Spruch:
Definition des Girovertrages
Es steht der Bank frei, Überweisungsaufträge ihres Kunden auch dann durchzuführen, wenn keine hinreichende Deckung vorliegt
Entscheidung vom 20. Oktober 1965, 7 Ob 320/65
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien
Text
Die klagende Partei begehrt die Bezahlung von 9954 sfr bzw. deren Gegenwert in Schilling, weil der Beklagte sein bei der klagenden Partei bestehendes Girokonto im Jahre 1958 um diesen Betrag überzogen und den bei der Endabrechnung am 31. Dezember 1963 zugunsten der klagenden Partei sich ergebenden Saldo nicht beanstandet habe. Der Beklagte wendete ein, zur Überziehung seines Kontos sei es durch eine auftragswidrige Überweisung der klagenden Partei gekommen, er hafte daher nicht für die Schuld. Er habe die klagende Partei angewiesen, einen Betrag von 3480 $ von seinem Konto der A. I. zu überweisen, aber erst nach Eingang eines Betrages von 6000 $, den er von K. S. zu bekommen gehabt habe. Da die klagende Partei den Eingang dieses Betrages nicht abgewartet und die Überweisung ohne entsprechende Deckung vorgenommen habe, habe sie den Schaden selbst verschuldet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, der Beklagte habe am 26. Oktober 1953 bei der klagenden Partei ein schweizer Franken-Kontokorrent eröffnet und hiebei die allgemeinen Bestimmungen für den Kontokorrent- und den übrigen Bankenverkehr zur Kenntnis genommen. Danach seien Reklamationen gegen periodische Rechnungsauszüge innerhalb von 4 Wochen zu erheben, sonst gelten sie als richtig befunden. Dem Beklagten seien die periodischen Rechnungsauszüge vereinbarungsgemäß zur Kenntnis gebracht worden. Er habe dagegen innerhalb der vorgesehenen Frist keine Einwendungen erhoben und damit die Abrechnung genehmigt. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 16. Juli 1958 die klagende Partei angewiesen, von seinem Konto einen Betrag von 3480 $ an die First National City Bank of New York zu überweisen und diese Überweisung weder schriftlich noch mündlich von einer Bedingung, nämlich dem Eingang von 6000 $ abhängig gemacht. Zu der Kontoüberschreitung sei es gekommen, weil eine Angestellte der Klägerin der Meinung gewesen sei, es handle sich bei dem zu überweisenden Betrag um Schweizer Franken, wodurch das Konto des Beklagten nicht überzogen gewesen wäre. Die klagende Partei habe die Überweisung aber auftragsgemäß vorgenommen und könne hiefür aus dem Auftragsvertrag Ersatz verlangen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte führt in der Rechtsrüge aus, eine ungedeckte Überweisung widerspreche den Bestimmungen des Girovertrages und den Bankvereinbarungen. Eine Überweisung könne nur dann erfolgen, wenn Deckung vorhanden sei, es sei denn, daß ein besonderer Kreditvertrag geschlossen wurde. Erfolge eine Überweisung ohne Deckung, hafte die Bank für dieses Versehen. Eine stillschweigende Zustimmung könne nicht bei außerordentlichen Vorfällen, wie es die Überweisung ohne Deckung sei, angenommen werden.
Der Girovertrag ist eine Vereinbarung zwischen einer Bank und einem Kontoinhaber, durch die sich die Bank verpflichtet, die ihr aufgetragenen Zahlungen durch buchmäßige Umschreibungen zu bewirken. In diesem Vertrag verpflichtet sich also die Bank, Leistungen für ihren Kommittenten zu erbringen, die dem bargeldlosen Zahlungsverkehr dienen, nämlich die Gutschrift eingehender Beträge, die Besorgung von Überweisungen, die Einzahlungen auf das Konto entgegenzunehmen und Zahlungen zu Lasten des Kontos zu leisten (Hämmerle, Grundriß des Handelsrechtes, S. 205; Schinnerer[2] I 120). Giroverträge werden zwar grundsätzlich nur unter der Voraussetzung einer Deckung (eines Guthabens) des Kunden von der Bank eingegangen und ausgeführt. Das Deckungsverhältnis schließt einen Auftrag in sich ein, demzufolge die Bank verpflichtet ist, die Anweisung des Kunden auszuführen. Es ist aber weder dem Gesetz noch dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrag zu entnehmen, daß die Durchführung eines Auftrages des Girokunden nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Deckung erfolgen dürfe. Es steht der Bank frei, Überweisungsaufträge ihres Kunden auch dann durchzuführen, wenn keine hinreichende Deckung vorliegt. Sie wird das dann tun, wenn ihr der Kunde hinreichend sicher erscheint, die Überziehung seines Kontos durch entsprechende Einzahlungen in angemessener Zeit wieder auszugleichen. Es ist dem Berufungsgericht daher beizupflichten, daß der Auftrag des Beklagten, die durch sein Guthaben nicht mehr ganz gedeckte Überweisung durchzuführen, als Offerte an die klagende Partei anzusehen ist, ihm einen entsprechenden Kredit einzuräumen, welcher Offerte die klagende Partei durch Ausführung des Auftrages entsprochen hat. Der Umstand, daß sie sich bei der Kreditgewährung offenbar in einem Irrtum befunden hat, weil sie annahm, bei dem zu überweisenden Betrag handle es sich um Schweizer Franken, er sei daher durch das Guthaben des Beklagten noch gedeckt, kann nicht vom Beklagten eingewendet werden. Wenn er sein Konto nicht überziehen wollte, wäre es seine Aufgabe gewesen, sich über den Kontostand entsprechend zu orientieren. Ein Verschulden der Bank, eine Vernachlässigung der ihr obliegenden Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes, kann aber nicht darin erblickt werden, daß sie vor Durchführung der Überweisung den Beklagten nicht vom Überziehen seines Kontos verständigt hat. Die von der klagenden Partei durchgeführte Überweisung widersprach daher nicht dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Girovertrag. Sie erfolgte auch nicht auftragswidrig, sondern entsprach, wie die Untergerichte festgestellt haben, dem unbedingten Auftrag des Beklagten. Die Ausführungen Schinnerers (I 119) und Hämmerles (S. 1140), die der Beklagte zitiert, können seine Ansicht nicht stützen, denn darin wird nur ausgeführt, daß die Bank für die ordnungsgemäße Durchführung des Überweisungsauftrages im Rahmen eines ihr zur Last fallenden Verschuldens hafte. Im vorliegenden Fall hat sie die Überweisung aber auftragsgemäß durchgeführt.
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