OGH 2Ob136/68

OGH2Ob136/6814.6.1968

SZ 41/73

 

 

Spruch:

Das Stehenlassen eines Anhängers ohne ziehendes Fahrzeug auf der Straße im Sinne des § 23 (6) Satz 2 StVO. ist nur dann zulässig, wenn ein Belade- oder Entladevorgang auf der Straße stattgefunden hat.

Entscheidung vom 14. Juni 1968, 2 Ob 136, 137/68.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

 

Begründung:

Der Kläger begehrte wegen eines Verkehrsunfalles Schadenersatz im Betrage von 96.940.20 S (70.000 S Schmerzensgeld, 22.440.20 S für den bis 31. Juli 1965 erlittenen Verdienstentgang und 4500 S für Sachschaden) sowie eine monatliche Rente von 1191.10 S ab 1. August 1965. Außerdem verlangt er die Feststellung der vollen solidarischen Haftung der beiden Beklagten für künftige Unfallsfolgen.

Die Beklagten begehrten die Abweisung der Klage: sie bestritten jedwede Haftung, da der Kläger den Unfall allein verschuldet habe; außerdem seien die Ansprüche überhöht.

Das Erstgericht wies zunächst das Klagebegehren ab. Das EKHG. könne nicht angewendet werden, weil der Kläger an einen abgestellten Heuwagen, also an ein Fuhrwerk und nicht an ein Kraftfahrzeug angefahren sei. Die Beklagten hätten aber auch andere Straßenbenützer nicht im Sinne des § 23 (6) StVO. Gefährdet.

Das Berufungsgericht hob jedoch dieses Urteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Die klagsgegenständliche Heufuhre sei als im Sinne des § 1 EKHG. im Betrieb eines Kraftfahrzeuges befindlich zu betrachten. Das EKHG. sei daher anzuwenden. Im übrigen werde das Erstgericht Feststellungen darüber zu treffen haben, ob sich der Unfall in einer Kurve ereignet habe.

Nunmehr stellte das Erstgericht die solidarische Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich eines Drittels der künftigen Unfallsfolgen fest, sprach dem Kläger den Betrag von 17.385.17 S s. A. (16.500 S Schmerzensgeld und 1310 S für Sachschäden; vermindert um den Betrag von 424.83 S) zu und wies das restliche Begehren ab.

Es stellte fest, am 26. August 1963 um etwa 14.45 Uhr sei der Kläger mit seinem Motorrad auf der asphaltierten Muhrer Landesstraße von St. Michael kommend in Richtung Unterweißburg gefahren. Bei Straßenkilometer 0.55 sei nach einer Rechtskurve am rechten von einer Wiesenböschung in Höhe von ungefähr 1 m begrenzten Straßenrand ein mit Heu beladener hölzerner Leiterwagen gestanden. 29 m vor Erreichen dieses Heuwagens habe sich am rechten Straßenrand ein Gebüsch befunden, durch welches dem Kläger ebenfalls die Sicht auf die Heufuhre erschwert gewesen sei. In Fahrtrichtung des Klägers sei von der Straßenmitte aus die Heufuhre auf eine Entfernung von 70 m, bei einem Abstand von 1 m vom rechten Straßenrand auf eine Entfernung von 50 m und bei einem Abstand von 1/2 m vom rechten Straßenrand auf eine Entfernung von 39 m erstmalig erkennbar gewesen. Noch vor dem Erreichen des Gebüsches sei dem Kläger ein Personenkraftwagen begegnet, weshalb dem Kläger zunächst die Benützung der Straßenmitte verwehrt und dadurch die Sicht auf das hinter der Heufuhre befindliche Straßenstück genommen gewesen sei. Nach dieser Begegnung sei der Kläger, ohne seine Geschwindigkeit zu vermindern, nach links ausgebogen, um an der Heufuhre vorbeizufahren. Plötzlich habe er einen 2.20 m breiten mit 50 km/h fahrenden Lastkraftwagen in einer Entfernung von 10 m vor sich auftauchen gesehen. Der Lastkraftwagen habe ungefähr den gleichen Abstand zum Straßenrand wie zur Heufuhre eingehalten. Dem Kläger sei zum Abbremsen keine Zeit mehr geblieben, sodaß er mit seinem linken Bein an die vordere Stoßstange und den linken Kotflügel des Lastkraftwagens angestoßen und gestürzt sei. Die Straße sei an der Unfallstelle 5.50 m breit und weise in der Fahrtrichtung des Klägers ein Gefälle von 1.5% auf.

