Spruch:
Durch die Enteignung einer Liegenschaft erlöschen auch die Bestandrechte.
Entscheidung vom 31. August 1967, 6 Ob 186/67.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz; Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Mit rechtskräftigem Bescheid des Magistrats der Stadt Graz vom 24. September 1965 wurde Ing. O. verpflichtet, zum Zwecke des Ausbaues des Eggenberger Gürtels von dem ihm gehörigen Grundstücks EZ. 485 KG. G. bestimmte Teile der Grundstücke Nr. 832 Baufläche und 833 Garten gegen Entschädigung in das Eigentum der Stadt Graz abzutreten. Der Entschädigungsbetrag wurde - da der Enteignete ihn nicht annahm - bei der Verwahrungsstelle des Oberlandesgerichtes Graz erlegt. Der Erlag wurde im Gutsbestandsblatt der EZ. 485 KG. G. angemerkt.
Im Bereich der enteigneten Grundfläche befindet sich ein ebenerdiges Bauwerk in dem neben anderen Mietern die Beklagte seit dem Jahre 1931 Mieterin eines 13 m[2] großen Geschäftslokales ist, in welchem sie ein Gemüsegeschäft betreibt.
Das Erstgericht wies das auf Räumung dieses Lokales gerichtete Klagebegehren mit folgender Begründung ab:
Die klagende Partei sei durch die Enteignung an Stelle des Ing. O. Eigentümerin der enteigneten Liegenschaftsteile geworden. Auf sie sei § 1120 ABGB. anzuwenden, demzufolge sie das Bestandverhältnis der Beklagten aufkundigen müsse. Die Beklagte benütze den Raum nicht titellos, daher sei ein Räumungsbegehren nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Räumungsbegehren Folge gab. Es führte hiezu aus:
Im Falle einer Enteignung finde keine Eigentumsübertragung, sondern ein originärer Rechtserwerb statt. Der Enteigner sei nicht Rechtsnachfolger. Die Bestimmung des § 1120 ABGB. setze einen derivativen Rechtserwerb voraus und komme daher auf Enteignungsfälle nicht zur Anwendung. Der Zweck der Enteignung sei, dem Enteigner unbelastetes Eigentum zu verschaffen. Daher müsse mit dem enteigneten Eigentümer auch der Mieter weichen, der wegen des Verlustes seiner Bestandrechte auf die erlegte Entschädigungssumme zu verweisen sei.
Das Erlöschen der Bestandrechte ergebe sich auch aus § 1112 ABGB., da nach Lehre und Rechtsprechung der Zerstörung der Bestandsache eine behördliche Verfügung gleichzuhalten sei, durch die die Bestandsache dem Zweck, dem sie bisher diente, dauernd entzogen werde. Dies treffe im Falle einer Liegenschaftsenteignung zum Zwecke des Ausbaus einer Straße zu. Die Beklagte benütze daher seit dem Erlag der Entschädigungssache das Geschäftslokal ohne Titel und sei verpflichtet, es zu räumen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Enteignung stellt einen Fall des originären Eigentumserwerbes dar (Klang[2] II 201, Layer, Prinzipien des Enteignungsrechtes S. 605, Randa, Das Eigentum S. 195, 156 u. a.). Dies gilt insbesondere auch für Enteignungen nach dem EisenbEntG. (vgl. Kautsch, Das Gesetz vom 18. Februar 1876, betreffend die Enteignung zum Zwecke der Herstellung und des Betriebes von Eisenbahnen S. 96), dessen Bestimmungen gemäß Art. 13 VEG. sowie gemäß § 50 (2) und (5) des Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetzes, LGBl. 154/64, auch auf die vorliegende Enteignung sinngemäß anzuwenden sind.
Geht man aber davon aus, daß der Enteigner sein Eigentum originär und nicht von dem des Enteigneten ableitet, dann ist für eine Anwendung des § 1120 ABGB. kein Raum, da diese Gesetzesstelle voraussetzt, daß "der Eigentümer das Bestandstück einem anderen veräußert". Daher führt Klang a. a. O. 202 unter Verweisung auf Layer und Randa aus, daß - von gesetzlichen Sonderregelungen, die hier nicht in Betracht kommen, abgesehen - die Rechte Dritter an enteigneten Sachen mit der Vollendung der Enteignung erlöschen, sodaß der Enteigner lastenfrei erwirbt.
