OGH 1Ob149/65

OGH1Ob149/6513.10.1965

SZ 38/161

Normen

ABGB §1029
ABGB §1029

 

Spruch:

Haftung einer Verlassenschaft für den vom Verlassenschaftskurator hervorgerufenen äußeren Anschein, das Unternehmen des Erblassers werde von der Verlassenschaft fortgeführt

Entscheidung vom 13. Oktober 1965, 1 Ob 149/65

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Die klagende Partei begehrt von der Verlassenschaft nach dem am 31. Juli 1962 verstorbenen Sanatoriumsbesitzer Dr. Waldemar H. einen Betrag von 24.495.35 S für diesem gelieferte Brennstoffe.

Die beklagte Partei, an deren Stelle infolge mittlerweiliger Einantwortung die Erben des Verstorbenen in den Prozeß eingetreten sind, beantragte Klagsabweisung, weil sie auf Lieferungen, die zu Lebzeiten des Dr. Waldemar H. erfolgt seien, nichts mehr schulde und weil ab 1. August 1962 die Witwe nach dem Verstorbenen, Elfriede H., das Sanatorium auf eigene Rechnung weitergeführt habe ...

Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte fest, der Chirurg Dr. Waldemar H. habe bis zu seinem Tode auf der seiner geschiedenen ersten Gattin und seinen Kindern aus erster Ehe gehörigen und von ihm als Mieter bzw. als Fruchtnießer benützten Liegenschaft EZ. 230 II der Kat.-Gem. K. ein Privatsanatorium geführt und in den letzten Jahren vor seinem Tode die Brennstoffe für dieses Sanatorium von der klagenden Partei bezogen. Die Bestellungen seien durchwegs von den Sanatoriumsbediensteten E. und N. telefonisch durchgegeben worden. Bei der Übernahme der bestellten Brennstoffe seien die Lieferscheine mit der Stampiglie des Dr. Waldemar H. versehen und mit der Unterschrift des übernehmenden Bediensteten abgezeichnet worden. Beim Tode des Dr. H. habe dessen Konto bei der klagenden Partei einen Saldo von 561.05 S zugunsten der Klägerin aufgewiesen; dieser Saldo sei von dem am 24. August 1962 bestellten Verlassenschaftskurator nach Veranlassung einer Gläubigerkonvokation durch Bezahlung des noch offenen Betrages ausgeglichen worden. Der Verlassenschaftskurator habe beabsichtigt, den Sanatoriumsbetrieb einzustellen, er habe aber die Erklärung der Witwe des Verstorbenen zur Kenntnis genommen, daß diese den Betrieb auf eigene Rechnung selbständig weiterführe, wobei er nur betont habe, daß er hiefür keine Verantwortung übernehme. Die klagende Partei habe mangels einer entsprechenden Verständigung nur vom Tod des Dr. H., nicht aber von den Absprachen zwischen seiner Witwe und den Verlassenschaftskurator Kenntnis erhalten. Für sie sei der Geschäftspartner weiterhin das Sanatorium Dr. H. insbesondere deshalb geblieben, weil die Aufschrift auf der Mauer der Liegenschaft "Privatklinik Dr. H." bestehen geblieben das Briefpapier mit dem Kopf "Sanatorium Dr. H., Privatklinik" weiterhin im Geschäftsverkehr verwendet und bei den weiteren Bestellungen und Übernahmen der Brennstoffe der gleiche Vorgang wie früher eingehalten worden sei. Bis zum Ende des Jahres 1963 habe die Klägerin das Sanatorium Dr. H. daher für weitere Brennstofflieferungen mit 34.500.19 S belastet, wovon 11.000 S bezahlt worden seien. Auf Mahnungen der klagenden Partei, den noch aushaftenden Rest zu begleichen, sei diese von der Sanatoriumsbediensteten E. damit vertröstet worden, daß derzeit von der Verlassenschaft keine Gelder freigemacht würden. Mit Rücksicht auf die im gegenständlichen Prozeß erhobenen Einwendungen der Beklagten habe die klagende Partei ihre Forderung auch gegen Elfriede H. geltend gemacht und ein Versäumnisurteil erwirkt. Die Exekution sei aber mangels eines Vermögens erfolglos geblieben.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, das Sanatorium Dr. H. sei ein kaufmännisches Unternehmen, das nach dem Tode des Eigentümers von dessen Witwe weitergeführt worden sei. Für die während der Geschäftsführung durch diese aufgelaufenen Schulden hafte nur sie allein. § 25 HGB. behandle lediglich die Haftung des Übernehmers eines Handelsgeschäftes für die Schulden des Vormannes; die Haftung nach § 1409 ABGB. wieder setze eine rechtsgeschäftliche Vermögensveräußerung voraus, die im gegenständlichen Falle nicht vorliege. Die Verlassenschaft hafte daher nicht für den eingeklagten Betrag.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil, das nach dem Berufungsantrag von der klagenden Partei nur in Ansehung eines Betrages von 23.500.19 S angefochten wurde, dahin ab, daß es die sechs Beklagten zu je einem Sechstel schuldig sprach, der klagenden Partei einen Betrag von 23.500.19 S zu bezahlen. Dabei ging es von folgenden rechtlichen Erwägungen aus.

