OGH 2Ob183/67

OGH2Ob183/6713.6.1967

SZ 40/81

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334
Bauarbeiterverordnung, BGBl. Nr. 267/1954 §3 (1)
Bauarbeiterverordnung, BGBl. Nr. 267/1954 §65 (10)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334
Bauarbeiterverordnung, BGBl. Nr. 267/1954 §3 (1)
Bauarbeiterverordnung, BGBl. Nr. 267/1954 §65 (10)

 

Spruch:

Zur Frage des grobfahrlässigen Verschuldens des Baumeisters am Einsturz eines Hauses.

Entscheidung vom 13. Juni 1967, 2 Ob 183/67.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Klägerin begehrt vom Beklagten gemäß § 334 ASVG. den Ersatz der ziffernmäßig nicht bestrittenen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, die sie aus Anlaß eines Arbeitsunfalles ihrer Versicherungsnehmer Franz E. und Johann W. erbracht hat.

Das Erstgericht wies das Zahlungs- und das mit diesem verbundene Feststellungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie schon in zweiter, so ist auch in dritter Instanz lediglich strittig, ob der Beklagte den Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht habe. Dabei ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Beklagte hatte im Auftrag der Ehegatten R. auf deren Liegenschaft in S. u. a. auch den Schweinestall umzubauen. Nach dem bei der Kommissionierung nicht beanstandeten Plan sollte die Außenmauer des Schweinestalles stehen bleiben. Entgegen der ursprünglichen Absicht mußte die Dachkonstruktion über dem Schweinestall entfernt werden. Dies hatte zur Folge, daß die Außenmauer des Südtraktes zwischen dem Scheunen- und dem Wohngebäudetrakt in der Länge von 19.10 m nach oben hin frei war. Die insgesamt 5.30 m hohe Außenmauer wies bis zur Höhe von 3.80 m eine Stärke von 54 cm, darüber eine solche von 45-48 cm auf. In der Außenmauer wurde am 23. April 1964 ein zur Aufnahme des Widerlagers der neuen Decke des Schweinestalles bestimmter, 25 cm tiefer, durchgehender Schlitz gestemmt. Nachts zum 24. April 1964 fiel eine Regenmenge von 134 mm und es wehte Wind mit einer Stärke von 35-40 km/h. Der Beklagte kam am 24. April 1964 gegen 7 Uhr früh auf die Baustelle. Er traf Anordnungen hinsichtlich der ursprünglich nicht vorgesehenen, unsachgemäßen Entfernung des Dachstuhles. Durch einen Blick in der Fluchtlinie überzeugte er sich, ob die Außenmauer gerade stehe. Er sah keinen Anlaß, neuerlich statische Berechnungen durchzuführen. Auch in dem durchgehend ausgestemmten Schlitz sah er keine Gefahr, zumal sich das Wetter inzwischen gebessert hatte, mit dem Verlegen der Massivdecke bereits begonnen wurde und diese Arbeit in einem Zug bis zum Abend beendet sein sollte. Der Beklagte entfernte sich nach etwa halbstundiger Anwesenheit, während der er sich selbst an der Innenseite der Mauer aufgehalten hatte. Bald nachher stürzte die Mauer ein. Dabei erlitten u. a. Franz E. tödliche und Johann W. schwere Verletzungen. Der Beklagte hatte Friedrich E. und als dessen Vertreter Franz E. als fachkundige Personen zur Bauaufsicht bestimmt (§ 3 BauarbeitenVO., BGBl. Nr. 267/1954), Friedrich E. war Maurergeselle und schon wiederholt als Hilfspolier und Vorarbeiter eingesetzt. Franz E. war seit 30 Jahren beim Beklagten als erfahrener Maurer beschäftigt. Die Mauer bedurfte unter normalen Witterungsverhältnissen keiner Abstützung. Eine solche hätte einsturzverhindernd nur durch Verschalung auf beiden Seiten bewirkt werden können, ist aber auch bei nachträglichen Deckenverlegungen im Baugewerbe nicht üblich. Die Entfernung des Dachstuhles, die an sich nicht sachgemäß war, hat den Einsturz nicht verursacht. Das Einstemmen eines durchlaufenden Auflagerschlitzes war nicht sachgemäß, doch war die Standsicherheit der Mauer trotzdem nach statischen Berechnungen noch gegeben. Bei abschnittweiser Herstellung des Schlitzes und ebensolcher Verlegung der Decke wäre der Einsturz auch ohne Verschalungen, ohne Zuziehen eines Statikers bzw. eingehende statische Berechnungen und ohne Dachlast, trotz der ungünstigen Witterungsverhältnisse unterblieben. Der Grund für den Einsturz der Mauer lag in der unsachgemäße Verlegung des Dachstuhles durch Ausstemmen des durchgehenden Auflagerschlitzes unter zusätzlicher Einwirkung der ungünstigen Witterungsverhältnisse in der Nacht unmittelbar vor dem Unfall. Durch diese Einwirkungen auf die äußerlich nicht erkennbar unhomogene Mauer wurde der durch Regenwasser durchnäßte Lehmmörtel aufgeweicht.

