Normen
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §6 (1)
KFG §85 (6)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §6 (1)
KFG §85 (6)
Spruch:
Der Halter haftet gemäß § 6 (1) EKHG. und § 85 (6) KFG. nur dann, wenn er mit der Möglichkeit der Benützung seines Fahrzeuges zu Schwarzfahrten rechnen muß und trotzdem Sicherungsmaßnahmen unterläßt, die ihm nicht nur möglich und zumutbar, sondern auch als erforderlich erkennbar sind.
Entscheidung vom 28. April 1967, 2 Ob 139/67.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Am 7. Mai 1964, kurz nach Mitternacht, verschuldete der beim Beklagten (Bäckermeister) als Gehilfe beschäftigte Hans S. in der U.-Straße in Linz einen Verkehrsunfall. Er nahm einen dem Beklagten gehörigen VW-Kombi in Betrieb, verlor offenbar infolge Alkoholeinwirkung die Herrschaft über das Fahrzeug, stieß auf der linken Fahrbahnseite gegen einen entgegenkommenden PKW und prallte sodann gegen den neben der Fahrbahn abgestellten PKW des Klägers, der dadurch beschädigt wurde.
Das gegen S. eingeleitete Strafverfahren wurde gemäß § 412 StPO. abgebrochen.
Mit der Behauptung, die Fahrt sei mit Wissen und Willen des Beklagten geschehen und dieser habe sie schuldhaft ermöglicht, begehrt der Kläger vom Beklagten als Eigentümer und Halter des VW-Kombi den Ersatz der Reparaturkosten, des merkantilen Minderwertes und der Auslagen für ein Ersatzfahrzeug.
Der Beklagte bestritt nach Grund und Höhe und beantragte, die Klage abzuweisen.
Das Erstgericht beschränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches und wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht wiederholte und ergänzte die Beweise und bestätigte sodann das Ersturteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Da nur Rechtsrüge erhoben ist, ist von folgendem bindend feststehenden Sachverhalt auszugehen:
S. benützte bei der Unfallsfahrt den VW-Kombi nicht mit Wissen und Willen des Beklagten (Außerstreitstellung in der mündlichen Berufungsverhandlung).
S. war bereits seit Jahren erst als Lehrling, dann als Geselle beim Beklagten tätig. Er war ehrlich, achtete immer das Eigentum seines Dienstgebers und entwendete im Gegensatz zu anderen Angestellten nie Lebensmittel. Er wohnte auch fallweise im Haus, wo er wie die übrigen Bediensteten Frühstück und Jause erhielt. Diese Mahlzeiten wurden in der im Erdgeschoß gelegenen Bauernstube eingenommen. S. war ein leidenschaftlicher Autofahrer. Er besaß keinen Führerschein jedoch ein eigenes Auto. Schon vor dem gegenständlichen Unfall verschuldete er mit einem Moped und seinem eigenen Wagen je einen Unfall. Diese Umstände waren dem Beklagten bekannt. S. benützte den VW-Kombi einige Male zum Brotausführen. Weder der Beklagte noch dessen Gattin wußten dies, weil S. diese Fahrten unternahm, während sich der Beklagte in Spitalspflege befand und seine Frau abwesend war.
Der Beklagte verwahrte die Schlüssel für den VW-Kombi entweder in der Ladenkasse des Geschäftes oder in einem versperrbaren Fach eines in der Bauernstube stehenden Schrankes. Dieses Fach wurde, wenn die Autoschlüssel dort verwahrt wurden, in der Regel abgesperrt und der Beklagte nahm den Schlüssel zum Fach an sich. Über Nacht verwahrte er die Autoschlüssel ebenso wie andere wichtige Dinge üblicherweise nicht in der Bauernstube, sondern in der im ersten Stock gelegenen Wohnung.
