Spruch:
Die Verjährungsbestimmung des § 1487 ABGB. umfaßt auch die angemessene Vergütung nach § 872 ABGB.
Entscheidung vom 23. März 1966, 7 Ob 21/66
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz
Text
Der Kläger hat mit Gedächtnisprotokoll vom 3. Juli 1954 eine Eigentumswohnung erworben. Die Wohnung sollte ein Ausmaß von 139.33 m2 haben, als Kaufpreis wurde ein Betrag von 19.610.70 S vereinbart, der sich einschließlich Grundsteuer und Bauaufwand schließlich auf 32.324.56 S stellte. Mit Kaufvertrag vom 23. November 1955 hat die beklagte Partei das gesamte Grundstück erworben und ist in die Kaufverträge mit den Wohnungseigentumswerbern eingetreten. Am 25. Mai 1956 wurde mit dem Kläger ein neuer Kaufvertrag bezüglich der Eigentumswohnung des Klägers abgeschlossen. Die Wohnungsgröße betrug nunmehr 147.04 m2, als Kaufpreis wurde ein Betrag von 46.600 S vereinbart. Der Kläger begehrt die Kaufpreisdifferenz zwischen dem ursprünglichen Vertrag und dem neuen Vertrag von der Beklagten mit der Begründung, daß er von ihr insofern in Irrtum geführt worden sei, als ihm gesagt wurde, er müsse einen neuen Vertrag abschließen, um Eigentumswohnungswerber zu bleiben. Die Beklagte hat insbesondere Verjährung eingewendet und das Vorliegen eines Irrtumstatbestandes bestritten.
Das Erstgericht entschied gemäß dem Klagebegehren. Es traf folgende Feststellungen:
Im Punkt IV des als Vorvertrag bezeichneten Gedächtnisprotokolls vom 3. Juli 1954 hat sich die Verkäuferin verpflichtet, nach Feststellung der endgültigen Eigentumsanteile den ordentlichen Kaufvertrag auszufertigen. Nachdem die Realität an die beklagte Partei verkauft worden war, wurde der Kläger ersucht, in das Büro der Beklagten zu kommen. Er erschien dort am 9. März 1956 und unterschrieb einen Aktenvermerk, worin er sich bereit erklärte, die Wohnung im Gesamtausmaß von 150.86 m2 statt laut Vorvertrag mit
139.33 m2 anzunehmen. Es wurde ihm erklärt, daß nunmehr die beklagte Partei das Projekt plane und durchführen werde und daß ihm Näheres noch bekanntgegeben werde. Von einem höheren Kaufpreis wurde nichts gesprochen. Der Kläger sprach am 25. Mai 1956 bereits in Kenntnis des neuen Preises bei Direktor H. vor.
Dieser erklärte dem Kläger, daß das Ministerium einen Kaufpreis von 46.600 S bewilligt habe und der Kläger verpflichtet sei, diesen Betrag zu bezahlen, falls er auf die Wohnung Wert lege, und daß sein früherer Vertrag ungültig sei. Würde er auf diesem Vertrag bestehen, dann würde die Beklagte ihm das Geld zurückzahlen und er würde keinen Anspruch auf eine Wohnung haben. Auf diese Erklärung hin unterschrieb der Kläger den Kaufvertrag vom 25. Mai 1956. Der Kläger bezahlte den Differenzbetrag sowie die Grundsteuer.
Die Wohnung wurde nach Fertigstellung dem Kläger am 17. Dezember 1957 übergeben. Erst nach Vorlage des Wohnungseigentumsvertrages Ende 1963 brachte der Kläger in Erfahrung, daß andere Wohnungseigentümer sich geweigert haben, an die Beklagte höhere Kaufpreise zu bezahlen und es die beklagte Partei dabei bewenden ließ.
In dem am 23. November 1955 von der Beklagten mit der Voreigentümerin geschlossenen Kaufvertrag über die ganze Liegenschaft heißt es in Punkt V auszugsweise, daß sich die Käuferin verpflichtet, in die abgeschlossenen Kaufverträge mit zehn Wohnungswerbern (u. a. auch mit dem Kläger) in vollem Umfange einzutreten, die geleisteten Zahlungen voll anzuerkennen und den Wohnungswerbern gutzuschreiben. Im Zeitpunkt der Unterfertigung dieses Vertrages lagen der beklagten Partei die Verträge mit den Wohnungswerbern nicht vor. Diese Verträge wurden erst am 18. Juni 1956 der Beklagten ausgefolgt.
