OGH 2Ob380/67

OGH2Ob380/6726.1.1968

SZ 41/10

Normen

Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §6
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19 (2)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §6
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19 (2)

 

Spruch:

Ob die konkludente Zustimmung des Halters zur Fahrt vorliegt, ist nach den Umständen des Falles zu beurteilen; dabei kommt es darauf an, ob der Halter nach seiner Persönlichkeit nach seinen Beziehungen zum Benutzer u. dgl. der Fahrt zugestimmt hätte, wenn er vorher gefragt worden wäre.

Entscheidung vom 26. Jänner 1968, 2 Ob 380/67.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Josef K. erlitt am 24. Oktober 1962 um 5.45 Uhr früh auf der Bundesstraße 70 zwischen F. und St. einen tödlichen Verkehrsunfall, als er mit seinem Motorrad auf einen nicht mit den vorgeschriebenen Beleuchtungs- und Rückstrahleinrichtungen versehenen Anhänger eines von T. B. gelenkten Traktorzuges auffuhr. T. B. wurde aus diesem Anlaß wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. rechtskräftig verurteilt.

Der klagende Sozialversicherungsträger hat den Unfall des bei ihm versicherten J. K. als Arbeitsunfall anerkannt und erbringt an die Hinterbliebenen die gesetzlichen Leistungen. Mit der Behauptung, der Beklagte hafte als Halter des Unfalltraktors für das im Ausmaß von 2/3 überwiegende Verschulden des Traktorführers begehrt er zur Verhinderung der Verjährung seine ihm gemäß § 332 ASVG. zustehenden Regreßansprüche die Feststellung, daß ihm der Beklagte für seine Pflichtaufwendungen an die Hinterbliebenen aus dem gegenständlichen Unfall nach Maßgabe eines unter Berücksichtigung eines Eigenverschuldens des J. K. von 1/3 zu errechnenden Deckungsfonds Regreß zu leisten habe. Hiezu brachte er vor, daß mit dem Haftpflichtversicherer des Beklagten die Schadensabwicklung auf der Grundlage der genannten Verschuldensteilung vereinbart worden sei, die Versicherungssumme jedoch allenfalls nicht ausreiche und der Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben habe.

Der Beklagte wendete ein, daß ihn keine wie immer geartete Verschuldenshaftung treffe und daß den Unfall J. K. weitaus überwiegend verschuldet habe. Auch fehle das rechtliche Interesse der klagenden Partei an der alsbaldigen Feststellung, weil sie vor Klagserhebung eine entsprechende Haftungserklärung unter der Haftungsbeschränkung des § 15 EKHG. abgegeben und auch auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet habe.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Beklagte und T. B. waren Besitzer unmittelbar aneinandergrenzender Liegenschaften. Bei sehr gutem nachbarlichem Verhältnis halfen die beiden einander mit landwirtschaftlichen Geräten ohne Beziehung auf eine Gegenleistung aus. Der Beklagte besaß zur Unfallszeit einen Traktor mit zwei Anhängern. Während der eine vorschriftsmäßig ausgestattet war und auch eine Kupplungsvorrichtung besaß, hatte der andere weder eine solche, noch eine Rückstrahleinrichtung. Der Beklagte verwendete diesen Anhänger nur auf seinem Hof. Auch B. besaß einen Traktor mit Anhänger. Sein Traktor wies schon am Tag vor dem Unfall einen Schaden auf, sodaß er für weitere Fahrten ungeeignet war. B. besaß einen gültigen Führerschein. Er wollte am 24. Oktober 1962 Zuckerrüben von seinem Besitz zum Bahnhof St. bringen. In Gegenwart der Gattin des Beklagten ersuchte er diesen am Vorabend, ihm den Traktor und die beiden Anhänger zu leihen, wobei er ausdrücklich erklärte, er benötige den Traktor, um Zuckerrüben zum Bahnhof zu bringen. Auf dem Weg vom Besitz des B. zum Bahnhof muß teilweise die Bundesstraße 70 benützt werden. Darüber war sich der Beklagte im klaren. Er dachte, B. werde den nicht vorschriftsmäßig ausgerüsteten Anhänger nur innerhalb seines Besitzes verwenden. Er machte B. nur darauf aufmerksam, daß dieser Anhänger nicht vorschriftsmäßig ausgerüstet sei. Hingegen erklärte die Gattin des Beklagten in Abwesenheit des Beklagten dem B., er dürfe mit diesem Anhänger nicht auf die Straße fahren, worauf dieser meinte, er könne ihn auf seinem Hof brauchen. Von diesem Gespräch machte die Gattin des Beklagten diesem nachträglich Mitteilung. B. holte noch am Abend mit seinem eigenen Traktor die beiden Anhänger ab, den entliehenen Traktor übernahm er in den frühen Morgenstunden des 24. Oktober 1962. Bei der Übernahme befand sich wenig Treibstoff im Tank. B. tankte bei der Rückfahrt vom Bahnhof frisch auf. Eine Gegenleistung für die Überlassung des Traktors und der Anhänger war nicht vereinbart. Die mit den ausgeliehenen Fahrzeugen von B. unternommenen Fahrten lagen in seinem alleinigen Interesse, der Beklagte hat sich keinen Einfluß auf die Verwendung ausbedungen.