Es sei nicht allein entscheidend, daß die Weiterführung des als kaufmännisches Unternehmen zu qualifizierenden Sanatoriumsbetriebes durch die erblasserische Witwe nach dem Willen des Verlassenschaftskurators und dem Inhalt der zwischen diesem und der Witwe getroffenen Absprachen nur auf Rechnung der letzteren erfolgen sollte. Es müsse auch berücksichtigt werden, daß diese Absprachen nach außen hin nicht bekannt geworden seien und daß die erblasserische Witwe dritten Personen gegenüber nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelnd aufgetreten sei. Sie habe das alte Sanatoriumsschild mit der Aufschrift "Privatklinik Dr. H." und das alte Briefpapier mit dem Kopf "Sanatorium Dr. H., Privatklinik" weiter verwendet und sich auch der Mitarbeit der früheren Sanatoriumsangestellten weiterhin bedient. Da sie die gleichen geschäftlichen Gepflogenheiten eingehalten habe, die schon zu Lebzeiten des Dr. H. bestanden hätten, habe sie nach außen hin den Anschein erweckt, als Vertreterin des Nachlasses nach Dr. H. zu handeln. Der festgestellte Sachverhalt sei daher auch in der Richtung einer stillschweigenden Bevollmächtigung oder einer Bevollmächtigung kraft Rechtsscheins zu untersuchen. Beide Voraussetzungen einer solchen Haftung des Vertretenen für die Rechtshandlungen des Scheinvertreters seien im vorliegenden Falle gegeben. Der Sachverhalt lasse auch unter Anlegung eines objektiven Maßstabes nach der Verkehrssitte den Schluß auf eine Bevollmächtigung zu. Er sei aber auch vom Vertretenen wenigstens fahrlässig herbeigeführt oder geduldet worden. Die erblasserische Witwe Elfriede H. sei nach außen hin für das seinerzeit dem Verstorbenen gehörige Unternehmen aufgetreten, ohne daß der Verlassenschaftskurator, der am selben Orte als Rechtsanwalt tätig sei, dagegen etwas unternommen habe. Unter diesen Umständen habe für den Außenstehenden kein Zweifel an der Bevollmächtigung der Elfriede H. bestehen können. Von den Geschäftspartnern des Sanatoriums sei, weil Elfriede H. in dieser Weise geradezu vor den Augen des Verlassenschaftskurators aufgetreten sei, nicht zu verlangen gewesen, vor jedem Geschäftsabschluß besondere Erkündigungen darüber einzuziehen, ob der Verlassenschaftskurator damit einverstanden sei. Der Schein des Bevollmächtigungsverhältnisses sei somit gegeben gewesen. Es sei aber auch die fahrlässige Duldung dieses Scheines durch den Verlassenschaftskurator augenfällig, weil diesem die Geschäftsführung durch die erblasserische Witwe namens der Privatklinik Dr. H. mit Rücksicht auf das örtliche Naheverhältnis - das Sanatorium und die Rechtsanwaltskanzlei des Verlassenschaftskurators befänden sich in derselben kleinen Stadt - wegen der Belassung des Sanatoriumsschildes nicht verborgen geblieben sein durfte. Der Kurator wäre daher verpflichtet gewesen, gegen das Vorgehen der Elfriede H. entsprechende Schritte zu unternehmen und er hätte sich nicht damit begnügen dürfen, ihr unter vier Augen zu erklären, daß die Verlassenschaft nicht für ihre Geschäftsführung hafte. Es sei daher eine Haftung der Beklagten für die in Frage stehenden Rechnungsbeträge anzunehmen. Da die Erben von der Rechtswohltat des Inventars Gebrauch gemacht hätten, würden sie gemäß § 821 ABGB. für die Schuld nur nach dem Verhältnis ihrer Erbteile haften.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zunächst ist den Ausführungen der Revision, die klagende Partei habe aus dem Tode des Dr. Waldemar H., aus der Bestellung eines Verlassenschaftskurators, aus der durch diesen veranlaßten Begleichung des Saldos sowie aus der Gläubigerkonvokation entnommen oder doch entnehmen müssen, daß Veränderungen im Sanatoriumsbetrieb stattgefunden hätten, so daß keine Umstände vorhanden gewesen seien, die geeignet gewesen wären, in ihr den begrundeten Glauben zu erwecken die erblasserische Witwe sei befugt gewesen, den Sanatoriumsbetrieb im Namen der Verlassenschaft weiterzuführen, zu erwidern, daß der Tod des Dr. Waldemar H., die Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung und die im Zuge derselben getroffenen Verfügungen der Klägerin noch nicht einen Anhaltspunkt dafür gaben, daß das Sanatorium nicht im Namen und auf Rechnung der Verlassenschaft nach Dr. H. weitergeführt wurde. Gerade die Weiterführung für den Nachlaß war so lange anzunehmen, als nicht Gegenteiliges bekanntgemacht wurde, umso mehr als Elfriede H. als erblasserische Witwe in einem solchen Naheverhältnis zu dem Verstorbenen stand, daß ein Außenstehender sie als Erbin, die befugt ist, den Nachlaß zu verwalten, in Betracht ziehen konnte. Eine Vernachlässigung gehöriger Aufmerksamkeit kann der Klägerin daher nicht zum Vorwurf gemacht werden (JBl. 1962 S. 381; Riz. 1956 S. 93).