Der Beklagte wurde wegen Vergehens nach § 335 StG. rechtskräftig verurteilt. Nach dem Urteilsspruch hat er es als verantwortlicher Bauführer unterlassen, die bei Bauarbeiten freistehende Außenmauer hinsichtlich ihrer Standfestigkeit durch eine fachkundige Person untersuchen zu lassen, sodaß die Mauer einstürzte.

Die Rechtsrüge der Klägerin richtet sich gegen folgende Ansichten des Berufungsgerichtes: 1. Daß ungeachtet festgestellter Verstöße gegen Unfallsverhütungsvorschriften und der Nichtanwendung von Fachkenntnissen grobe Fahrlässigkeit deshalb nicht anzunehmen sei, weil der Unfall nicht als wahrscheinlich vorhersehbar gewesen sei,

2. daß der Beklagte in der Person des Friedrich E. und des Franz E. fachkundige Personen zur Bauaufsicht bestellt habe, 3. daß es für die Beurteilung des Sachverhaltes nicht wesentlich sei, wenn der Beklagte erst am Unfallstag erstmalig die Baustelle besichtigt habe. Ihre Ausführungen sind jedoch nicht stichhältig.

Für das unsachgemäße Abtragen des Dachstuhles war der Beklagte nicht verantwortlich. Als für den Unfall ursächliches Verschulden kommt lediglich das fachmännischen Grundsätzen (§ 3 (1) BauarbeitenVO.) widersprechende Einstemmen des durchgehenden Auflagerschlitzes und - gemäß § 268 ZPO. - der Umstand in Betracht, daß der Beklagte die für einen derartigen Fall gemäß § 65 (10) BauarbeitenVO. vorgeschriebene neuerliche Prüfung der Standfestigkeit der Mauer darauf beschränkte, ob diese noch gerade stehe. Es entspricht der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, daß die Übertretung von Dienstnehmerschutzvorschriften und Unfallsverhütungsvorschriften an sich noch keine grobe Fahrlässigkeit gemäß § 334 ASVG. begrunden muß. Eine solche setzt vielmehr ein Handeln oder Unterlassen voraus, bei dem unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen und bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt wurde und ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden (ZVR. 1966 Spruchbeilage Nr. 192; Geigel, Der Haftpflichtprozeß [12] S. 833). Dies trifft hier schon deshalb nicht zu, weil die Standfestigkeit der Mauer trotz des bautechnisch unrichtigen Vorganges noch immer gegeben und die mangelnde Homogenität der Mauer äußerlich nicht erkennbar war. Damit erledigt sich aber auch der Einwand der Revision, der drohende Einsturz der Mauer sei objektiv nicht unvorhersehbar gewesen.

Dem Berufungsgericht ist auch kein entscheidungswesentlicher Irrtum bei Beurteilung der Frage unterlaufen, ob der Beklagte der Bestimmung des § 3 (1) BauarbeitenVO. insoweit entsprochen habe, als diese die Durchführung von Bauarbeiten unter der Aufsicht einer fachkundigen Person vorschreibt. Die Überprüfung der Mauer auf ihre Standfestigkeit nach § 65 (10) BauarbeitenVO. hat der gewiß fachkundige Beklagte selbst vorgenommen. Was aber das bautechnisch unrichtige Einstemmen des Schlitzes betrifft, das in Abwesenheit des Beklagten unter der Aufsicht eines Hilfspoliers und Vorarbeiters sowie eines erfahrenen Maurers geschah, so könnte dem Beklagten diesfalls, wenn überhaupt, lediglich ein Auswahlverschulden angelastet, ein solches aber keinesfalls als grobe Fahrlässigkeit im Sinne der obigen Darlegungen beurteilt werden. Denn nach dem Sachverständigengutachten, dem die Vorinstanzen folgten, sind derart qualifizierte Arbeiter als geeignete Personen im Sinne der angeführten Gesetzesbestimmung anzusehen.

In Ausführung des letzten Beschwerdepunktes bringt die Revision neu lediglich vor, daß der Beklagte die Baustelle erst am Unfallstag erstmalig besichtigt habe. Dieser Umstand vermag jedoch weder für sich allein, noch im Zusammenhang mit dem übrigen festgestellten Verhalten des Beklagten sein Gesamtverhalten als grobe Fahrlässigkeit gemäß dem von der klagenden Partei in Anspruch genommenen Haftungsgrund zu qualifizieren. Da das weitere Vorbringen in diesem Zusammenhang nichts enthält, was nicht schon durch das bisher Gesagte widerlegt wäre, erübrigt es sich, darauf neuerlich einzugehen.

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