Spruch:
§ 615 (1) ABGB. führt zwei Fälle des Erlöschens einer fideikommissarischen Substitution an, besagt aber nicht, daß eine Auflösung des Substitutionsbandes aus anderen Gründen unzulässig sei.
Entscheidung vom 9. Februar 1967, 1 Ob 14/67.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der im Jahre 1906 verstorbene Erblasser Anton U. verfügte in seinem am 13. März 1900 errichteten Testament unter § 5 lit. b, daß seinen Töchtern, zu denen auch die Antragstellerin Maria H. gehört, u. a. ein Kapitalbetrag von je 300.000 Kronen anfalle, daß dieser Betrag jedoch für ihre Lebensdauer in gerichtlicher Verwahrung und Verwaltung zu bleiben habe und den Töchtern lediglich die Erträgnisse zufließen sollten. Er verfügte weiter, daß dieses Kapital für den Fall ihrer Vermählung ihren testamentarischen - und falls sie ohne eine letztwillige Anordnung sterben sollten - ihren gesetzlichen Erben vorbehalten bleibe.
Entsprechend dieser letztwilligen Anordnung verfügt Maria H. über die Erträgnisse von Aktien der S. AG. im Werte von 300.000 S, die seit 60 Jahren im Depot des Österreichischen Postsparkassenamtes (Depotnummer X.) erliegen.
Das Erstgericht hat über Antrag der erblasserischen Tochter Maria H. die Substitutionspflegschaft eingestellt und der genannten das beschriebene Wertpapierdepot zur unbeschränkten Verfügung überlassen.
Das Rekursgericht hat dem Rekurs des Substitutionskurators Folge gegeben und in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung den Antrag der Maria H., die Substitutionspflegschaft hinsichtlich der Masse Maria H., Depot Nr. X des Österreichischen Postsparkassenamtes, einzustellen und auszusprechen, daß die Antragstellerin über das genannte Depot unbeschränkt verfügungsberechtigt sei, abgewiesen. Der Erblasser habe keine bestimmte Person zum Nacherben, sondern einen unbestimmten Personenkreis ("die gesetzlichen Erben") zum Nacherben eingesetzt. Dieser Personenkreis werde erst beim Ableben der Vorerbin genau zu bestimmen sein. Wenn auch die im Jahre 1883 geborene Antragstellerin keine Kinder mehr gebären könne, so stunde es ihr jedenfalls frei, solche zu adoptieren. s könnten gesetzliche Erben durch den Tod eines anderen zum Zuge kommen, und es wäre auch denkbar, daß durch Geburt von den Nachkommen der Geschwister der Antragstellerin neue gesetzliche Erben hinzukämen. Der von den derzeitigen gesetzlichen Erben der Antragstellerin abgegebene - nebenbei der erforderlichen gerichtlichen oder notariellen Beglaubigung entbehrende - Verzicht auf das Substitutionsgut und deren Zustimmung zur Auflösung des Substitutionsbandes vermöge daher den Antrag der Vorerbin nicht zu rechtfertigen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Maria H. nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Ob nach dem Willen des Erblassers die Substitutionsmasse zur Hälfte den testamentarischen, zur anderen Hälfte den gesetzlichen Erben der verwitweten Antragstellerin zufallen oder aber in ihrer Gesamtheit den testamentarischen oder gesetzlichen Erben nach Maria H. verbleiben soll, ist für die Sachentscheidung diesmal - wie den folgenden Ausführungen entnommen werden kann - rechtlich ohne Bedeutung, sodaß die Rechtsmittelwerberin mit der in diese Richtung gehenden und dem Rekursgericht tatsächlich unterlaufenen Aktenwidrigkeit für ihren Standpunkt nichts gewinnen kann.
Entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes würde die Einsetzung der "gesetzlichen Erben" der Antragstellerin als Nacherben nicht gegen die Zulässigkeit der Auflösung des Substitutionsbandes durch einen einverständlich erklärten Willen der Vorerbin und der in Frage kommenden Prätendenten sprechen.
Die Bestimmung des § 615 (1) ABGB. führt zwei Fälle des Erlöschens einer fideikommissarischen Substitution an, besagt aber nicht, daß eine Auflösung des Substitutionsbandes aus anderen Gründen unzulässig sei. Schon Zeiller erkannte, daß die Aufzählung der Vereitelungs- und Erlöschenstatbestände nicht vollzählig ist (Weiß in Klang[2] II 445 zu § 615) und erwähnte den Verzicht aller zur Nacherbenschaft Berufenen als einen möglichen Erlöschenstatbestand. Die Rechtsansicht, daß die Auflösungsgrunde in § 615 ABGB. nur demonstrativ aufgezählt sind, wird nicht nur von Ehrenzweig (2. Aufl. II/2 § 504 S. 465 f.), sondern auch von Weiß (Klang[2] III 444 zu § 615) vertreten; sie kam auch in wiederholten Entscheidungen zum Ausdruck (EvBl. 1965 Nr. 361 = JBl. 1965 S. 518 = RiZ. 1965 S. 129). Unter Berufung auf den im Judikat Nr. 209 enthaltenen Rechtssatz, daß Vor- und Nacherbe zusammen die Befugnisse haben, wie sie einem Alleinerben zukommen, bejaht Ehrenzweig (a. a. O.) ausdrücklich die Zulässigkeit einer einverständlichen Aufhebung einer fideikommissarischen Substitution vor dem Substitutionsfall und führt in diesem Zusammenhang aus, daß der Vorerbe mit Zustimmung des Nacherben frei über das Substitutionsgut verfügen könne. Weiß (a. a. O.) spricht gleichfalls von der Möglichkeit einer Aufhebung des Substitutionsbandes für den Fall der Genehmigung der Zustimmungserklärung des Posterioritätskurators durch das Gericht. Die Auflösung einer fideikommissarischen Substitution bei einer übereinstimmenden Willensmanifestation des Vorerben und aller in Betracht kommender Nacherben ist daher grundsätzlich zulässig.
Im vorliegenden Fall wird das Begehren auf Aufhebung des Substitutionsbandes auf den übereinstimmenden Willen der Vorerbin und der als gesetzliche Erben in Betracht kommenden lebenden Angehörigen der Antragstellerin gestützt. Dieses Einverständnis könnte dann zu einer Auflösung des Substitutionsbandes führen, wenn der Substitutionsbehörde dargetan worden wäre, daß ausschließlich die in die beantragte Aufhebung einwilligenden Personen als Nacherben in Frage kommen. Der Erblasser hat aber fideikommissarisch für den Fall, als die Antragstellerin ohne Hinterlassung eines Testamentes versterben sollte, deren gesetzliche Erben zur Nachfolge berufen. Darunter sind aber - wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat - nicht allein die im Zeitpunkt der Beschlußfassung lebenden gesetzlichen Erben der Vorerbin zu verstehen, diesem Personenkreis sind vielmehr auch jene noch ungeborenen Kinder zuzuzählen, die beim seinerzeitigen Erbfall auf ihr gesetzliches Erbrecht nach Maria H. hinweisen könnten. Da nun der für die gesetzlichen Erben (nati und nascituri) bestellte Substitutionskurator vorzüglich im Interesse der noch ungeborenen Substituierten die Zustimmung zur Aufhebung des Substitutionsbandes verweigert und der Substitutionsbehörde nicht in zweifelsfreier Weise dargetan wurde, daß nur die Zustimmenden als allein mögliche seinerzeitige gesetzliche Erben der Antragstellerin in Betracht kommen, ist in der Abweisung des Antrages auf Aufhebung des Substitutionsbandes ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)