Am Abend des 6. Mai 1964 befand sich der Beklagte auf Kundenbesuch. Nach 9 Uhr traf er den schon stark alkoholisierten S. in einem in der Nähe der Bäckerei befindlichen Bufett. Er brachte S. nach Hause, stellte den VW-Kombi im Hof ab, versperrte ihn, zog die Autoschlüssel ab und verwahrte diese in dem schon erwähnten Schrankfach. Er sperrte dieses Fach, das nur ein einfaches sogenanntes Stiftschloß und kein tosisches Schloß hatte, ab und steckte den Schlüssel in die Tasche seines Sporthemdes (die Gattin des Beklagten fand den Schlüssel zum Fach drei Tage später in der Waschmaschine). Dann fuhr er im Auto seines Schwagers mit diesem in dessen Wohnung, um ein Medikament für sein Kind zu holen. Bei der Rückkehr erfuhr er durch seine Gattin vom gegenständlichen Unfall. S. hatte in der Zwischenzeit mittels Nachschlüssels, den er sich hatte anfertigen lassen, das Schloß zum Fach des Schrankes geöffnet und die Autoschlüssel an sich genommen, den VW-Kombi in Betrieb gesetzt und in der Folge den Unfall verschuldet. Auf dieselbe Weise hatte er sich die Wagenschlüssel angeeignet, als er Brot ausgeführt hatte.
Der Hof, in dem der Beklagte am Abend des 6. Mai 1964 den VW-Kombi abstellte, war durch kein Tor abgeschlossen, die Tür vom Hof ins Haus und die Tür zur Bauernstube waren nicht abgesperrt, weil der Beklagte zurückerwartet wurde. S. besaß einen Schlüssel zu dieser Tür. Er hatte jederzeit Zutritt zur Bauernstube. Ihm war bekannt, wo der Beklagte die Autoschlüssel verwahrte.
Ausgehend von der Annahme, daß S. den Schaden des Klägers verschuldet habe, beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt rechtlich dahin, daß der Beklagte dem Kläger weder nach dem zweiten Satz des § 6 (1) EKHG., noch nach bürgerlichem Recht (gemäß § 1311 ABGB. wegen Übertretung der Schutznorm des § 85 (6) KFG.) hafte. Er habe weder die Schwarzfahrt des S. schuldhaft ermöglicht, noch zumutbare Sicherungsmaßnahmen unterlassen.
Vergeblich versucht die Revision, diese Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zu widerlegen. Die Behauptung, dem Beklagten sei S. als leidenschaftlicher Autofahrer ohne Führerschein, "also als leidenschaftlicher Schwarzfahrer", bekannt gewesen, trifft nicht zu. Schwarzfahrer ist entweder, wer sich gegen den Willen des Halters eigenmächtig in den Besitz eines Fahrzeuges setzt oder wer einen Vertrauensmißbrauch begeht und im Zusammenhang mit einer bestimmten Fahrt, für die ihm der Halter die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug eingeräumt hat, eine Fahrt unternimmt, die völlig aus dem Rahmen des erteilten Auftrages öder der eingeräumten Ermächtigung fällt. Der Beklagte wußte, daß S. keinen Führerschein besitzt, daß er leidenschaftlich gern fährt und schon mit eigenen Fahrzeugen zwei Unfälle verschuldete. Er wußte nicht, daß S. schon vorher einige Male den VW-Kombi ohne Erlaubnis benutzt hatte, um Brot auszuführen. Wenn aber S. nach Kenntnis des Beklagten selbst ein Fahrzeug besaß, so durfte dieser damit rechnen, daß S., um seiner Fahrleidenschaft zu fröhnen, nicht ein nicht ihm gehöriges Fahrzeug in Betrieb nehmen würde, noch dazu, wo S. dem Beklagten seit Jahren keineswegs als haltlos, wie die Revision behauptet, sondern im Gegenteil als ehrlich und verläßlich bekannt war und der Beklagte daher annehmen konnte, S. respektiere die wiederholten Warnungen seines Dienstgebers, den VW-Kombi in Betrieb zu nehmen. Mit der Möglichkeit, S. könnte einen Nachschlüssel zu dem Schrankfach besitzen, in dem die Wagenschlüssel unter Sperre aufbewahrt wurden, brauchte der Beklagte bei diesen Umständen nicht zu rechnen, eben so wenig mit der von der Revision angeführten Möglichkeit, S. könnte sich etwa durch Aufbrechen der Lade in den Besitz der Wagenschlüssel setzen. Damit erledigen sich aber alle weiteren Revisionsausführungen, mit denen dargetan werden soll, daß der Beklagte in bezug auf die Verwahrung der Wagenschlüssel fahrlässig gehandelt habe.
