OGH 1Ob103/68

OGH1Ob103/6827.6.1968

SZ 41/83

Normen

ABGB §1112
ABGB §1112

 

Spruch:

Rechtlicher Untergang des Bestandobjektes und Erlöschen des Bestandvertrages durch rechtskräftigen Räumungs- und Demolierungsauftrag der Baubehörde, auch ohne förmlichen Entzug des Benützungskonsenses; maßgebend ist, daß bei Schluß der Verhandlung die für die Räumung gesetzte Frist abgelaufen ist.

Entscheidung vom 27. Juni 1968, 1 Ob 103/68.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Kläger sind grundbücherliche Eigentümer der Liegenschaft EZ. 107 GB. D. Die Beklagten sind Mieter von Wohnungen auf dieser Liegenschaft.

Mit rechtskräftigem Berufungsbescheid der Magistratsdirektion der Stadt Wien vom 6. Oktober 1965 wurde noch dem Voreigentümer dieser Liegenschaft aufgetragen, das Einfamilienhaus im vorderen straßenseitigen Teil, das Seitengebäude an der rechten Grundgrenze und das angebaute Wirtschaftsgebäude innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides zu räumen und innerhalb weiterer zwölf Monate abtragen zu lassen.

Dagegen erhoben der Erst- und der Zweitbeklagte gemäß Art. 144 (1) und Art. 140 (1) B-VG. Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die jedoch von diesem zurückgewiesen wurde; der Antrag der Beschwerdeführer auf allfällige Abtretung ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Art. 144 (2) B-VG.) wurde abgewiesen.

Mit den vorliegenden, seit 22. September 1967 anhängigen und zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen belangten die Kläger die Beklagten auf Räumung der von ihnen benützten Objekte, wobei sie geltend machten, der rechtskräftige Bescheid der Magistratsdirektion vom 6. Oktober 1965 habe ipso facto die Auflösung der Bestandverträge bewirkt; die Beklagten benützten die zu räumenden Lokalitäten ohne Rechtsgrund.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Er schloß sich der Auffassung an, das Gericht sei an den Bescheid der Verwaltungsbehörde gebunden, ohne ihn überprüfen zu können; durch den Abtragungsauftrag seien die zu räumenden und abzutragenden Objekte rechtlich untergegangen, zumal dem Hauseigentümer im vorliegenden Fall nicht einmal alternativ eine Behebung der festgestellten Schäden anheimgestellt worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstrichters, wobei es aussprach, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Auf die Probleme, die sich bei Kündigungen nach § 19 (2) Z. 4 MG. und bei Klagen nach § 1118 ABGB. im Zusammenhalt mit sogenannten Demolierungsbescheiden der Verwaltungsbehörden ergeben, braucht diesmal nicht näher eingegangen zu werden, weil die Kläger ausdrücklich und ausschließlich geltend machen, die Beklagten benützten die von ihnen seinerzeit gemieteten Wohnungen titellos, nachdem die Bestandverträge zufolge des rechtskräftigen Bescheides der Magistratsdirektion Wien vom 6. Oktober 1965 erloschen seien; es handelt sich also nur um einen unter dem Blickpunkt des § 1112 ABGB. zu beurteilenden Fall.

Die von den Beklagten herangezogenen Ausführungen Hauers ("Bewirkt ein baubehördlicher Abtragungsauftrag den Untergang von Bestandobjekten?", ÖJZ. 1966 S. 257 f.) sind nicht geeignet, ihnen zu einem Erfolg zu verhelfen. Der Auffassung, ein Räumungs- und Abtragungsauftrag habe keine bindenden Wirkungen, weil er nicht in materielle Rechtskraft erwachse, kann nicht beigepflichtet werden. Das von Hauer aus einem Aufsatz Krzizeks und vor allem wohl aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Februar 1965, Z. 532/64 = Slg. Nr. 6579 (A)/1965, gewonnene Argument, ein Räumungs- und Abtragungsauftrag könne von der Behörde gemäß § 68 (2) AVG. jederzeit behoben werden, ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht stichhältig, weil dabei übersehen wird, daß der Eigentümer der Liegenschaft, dem ein solcher Auftrag rechtskräftig erteilt wurde, damit auch ein Recht erworben hat, davon Gebrauch zu machen. Die Lage, in die ein Liegenschaftseigentümer, der auf den erhaltenen Auftrag hin zwecks entsprechender Verwertung seiner Liegenschaft die nötigen wirtschaftlichen Dispositionen, allenfalls von großer Tragweite, getroffen hat, käme, wenn der seinerzeit rechtskräftig gewordene Bescheid nun behoben würde, verdeutlicht dies; der Liegenschaftseigentümer kann nicht darauf verwiesen werden, er müsse nun zur Rettung seiner Pläne seinerseits um Demolierungsbewilligung ansuchen - ein Ansuchen, das ihm dann allenfalls auch abgeschlagen werden könnte. Auch Pichler, auf dessen Untersuchung "Binden Demolierungsbescheide die Gerichte?" (JBl. 1965 S. 494 ff.) sich die Beklagten ebenfalls berufen, lehnt - unter Heranziehung der Lehre Merkls - Hauers Auffassung ab (vgl. dazu Pichler "Neues über die Bindungswirkung der Demolierungsbescheide", JBl. 1966 S. 553 ff.); auf den Vorbehalt Pichlers, dies gelte nur für Bescheide mit Benützungskonsensentzug, wird noch zurückzukommen sein.

