OGH 6Ob186/68

OGH6Ob186/685.9.1968

SZ 41/105

Normen

ZPO §179
ZPO §482 (1)
ZPO §179
ZPO §482 (1)

 

Spruch:

Die Bestimmung des § 179 ZPO., wonach ein in offenbarer Verschleppungsabsicht erstattetes Vorbringen als unstatthaft erklärt werden kann, ist auch das im Eheverfahren zweiter Instanz erstattete neue Vorbringen anzuwenden.

Entscheidung vom 5. September 1968, 6 Ob 186/68.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Etwa Anfang 1965 traten die Parteien auf Grund eines Heiratsinserates in Korrespondenz und sie lernten einander Anfang Juli 1965 persönlich kennen. Die Klägerin wohnte in H. und der Beklagte kam zum Wochenende fallweise zu ihr auf Besuch. Bei diesen wiederholten Besuchen erzählte der Beklagte tatsachenwidrig, er sei von seiner ersten Frau schuldlos geschieden, sein einziges Kind Reinhard sei mittlerweile verstorben und eine kirchliche Eheschließung mit der Klägerin sei möglich. Zur Bekräftigung seiner Behauptungen informierte der Beklagte im August oder September 1965 die Klägerin in diesem Sinne an Hand eines gefälschten Scheidungsurteils. Er machte seine unwahren Angaben über die persönlichen Verhältnisse deshalb, damit die Klägerin mit ihm die Ehe eingehe. Seit der Bekanntschaft der Parteien bis zur Eheschließung bekundete die Klägerin nämlich wiederholt ihren Willen, nur einen solchen Mann zu heiraten, der schuldlos geschieden sei und keine Kinder oder Versorgungspflichten habe. Im Hinblick auf die Vorspiegelung falscher Tatsachen über die Persönlichen Verhältnisse kam es zur Eheschließung.

Am 4. Mai 1967 fand die Klägerin unter den Sachen ihres Gatten auch seine Brieftasche mit einer darin befindlichen Ausfertigung des gerichtlichen Scheidungsurteils und sie erlangte hiebei erstmals Kenntnis davon, daß der Beklagte aus seinem Verschulden geschieden wurde und daß er noch mehrere lebende Kinder und Unterhaltspflichten hat.

Das Erstgericht hob die Ehe auf und sprach aus, daß den Beklagten ein Verschulden an der Aufhebung der Ehe treffe. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge.

Im Berufungsverfahren erstattete der Beklagte teilweise ein neues Tatsachenvorbringen. So behauptete er, schon vor der Eheschließung der Klägerin erklärt zu haben, daß er die ganze Schuld im vorausgegangenen Ehescheidungsverfahren nur deshalb auf sich genommen habe, um das Verfahren rasch beenden zu können, daß aber in Wirklichkeit er der schuldlose Teil sei. Dieses Gespräch mit der Klägerin soll auf Tonband aufgenommen worden sein, welches als Beweismittel angeboten wurde. Weiter behauptete der Beklagte im Berufungsverfahren, die Klägerin habe ihm gegenüber wiederholt erklärt, es sei ihr vollkommen gleichgültig, was vor der Eheschließung gewesen sei, selbst wenn der Beklagte fünf Kinder hätte. Dann müßten die Ehegatten eben arbeiten gehen, die Klägerin wolle aber auf keinen Fall deshalb vom Beklagten lassen. Der Beklagte brachte auch weiter vor und bot Beweis dafür an, daß er vor der Eheschließung einem Kollegen einen Brief der Klägerin gezeigt habe, in welchem sie ausdrücklich schrieb, es sei ihr völlig gleichgültig, was vorher mit dem Beklagten losgewesen sei. Auch einer angebotenen Zeugin gegenüber soll die Klägerin erklärt haben, es mache ihr durchaus nichts aus, daß der Beklagte geschieden sei und sie nehme auch keinen Anstoß an seiner Vorstrafe.

Dieses neue Vorbringen erklärte das Berufungsgericht als in offener Verschleppungsabsicht erstattet gemäß § 179 ZPO. als unstatthaft. Deshalb ging es von den vorliegenden Feststellungen ohne Bedacht auf das neue Vorbringen aus und gelangte so zur angefochtenen Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Bestimmung des § 179 ZPO., welcher zufolge ein Tatsachenvorbringen im Falle offenbarer Verschleppungsabsicht als unstatthaft erklärt werden kann, ist überall dort anzuwenden, wo die Partei berechtigt ist, überhaupt neue Tatsachen vorzubringen, somit im Eheverfahren auch in zweiter Instanz. Die gegenteilige Auffassung würde einer Partei die dem Zweck des Rechtsschutzes entgegenstehende Möglichkeit bieten, eine Sachentscheidung zu vereiteln oder in unabsehbare Ferne hinauszuschieben. Das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht das im Berufungsverfahren erstattete neue Vorbringen des Beklagten unter diesem Gesichtspunkt geprüft und ist zu dem nach der gesamten Akten- und Voraktenlage überzeugenden Ergebnis gelangt, daß der Beklagte durch das neue Vorbringen den Rechtsstreit offenbar verschleppen will. Schon sein Verhalten im Rechtsstreit wegen Scheidung seiner ersten Ehe läßt deutlich erkennen, daß er mit äußerster Zähigkeit dem damaligen Scheidungsbegehren und insbesondere dem ihm angelasteten Verschulden entgegentrat, daß also gar keine Rede davon sein kann, er habe freiwillig und entgegen der wirklichen Sachlage das Verschulden auf sich genommen. Dies behauptet er nämlich im jetzigen Berufungsverfahren. Auch das neue Vorbringen über eine angebliche Haltung der Klägerin gegenüber der Tatsache, daß er aus seinem Verschulden und bei Vorliegen mehrfacher Unterhaltsverpflichtungen geschieden wurde, stellt das genaue Gegenteil dessen dar, was in erster Instanz als Ergebnis des Beweisverfahrens und auch der eigenen Parteiaussage des Beklagten festgestellt wurde, es bedeutet daher einen Widerruf eigener Darstellungen. Die unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit zitierte Stelle der Parteiaussage des Beklagten steht dieser Gesamtbeurteilung der Aktenlage nicht entgegen. Dabei handelt es sich durchwegs um Umstände, die zeitlich vor dem Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz im Falle ihrer Wahrheit nicht nur schon vorgelegen sein müssen, sondern dem Beklagten auch bekannt gewesen sein müssen. Zieht man all dies in Erwägung, dann muß die Beurteilung des Berufungsgerichtes als unbedenklich beurteilt werden, daß der Beklagte den Rechtstreit offenbar nur verschleppen will. Das Berufungsgericht war daher berechtigt, das neu erstattete Vorbringen gemäß § 179 ZPO. als unstatthaft zu erklären.

Geht man aber von jenen Feststellungen aus, die in erster Instanz getroffen wurden, dann erweist sich die rechtliche Beurteilung der Untergerichte als einwandfrei. Die Umstände, über welche der Beklagte die Klägerin vor der Eheschließung arglistig getäuscht hat, sind von solcher Art, daß sie die Klägerin bei Kenntnis der wahren Sachlage und richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eheschließung abgehalten hätten. Der Tatbestand des § 38 EheG. liegt somit vor.

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