Spruch:
Gesundheitliche Gefährdung kann drohender unwiederbringlicher Schaden nach § 381 Z. 2 EO. sein
Hat der Verpflichtete eine Tür an einem abgesperrten Ort aufbewahrt, kann - wenn für die Abnahme dieser Tür kein eigener Exekutionstitel vorliegt - der Auftrag zur Einhängung dieser Tür nur von ihm selbst befolgt werden (§ 354 EO.)
Entscheidung vom 30. März 1966, 3 Ob 37, 49/66
I. Instanz: Bezirksgericht Klagenfurt; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt
Text
Der Kläger behauptet, Mieter einer im Hause der Beklagten gelegenen Wohnung zu sein; der Erstbeklagte habe am 12. Februar 1965 die beiden Flügel der Vorzimmertür ausgehängt und auf den Dachboden getragen.
Er begehrt, die Beklagten schuldig zu erkennen, die Türflügel wieder einzuhängen bzw. einhängen zu lassen.
Die Beklagten beantragen Abweisung des Klagebegehrens und bestritten das Vorliegen eines Mietverhältnisses. Der Kläger habe außerdem vor einigen Jahren das Schloß an der Vorzimmertüre geändert und dem damaligen Hauseigentümer keine Schlüssel ausgehändigt. Schließlich müsse der Erstbeklagte durch dieses Vorzimmer gehen, um in seine eigenen Wohnräume zu gelangen.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9. Dezember 1965 beantragte der Kläger, durch eine einstweilige Verfügung den Antragsgegnern aufzutragen, die Türflügel des Vorzimmers der von ihm gemieteten Wohnung wieder einzuhängen.
Die Beklagten sprachen sich gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung mit der Begründung aus, diese würde das Prozeßergebnis zur Gänze vorwegnehmen.
Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung und beschränkte deren Wirksamkeit auf die Dauer des Rechtsstreites.
Es nahm folgenden Sachverhalt als bescheinigt an: Der Kläger sei auf Grund des vorgelegten, mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen Mietvertrages vom 9. Oktober 1950 Mieter der Wohnung. Von diesem Mietvertrag sei auch das Vorzimmer umfaßt. Der Erstbeklagte habe am 12. Februar 1965 die beiden Türflügel des Vorzimmers entfernt und sie auf den Dachboden getragen, wo er sie seither unter Verschluß halte.
Die Wohnung des Klägers sei zu ebener Erde des Hauses gelegen.
Vom Vorzimmer aus sei jeder Raum dieser Wohnung abgesondert zu betreten. Von der Straße gelange man durch eine zweiflügelige Türe in das Vorhaus und über vier Stufen auf einen größeren Podest, der in der Richtung zum Aufgang in den ersten Stock, vorher jedoch, im Winkel von 90 Grad abbiegend, nach einem Meter zur streitgegenständlichen Vorzimmertür führe. Das gesamte Vorhaus weise Steinfliesen auf und sei 3.30 m hoch. Zufolge Fehlens der Vorzimmertür könne die Kälte des Vorhauses in das Vorzimmer eindringen. Bei der Vornahme des Ortsaugenscheines habe die Außentemperatur minus 2 Grad betragen. Im Vorhaus und im Vorzimmer habe eine Temperatur von plus 7 Grad geherrscht. Sowohl der Kläger als auch der Erstbeklagte besitzen einen sperrbaren Schlüssel zu den ausgehängten Türflügeln. Vom Vorzimmer aus gelange man zu der der strittigen Tür gegenüberliegenden Wohnung der beklagten Parteien. Sämtliche vom Vorzimmer in die Wohnräume führenden Türen seien einfach und weisen zum Teil Spalten auf, die noch von seinerzeitigen Bombenschäden des Hauses herrühren. Auch das Klosett der Wohnung des Klägers sei vom Vorzimmer aus zu erreichen.
Die Ehefrau des Klägers sei 51 Jahre alt und leide an Polyarthritis. Sie sei äußerst empfindlich gegen plötzliche Temperaturveränderungen. Daher sei nicht nur der Anspruch bescheinigt, sondern auch die Gefahr eines drohenden unwiederbringlichen Schadens.
Am 20. Dezember 1965 beantragte der Kläger, zur Erwirkung des Auftrages auf Einhängung der beiden Türflügel die Exekution durch Verhängung einer Geldstrafe über die Verpflichteten zu bewilligen. Das Erstgericht bewilligte diesen Antrag mit Beschluß vom 23. Dezember 1965.
Das Rekursgericht gab den von den Gegnern der gefährdeten Partei erhobenen Rekursen Folge und änderte beide Beschlüsse im abweisenden Sinne ab. Ein gesundheitlicher Nachteil sei konkret nicht bescheinigt worden. Der Inhalt des ärztlichen Attestes stehe im Widerspruch zu den eigenen Angaben des Klägers, wonach seine Ehefrau im Jahre 1965 wegen einer Gelenksentzundung auf Kur in Bad Schallerbach gewesen, nun aber nicht mehr krank sei. Weitere Bescheinigungsmittel seien darüber nicht beigebracht worden, ob und inwieweit eine Verschlechterung des bestehenden Gesundheitszustandes der Gattin des Klägers durch das Offenstehen der Vorzimmertüre in der kalten Jahreszeit überhaupt eintreten könne.
Außerdem könne die bestehende Temperatursenkung im Vorzimmer durch erhöhten Heizaufwand in den Wohnräumlichkeiten ausgeglichen werden, sodaß ein daraus allenfalls entstehender Schaden nicht mehr als unwiederbringlich angesehen werden könnte.
