Spruch:
Der Schädiger haftet auch für eine zweite Verletzung am Körper, die durch die erste ausgelöst wurde (abermaliger Armbruch).
Entscheidung vom 14. Juni 1968, 2 Ob 114/68.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz Oberlandesgericht Graz.
Text
Am 31. August 1962 gegen 18.30 Uhr fuhr auf der T. Bundesstraße das von Heinrich K. gelenkte Motorrad mit etwa 70 km/h in das rechte Heck des vom Erstbeklagten gelenkten PKWs. Halter des Wagens war die Zweitbeklagte. Heinrich K. wurde schwer verletzt; es handelte sich für ihn um einen Arbeitsunfall.
Die Klägerin (Sozialversicherungsträger) begehrte für die Zeit vom 31. August 1962 bis Ende November 1965 den Ersatz ihrer Pflichtaufwendungen an Heinrich K. nach § 332 ASVG. in der Höhe von 125.773.02 S s. A. und die Feststellung, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand verpflichtet, der Klägerin für ihre Pflichtaufwendungen an Heinrich K. auch in Zukunft insoweit Ersatz zu leisten, als der Ersatzanspruch K.s gegenüber den beiden Beklagten unter Berücksichtigung eines 40%igen Eigenverschuldens einen Deckungsfonds biete.
Die Beklagten behaupteten das Alleinverschulden K.s; dieser wäre außerdem von den Folgen dieses Unfalles am 31. März 1965 wieder hergestellt und arbeitsfähig gewesen, wenn er nicht durch Verschulden der Klägerin einen Sturz am 2. Februar 1965 im Rehabilitationszentrum T. (das der Klägerin gehört) erlitten hätte. Außerdem stehe K. seit 6. Februar 1967 mit einem höheren Verdienst als vor dem Unfall wieder in Arbeit, sodaß auch das Feststellungsbegehren nicht gerechtfertigt sei.
Das Urteil des Erstgerichtes ging von einer Verschuldensteilung 1:1 aus. Die Beklagten wurden zur Zahlung von 88.946.35 S (Pflichtaufwendungen für die Zeit vom 31. August 1962 bis Ende November 1965 im Rahmen des Deckungsfonds) verhalten. Dem Feststellungsbegehren wurde im Sinne der Verschuldensteilung stattgegeben. Das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 36.826.67 S, sowie das Feststellungsbegehren hinsichtlich weiterer 10% abgewiesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge, wohl aber teilweise jener der Klägerin. Es erhöhte den Zuspruch auf
91.476.35 S.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte die Verschuldensteilung 1:1.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
... Die Verschuldensteilung 1:1 erscheint gerechtfertigt.
Die Revision der Beklagten wendet sich aber auch dagegen, daß der Klägerin die durch einen zweiten Unfall K.s' entstandenen Heilungskosten zugesprochen wurden. In dieser Hinsicht gingen die Untergerichte von folgenden Feststellungen aus: Vom 1. Dezember 1964 bis 2. Februar 1965 wurde an Heinrich K. im Rehabilitationszentrum T. eine stationäre Behandlung zur Mobilisierung der Armgelenke durchgeführt. Am Morgen des 2. Februar 1965 gegen 6 Uhr suchte Heinrich K. die Toilette auf. Er war mit einem Pyjama bekleidet und hatte Holzsandalen an den Füssen. Im Vorraum der Toilette befindet sich ein Waschbecken. K. schaltete zunächst das Licht an, ohne zu bemerken, daß der Gummibodenbelag feucht war. Er rutschte auf dem Boden aus, stürzte schräg nach vorne und kam dabei mit dem Ellbogen mit dem Waschbeckenrand in Berührung. Durch den Sturz kam K. auf den Boden zu sitzen und versuchte, sich in einer Reflexbewegung wahrscheinlich am Waschbecken aufzustützen. Hierauf spürte er ein Brennen an der Bruchstelle des rechten Oberarms. Der Arm schwoll nach einiger Zeit an und die Schmerzen verstärkten sich. K. hatte eine Refraktur des rechten Oberarmes erlitten. Zwischen beiden Unfällen des Heinrich K. besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Der zweite Unfall ist auf die körperliche Unsicherheit des Heinrich K. zurückzuführen, die wiederum eine Folge des ersten Unfalles war.
Die Beklagten bringen nun in der Revision vor, sie hätten den Beweis des ersten Anscheins für einen solchen Kausalzusammenhang dadurch erschüttert, daß nachgewiesenermaßen Heinrich K. deshalb ausgerutscht sei, weil der Boden des Klosetts feucht war. Hierin liege ein Verschulden der Klägerin als Eigentümerin des Rehabilitationszentrums im Sinne des § 1313a ABGB. Die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, besondere Maßnahmen zu treffen, damit Gehbehinderte im Rehabilitationszentrum nicht stürzen können.
Nach den Feststellungen der Untergerichte ist der abermalige Oberarmbruch K.s auf die noch mangelnde Beugungselastizität des Oberarms zurückzuführen. Diese Tatsachenfeststellung kann in dritter Instanz nicht mehr mit Erfolg bekämpft werden. Außerdem wurde festgestellt, daß die Feuchtigkeit des Bodens im Waschraum vor dem Klosett nicht den üblichen Grad überschritt. Vorkehrungen dagegen, daß es im Waschraum vor dem Klosett in einem von vielen Menschen bewohnten Haus wie in einem Rehabilitationszentrum um 6 Uhr früh nicht feucht ist, können von der Klägerin nicht verlangt werden, weil ein derartiger Zustand nach allgemeiner Lebenserfahrung unvermeidlich ist. Ein Verschulden der Klägerin oder ihrer Leute ist daher mit Recht nicht angenommen worden. Ein Mitverschulden des Verunglückten selbst haben die Beklagten nicht einmal behauptet.
Schließlich machen die Beklagten noch geltend, daß das Feststellungsbegehren nicht gerechtfertigt erscheine, weil K. seit 6. Februar 1967 als Maschinist mit einem monatlichen Nettolohn von 5000 S beschäftigt sei, sodaß ein übergangsfähiger Deckungsfonds nicht vorhanden sei.
Das Berufungsgericht hat bereits auseinandergesetzt, daß der nur bis November 1965 zu berechnende Deckungsfonds mit dem Feststellungsbegehren nicht zu tun habe. Der Standpunkt der Beklagten ist nicht berechtigt. Ob wegen der Möglichkeit künftiger unfallsbedingter Schäden ein Feststellungsinteresse besteht, kann nicht mit der Frage in Verbindung gebracht werden, ob die bisherigen Sozialversicherungsleistungen der Klägerin in auf sie übergegangenen zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen des Verunglückten gedeckt sind. Es ist daher in dieser Hinsicht gleichgültig, ob der Verunglückte nun besser verdient als vor dem Unfall.
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