OGH 6Ob47/68

OGH6Ob47/6820.3.1968

SZ 41/32

Normen

ABGB §879 (1)
ABGB §879 (2) Z4
Zinsengesetz §1
ABGB §879 (1)
ABGB §879 (2) Z4
Zinsengesetz §1

 

Spruch:

Aus der Höhe des vereinbarten Zinsfußes allein kann nicht die Ungültigkeit der Zinsvereinbarung abgeleitet werden.

Entscheidung vom 20. März 1968, 6 Ob 47/68.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Der Kläger bringt zur Begründung des Begehrens auf Zahlung von 5600 S s. A. vor, er habe am 23. September 1954 mit den Beklagten eine Vereinbarung geschlossen, derzufolge er sich mit einem Betrag von 20.000 S am Gewinn des ihnen gehörenden Geschäftes "R. Modelle" St. in Graz beteiligt habe. Es sei vereinbart worden, daß der Kläger einen monatlichen fixen Gewinnanteil von 600 S zu erhalten habe, beide Beklagten hätten sich hinsichtlich des Betrages der Gewinnbeteiligung von 20.000 S und eines fixen Gewinnanteiles von 600 S dem Kläger gegenüber "Wechselseitig verpflichtet" und sie hätten auf Grund einer Wechselklage dem Kläger 20.000 S bezahlt. Der Kläger rechnet vor, daß aus der monatlichen Verpflichtung zur Zahlung eines Gewinnanteiles von 600 S noch der Klagsbetrag aushafte.

Die Beklagten bestreiten das Klagsvorbringen und insbesondere die Behauptung, der Kläger habe sich am Gewinn ihres Unternehmens durch eine Einlage beteiligt. Nach Darstellung der Beklagten soll die Zuzählung von 20.000 S ein wucherisches Darlehen gewesen sein.

Das Erstgericht sprach dem Kläger den Teilbetrag von 3800 S s. A. zu und wies ein Mehrbegehren von 1800 S s. A. ab. In tatsächlicher Hinsicht sprach das Erstgericht aus, dem Kläger sei der Beweis nicht gelungen, daß es sich um eine Geschäftseinlage gehandelt habe und es stellte fest, daß es sich in Wahrheit um ein Darlehen gehandelt habe. Rechtlich verneinte das Erstgericht den von den Beklagten behaupteten wucherischen Charakter des Darlehens, weil weder eine Zwangslage der Darlehensnehmer noch die Ausbeutung ihrer Unerfahrenheit durch den Kläger anzunehmen sei.

Das Berufungsgericht wies auch den noch strittig verbliebenen Teilanspruch von 3800 S s. A. ab.

Das Berufungsgericht beurteilte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes als unbedenklich und legte die getroffenen Feststellungen seiner eigenen Entscheidung zugrunde. Das erstgerichtliche Verfahren beurteilte es als mangelfrei, die vorliegenden Feststellungen als ausreichend und es ging davon aus, daß der dem Klageanspruch zugrunde liegende Vertrag vom 23. September 1954 gegen die guten Sitten verstoße. Diese Überzeugung grundete das Berufungsgericht aber nicht auf die Bestimmungen über den Wucher, sondern auf die Generalklausel des § 879 (1) ABGB. Bei einem Darlehensbetrag von 20.000 S bedeute die Vereinbarung eines monatlichen Darlehenszinsbetrages von 600 S einen Zinsfuß von 36% p.

a. Das wirtschaftlich berechtigte und erträgliche Zinsenausmaß sei den Bedingungen führender Kreditinstitute zu entnehmen. Ein Zinsfuß von 36% p. a. sei ein solcher, der den Zinsfuß führender Kreditinstitute um ein Mehrfaches übersteige. Gegen die guten Sitten verstoße, was dem Rechtsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspreche. Dies treffe für den vorliegenden Zinsfuß zu. Aus der Bestimmung des § 879 (1) ABGB. leitete das Berufungsgericht die Nichtigkeit des Vertrages ab, auf den der Kläger sein Begehren stützt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Auszugehen ist davon, daß nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen der Tatbestand des Wuchers nicht gegeben ist, weil weder Zwangslage, noch Unerfahrenheit und auch nicht etwa Leichtsinn, Verstandesschwäche oder Gemütsaufregung bei Abschluß des Darlehensvertrages auf Seite der Beklagten vorlagen. Soweit in der Revisionsbeantwortung etwas anderes behauptet wird, geht sie von urteilsfremden Voraussetzungen aus. Legt man der Entscheidung die Feststellungen des Erstgerichtes zugrunde, daß die Beklagten, die zur Zeit des Darlehensvertrages in durchaus keinen schlechten Vermögensverhältnissen waren, das Darlehen als Kaufleute nur aufgenommen haben, um verhältnismäßig günstig von einer aufzulösenden Firma Waren zu kaufen, dann kann vom Vorliegen des Tatbestandes des Wuchers keine Rede sein.

Damit ist aber den Beklagten die Möglichkeit genommen, den Darlehensvertrag aus dem Rechtsgrunde des § 879 ABGB. anzufechten. Wohl ist die Aufzählung im § 879 ABGB. nur eine beispielsweise und es kann unter Umständen auch, wenn eine Ausbeutung gegeben ist, die Generalklausel des § 879 ABGB. herangezogen werden, obwohl nicht alle Tatbestandsmerkmale des Wuchers gegeben sind (SZ. VIII 61, JBl. 1946 S. 65, siehe aber die Begründung der E. Rspr. 1937 Nr. 161). Es ist aber auch ein Umkehrschluß aus der Beispielsaufzählung möglich. Für seine Zulässigkeit ist die Tendenz des die Generalklausel enthaltenden Gesetzes, die Bedeutung der Klausel in seinem Gefüge und die Gestaltung der aufgezählten Sondertatbestände maßgebend (Gschnitzer in Klang[2] IV 188, Klang, JBl. 1946 S. 63 ff.). Dieser Umkehrschluß muß aus der Bestimmung des § 879 (2) Z. 4 ABGB. dann gezogen werden, wenn nichts anderes vorliegt als die Vereinbarung eines übermäßigen Zinsfußes. Dies folgt daraus, daß es seit dem Reichsgesetz RGBl. 62/1868 keine Beschränkung des vertragsmäßigen Zinsfußes gibt. Der Vertragsfreiheit sind hier, sofern nicht die Voraussetzungen des § 879 (2) Z. 4 gegeben sind, grundsätzlich keine Schranken gesetzt (Stanzl in Klang[2] IV 758). Hier ist mit Rücksicht auf die Gestaltung des aufgezählten Sondertatbestandes des § 879 (2) Z. 4. unter den auch die wucherische Vereinbarung übermäßiger Zinsen fällt, in Verbindung mit dem Gesetz RGBl. 62/1868, das eine gesetzliche Beschränkung des Zinsfußes ausdrücklich ablehnt, der Umkehrschluß geboten, daß dann, wenn die Tatbestandsmerkmale des Wuchers abgesehen von der Übermäßigkeit des Entgeltes nicht gegeben sind, aus der Höhe des vereinbarten Zinsfußes allein nicht die Ungültigkeit der Zinsenvereinbarung abgeleitet werden kann.

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