Rechtsstreit betreffenden Zustellungen, also bei einem Wohnungswechsel der Partei auch "alle weiteren Zustellungen in dieser Streitsache" an den Bevollmächtigten vorzunehmen. Die Bestimmung des § 111 ZPO. ist daher im Anwaltsprozeß nicht nur, wie Fasching II. Bd. S. 605 Anm. 2 sagt, von geringer Bedeutung, die Sanktion des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist in diesem Falle, sofern es sich nicht um den Wohnungswechsel des Bevollmächtigten, sondern der Partei selbst handelt, überhaupt unanwendbar. Das muß auch für die Zustellung der Aufforderung zur Namhaftung eines neuen Vertreters nach § 160 (2) ZPO. gelten. Zwar ist hier eine Zustellung an den Bevollmächtigten nicht mehr möglich, ebensowenig aber darf sich das Gericht, wenn die Partei selbst wegen Wohnungsänderung nicht mehr auffindbar ist, mit der Zustellung durch Hinterlegung nach § 111 (2) ZPO. begnügen. Die in dieser Gesetzesstelle enthaltene strenge Sanktion wird von den zitierten Erläuternden Bemerkungen damit gerechtfertigt, jede Partei habe es ganz in ihrer Hand, den Eintritt etwaiger Nachteile durch rechtzeitige Mitteilung ihrer neuen Adresse hintanzuhalten. Die durch einen Bevollmächtigten vertretene Partei hat aber zur Hintanhaltung von durch die Wohnungsänderung etwa entstehender Nachteile gar keinen Anlaß, weil sie ja weiß, daß alle Zustellungen an ihren Bevollmächtigten, von dessen Unfähigkeit zur Vertretung sie vom Gericht erst durch den nach § 160 (2) ZPO. ergehenden Beschluß in Kenntnis gesetzt werden soll, erfolgen und daher die Sanktion des § 111 (2) gar nicht eintreten kann. Daß aus diesen Gründen nicht die Aufforderung, einen neuen Vertreter zu bestellen und alle weiteren Zustellungen an dem bisherigen Wohnsitz der Partei hinterlegt werden dürfen, zeigt der vorliegende Fall besonders klar, wo überhaupt noch niemals versucht wurde, irgend ein Gerichtsstück der Viertbeklagten an der von den Klägern angegebenen Adresse zuzustellen, weil schon die Klage der Viertbeklagten z. H. des Dr. R., der dem Klagevertreter seine Vollmacht vorlegte, zugestellt wurde. Es hat also hier der Kläger die Einleitung und Durchführung des Verfahrens durch ordnungsgemäße Zustellung an die Beklagte gar nicht wie im Regelfall (Fasching II S. 605) durch die Angaben über die Anschrift der Viertbeklagten, sondern durch die Bekanntgabe ihres bevollmächtigten Vertreters ermöglicht. Umsoweniger können aus der Änderung der für die Klagszustellung gar nicht erheblichen Anschrift der Beklagten weitgehende prozessuale Folgerungen gegen diese gezogen werden. Verfahrensgesetze dürfen nicht in einer Weise ausgelegt werden, daß dadurch den Parteien ohne ihr Verschulden das Recht, vor Gericht zu verhandeln, entzogen wird.

Aus den dargelegten Gründen durfte weder der Beschluß ON. 81 noch das Urteil ON. 208 gemäß § 111 (2) ZPO. durch postamtliche Hinterlegung zugestellt werden, weshalb sich eine Befassung mit der vom Rekurs überdies aufgeworfenen Frage erübrigt, ob nicht die neue Anschrift der Viertbeklagten durch Umfrage bei ihren Verwandten ohne Schwierigkeiten hätte festgestellt werden können.

Erfolgte die Hinterlegung des Urteils am 4. April 1968 also zu Unrecht, dann ist die Berufungsfrist vom 10. April 1968 an zu berechnen, weil das Urteil der Viertbeklagten an diesem Tage tatsächlich zukam. Auf Grund dieser Fristberechnung erweist sich aber die Berufung als rechtzeitig, weshalb dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zwecks sachlicher Erledigung der Berufung der Viertbeklagten zurückzuverweisen war.

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