Waren aber diese Schlüssel, und zwar auch unter Berücksichtigung der dem Beklagten bekannten, die Person des S. betreffenden Umstände ausreichend verwahrt, dann ist auch der von der Revision als Erfahrungstatsache bezeichnete Umstand, daß VW-Kombis ohne Startschlüssel durch Kurzschalten der Zundung in Betrieb gesetzt werden können, hier nicht von Bedeutung. Denn mit einem gewaltsamen Aufbrechen der versperrten Tür des im Hof des Hauses abgestellten Wagens durch S. brauchte der Beklagte, der bis zum Unfall der berechtigten Meinung sein durfte, S. halte sich an das Verbot, den Wagen zu benützen, ebenfalls nicht zu rechnen. Wenn aber der Beklagte in bezug auf den Wagen selbst und die Wagenschlüssel alles unter den gegebenen und ihm bekannten Umständen Zumutbare getan hat, dann ist es auch nicht entscheidend, daß der Hof, in dem der Wagen abgestellt war, zur Straße hin durch kein Tor abgeschlossen war. Denn das Berufungsgericht und der Beklagte als Revisionsgegner weisen zutreffend darauf hin, daß nur eine Minderheit der zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeuge in versperrbaren Räumen (Garagen, Höfen) abgestellt wird. Sicher war es dem Beklagten an sich zumutbar, seinen Hof durch ein Tor von der Straße abzuschließen. Wenn er dies bis zum klagsgegenständlichen Vorfall nicht getan hat, so begrundet diese Unterlassung jedenfalls bei Bedachtnahme auf die sonstigen Sicherungsmaßnahmen, die der Beklagte ergriffen hat, kein Verschulden.
Die Revision meint weiter, schon der Umstand, daß S. den VW- Kombi bereits früher zum Brotausführen in Betrieb nahm, ohne daß es der Beklagte merkte, beweise dessen Nachlässigkeit. Auch darin kann ihr nicht gefolgt werden. Denn da der Beklagte in dieser Zeit in Spitalspflege und auch seine Frau abwesend war, bestand keine Möglichkeit zur persönlichen Wahrnehmung. Von diesen Fahrten erfuhr der Beklagte auch erst nach dem Unfall. Auch diese Fahrten konnte S. nur unternehmen, nachdem er sich mittels des Nachschlüssels zum Schrankfach die Wagenschlüssel verschafft hatte.
Gewiß sind nach ständiger Rechtsprechung an die Sicherungspflicht des Fahrzeughalters strengste Anforderungen zu stellen. Andererseits dürfen sie auch nicht überspannt werden. Um die Haftung des Halters auf Grund der in Frage kommenden, bereits oben angeführten Bestimmungen zu begrunden, muß dieser aber einerseits mit der Möglichkeit der Benützung seines Fahrzeuges zu Schwarzfahrten rechnen, andererseits Sicherungsmaßnahmen unterlassen, die ihm nicht nur möglich und zumutbar, sondern auch als erforderlich erkennbar sind. Der Oberste Gerichtshof billigt die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten weder nach bürgerlichem Recht, noch nach Kraftfahrzeughaftpflichtrecht gegeben sind.
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