OGH 1Ob6/67

OGH1Ob6/6730.3.1967

SZ 40/41

Normen

GOG §73 (2)
GOG §78
GOG §73 (2)
GOG §78

 

Spruch:

Dem Bereich der Gerichtsbarkeit gehört eine Justizverwaltungssache nur dann an, wenn über diese Sache in erster Instanz ein Justizverwaltungssenat zu entscheiden hatte (§ 73 (2) GOG.).

Entscheidung vom 30. März 1967, 1 Ob 6/67.

I. Instanz: Präsident des Kreisgerichtes St. Pölten; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Präsident des Kreisgerichtes St.Pölten hat mit dem Bescheid vom 12. Juni 1964. Jv 1854-30/64, gemäß dem § 78, letzter Absatz, GOG. über Wilhelm H. wegen einer in einer Aufsichtsbeschwerde begangenen Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung eine Ordnungsstrafe in der Höhe von 400 S verhängt; diese Entscheidung wurde dem Gemaßregelten am 16. Juni 1964 zu eigenen Handen zugestellt.

Zufolge Uneinbringlichkeit der verhängten Geldstrafe hat der Präsident des Kreisgerichtes St. Pölten diese mit dem Bescheid vom 20. September 1966, Jv 1854-30/64, gemäß dem § 220 (3) ZPO. in Haft in der Dauer von drei Tagen umgewandelt.

Wilhelm H. hat gegen beide Bescheide Berufung erhoben. Während er mit seiner Eingabe vom 24. September 1966 die ausgesprochene Umwandlung der Geldstrafe in Haft bekämpfte und mit dem Hinweis, daß er die Zeit vom 26. Juni 1966 bis 5. August 1966 "nutzlos" in Untersuchungshaft verbracht habe, eine Überprüfung der sich danach ergebenden Rechtslage begehrte, hat er in einem weiteren, erst am 4. Oktober 1966 zur Post gegebenen Rechtsmittel auch noch die Verhängung der Ordnungsstrafe an sich angefochten.

Das Oberlandesgericht Wien hat durch einen gemäß § 73 (2) GOG. zusammengesetzten Senat beide Rechtsmittel des Gemaßregelten als unzulässig zurückgewiesen und dabei im wesentlichen ausgeführt, daß im Verwaltungsverfahren die - unerstreckbare - Berufungsfrist zwei Wochen betrage; die nach Ablauf dieser Rechtsmittelfrist erhobene Berufung Wilhelm H.s gegen die Verhängung der Ordnungsstrafe sei daher als verspätet zurückzuweisen. Die weitere, die Umwandlung der verhängten Geldstrafe in Haft bekämpfende Berufung sei zwar rechtzeitig erhoben worden, lasse aber den zufolge der Regelung des § 63 (3) AVG. erforderlichen begrundeten Berufungsantrag vermissen; fehle es an einem solchen, dann erweise sich die Berufung als unzulässig und müsse ohne weiteres Verfahren zurückgewiesen werden.

Gegen diese in Bescheidform ergangene Entscheidung hat Wilhelm H. im Sinne der erhaltenen Rechtsmittelbelehrung Berufung an das Bundesministerium für Justiz erhoben; dieses hat die ihm im Wege über das Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über das Rechtsmittel vorgelegten Akten dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien mit dem Bemerken zurückgestellt, daß sich Entscheidungen der gemäß § 73 (2) GOG. zusammengesetzten Senate der Oberlandesgerichte gemäß Art. 87 (2) B-VG. als in Ausübung des richterlichen Amtes der Senatsmitglieder erflossen darstellen und deshalb im Verwaltungweg nicht angefochten werden könnten; es handle sich um Akte der Gerichtsbarkeit (Art. 82 ff. B-VG.), die nur auf dem Weg und mit den Mitteln der gerichtlichen Prozeßordnungen zu bekämpfen seien. Das Rechtsmittel des Wilhelm H. richte sich gegen einen, der Überprüfung durch das Bundesministerium für Justiz aus vefassungsrechtlichen Gründen entzogenen Beschluß eines Gerichtes.

Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien hat daraufhin die Akten dem Obersten Gerichtshof vorgelegt, der jedoch eine Sachentscheidung ablehnt.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der im Art. 94 B-VG. normierte Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung erheischt eine organisatorische Trennung der beiden Vollzugsbereiche und verbietet die Einräumung eines Instanzenzuges von einem Gericht an eine Verwaltungsbehörde. Eine verfassungsgesetzliche Ausnahme von diesem, eine Organisationsvorschrift darstellenden Grundsatz sieht allerdings Art. 87 (2) B-VG. hinsichtlich der organisatorischen Vereinigung von Sachen der Justizverwaltung in Form der Verwaltung und Agenden der Justiz bei den Gerichten vor, doch bietet auch diese Ausnahmeregelung keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Trennungsgrundsatz noch in einer anderen Richtung, etwa durch Eröffnung eines Rechtsmittelzuges von einem Justizorgan zu einem solchen der Verwaltung oder umgekehrt, durchbrochen werden soll (vgl. Walter, Verfassung und Gerichtsbarkeit, S. 25 f.).