Die an der Unfallstelle abgestellte Heufuhre sei vom Erstbeklagten auf einer 185 m von der Landesstraße entfernten Wiese mit Heu beladen, sodann mit einem der Zweitbeklagten gehörenden Traktor auf die Landesstraße gezogen und auf dieser zirka 19 m nach der betreffenden Wiesenausfahrt in Richtung Unterweißburg am rechten Straßenrand so abgestellt worden, daß das rechte Hinterrad 15 cm vom Fahrbandrand entfernt gewesen sei. Der Erstbeklagte sei anschließend mit dem Traktor wieder auf die Wiese gefahren, um noch einen Traktoranhänger mit Heu zu beladen. Er habe den beladenen Anhänger ebenfalls auf die Landesstraße bringen und sodann mit beiden Fuhren gemeinsam die Heimfahrt antreten wollen. Es sei zu erwarten gewesen, daß der Heuwagen zirka 20 Minuten am Straßenrand abgestellt bleibe. Die Wiese, auf der das Heu aufgeladen wurde, sei von der Straße nur über einen aus zwei Spurrinnen bestehenden Weg erreichbar gewesen. Auf diesem Weg oder daneben sei das Abstellen des beladenen Heuwagens nicht möglich gewesen. Die gleichzeitige Ausfahrt des mit Heu beladenen Traktoranhängers und des mit Heu beladenen Leiterwagens in einem Zuge von der Wiese auf die Landesstraße würde zwar möglich, aber beschwerlich gewesen sein. Der Heuwagen habe eine Spurbreite von 1.10 m, an den oberen Holmen der Leitern eine solche von 1.15 m gehabt. Das Heu sei auf beiden Seiten zirka 60 cm über die Leiter gehangen. Die Heufuhre sei 1.90 m hoch gewesen. Die Zweitbeklagte sei Halterin des vom Erstbeklagten gelenkten Traktors gewesen. Der Erstbeklagte habe den Traktor und die angehängten Fuhrwerke mit Wissen und Willen der Zweitbeklagten benützt.

Bei der rechtlichen Beurteilung der Sache ging das Erstgericht von der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes aus, daß der Erstbeklagte den Leiterwagen an ein Kraftfahrzeug zum Zwecke des Heutransportes angehängt und lediglich für kurze Zeit auf der Straße abgestellt habe. Daher müsse der während der kurzen Unterbrechung der Verbindung zwischen Traktor und Heuwagen eingetretene Unfall auch hinsichtlich des abgestellten Heuwagens als beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges eingetreten abgesehen werden. Der vom Erstbeklagten als Traktoranhänger benützte Leiterwagen habe jedoch nicht den im KFG. 1955 für Kraftfahrzeuganhänger festgelegten Vorschriften entsprochen. Der Erstbeklagte habe daher diese Vorschriften übertreten und damit schuldhaft gehandelt. Ein weiteres Verschulden treffe ihn, weil er entgegen der Bestimmung des § 23 (6) StVO. den mit Heu beladenen Leiterwagen nicht so aufgestellt habe, daß kein Straßenbenützer gefährdet und kein Lenker eines anderen Fahrzeuges am Vorbeifahren oder am Wegfahren gehindert worden sei. Der Wagen habe ein Hindernis für den Verkehr gebildet, da die Straße nur 5.50 m breit sei und eine wenn auch nur mäßige Rechtskurve aufweise. Der Erstbeklagte habe also in zweifacher Hinsicht Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB. übertreten. Es könne nicht angenommen werden, daß der Unfall auch ohne diese Übertretungen sich ereignet hätte.

Den Kläger treffe aber an dem Unfall ein Mitverschulden, weil er sich nach der Begegnung mit dem PKW. nicht vorsichtig und langsam hinter dem Heuwagen hervorgeschoben habe, um vor einem entgegenkommenden Hindernis noch rechtzeitig stehenbleiben oder ausweichen zu können. Es sei eine Teilung des Verschuldens im Verhältnis 1 zu 2 zu Lasten des Klägers gerechtfertigt, weil der Unfall mehr durch sein Verhalten herbeigeführt worden sei.

Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg; hingegen wurde das Urteil infolge Berufung des Klägers dahin abgeändert, daß es unter Einbeziehung seiner bestätigten und unangefochtenen Teile als Teilurteil lautete, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger 24.643.33 S s. A. zu bezahlen; es werde festgestellt, daß sie für künftige Schäden des Klägers zu einem Drittel ersatzpflichtig seien. Das Leistungsbegehren nach Zahlung eines weiteren Betrages von 59.814.40 S s. A. und einer monatlichen Rente von 1191.10 S ab 1. März 1966 sowie das Feststellungsmehrbegehren wurden abgewiesen.

Im übrigen, also im Umfang der Abweisung von weiteren 20.820.17 S wurde das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und insoweit die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen.

