OGH 2Ob376/67

OGH2Ob376/6714.12.1967

SZ 40/167

Normen

ABGB §1326
ZPO §168
ABGB §1326
ZPO §168

 

Spruch:

Keine Vereinbarung des Ruhens des Verfahrens bloß in Ansehung eines Teilanspruches. - Zuspruch einer Entschädigung nach § 1326 ABGB. an einen Neunjährigen.

Entscheidung vom 14. Dezember 1967, 2 Ob 376/67.

I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der am 8. November 1958 geborene Kläger hat am 13. Juli 1961 einen Verkehrsunfall erlitten. Beide Teile haben vorgebracht, daß durch Feststellungserkenntnis des Erstgerichtes vom 18. Juli 1962 die volle Verpflichtung des Beklagten zum Ersatze eines jeden Schadens des Klägers aus diesem Verkehrsunfall ausgesprochen und daß im Vorprozesse 2 Cg .../61 des Erstgerichtes dem Kläger zur Abgeltung der bis 16. Mai 1962 erlittenen Schmerzen der Betrag von 30.000 S zuerkannt worden sei. Mit der am 2. Mai 1963 erhobenen Klage macht der Kläger weitere Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten im Zusammenhang mit dem bezeichneten Verkehrsunfall geltend.

Mit Teilurteil vom 28. April 1964 hat das Erstgericht den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 32.706 S samt Anhang an den Kläger verurteilt (der zuerkannte Betrag setzt sich zusammen aus 1206 S als Ersatz der Kosten eines Kuraufenthaltes des Klägers, aus 11.500 S als weiteres Schmerzengeld und aus 20.000 S als Entschädigung gemäß § 1326 ABGB.). Mit Endurteil vom 14. Juni 1967 hat das Erstgericht dem Kläger weitere 8000 S samt Anhang an Schmerzengeld zuerkannt und das Mehrbegehren puncto 70.000 S samt Anhang abgewiesen.

Der Berufung des Klägers, worin dieser die bezeichnete Abweisung bekämpft hatte, hat das Berufungsgericht teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteils (Endurteil) dem Kläger weitere 50.000 S samt Anhang zuerkannt; das noch offene Mehrbegehren von 20.000 S samt Anhang blieb abgewiesen. Die Berufungsinstanz war zur Auffassung gelangt, daß dem Kläger als Entschädigung nach § 1326 ABGB. insgesamt 70.000 S gebührten; von diesem Betrage seien 20.000 S, die ihm bereits am 28. April 1964 zugesprochen wurden, abzuziehen.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bereits in der Klage hat die klagende Partei vorgebracht, "unter Hinweis auf § 1326 ABGB. einen angemessenen Betrag in der Höhe von 70.000 S zu begehren"; der Kläger hat diese Forderung damit begrundet, "er sei nach wie vor in der Statik und Motorik seiner unteren Gliedmaßen schwerstens gestört und in gewissen physischen Funktionen, wie Sprache und Affektivität, sichtbar beeinträchtigt". In der Tagsatzung vom 28. April 1964 haben beide Parteien im Hinblick auf das vom Sachverständigen erstattete Gutachten "Ruhen des Verfahrens hinsichtlich des Klagsteilanspruchs von 70.000 S erklärt", hierauf hat die klagende Partei das Begehren um 20.000 S samt Anhang "aus dem Titel der Verunstaltung des Klägers" ausgedehnt; die beklagte Partei aber hat eine bleibende Verunstaltung des Klägers bestritten. Mit Schriftsatz vom 15. April 1967 hat der Kläger die Fortsetzung des ruhenden Verfahrens puncto 70.000 S beantragt. Die Aufspaltung des Verfahrens erster Instanz hinsichtlich eines Anspruches von 70.000 S und eines solchen von 20.000 S - die Vereinbarung des Ruhens des Verfahrens bloß in Ansehung eines Teilanspruchs ist in der Prozeßordnung nicht vorgesehen; die Berücksichtigung einer derartigen Vereinbarung durch das Erstgericht hat zu dieser Aufspaltung geführt - zwingt nicht zur Annahme, daß lediglich mit dem Begehren von 20.000 S eine Verunstaltungsentschädigung geltend gemacht worden ist, weil die klagende Partei die Begründung für das restliche Begehren von 70.000 S nicht geändert hat und diesbezüglich, wie dargestellt, u. a. von einer sichtbaren Beeinträchtigung des Klägers die Rede gewesen ist. Gewiß ist das Vorbringen der klagenden Partei in dieser Hinsicht nicht einheitlich, das bezeichnete Klagsvorbringen ist aber nicht zurückgenommen worden und selbst im genannten Schriftsatz findet sich eine Bezugnahme auf § 1326 ABGB. Die beklagte Partei, die durch ihre Mitwirkung an der prozessual nicht vorgesehenen Vereinbarung des Ruhens eines Teilverfahrens nicht minder als die klagende Partei Anlaß zu den dargestellten ungewöhnlichen Komplikationen gegeben hat, kann sich bei diesen Umständen nicht mit Erfolg darüber beschweren, daß die Berufungsinstanz bei ihrer Entscheidung von der Geltendmachung eines auf § 1326 ABGB. gegrundeten Gesamtbegehrens von 90.000 S seitens der klagenden Partei ausgegangen ist.