Der Exekutionsantrag sei verfehlt; ein Anspruch auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung liege nicht vor.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs Folge.
Soweit der angefochtene Beschluß den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abwies, wurde er dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.
Soweit der angefochtene Beschluß den Antrag auf Exekutionsbewilligung abwies, wurde er dahin abgeändert, daß er zu lauten hat: "Der verpflichteten Partei wird aufgetragen, die beiden Türflügel des Vorzimmers der von der betreibenden Partei gemieteten im Parterre gelegenen Wohnung einzuhängen. Die verpflichteten Parteien haben dem Antrag sofort zu entsprechen; sonst wird gegen sie auf Antrag der betreibenden Partei eine Geldstrafe von 1000 S verhängt werden."
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung:
Das Rekursgericht hält die Gefahr eines unwiederbringlichen Schadens vor allem deshalb als nicht genügend bescheinigt, weil der Kläger in seiner Parteinvernehmung erklärt habe, seine Gattin sei derzeit nicht krank. Eine Gefährdung im Sinne des § 381 EO. kann aber nur so verstanden werden, daß es nicht erst zu einem Ausfall oder einer Schädigung kommen muß (SZ, XXIII 284), es genügt vielmehr die Möglichkeit, daß von der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes ein unwiederbringlicher Schaden zu befürchten ist. Wenn nun durch das ärztliche Zeugnis bescheinigt ist, daß eine Polyarthritis zu einer Badekur führte und die Patientin äußerst empfindlich gegen plötzliche Temperaturveränderungen ist, so ist damit in genügender Weise dargetan, daß von dem durch das Fehlen der Türe bedingten häufigen Wechsel der Temperatur eine gesundheitliche Gefahr zu befürchten ist, dies um so mehr, als auch bescheinigt ist, daß das Vorzimmer zum Wohnverband des Klägers gehört und sämtliche übrigen Räume einschließlich der Küche und des Klosettes nur von diesem Vorzimmer aus betreten werden können.
Auch der weiteren Auffassung des Rekursgerichtes kann nicht beigepflichtet werden, daß durch erhöhten Heizaufwand in den Wohnräumlichkeiten die Temperatursenkung im Vorzimmer ausgeglichen und deshalb von einem unwiederbringlichen Schaden im Sinne des Gesetzes nicht gesprochen werden könnte. Zu einem erhöhten Heizaufwand ist der Mieter nicht verpflichtet, insbesondere nicht in dem Fall, daß der Vermieter entgegen seiner aus der Bestimmung des § 1096 ABGB. erfließenden Verpflichtung den Mieter in dem Gebrauch oder Genuß des Mietobjektes stört. Nicht auf die Vermeidbarkeit des durch die Vertragsverletzung des Vermieters drohenden Schadens durch eine geradezu unzumutbare Gegenmaßnahme seitens des Mieters kommt es an, sondern auf die Unwiederbringlichkeit des Schadens. Schließlich ist auch der Meinung des Rekursgerichtes nicht zu folgen, daß die einstweilige Verfügung auf jeden Fall nur befristet für die kalte Jahreszeit zu erlassen gewesen wäre. Auch in der übrigen Zeit des Jahres kann es zu erheblichen Temperaturschwankungen und zur Bildung von Zugluft kommen, die sich ebenfalls bei an Gelenksentzundung leidenden Personen schädlich auswirken kann.
Von diesen Erwägungen ausgehend muß daher die Bescheinigung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens im Sinne des § 381 Z. 2 EO. als in genügender Weise erbracht angesehen werden.
Der die einstweilige Verfügung bewilligende Beschluß des Erstgerichtes war demnach wieder herzustellen.
Zum Exekutionsantrag:
Zu Unrecht hat das Rekursgericht die beantragte Exekution (nach § 354 EO,) deshalb nicht bewilligt, weil es sich bei dem Auftrag zur Einhängung der Tür um eine vertretbare Handlung handle. Der Erstbeklagte hat bei seiner Parteienvernehmung angegeben, daß er die beiden Türflügel am Dachboden aufgehoben und den Dachboden abgesperrt habe. Durch die einstweilige Verfügung wird den verpflichteten Parteien aufgetragen, die beiden Türflügel wieder einzuhängen. Wenn die Verpflichteten diesem Auftrage nicht entsprechen, kann die ihnen aufgetragene Handlung nicht von einer dritten Person vorgenommen werden, weil die Verpflichteten im Besitz der Türflügel sind, ein Dritter die Türflügel daher nicht einhängen kann.
Um die Türflügel den Verpflichteten abnehmen zu können, bedürfte es eines eigenen Exekutionstitels, der nicht vorliegt. Der Auftrag an die Verpflichteten kann daher nur von ihnen selbst ausgeführt werden und wird damit zur unvertretbaren Handlung, die nur gemäß § 354 EO. erzwungen werden kann. Die Exekution wurde vom Erstgericht daher mit Recht bewilligt. Allerdings war die Auferlegung einer Geldstrafe gesetzwidrig. Das Erstgericht hatte sich lediglich auf die Bewilligung der Exekution und die Androhung der Geldstrafe zu beschränken (§ 354 (2) EO.). Erst wenn eine weitere Zuwiderhandlung vorläge, könnte eine Beugestrafe verhängt werden. Es war daher wie im Spruche zu erkennen.
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