Rechtlich folgerte das Erstgericht aus den getroffenen Feststellungen, daß der Vertrag vom 3. Juli 1954 als Punktation beurteilt werden müsse. Die Verpflichtungserklärung der beklagten Partei im Kaufvertrag vom 23. November 1955 sei als Vertrag zugunsten Dritter (Verschaffung der Eigentumswohnung) anzusehen. Der Kläger habe dadurch Rechte erworben, er habe von diesen Rechten erst Ende 1963 Kenntnis erlangt und habe innerhalb der Verjährungszeit die Klage (14. Februar 1964) eingebracht. Der Kläger sei von Dir. H., dem Leiter der beklagten Wohnbaugenossenschaft dadurch irregeführt worden, daß ihm die Ungültigkeit des ursprünglichen Vertrages vorgehalten und die Rückzahlung des Geldes bei Verlust des Wohnungsanspruches bei Festhalten am Vertrag in Aussicht gestellt worden sei. Eine listige Irreführung könne in der Erklärung des Direktor H. dem Kläger gegenüber allerdings nicht gesehen werden, da immerhin glaubhaft sei, daß die Verträge der Wohnungswerber der beklagten Partei erst am 18. Juni 1956 übergeben worden seien, also zu einem Zeitpunkt bekannt wurden, als die Erklärung dem Kläger gegenüber vor Unterfertigung des Vertrages vom 25. Mai 1956 bereits abgegeben war. Es müsse daher Direktor H. zugebilligt werden, daß ihm der genaue Vertragstext unbekannt war. Es müsse aber dem Kläger zugebilligt werden, daß er nur deswegen den Vertrag abgeschlossen hat, weil er durch die von Direktor H. abgegebene Erklärung, an der zu zweifeln er keinen Grund hatte, dazu veranlaßt wurde. Dieser Umstand stelle einen wesentlichen und zu beachtenden Irrtum auf Seiten des Klägers dar. Aber auch die beklagte Partei habe sich bei Abgabe der unrichtigen Erklärung in einem Irrtum befunden. Der Kläger könne daher nach § 871 ABGB. die zu Unrecht gezahlte Differenz im Kaufpreis zurückverlangen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Beziehung aus, daß für die Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums die dreijährige Verjährung nach § 1487 ABGB. im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und nicht im Zeitpunkt der Aufklärung des Irrtums zu laufen beginne. Auch für einen Anspruch nach § 872 ABGB. seien die Irrtumsregeln und somit auch die Verjährungsbestimmungen des § 1487 ABGB. anzuwenden. Ein listiges Vorgehen sei der Beklagten nicht nachzuweisen gewesen und liege selbst nach dem Klagsvorbringen nicht vor. Die am 14. Februar 1964 bei Gericht eingelangte Klage sei daher verspätet, nachdem der Vertrag bereits am 25. Mai 1956 abgeschlossen wurde. Die Frage, ob und wieweit der Kläger auf Grund des Vertrages vom 23. Jänner 1955 originäre Rechte gegen die beklagte Partei erworben habe, sei bedeutungslos, weil feststehe, daß der Kläger am 25. Mai 1956 einen neuen Vertrag mit der beklagten Partei abgeschlossen hat. Aus der Tatsache, daß die beklagte Partei gegenüber drei anderen Wohnungseigentümern die alten Verträge als rechtswirksam anerkannt hat, könne der Kläger selbst keine Rechte ableiten.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger versucht darzutun, daß es sich bei seinem Begehren nach § 872 ABGB. um einen Schadenersatzanspruch "im weiteren Sinne" handle, der gemäß § 1489 ABGB. drei Jahre nach Schadenskenntnis verjähre. Diese Ansicht ist unrichtig und mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen. § 872 ABGB. handelt ebenso von der Irreführung wie die §§ 870, 871 ABGB. Ein Schadenersatz kommt nach § 874 ABGB. nur im Falle von List oder ungerechter Furcht in Betracht. Die Verjährungsbestimmung des § 1487 ABGB. bezieht sich auf "die Forderung wegen einer bei dem Vertrage unterlaufenen Furcht oder eines Irrtums, wobei sich der andere vertragmachende Teil keiner List schuldig gemacht hat", umfaßt daher auch die angemessene Vergütung nach § 872 ABGB. Nach einhelliger Rechtsprechung läuft die Verjährungsfrist für die Anfechtung wegen Irrtums aber schon vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Der Entscheidung des Berufungsgerichtes haftet daher diesbezüglich kein Rechtsirrtum an.
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