OGH 1Ob172/66

OGH1Ob172/6630.6.1966

SZ 39/120

Normen

ABGB §918
ABGB §920
ABGB §921
ABGB §918
ABGB §920
ABGB §921

 

Spruch:

Die Verzögerung und Vereitlung von Nebenpflichten wird durch die Vorschriften, nach denen die Verzögerung oder Vereitlung der Erfüllung den Gläubiger zum Rücktritt vom ganzen Vertrag berechtigt (§§ 918 bis 921 ABGB.), nicht getroffen

Entscheidung vom 30. Juni 1966, 1 Ob 172/66

I. Instanz: Bezirksgericht Wien-Favoriten; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien

Text

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger vom Beklagten mit der Behauptung, daß dieser der vertraglich vereinbarten Lieferung einer Baracke nicht mehr nachkommen könne, den Rückersatz einer dem Beklagten im November 1964 geleisteten Teilzahlung von 3000 S.

Der Erstrichter gab der Klage statt, verneinte den aufrechten Bestand einer vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes geltend gemachten Gegenforderung und ging bei seiner Entscheidung von folgenden wesentlichen Feststellungen aus: Der Beklagte habe dem Kläger im Jahre 1964 eine Baracke um den Preis von 13.000 S verkauft; es sei vereinbart gewesen, daß der Kläger oder ein von ihm namhaft gemachter Vertreter während des vom Beklagten vorzunehmenden Abbruches der Baracke zugegen sein solle, um sich über die Technik des Abtragens zu unterrichten und Hinweise über die bei der Wiederaufstellung einzuhaltenden Vorgangsweise zu gewinnen; die Abtragung der Baracke sei für das Frühjahr 1965 geplant und der Beklagte vom Kläger im Sinne der getroffenen Abmachungen vom genauen Termin rechtzeitig schriftlich oder mündlich zu verständigen gewesen; ungeachtet dieser übernommenen Pflicht habe der Beklagte Ende März 1965 die Baracke ohne Benachrichtigung seines Vertragspartners abgetragen; der Kläger habe dem Beklagten am 10. November 1964 in teilweiser Erfüllung der bestehenden Zahlungspflicht einen Betrag von 3000 S zukommen lassen; die Nichteinhaltung der Verständigungspflicht habe den Kläger veranlaßt, dem Beklagten mitzuteilen, daß der Kauf nicht wirksam geworden sei; der Beklagte habe jedoch auf Vertragserfüllung bestanden.

Rechtlich würdigte der Erstrichter diese Feststellungen dahin, daß in der Vereinbarung über die Teilnahme des Klägers am Abbruch der Baracke eine vom Willen des Beklagten abhängige Willkürbedingung zu erblicken sei; der Nichteintritt dieser Bedingung habe das Rechtsgeschäft nicht wirksam werden lassen; die Berechtigung des Klägers zur Rückforderung der geleisteten Zahlung ergebe sich aus der Bestimmung des § 1435 ABGB.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es begrundete sein Urteil im wesentlichen wie folgt: Nach der vom Kläger selbst in seiner Parteiaussage gegebenen Darstellung habe es sich bei der Vereinbarung über seine oder seines Vertreters Anwesenheit bei der Abtragung der Baracke (nur) um eine "Frage der technischen Durchführung" gehandelt; das Unterbleiben der Verständigung des Klägers über den Zeitpunkt der Abtragung der Baracke berechtige diesen nicht, den Rücktritt vom Vertrag zu erklären; der Vertrag bestehe vielmehr, wenn auch bisher unerfüllt, aufrecht, weshalb der Kläger die von ihm am 10. November 1964 geleisteten, auf den vereinbarten Kaufpreis von 13.000 S anzurechnenden 3000 S nicht zurückfordern könne; diese Entscheidung über die eingeklagte Forderung mache ein Eingehen auf die Gegenforderung des Beklagten entbehrlich.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Unter Anrufung des Revisionsgrundes der Z. 2 des § 503 ZPO. führt der Rechtsmittelwerber aus, das Berufungsgericht habe ohne Beweiswiederholung oder Beweisergänzung die "Feststellung" getroffen, der - nicht als Fixgeschäft im Sinne des § 919 ABGB. zu qualifizierende - Kaufvertrag der Parteien sei mit der Einigung über Sache und Preis perfekt geworden, und habe sich damit von den Feststellungen des Erstgerichtes entfernt, wonach die Vereinbarung über die Verständigung des Klägers durch den Beklagten eine aufschiebende Bedingung darstellte, demnach der Kaufvertrag nur unter der Bedingung, daß der Beklagte die zugesagte Verständigung vornehme, zustande kommen sollte. Der Revision entgeht bei diesen Ausführungen, daß das Berufungsgericht damit in Wahrheit nicht von tatsächlichen Feststellungen des Erstrichters abgegangen ist - diesfalls wäre der behauptete Revisionsgrund gegeben (SZ. VIII 66) - , sondern ohne Erweiterung oder Änderung der Entscheidungsgrundlagen des Erstgerichtes nur zu einer anderen rechtlichen Würdigung des Tatsachenmaterials gelangt ist. Auf dieses Vorbringen des Revisionswerbers, der mit seinen Darlegungen überdies eine dem Berufungsgericht angeblich unterlaufende Aktenwidrigkeit im Sinne der Z. 3 des § 503 ZPO. aufzeigen zu können glaubt, wird daher bei der folgenden Erledigung der Rechtsrüge zurückzukommen sein.