Am Morgen des 24. Oktober 1962 - es war noch stark dämmerig - fuhr B. mit dem geliehenen Traktor und den beiden geliehenen, mit Zuckerrüben beladenen Anhängern auf der Bundesstraße 70 in Richtung St., wobei der nicht vorschriftsmäßig ausgerüstete Anhänger den Abschluß bildete. Im Augenblick des Begegnens mit einem Postautobus stieß K. mit seinem Motorrad an die linke untere Ecke der Ladefläche des Abschlußanhängers. Es muß angenommen werden, daß er den Anhänger, den er bei gehöriger Aufmerksamkeit auf 30 m hätte sehen müssen, übersehen hat. Dieses Übersehen wurde durch das Fehlen jeglicher Lichtquelle sowie eines auf die Geschwindigkeitsbegrenzung hinweisenden Schildes am Anhänger und durch die relativ starken Lichtquellen des begegnenden Autobusses begünstigt. Bei Vorhandensein von Rückstrahlblenden wäre der Anhänger trotz Gegenlichtes um mindestens 80% besser erkennbar gewesen.

Der Beklagte anerkannte mit Schreiben vom 15. Oktober 1965 dem Grund nach die Regreßansprüche der Klägerin, soweit sie gemäß § 332 ASVG. auf sie übergehen und in den gleichartigen Ersatzansprüchen der Hinterbliebenen Deckung finden, allerdings mit der Begrenzung der Haftung gemäß den Bestimmungen des EKHG. und der Höhe der Versicherungssumme aus der bestehenden Haftpflichtversicherung. In diesem Schreiben führte der Beklagte an, B. habe ausdrücklich erklärt, mit dem geliehenen Traktor und den Anhängern lediglich auf seinem Acker zu fahren.

Der allein wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Ausgehend von der Haltereigenschaft des Beklagten, die dieser selbst anerkannt habe, folgerte es aus den erstgerichtlichen Feststellungen eine zumindest stillschweigende Übereinstimmung zwischen dem Beklagten und B. darin, daß dieser den nicht vorschriftsmäßig ausgerüsteten Anhänger nicht auf der Bundesstraße benützen dürfe und werde, zumal er als Führerscheinbesitzer die entsprechenden Vorschriften habe kennen müssen, worauf sich der Beklagte habe verlassen können. B. habe den Anhänger gegen den ihm bekannten Willen des Beklagten auf der Bundesstraße benützt. Es sei auszuschließen, daß der Beklagte mit dieser Fahrt einverstanden gewesen wäre, wenn er befragt worden wäre. Die Benutzung des Fahrzeuges durch B. ohne Bewilligung des Beklagten schließe die Anwendung des § 19 (2) EKHG. aus. Entgegen der in der Berufung subsidiär vertretenen Ansicht sei auch die auf die Höchstbeträge des § 15 EKHG. beschränkte Haftung des Beklagten nicht urteilsmäßig festzustellen gewesen. Die Klägerin habe nach ihrem Vorbringen ihr Feststellungsbegehren bewußt ohne die nunmehr beanspruchte Beschränkung gestellt und damit einen bestimmten Rechtsgrund (nämlich jenen nach § 19 (2) EKHG.) ausdrücklich geltend gemacht, an den auch das Gericht gebunden sei. Darüberhinaus stelle es kein minus, sondern ein aliud dar, wenn an Stelle eines vom Kläger behaupteten weiterreichenden Rechtes ein inhaltlich weniger weitreichendes Recht bestehe. Für das geringere Begehren lägen schließlich die Voraussetzungen des § 228 ZPO. nicht vor, weil im Rahmen des § 15 EKHG. bezahlt werde und infolge der als Anerkennung geltenden laufenden Zahlungen Verjährung nicht eintreten könne.