Es ist theoretisch gewiß richtig, daß sich der Liegenschaftseigentümer nachträglich noch entschließen könnte, die für die Erteilung des Räumungs- und Abtragungsauftrages maßgebenden Baugebrechen zu beheben, obgleich ihm dieser Weg im Bescheid nicht alternativ eröffnet worden war; es ist auch richtig, daß dies im Fall der Erwirkung einer entsprechenden Baubewilligung zur Unzulässigkeit einer Vollstreckung des Räumungs- und Abtragungsauftrages und letzten Endes zur physischen Erhaltung des Gebäudes bzw. der Bestandobjekte führen würde. Dies ändert aber nichts daran, daß der Räumungs- und Abtragungsauftrag als solcher bereits den rechtlichen Untergang der Bestandobjekte und damit gemäß § 1112 ABGB. auch das Erlöschen des Bestandvertrages bewirkt hatte. Eine theoretisch mögliche, in der Praxis aber wohl kaum vorkommende freiwillige Wiederherstellung des Objektes bewirkt nicht das Wiederaufleben der erloschenen Bestandvertrages (vgl. dazu Klang in Komm.[2] V 89).

Das Problem, ob den Beklagten Schadenersatzansprüche zuzubilligen sind, weil die Kläger bzw. der Voreigentümer der Liegenschaft zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung des rechtlichen Unterganges der Bestandobjekte unterließen oder weil der Räumungs- und Abtragungsauftrag von letzterem selbst durch Berufung gegen einen umfangreichen Instandsetzungsauftrag der Baubehörde I. Instanz erwirkt wurde, braucht hier nicht erörtert zu werden, weil auch die Bejahung solcher Ansprüche an dem eingetretenen rechtlichen Untergang der Bestandobjekte und dem damit verbundenen Erlöschen der Bestandverträge, also an der Titellosigkeit der Beklagten, nichts ändert.

Von Bedeutung für einen Prozeßerfolg der Beklagten wäre nur, wenn in der Geltendmachung des Eigentumsrechtes der Kläger und der Titellosigkeit der Beklagten durch die vorliegende Prozeßführung selbst (vgl. dazu MietSlg. 16.142) eine schikanöse Rechtsausübung zu erblicken wäre. Daß die Schäden technisch behebbar seien und eine Behebung den Klägern wirtschaftlich zumutbar sei, wie die Beklagten einwenden, stellt aber keineswegs die Behauptung jener tatsächlichen Voraussetzungen dar, die für einen Schikanefall in Betracht kommen (vgl. dazu die bei Kapfer[28] zu § 1295 ABGB. unter Nr. 49 und 50 angeführte Judikatur).

Was nun den Vorbehalt Pichlers bezüglich des Entzuges des Benützungskonsenses im Räumungs- und Abtragungsbescheid betrifft, sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, von dem schon wiederholt eingenommenen Standpunkt abzugehen, daß es diesbezüglich nicht auf einen förmlichen Ausspruch ankommt, sondern daß der Räumungs- und Abtragungsauftrag den Entzug des Benützungskonsenses inhaltlich mitumfaßt (vgl. MietSlg. Nr. 17.188, 18.221). Die Beklagten können zwar in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juni 1965 (in der amtlichen Sammlung wohl nicht veröffentlicht, auszugsweise jedoch von Hauer a. a. O., Anm. 7, wiedergegeben) verweisen, wonach der Auftrag zur Räumung und Abtragung des Gebäudes nicht als "contrarius actus" zur Benützungsbewilligung zu werten sei, doch vermag der Oberste Gerichtshof dem nur insofern beizupflichten, als in der Setzung der Frist für die Räumung des Objektes noch eine terminisierte Aufrechterhaltung der Benützungsbewilligung zu erblicken ist. Darüber hinaus besteht letztere aber nicht mehr zu Recht, denn sie ist mit dem Auftrag zur Abtragung des Baues begrifflich unvereinbar. Es kommt darum nicht etwa darauf an, ob im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in I. Instanz Räumungs- und Abtragungsfrist verstrichen sind, wie in der Judikatur - allerdings nicht des Obersten Gerichtshofes - gelegentlich angenommen wurde (vgl. dazu Pichler in JBl. 1966 unter II, 1), sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt die im Räumungs- und Abtragungsauftrag für die Räumung als solche gesetzte Frist verstrichen ist, ein Standpunkt, den übrigens die Beklagten in der Revision letztlich selbst einnehmen. Daß diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben ist, ist gar nicht bestritten.

Daraus ergibt sich zusammenfassend, daß die Unterinstanzen dem Klagebegehren mit Recht stattgegeben haben.

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