Hinsichtlich des Unfallsverlaufes übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen der ersten Instanz. Es war der Auffassung, daß die Beklagten für eine Übertretung der §§ 23 (6), 24 (1) lit. b StVO. nach § 1311 ABGB. einzustehen hätten. Die Verschuldensteilung des Erstgerichtes sei zutreffend.

Der Oberste Gerichtshof gab weder der Revision noch dem Rekurs der Beklagten Folge.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer Revision vertreten die Beklagten weiterhin die Auffassung, daß sie überhaupt kein Verschulden treffe. Entgegen den Darlegungen der Revision ist jedoch mit dem Berufungsgerichte davon auszugehen, daß das Beladen des in Rede stehenden Anhängers (Leiterwagens) schon beendet war, als ihn der Erstbeklagte auf die Fahrbahn schleppte und dort stehen ließ. Der Anhänger wurde ja auf der Wiese beladen und erst dann auf die Straße gebracht. Dies führt allerdings dazu, daß die Bestimmung des § 23 (6) Satz 2 StVO. auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Da Anhänger allein nur während des Beladens oder Entladens auf der Straße stehen gelassen werden dürfen, hier aber ein Beladen auf der Straße nicht stattgefunden hat, durfte der Anhänger allein auf der Fahrbahn überhaupt nicht stehengelassen werden. Da aber der Anhänger trotz seiner vorübergehenden Trennung vom Traktor mit diesem nach wie vor eine Betriebseinheit bildete, hat sich der Unfall "beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges" im Sinne des § 1 EKHG. ereignet (ZVR. 1957 Nr. 104; BGH. in NJW. 1961 S. 1163).

Somit ergibt sich, daß den Beklagten richtig ein Verstoß gegen §§ 23 (6) Satz 1 und 24 (1) lit. b StVO. zur Last fällt. Der Zweitbeklagte hätte nämlich den auf der Wiese beladenen Anhänger überhaupt nicht auf der Straße abstellen dürfen, aber schon gar nicht in einer unübersichtlichen Kurve. Er hätte entweder mit beiden Anhängern auf einmal auf die Straße und gleich nach Hause fahren müssen oder aber jeden Anhänger für sich unverzüglich nach Hause schleppen müssen. Die Verschuldensteilung ist sohin durch die Untergerichte zutreffend vorgenommen worden.

Ansonsten wendet sich die Revision nur noch gegen die Bemessung des Schmerzengeldes, das vom Erstgericht mit 49.500 S, vom Berufungsgericht aber mit 70.000 S festgesetzt wurde. Sie will dem Kläger nur 30.000 S zugestehen.

Der Kläger hat einen Bruch des linken Ober- und Unterschenkels sowie einen Trümmerbruch der linken Kniescheibe erlitten, wäre an einer Fettembolie beinahe gestorben, lag eine Woche in tiefer Bewußtlosigkeit und mußte künstlich ernährt werden. Der Heilungsverlauf des Knies war kompliziert. Ein hochgradiger Schwund der Oberschenkelmuskulatur und die Unmöglichkeit, das Kniegelenk selbständig zu beugen, blieben als Dauerfolgen zurück. Der Kläger war 237 Tage in stationärer Krankenhausbehandlung und hatte 20 Tage starke, 40 Tage mittlere und 90 Tage leichte und abklingende Schmerzen zu erdulden. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht mit Recht das Schmerzengeld rechnungsmäßig auf 70.000 S erhöht.

Im Rekurs führen die Beklagten aus, das Berufungsgericht hätte sich selbst ausrechnen sollen, ob für die einzelnen Zeitabschnitte dem Kläger ein Verdienstentgang zustehe oder nicht. Eine Aufhebung sei nicht nötig.

Hierin kann dem Rekurs nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht hat mit Recht bemängelt, daß das Erstgericht den Anspruch des Klägers aus dem Titel des Verdienstentganges für 30 Monate global berechnet habe, ohne den Grundsatz der zeitlichen Kongruenz hinsichtlich des Quotenvorrechtes des Sozialversicherungsträgers zu beachten. Ins einzelne gehende Feststellungen des Erstgerichtes über die Höhe der in Betracht kommenden Beträge während der verschiedenen Zeitabschnitte bei wechselnden Sozialversicherungsleistungen lagen nicht vor. Wenn demnach das Berufungsgericht, von einer richtigen Rechtsansicht ausgehend, weitere Feststellungen für erforderlich hält, kann ihm dabei der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RiZ. 1965 S. 45, SZ. XXXVIII 29, JBl. 1967, S. 477, EvBl. 1967 Nr. 437).

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