Nach dem durch Art. VI Z. 2 des Bundesgesetzes vom 6. Dezember 1955, BGBl. Nr. 282, angeführten Abs. 2 des § 73 GOG. entscheiden - soweit nichts anderes bestimmt ist - die Gerichtshöfe erster Instanz und die Oberlandesgerichte über Angelegenheiten der Justizverwaltung in Senaten, die aus dem Präsidenten oder seinem Stellvertreter als Vorsitzenden und zwei Richtern bestehen; derartige, durch Senate getroffene Entscheidungen stellen sich gemäß Art 87 (2) B-VG. als in Ausübung des Richteramtes der Senatsmitglieder erflossen dar und sind im Verwaltungsweg unanfechtbar (Erkenntnis des VwGH. vom 19. Dezember 1957, VwGHSlg, Nr. 4512 (A) = ÖJZ. 1958 S. 333); es handelt sich hierbei um Akte der Gerichtsbarkeit (Art. 82 ff. B-VG.), die nur auf dem Wege und mit den Mitteln der gerichtlichen Prozeßordnungen bekämpft werden können (VfGH. vom 16. Oktober 1952, VfGHSlg. Nr. 2422 = JBl. 1953 S. 72).

Wird im Sinne der Lehre die Funktion der Justizverwaltung als eine Staatsfunktion aufgefaßt, "die Verwaltungsorgane zum Subjekt, die Justiz zum Objekt hat" und die ihrem Inhalt nach "Vorsorge für die persönlichen und sachlichen Erfordernisse der Justiz ist - (vgl. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht S. 234) und entsprechend dieser Erkenntnis die Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 78, letzter Absatz, GOG. nicht etwa als eine im Wege der Rechtsprechung zu besorgende Justizangelegenheit angesehen, sondern dem Bereich der Justizverwaltung zugeordnet, dann kommt die Beantwortung der Frage, ob nach dem Willen des Gesetzgebers deren Erledigung durch Senate oder Kommissionen zu erfolgen hat, insoferne entscheidende Bedeutung zu, als sich nach dem Art. 87 (2) B-VG. ein Richter bei der Erledigung einer Justizverwaltungssache nur dann in Ausübung seines richterlichen Amtes befindet, wenn diese nach der Vorschrift des Gesetzes durch derartige Kollegialorgane zu besorgen ist. Dem Bereich der Gerichtsbarkeit ist demnach die eine Justizverwaltungssache betreffende Entscheidung eines gemäß § 73 (2) GOG. zusammengesetzen Senates (nur) dann zuzuordnen, wenn über diese Sache ein Justizverwaltungssenat in erster Instanz zu befinden hatte, zumal ein Instanzenzug von einer Verwaltungsbehörde an ein Gericht verfassungsrechtlich unzulässig wäre. Von dieser Voraussetzung ging beispielsweise auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. XXXIX 178 aus, in der zum Ausdruck gebracht wurde, daß über die Aufnahme bzw. die Streichung in der Revisorenliste (§§ 9 ff. GenRevV.) ein gemäß § 73 (2) GOG. zusammengesetzter Senat des Oberlandesgerichtes zu erkennen habe und deshalb die Entscheidung dieses Verwaltungssenates im gerichtlichen Instanzenzug bekämpft werden könne.

Diesmal ist § 78, letzter Absatz, GOG. zur Anwendung gekommen; er bestimmt ausdrücklich, daß derjenige, der in einer Aufsichtsbeschwerde die dem Gericht schuldige Achtung durch beleidigende Ausfälle verletzt oder Richter ... grundlos beleidigt, unbeschadet der deshalb eintretenden strafgerichtlichen Verfolgung vom Vorsteher des Gerichtes oder der Justizbehörde, bei der die Beschwerde eingebracht wurde, mit einer Ordnungsstrafe zu belegen ist. Die zu den Geschäften der Justizverwaltung gehörende Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 78, letzter Absatz GOG. hat also nicht durch Senate oder Kommissionen zu erfolgen; die Erledigung einer derartigen Justizverwaltungssache ist also zufolge ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (Zuständigkeit des Vorstehers des Gerichtes) dem Kompetenzbereich eines nach dem § 73 (2) GOG. zusammengesetzten Kollegialorganes entrückt.

Aus diesen rechtlichen Erwägungen ergibt sich, daß sich die Mitglieder des gemäß § 73 (2) GOG. zusammengesetzten Senates des Oberlandesgerichtes Wien bei der Behandlung und Erledigung dieser Wilhelm H. betreffenden Ordnungsstrafsache nicht in Ausübung ihres richterlichen Amtes befunden haben konnten. Dafür, daß sich das mit der Sache befaßt Kollegialorgan dieser Rechtslage durchaus bewußt gewesen ist, zeugt die von ihm vorgenommene Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze (AVG. 1950); der genannte Verwaltungssenat hat demgemäß - mit Bescheid - als Berufungsinstanz über die von Wilhelm H. erhobenen Rechtsmittel entschieden und in seiner Rechtsmittelbelehrung den Rechtsmittelzug an das Bundesministerium für Justiz für zulässig erklärt.

Es zeigt sich also, daß der Bescheid des Senates des Oberlandesgerichtes Wien keinen mit den rechtlichen Mitteln der Prozeßordnungen zu bekämpfenden, in den Zuständigkeitsbereich des Obersten Gerichtshofes (§ 2 des Gesetzes vom 24. Februar 1907, RGBl. Nr. 41) fallenden Akt der Gerichtsbarkeit darstellt, vielmehr als eine nur im Verwaltungswege anzufechtende Entscheidung einer verwaltungsbehördlichen Rechtsmittelinstanz angesprochen werden muß.

Eine Entscheidung über das von Wilhelm H. gegen diesen Bescheid erhobene, an das Bundesministerium für Justiz gerichtete Rechtsmittel kann daher nicht erfolgen.

Darüber, ob die Voraussetzungen eines verneinenden Kompetenzkonflikts im Sinne des Art. 138 (1) lit. a B-VG. bereits vorliegen und die beteiligten Parteien zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nach Art. 46 (1) VerfGG. 1953 berechtigt sind, hat der Oberste Gerichtshof nicht zu befinden.

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