Die Klägerin bekämpft das Berufungsurteil mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Ihr Abänderungsantrag geht dahin, der Klage entweder vollinhaltlich oder unter Anfügung eines die Haftungsbeschränkung auf den Betrag von 200.000 S ausdrückenden Satzes Folge zu geben. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Klagsvorbringen, der Beklagte sei Halter des Unfallstraktors und hafte somit für das strafgerichtlich festgestellte Verschulden des Fahrers, läßt erkennen, daß die Klägerin auf die Haftung des Beklagten aus dem Gesichtspunkt des § 19 (2) EKHG. und nicht aus dessen Eigenverschulden zielte. Die Formulierung in der Klagebeantwortung, den Beklagten treffe keine wie immer geartete Verschuldenshaftung, schließt jedenfalls auch die Bestreitung dieses Haftungsgrundes mit ein. Einer ausdrücklichen Behauptung des Beklagten, die Unfallsfahrt stelle eine "Schwarzfahrt" dar, bedurfte es entgegen der Ansicht der Revision nicht. Es genügte vielmehr, wenn der insoweit beweispflichtige Beklagte Tatsachen behauptete, die im Fall ihrer Feststellung die Annahme rechtfertigten, das Kraftfahrzeug sei im Unfallszeitpunkt ohne den Willen des Halters benutzt worden.

Die Revision meint, die Verwendung des nicht vorschriftsmäßig ausgerüsteten Anhängers sei diesfalls nicht von Belang, wenn die Fahrt mit dem Traktor selbst nicht gegen den Willen des Halters geschah. Hiezu ist zu bemerken, daß ein Anhänger für sich allein überhaupt kein Kraftfahrzeug ist. Erst durch seine Verbindung mit einem maschinbetriebenen Fahrzeug wird er zum Teil eines solchen und bildet dann mit diesem eine Einheit. Ist das Kraftfahrzeug in Betrieb, dann ist der durch den Anhänger verursachte Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeuges und nicht des Anhängers eingetreten. Es ist daher zu prüfen, ob B. diese ihm überlassene Einheit ohne, das heißt gegen den Willen des Beklagten benutzt, genauer gesagt, ob er entweder gegen den ausdrücklich geäußerten oder gegen den mutmaßlichen oder erkennbaren Willen des Halters gehandelt hat. Richtig ist, daß diesfalls nicht jeder Verstoß gegen den Willen des Halters ausreicht. Dies gilt für das von der Revision gewählte Beispiel, daß der Lenker bei Nacht ohne Licht fährt, ebenso wie etwa für das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit oder das Mitnehmen dritter Personen. In der Regel wird die Fahrt noch nicht als gegen den Willen des Halters geschehen anzusehen sein, wenn in geringfügigen Einzelheiten von den Anordnungen des Halters abgewichen wird. Der dem Halter obliegende Beweis, daß die Benutzung im dargestellten Sinn ohne seinen Willen geschah, ist unter Umständen schwierig. Bei der Ermittlung, ob der zustimmende Wille des Fahrzeughalters anzunehmen sei, wenn nicht die Zustimmung ausdrücklich erklärt oder versagt war, sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Dabei kommt es darauf an, ob gerade der betreffende Fahrzeughalter nach seiner Persönlichkeit, nach seinen Beziehungen zum Benutzer u. dgl. der Fahrt zugestimmt haben würde, wenn er vorher gefragt worden wäre (Geigel, Der Haftpflichtprozeß[13], 19, 65; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht[9] S. 281 f.). Auf der Grundlage der Feststellungen über die Gespräche, die aus Anlaß der Bitte B.'s, ihm den Traktor und die Anhänger leihweise zu überlassen, geführt wurden, muß auch ein stillschweigendes Einverständnis des Beklagten zu einer Fahrt in der festgestellten Weise verneint werden, weil ein solches nur dort in Frage kommt, wo der Halter von der Absicht des Benutzers Kenntnis hatte.

Obwohl schon mit Rücksicht auf die strafgerichtliche Verurteilung des B. feststeht, daß dessen Tätigkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeuges für den Unfall ursächlich war, sind somit die Revisionsausführungen nicht geeignet, die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichtes zu widerlegen, daß die Benutzung des Kraftfahrzeuges durch B. in der festgestellten Weise nicht dem Willen des Beklagten entsprach.

Das Berufungsgericht hat es daher mit Recht abgelehnt, das abweisende Urteil der ersten Instanz im Sinn des in der Klage erhobenen Urteilsantrages abzuändern.

Was aber den erstmalig in der Revision gestellten Eventual-Abänderungsantrag anlangt, so ist jedenfalls die Ansicht des Berufungsgerichtes zu billigen, daß mit Rücksicht auf das festgestellte Anerkenntnis des Beklagten das rechtliche Interesse der Klägerin an der alsbaldigen Feststellung fehlt. Denn nach ihrem ausdrücklichen Vorbringen verfolgte sie mit der vorliegenden Klage das Ziel, die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten über die Versicherungssumme hinaus zu erreichen. Für Leistungen im Rahmen der Versicherungssumme ist aber eine weitere Prüfung des Verschuldensanteiles des tödlich Verunglückten nicht erforderlich, weil die zwischen der Klägerin und dem Haftpflichtversicherer des Beklagten diesfalls getroffene Einigung (2:1 zu Lasten B.'s) auch für den Beklagten verbindlich ist.

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