OGH 8Ob85/66

OGH8Ob85/6629.3.1966

SZ 39/57

Normen

ABGB §901
ABGB §1385
ABGB §901
ABGB §1385

 

Spruch:

Der durch ein Sachverständigengutachten veranlaßte Irrtum über das Bestehen der Klagsforderung ist ein beim Vergleichsabschluß unbeachtlicher Motivirrtum

Entscheidung vom 29. März 1966, 8 Ob 85/66

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Der Beklagte ist vom 1. Oktober 1953 bis 31. März 1962 als selbständiger Handelsvertreter für die klagende Partei tätig gewesen. Zu 2 Cg .../63 des Landesgerichtes Salzburg hat der Beklagte als Kläger von der nunmehrigen Klägerin als dort beklagter Partei den Betrag von 59.443.07 S samt Anhang sowie Bucheinsicht, Rechnungslegung und Anfertigung von Buchauszügen begehrt. Der begehrte Geldbetrag setzte sich aus einer Forderung gemäß § 25 HVG., die der damalige Kläger mit 33.781.22 S bezifferte, und aus einem Betrage von 25.661.85 S aus einer gegenseitigen Abrechnung zusammen. In diesem Verfahren wurde nach Einholung eines Sachverständigengutachtens am 28. Oktober 1964 ein Vergleich geschlossen, in dem sich die dortige beklagte Partei (die heutige Klägerin) verpflichtete, dem dortigen Kläger (dem heutigen Beklagten) 30.000 S binnen 14 Tagen zu bezahlen. Der Vergleich enthielt ferner die Bestimmung, daß mit ihm sämtliche gegenseitige Ansprüche verglichen seien.

Nunmehr begehrt die Klägerin Unwirksamerklärung des Vergleiches, hilfsweise Aufhebung des Vergleiches. Sie behauptet, das im Vorprozeß eingeholte Gutachten des Sachverständigen, dessen Richtigkeit von ihr als feststehend angenommen worden sei, sei in einem wesentlichen Punkte falsch gewesen, da der Sachverständige eine Forderung des Beklagten von 16.895.91 S zu dessen Gunsten berücksichtigt habe, die dem Beklagten in Wahrheit nicht zugestanden sei. Der Beklagte habe dies wissen müssen, sodaß ihm Arglist zur Last zu legen sei. Außerdem habe der Beklagte gegen das Sachverständigengutachten eingewendet, daß ein Betrag von 24.171.80 S aus Warenforderungen nicht berücksichtigt worden sei. Da der Sachverständige erklärt habe, daß diese Forderung zu Recht bestehe, hätten beide Parteien auch diese Forderung dem Vergleiche zugrunde gelegt. Erst nach Abschluß des Vergleiches habe sich herausgestellt, daß es sich hiebei um eine Bruttoforderung gehandelt habe und der Beklagte lediglich einen Betrag von 14.703.84 S hätte verrechnen können. Die klagende Partei sei daher um 9467.80 S verkürzt worden. Der Vergleich wäre niemals geschlossen worden, wenn nicht die Ziffern des Gutachtens dem Vergleiche zugrunde gelegt worden wären.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es hat festgestellt, daß der Vergleich nach zweistundiger Verhandlung zustande gekommen sei, nachdem beide Parteien bis zum Vergleichsabschluß das Sachverständigengutachten in mehreren Punkten bekämpft hätten. Außer Streit sei gestellt worden, daß Roman S., der persönlich haftende Gesellschafter der klagenden Kommanditgesellschaft, während der Verhandlung seine Buchhaltung angerufen habe, um mit ihr Rücksprache zu nehmen. Nach diesem Ferngespräch habe er erklärt, den Vergleich abschließen zu wollen. Die Vergleichssumme sei eine Pauschalsumme gewesen und nicht von einzelnen Posten abhängig gemacht worden. Ebensowenig sei der Vergleich von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens abhängig gemacht worden. Der Vergleich sei nach langwierigen Verhandlungen und Berechnungen auf der Basis von 30.000 S zustande gekommen. Allen Beteiligten sei eindeutig klar gewesen, daß mit diesem Vergleich alle Ansprüche erledigt sein sollten. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, nach § 1385 ABGB. könne ein Irrtum einen Vergleich nur insoweit ungültig machen, als der Irrtum die Wesenheit des Gegenstandes betroffen habe. Ein solcher Irrtum liege aber hier nicht vor.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Beifügung eines Rechtskraftvorbehaltes auf. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Vergleich könne angefochten werden, wenn der Irrtum das betroffen habe, was die Parteien zur Zeit des Vergleichsabschlusses als unzweifelhaft und unstreitig angenommen hätten. In dieser Richtung habe die klagende Partei in der der Fällung des Ersturteils vorangegangenen Streitverhandlung ihr Vorbringen präzisiert. Diese Behauptungen seien im wesentlichen dahin gegangen, daß im Zuge der Vergleichsverhandlungen ein Saldo von 22.000 S zugunsten des Beklagten außer Streit gestellt worden sei, dazu sei die mit 8000 S verglichene Forderung nach § 25 HVG. gekommen, was die Vergleichssumme ergeben habe. Nach diesem Vorbringen der klagenden Partei im Zusammenhange mit ihrem ursprünglichen Klagsvorbringen fechte die klagende Partei den Vergleich deshalb an, weil die feststehenden Grundlagen des Vergleichsabschlusses unrichtig gewesen seien. Eine solche Anfechtung sei aber zulässig. Da das Erstgericht die von der klagenden Partei angebotenen Beweise nicht durchgeführt habe, sei sein Verfahren mangelhaft geblieben.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge und trug dem Berufungsgericht unter Aufhebung des zweitgerichtlichen Beschlusses eine neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist richtig, daß ein Vergleich wegen Irrtums anfechtbar ist, wenn auch nur eine Partei über einen wesentlichen Umstand geirrt hat, den die Vergleichschließenden als unzweifelhaft feststehend angenommen haben und wenn dazu die allgemeinen Voraussetzungen für die Irrtumsanfechtung eines entgeltlichen Vertrages gegeben sind (Wolff in Klang-Komm.[2] VI 280 bei Anm. 6; Ehrenzweig, Allg. Teil[2], § 148, II S. 355 f.). Diese "Wesenheit des Gegenstandes" (§ 1385 ABGB.), die irrtümlicherweise als feststehend angenommen worden sein müßte, um den Vergleich anfechtbar zu machen, kann aber nicht in einer von mehreren von der einen Seite behaupteten und von der anderen Seite bestrittenen Forderungen bestehen.

