OGH 6Ob45/67

OGH6Ob45/6715.3.1967

SZ 40/38

Normen

ABGB §783
AußStrG §72
ABGB §783
AußStrG §72

 

Spruch:

Pflichtteilsberechtigte können den Besitzer des Nachlasses klagen, wenn das Abhandlungsgericht die Durchführung einer Abhandlung ablehnt.

Entscheidung vom 15. März 1967, 6 Ob 45/67.

I. Instanz: Bezirksgericht Wels; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Die Klägerin ist die Tochter, die Beklagte ihre Stiefmutter, die Witwe nach dem am 20. Februar 1963 verstorbenen Dentisten Alfred K. Dieser setzte in seinem Testament vom 31. Jänner 1963 die Beklagte zu seiner alleinigen Erbin ein und beschränkte die Klägerin auf den Pflichtteil; außerdem fügte er hinzu, daß er den gesamten in seiner Wohnung befindlichen Hausrat, insbesondere bestehend aus Schlafzimmer-, Bauernstuben- und Kücheneinrichtung samt Inventar schon der Beklagten geschenkt und übergeben habe.

In dem Abhandlungsverfahren zu A .../63 des Bezirksgerichtes Wels wurde die Verlassenschaft mit Beschluß vom 28. Mai 1963 armutshalber abgetan, weil nach den Angaben der Beklagten kein Nachlaßvermögen vorhanden war. Eine Erbserklärung wurde nicht abgegeben.

In der Folge beantragte die Klägerin mehrmals die Einleitung eines Verlassenschaftsverfahrens, indem sie Nachlaßaktiven behauptete, aus denen sich ein Pflichtteil für sie ergebe. Das Abhandlungsgericht wies jedoch mit Beschluß vom 5. Jänner 1966 diese Anträge ab, sprach aus, daß mangels Nachlaßvermögens eine Abhandlung nicht eingeleitet werde, und verwies die Klägerin mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg. Dieser Beschluß wurde rechtskräftig.

In der vorliegenden Klage behauptet die Klägerin, die Beklagte habe im Verlassenschaftsverfahren nicht angegebene Nachlaßaktiven realisiert, wodurch ihr mindestens 47.811.73 S zugefallen seien. Hievon kämen verschiedene von der Beklagten berichtigte Nachlaßverbindlichkeiten in Abzug, sodaß ihr ein Reinnachlaß von 24.229.59 S verblieben sei. Der der Klägerin gebührende Pflichtteil von drei Achtel des Nachlaßwertes mache daher mindestens 9100 S aus. Die Klägerin stellte zunächst ein Begehren auf Feststellung, daß ihr ein Pflichtteilsanspruch in dieser Höhe zustehe, zog es aber im Verlaufe des Verfahrens zurück.

Das übriggebliebene Begehren auf Zahlung von 9100 S s. A. wies das Erstgericht ohne Aufnahme von Beweisen mit folgender Begründung ab:

Die Klägerin mache einen Pflichtteilsanspruch geltend. Sie habe die Stellung eines Nachlaßgläubigers und müsse - da keine Erbserklärung abgegeben wurde - den ruhenden Nachlaß zu Handen eines Nachlaßkurators klagen. Die Beklagte treffe mangels Erbserklärung keine persönliche Haftung für den Erbteil. Zufolge der Inbesitznahme der Nachlaßgegenstände und der Einziehung der Nachlaßforderungen hafte sie gleichfalls nicht, weil § 1409 ABGB. auf den Inhaber eines Nachlaßvermögens nicht anwendbar sei. Ein Anspruch nach § 951 ABGB. werde in der Klage nicht geltend gemacht.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil zufolge Berufung der Klägerin auf und verwies die Sache unter Rechtskraftvorbehalt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte hiezu folgendes aus:

Die vom Erstgericht seiner Entscheidung zugrundegelegten Rechtssätze entsprächen zwar der herrschenden Lehre und Rechtsprechung, sie seien jedoch nur auf reine Pflichtteilsklagen anzuwenden. Das vorliegende Klagebegehren sei aber auch darauf gegrundet, daß die Beklagte unter Umgehung des Verlassenschaftsgerichtes das vorhandene Aktivvermögen der Verlassenschaft sich zugeeignet und realisiert habe. Die Beklagte stelle dies gar nicht in Abrede. Sie habe daher gegen § 797 ABGB. verstoßen und an den Nachlaßaktiven keinen rechtlichen Besitz erworben, sondern sei unredlicher Besitzer im Sinne des § 335 ABGB. Das von der Beklagten unredlich in Besitz genommene Vermögen sei, da es noch niemandem wirksam zugeteilt wurde, gemäß § 786 ABGB. als ihr und der Klägerin gemeinschaftliches Gut anzusehen. Daher müsse der Klägerin eine direkte Anspruchsverfolgung gegen die Beklagte zuerkannt werden, da die Einschaltung eines für den ruhenden Nachlaß zu bestellenden Kurators nur zu einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverfolgung führen würde.