Im gleichen Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung GlU. 15.334 = ZBl. 1895 Nr. 98 mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß durch die Enteignung alle dinglichen Rechte erlöschen und daher umsomehr auch die schwächeren obligatorischen Bestandrechte, sodaß es bezüglich dieser keiner Aufkündigung nach § 1120 ABGB. bedürfe. Es würde, so heißt es dort weiter, gegen den Geist und den Zweck des Eisenbahnenteignungsgesetzes verstoßen, wenn der Enteigner zwar die Möglichkeit hätte, Eigentum zu entziehen, Bestandrechte aber aufkundigen müßte. Jeder Zweifel werde aber durch die Bestimmungen der §§ 5 und 25 (4 EisenbEntG) . beseitigt, nach welchen bei der Ermittlung der Entschädigung auch auf Nachteile Rücksicht zu nehmen ist, die ... Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden und deren Vergütung dem Enteigneten obliegt, und nach welchen der auf die Vergütung dieser Nachteile entfallende Betrag besonders anzugeben ist.
Richtig ist allerdings, daß der Oberste Gerichtshof in einem nicht veröffentlichten Teil seiner Entscheidung 6 Ob 149/60 (andere Teile dieser Entscheidung sind in JBl. 1961 S. 552 abgedruckt) die gegenteilige Ansicht zum Ausdruck gebracht hat. Dort wurde nämlich gesagt, daß sich die Enteignung nur gegen den Eigentümer, nicht aber gegen den Bestandnehmer richte und daß es gegen diesen einer Aufkündigung bedürfe.
Diese Ansicht scheint dem erkennenden Senat aber durch die Ausführungen Brunners in seinem Aufsatz "Über die Rechtsfolgen der Enteignung hinsichtlich der Bestandrechte am Enteignungsgegenstand" (ÖJZ. 1966 S. 88 f.) überzeugend widerlegt. Brunner weist insbesondere unter wörtlicher Zitierung der Darlegungen Kautsch' auf S. 96 seiner Monographie die Unrichtigkeit der Ausführungen der Entscheidung 6 Ob 149/60 nach, daß Kautsch die Ansicht vertrete, durch die Enteignung werde das Eigentum (derivativ) übertragen.
Unerheblich ist die Behauptung des Revisionsrekurses, Ing. O. sei noch immer grundbücherlich eingetragener Gründeigentümer, da der Eigentumserwerb des Enteigners unabhängig von der bücherlichen Eintragung eintritt (Klang a. a. O. 201). Es ist daher auch ohne Belang, ob die Beklagte - wie sie behauptet - weiterhin an Ing. O. Zins zahlt. Die Enteignung ist vollendet, da feststeht, daß das Enteignungserkenntnis rechtskräftig ist, die Entschädigungssumme gerichtlich erlegt und der Erlag grundbücherlich angemerkt wurde (ZVR. 1960 Nr. 46). Die Passivlegitimation der Beklagten ist somit dadurch gegeben, daß sie ihren Geschäftsraum seit der Vollendung der Enteignung titellos benützt, weshalb die Räumungsklage nur gegen sie gerichtet werden kann.
Hinsichtlich ihrer allfälligen Entschädigungsansprüche ist die Beklagte auf die Entschädigungssumme verwiesen. Sie sind im vorliegenden Räumungsstreit nicht zu erörtern. Der gerügte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor. Ein solcher ist aber nicht dadurch gegeben, daß entgegen dem Antrag der Beklagten die die Enteignung betreffenden Enteignungsakten nicht beigeschafft wurden, da feststeht, daß der Enteignungsbescheid rechtskräftig ist. Damit erscheint die Behauptung der Beklagten, das Enteignungsverfahren sei "gegenüber der klagenden Partei noch nicht beendet" widerlegt.
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