Wenn sich jemand vergleichsweise zur Zahlung einer Klagsforderung verpflichtet, weil er diese irrigerweise für berechtigt hält, irrt er nicht über den Inhalt des Vergleiches, der der Feststellung eines streitigen Anspruches dient, sondern über eine Frage, die er nach billiger Verkehrsauffassung auf eigene Gefahr selbst - ohne Aufklärungspflicht des Gegners - zu prüfen hat, sodaß ein unbeachtlicher Irrtum im Beweggrund vorliegt (Ehrenzweig, Allgemeiner Teil 2 § 89, S. 227). Gerade dies aber war nach den nunmehrigen Behauptungen der klagenden Partei hier der Fall. Die Forderung des heutigen Beklagten, die er im Verfahren 2 Cg .../63 des Landesgerichtes Salzburg als Kläger geltend machte, bestand, wie erwähnt, aus zwei Teilen: einer Forderung nach § 25 HVG. und dem Saldo aus der Abrechnung eines Warenlagers bzw. von Provisionen, welche Abrechnung zahlreiche Einzelposten zum Gegenstand hatte.

Wenn nun die heute klagende Partei im früheren Verfahren den Anspruch des Beklagten (dortigen Klägers) bezüglich zweier Posten aus der letztgenannten Abrechnung auf Grund der Behauptungen des Beklagten und des Sachverständigengutachtens - objektiv unrichtigerweise - als gegeben angesehen und diese Posten bei der Festsetzung der Vergleichssumme berücksichtigt hat, dann betraf dieser Irrtum nicht die "Wesenheit des Gegenstandes" im Sinne des § 1385 ABGB., sondern Streitpunkte, die verglichen wurden. Ein Irrtum über solche Streitpunkte berührt aber arg. § 1387 ABGB. die Gültigkeit des Vergleiches nicht (Wolff a. a. O., vor Anm. 2, S. 280, Ehrenzweig, a. a. O., SZ. XV 246).

Geht man aber von diesem rechtlichen Gesichtspunkt aus, dann erweist es sich als nicht erforderlich, auf die von der klagenden Partei in der mündlichen Streitverhandlung vom 17. September 1965 vorgebrachten Behauptungen einzugehen und die dort beantragten Beweise durchzuführen.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben, und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Stichworte