Hingegen war der Verlassenschaftskurator, wenn er den Betrieb des Sanatoriums für Rechnung der Verlassenschaft eingestellt und die Weiterführung des Sanatoriums durch Elfriede H. auf deren eigene Rechnung gestattet hat, verpflichtet, alles, was den Anschein einer Führung des Betriebes auf Rechnung der Verlassenschaft erweckte, also vor allem das Sanatoriumsschild und die Geschäftspapiere, die noch die alte Aufschrift trugen, zu beseitigen. Da er dies unterließ, hat er durch sein Zutun Umstände geschaffen, die eine Grundlage für den Anschein waren, daß das Sanatorium für die Verlassenschaft weitergeführt werde (JBl. 1962 S. 381; EvBl. 1957 Nr. 129).

Es ist nicht entscheidend, daß der Vertretene es nicht bewußt unterlassen hat, den auf den äußeren Tatbestand Vertrauenden aufzuklären, es genügt, daß er hätte wissen müssen, daß der Anschein, auf den der Dritte vertraut, erweckt wurde. Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, daß im vorliegenden Falle eine ungewöhnliche Sorglosigkeit vorlag. Ein derartiger Diligenzfehler vermag aber die Folgen, die die Judikatur an die Erweckung des Scheines eines Vollmachtsverhältnisses durch rein tatsächliches Verhalten knüpft, nicht zu beseitigen (6 Ob 89/58, 2 Ob 288/55).

Es lagen somit alle Voraussetzungen der Haftung der Beklagten aus dem Grundsatz des Vertrauens auf den äußeren Tatbestand vor und es genügte entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht nicht, daß der Verlassenschaftskurator nur der Elfriede H. mitteilte, die Verlassenschaft habe kein Interesse an der Weiterführung des Sanatoriums und lehne daher die Verantwortung hiefür ab, um diese Haftung auszuschließen. Es war auch gleichgültig, daß die Geschäfte nicht zum Nutzen der Verlassenschaft abgeschlossen würden und daß Elfriede H. von der Verlassenschaft zu diesen Geschäften nicht bevollmächtigt worden ist. Denn gerade diese Umstände sind der Haftung aus dem angenommenen Tatbestand charakteristisch. Völlig bedeutungslos für die Haftung ist auch, daß Elfriede H. nicht ausdrücklich die Bestellungen bei der Klägerin namens der Verlassenschaft nach ihrem Gatten aufgegeben hat; es genügt, daß sie Handlungen setzte, die diesen Schein erweckt haben. Zugegebenermaßen war der Verlassenschaftskurator nicht gehalten, die Geschäftstätigkeit der Elfriede H. zu überwachen, er war aber jedenfalls verpflichtet, bei Einstellung des Sanatoriumsbetriebes durch die Verlassenschaft alle Hinweise zu beseitigen, die auf einen weiteren Betrieb auf Rechnung der Verlassenschaft hindeuteten.

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