Allerdings könne die Passivlegitimation der Beklagten nicht aus § 1409 ABGB. abgeleitet werden, da die Beklagte das Vermögen nicht durch Veräußerungsvertrag, sondern eigenmächtig übernommen habe. Da aber die ursprünglich zu Unrecht armutshalber abgetane Verlassenschaft über kein Vermögen mehr verfüge und die Verlassenschaftsaktiven von der Beklagten realisiert wurden, wäre die Beklagte, wenn sie nicht nachweise, daß die Nachlaßaktiven durch dem Pflichtteilsanspruch der Klägerin vorgehende Nachlaßpassiven aufgezehrt wurden, auf Kosten der Klägerin bereichert. Dies lasse, wenn schon nicht in analoger Anwendung des § 1409 ABGB., so doch gemäß § 7 ABGB. nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen ein direktes Klagerecht der Klägerin gegen die Beklagte auf Ausgleich der Bereicherung gerechtfertigt erscheinen.

Da der Beklagten somit die Passivlegitimation zukomme, müßten die beiderseits behaupteten Nachlaßaktiven bzw. -passiven geprüft werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Richtig ist allerdings, daß nach der Rechtsprechung dann, wenn nach § 72 (2) AußStrG. keine Verlassenschaftsabhandlung stattfindet, Gläubiger des Erblassers, Nachlaßgläubiger und Vermächtnisnehmer ihre Ansprüche nur gegen den ruhenden Nachlaß zu Handen eines Kurators, nicht aber gegen den Besitzer des Nachlasses geltend machen können (SZ. VIII 156, SZ. XIX 22, SZ. XXIII 242, JBl. 1952 S. 268 u. a.). Die Stellung des Pflichtteilsberechtigten aber unterscheidet sich, wenngleich sie eine der Stellung des Verlassenschaftsgläubigers ähnliche ist, doch wesentlich von dieser. Das zeigt sich zunächst darin, daß das dem Pflichtteilsberechtigten zustehende Forderungsrecht begrifflich davon abhängig ist, daß ein Haupterbe den Nachlaß in Anspruch nimmt, weil andernfalls der Pflichtteilsberechtigte zwar Anspruch auf den Nachlaß oder einen Bruchteil des Nachlasses, nicht aber eine Pflichtteilsforderung in Geld hätte. Charakteristisch für den Pflichtteilsanspruch ist ferner, daß er sich nicht nur auf das Nachlaßvermögen bezieht und sich nicht nur gegen den Nachlaß und seine Erben richtet (§§ 785, 951, 783 ABGB.). Der Pflichtteil war auch keine Schuld des Erblassers. Der Pflichtteilsanspruch trifft vielmehr von Rechtswegen alle, die aus dem Nachlaß Zuwendungen erhalten haben, nach Maßgabe der erhaltenen Zuwendung (Weiss im Klang Komm.[2] III 897, NotZ. 1917 S. 364). Vor der Einantwortung ist, wenn eine Verlassenschaftsabhandlung stattfindet, die Klage allerdings gegen den durch die erbserklärten Erben vertretenen Nachlaß, nach der Einantwortung aber gegen die leistungspflichtigen Erben und Vermächtnisnehmer zu richten (Weiss a. a. O. S. 871, NotZ. 1917 S. 317, 1956 S. 61). Im übrigen aber steht die Einantwortung mit der Erhebung des Pflichtteilsanspruches in keinem Zusammenhang (Weiss a. a. O. S. 919). Er richtet sich nicht gegen die, denen laut Einantwortungsurkunde die Erbenqualität zukommt, sondern gegen die, denen die Erbschaft tatsächlich zukommt (NotZ. 1917 S. 364). Daraus folgt, daß zwar der Pflichtteilsberechtigte, der einen Geldanspruch geltend machen will, zunächst auf Durchführung einer Verlassenschaftsabhandlung dringen muß, daß er aber dann, wenn das Abhandlungsgericht die Durchführung einer Abhandlung ablehnt, seine Klage gegen denjenigen richten kann, dem die Erbschaft tatsächlich zugekommen ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Beklagte hat weder ihre Berufung zur Erbin noch die Stellung der Klägerin als Noterbin bestritten. Sie hat lediglich bestritten, daß das von der Klägerin behauptete Vermögen zur Verlassenschaft gehört, und im übrigen behauptet, daß ein etwa vorhandenes Vermögen durch zu leistende Zahlungen aufgezehrt wäre. Es handelt sich also um einen reinen Vermögensstreit zwischen der Klägerin als Pflichtteilsberechtigter und der Beklagten, der nach Behauptung der Klägerin das Vermögen, aus dem sie ihren Anspruch ableitet, zugekommen ist. Die Passivlegitimation der Beklagten ist daher gegeben. Für eine Zwischenschaltung einer ruhenden Erbschaft besteht umsoweniger Anlaß, als ein gegenüber dieser ergangenes Urteil gegenüber der Beklagten, die ja mangels Verlassenschaftsabhandlung keine Erbserklärung abgegeben hat, wirkungslos wäre.

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