Die von den Untergerichten festgestellten Abmachungen der Parteien stellen sich als ein Kaufvertrag im Sinne des § 1053 ABGB. dar, nach dessen Inhalt der Beklagte zunächst verbunden ist, die diesem Vertragstypus entsprechende Hauptleistung zu erbringen, diesfalls also die Baracke zu liefern, während es dem Kläger obliegt, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Darüber hinaus hat der Beklagte noch eine Nebenpflicht und zwar die zeitgerechte Verständigung des Käufers von dem Abbruchstermin übernommen. Streitentscheidend ist also allein die Frage, ob die vom Beklagten zu vertretende Vereitelung dieser Nebenpflicht den Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Wortlaut des § 920 ABGB., auf den sich der Revisionswerber in der Rechtsrüge ausdrücklich beruft, scheint auch die Vereitelung von Nebenpflichten zu decken, denn die Erfüllung des Vertrages wird auch dann vereitelt, wenn die Bewirkung einer Nebenleistung unmöglich geworden ist. Bei wörtlicher Auslegung würde also die schuldhafte Vereitelung jeder Nebenleistung den anderen Teil - ohne weitere Voraussetzung - zum Rücktritt vom ganzen Vertrag berechtigen. Lehre und Rechtsprechung haben aber erkannt, daß kein Verkehrsbedürfnis nach einem in so weitem Umfang gewährten Rücktrittsrecht besteht, gegen dessen mißbräuchliche Ausübung auch die Bestimmung des § 1295 (2) ABGB. keinen hinlänglichen Schutz böte (Gschnitzer in Klang[2] IV 1 468). Diese Erwägungen führten zu einer einschränkenden Auslegung der §§ 918 bis 921 ABGB. dahingehend, daß die Verzögerung und Vereitelung von Nebenpflichten durch die Vorschriften, nach denen die Verzögerung oder Vereitelung der Erfüllung den Gläubiger stets zum Rücktritt vom ganzen Vertrag berechtigt, nicht getroffen wird (Gschnitzer a. a. O. und die dort unter Anm. 171 angegebenen Literaturhinweise und Entscheidungen).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß es sich bei der festgestellten Nebenverpflichtung des Beklagten keineswegs um eine zur Bedingung des Vertragsabschlusses gemachte Vereinbarung handelte, also nicht die besondere, ihr jetzt beigemessene Bedeutung hatte, ergibt sich nicht nur aus dem Inhalt des vom Kläger selbst verfaßten Vertragsentwurfes, der - abgesehen davon, daß er als Käufer der Baracke eine vom Kläger vertretene juristische Person nennt und damit erst die Aussage des Zeugen Richard P. verständlich macht - auf diese Nebenabrede keinen Bezug nimmt, sondern auch aus der Parteiaussage des Klägers, der darin nur eine Frage der technischen Durchführung erblickte. Daraus folgt, daß den Beklagten der Vorwurf, er habe zumindest mit der Möglichkeit, durch die Unterlassung der Verständigung seines Vertragspartners von dem Abbruchstermin den Vertragszweck zu vereiteln, rechnen müssen, nicht treffen kann. Die Vernachlässigung der übernommenen Nebenpflicht schließt die Erfüllung des Vertrages nicht aus, sodaß ein einseitiges Abgehen des Klägers von dem Kaufvertrag als solchen und damit der geltend gemachte Rückforderungsanspruch nicht gerechtfertigt ist (ZBl. 1933 Nr. 147).

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