Was nun die Bemessung dieser Entschädigung betrifft, so sind die Rechtsrügen beider Parteien zu berücksichtigen. Gegenüber dem vom Berufungssenate festgesetzten Betrage von insgesamt 70.000 S erachtet die klagende Partei einen solchen von 80.000 S für angemessen, die beklagte Partei aber bekämpft die Bemessung mit einem höheren als dem bereits dem Kläger zuerkannten Betrage von 20.000 S. Keiner dieser beiden Rügen kommt Berechtigung zu. Nach § 1326 ABGB. ist für jenen Nachteil Ersatz zu leisten, den der Verletzte an seinem besseren Fortkommen erleiden kann, wenn dieser Nachteil durch eine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung herbeigeführt wird (vgl. Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, S. 632); denn eine Entstellung macht zwar nicht schlechthin erwerbsunfähig, sie schließt aber manche Erwerbsarten aus, übt also auf die freie Erwerbs- und Standeswahl einen nachteiligen Einfluß aus (vgl. Ehrenzweig unter Berufung auf Zeiller, a. a. O.). Unter diesem Gesichtspunkte ist festzuhalten, daß der nunmehr neun Jahre alte Kläger, welcher beim Unfall vom 13. Juli 1961 als schwerste Beschädigung eine organische Hirnverletzung mit beträchtlicher Verminderung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, entsprechend einer mittleren Debilität und einer absoluten Sonderschulbedürftigkeit, erlitten hat, in körperlicher Hinsicht unfallsbedingt einen zwar freien, aber infolge einer zirka 3 cm betragenden Verkürzung seines linken Beines stark hinkenden Gang aufweist; der linke Fuß ist nach außen gedreht und befindet sich in einer Spitzfußstellung; dies bewirkt einen schleudernd-hinkenden Gang; außerdem leidet der Kläger an einer übersteigerte und oft grimassierenden Mimik; sein Sprechen wird von einem stereotypen Lächeln und einer typisch organisch leer wirkenden Mimik begleitet. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Kläger durch die bezeichneten Entstellungen im Gang und im Gesichtsausdruck in seinem Fortkommen wesentlich beeinträchtigt sein kann. Die Festsetzung der Gesamtentschädigung in dieser Hinsicht mit dem Betrage von 70.000 S seitens der Berufungsinstanz ist angemessen, weder überhöht noch auch zu gering, sodaß die von beiden Parteien gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung in dieser Frage nicht zu erkennen ist.

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